Samstag, September 19, 2009

Freitag, September 18, 2009

Lorenz Hilty: «Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»

Tages Anzeiger 17.09.2009
«Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»
Aktualisiert um 10:51 Uhr

Der Markt reagiert nicht auf die sinkenden Rohstoff-Reserven. So würden Innovationen gebremst, warnt Empa-Forscher Lorenz Hilty. Die Rohstoffpreise seien viel zu tief.

Alu, Cadmium, Cerium, Chrom, Cobald, Kupfer, Europium, Gadolinium, Gallium, Gold, Indium, Eisen, Lanthan, Blei, Magnesium, Mangan, Molybdenum, Neodynium, Nickel, Palladium, Praesodynium, Platin, Rhodium, Rhenium, Silber, Tantal, Tellurium, Zinn, Zink, Zirkonium: Was in einem LCD-Monitor enthalten ist.

Lorenz Hilty ist Leiter der Abteilung Technologie und Gesellschaft der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen. Er ist Mitorganisator des World Resources Forum in Davos, das gestern zu Ende ging.


Tages Anzeiger 17.09.2009
«Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»
Aktualisiert um 10:51 Uhr

Der Markt reagiert nicht auf die sinkenden Rohstoff-Reserven. So würden Innovationen gebremst, warnt Empa-Forscher Lorenz Hilty. Die Rohstoffpreise seien viel zu tief.

Alu, Cadmium, Cerium, Chrom, Cobald, Kupfer, Europium, Gadolinium, Gallium, Gold, Indium, Eisen, Lanthan, Blei, Magnesium, Mangan, Molybdenum, Neodynium, Nickel, Palladium, Praesodynium, Platin, Rhodium, Rhenium, Silber, Tantal, Tellurium, Zinn, Zink, Zirkonium: Was in einem LCD-Monitor enthalten ist.

Lorenz Hilty ist Leiter der Abteilung Technologie und Gesellschaft der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen. Er ist Mitorganisator des World Resources Forum in Davos, das gestern zu Ende ging.

Dennis Meadows sagt, es bräuchte mindestens zwei Erden, wenn alle Menschen unseren Lebensstandard leben wollten. Ist das Alarmismus des ewigen Wachstumskritikers?
Überhaupt nicht. Er ist ja nicht allein mit seiner Meinung. Auch der renommierte Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker sagt das. Wir haben 1980 40 Milliarden Tonnen fossile Brennstoffe, Metallerze, Baumaterialien und Biomasse verbraucht. Nach Uno-Schätzungen sind wir auf dem Weg zu einer Verdoppelung dieses jährlichen Materialflusses bis 2020. Wir leben heute schon über unsere Verhältnisse. Das werden die nächsten Generationen spüren.

Vermutlich haben wir bereits den Ölpeak erreicht. Wie steht es mit anderen bedeutenden Rohstoffen wie etwa den Metallen?
Es gibt Metalle, die seltener als zum Beispiel Kupfer vorkommen und deren Bedarf durch den technischen Fortschritt enorm gestiegen ist. Zum Beispiel Tantal. Ohne dieses Metall für die Elektronik gäbe es kein Handy. Indium braucht man, um Flachbildschirme zu produzieren.

Würden diese beiden Metalle ausgehen, hätten wir also ein Problem mit der Telekommunikation?
Nach dem heutigen technischen Stand ja. Es gibt allerdings kein plötzliches Ende solcher Ressourcen, sondern der Abbau wird einfach aufwändiger, wenn man zu weniger günstigen Lagerstätten übergeht. Mit höherem Energieaufwand kann man auch diese abbauen. Das ist aber paradox, weil wir vor dem Hintergrund des Klimaschutzes ja den Energieverbrauch reduzieren sollten. Energie- und Ressourcenmanagement hängen eng zusammen. Aus energetischen Gründen können wir uns auch keinen beliebig grossen Aufwand beim Recycling leisten.

Ist Indium nicht auch ein wichtiges Metall bei der Produktion von Solarzellen?
Ja. Aber die Hälfte der Jahresförderung wird heute für die Produktion von Computer- und Fernsehbildschirmen verwendet. Vielleicht werden wir das eines Tages bedauern, wenn wir viel mehr Indium nutzen wollen, um Strom aus Sonnenlicht zu gewinnen.

Trotz der Verknappung - warum sind die Preise für Indium und andere seltene Metalle nicht höher?
Der Markt nimmt nur wahr, was gehandelt wird. Dass dabei die Reserven kontinuierlich kleiner werden, ist nicht Teil des ökonomischen Systems. In den Kostenberechnungen sind die schlechten Arbeitsbedingungen in den Erzminen, die enorme Umweltverschmutzung und die sozialen Kosten nicht enthalten. Tantal zum Beispiel ist in Verruf geraten, weil man im Kongo mit den Einnahmen aus dem Tantalhandel den Bürgerkrieg finanziert hatte.

Die Rohstoffe sind also viel zu billig?
Auf jeden Fall. Wenn der Markt die physikalische Knappheit wahrnehmen würde, dann würde der Preis für die Rohstoffe deutlicher ansteigen, und der Anreiz für neue Innovationen, zum Beispiel für effizientere Technologien mit weniger Materialeinsatz, wäre bedeutend grösser.

Mit Recycling könnte man doch einen grossen Teil des Rohstoffes zurückgewinnen.
Recycling ist eine gute Option. Wir arbeiten im Elektronikschrottrecycling mit Schwellenländern in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen, um gute Lösungen zu entwickeln. Allerdings werden derzeit die sogenannten Gewürzmetalle, die nur in kleinen Mengen benötigt werden wie Indium, nicht rezykliert.

Der deutsche Umweltchemiker Michael Braungart sagt, die Industrie sei für Produkte verantwortlich, die 1:1 rezyklierbar sind. Dann hätten wir kein Ressourcenproblem.
In der Tat sollten wir keinen Unterschied machen zwischen Rohstoff und Abfall. Das Material eines Produkts hätte am Ende des Produktlebens einen bedeutend geringeren Wertverlust, wenn es leichter rezyklierbar wäre und so wieder zum Rohstoff würde. Wenn der Produzent die alten Geräte direkt wieder zurücknehmen müsste, dann wäre er interessiert an der Werterhaltung des Materials.

Ist Braungarts Forderung vom vollständig rezyklierbaren Design nicht eine Utopie?
Das Problem hat physikalische Gründe. Je mehr verschiedene Materialien der Hersteller vermischt, desto mehr Energie muss man aufwenden, um die Bestandteile des Produkts wieder zu trennen. Das ist ein Naturgesetz. Das heisst, man muss künftig die Materialvielfalt reduzieren und die einzelnen Bestandteile so verbinden, dass sie mit wenig energetischem Aufwand wieder getrennt werden können. Aber ich möchte nicht nur über Recycling sprechen, intelligente Kommunikationssysteme sind genau so effektiv, um Ressourcen zu sparen.

Zum Beispiel?
Die klassische Werbung ist doch ein Energieverschleiss. Unmengen von Plakaten und Massenversand braucht es, damit ein Produkt in der Fülle der Informationen auffällt. Google zum Beispiel macht gezieltere, energetisch günstigere Werbung. Wenn etwa ein User nach dem Stichwort «Versicherung» sucht, werben auf der Ergebnisseite einzelne Versicherungen. Der Punkt ist, dass mich Google nur dann mit Werbung eindeckt, wenn ich spezifisch daran interessiert bin. Ein anderes Beispiel: Hörsäle sind geheizt, auch wenn wochenlang keine Vorlesung stattfindet. Wieso wird nicht die elektronische Agenda für die Raumbelegung mit dem Informationssystem der Heizung gekoppelt? Wir haben viel zu viele Inselsysteme, die keine Informationen austauschen, obwohl man auf diese Weise viel Energie sparen könnte. Die Ressourcen, die man für besser integrierte Informations- und Kommunikationssysteme braucht, wären gut investiert.

Bleibt noch der Konsument, der sich ändern kann und Produkte länger behält.
Wir sind Vorbilder, gerade für den armen Teil der Weltbevölkerung. Wir sollten sparsamer und genügsamer leben. Ich fahre kein Auto und lebe in dieser Hinsicht bewusst. Leider nützt das aber nicht viel. Denn wer Rohstoffe abbaut, der will sie loswerden. Wenn die Nachfrage zurückgeht, drückt das auf die Preise. Ein gutes Beispiel ist das Papierrecycling. Mit dem Aufkommen des Recyclings fiel bei den Frischfaserlieferanten der Umsatz. Die Konsequenz: Die Preise sind heute tief, und Frischfasern werden insgesamt mehr verbraucht als vor dem flächendeckenden Recycling.

Das klingt nicht sehr vielversprechend für die Zukunft.

Eine mögliche Lösung wäre ein anderes Steuersystem. Es braucht keine Ökosteuer. Heute zahlen wir Mehrwertsteuer für die Wertschöpfung, die bei der Umwandlung eines Rohstoffes in ein Produkt stattfindet. Das ist der falsche Ansatz. Statt der Wertschöpfung am Ende der Produktionskette sollte man den Abbau von Rohstoffen am Anfang der Kette besteuern. Dann würde sich die Welt schlagartig ändern, es würden Innovationen gefördert, die viel weniger Material verschleissen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 17.09.2009, 10:24 Uhr

Mittwoch, September 16, 2009

Mountains / Berge

Dienstag, September 15, 2009

NZZ: China lässt die Muskeln spielen

13. September 2009, NZZ am Sonntag
China lässt die Muskeln spielen

Der grösste Produzent von seltenen Metallen will den Export in den Westen einschränken

Ohne ausgefallene Materialien können weder iPods noch Flachbildschirme hergestellt werden. Hersteller alternativer Energien sind von Chinas Quasimonopol am stärksten bedroht.

Daniel Puntas Bernet

Neodym, Lanthan, Terbium, Dysprosium, Scandium: Metalle, von denen man nicht jeden Tag hört, die aber bald in aller Munde sein dürften. Denn die fünf gehören zusammen mit zwölf weiteren zu den sogenannten Metallen der seltenen Erden (Rare Earth Elements/REE), allesamt Rohstoffe, die in iPods, Automotoren, Windturbinen, Stromsparlampen oder Flachbildschirmen stecken. Vor wenigen Tagen....


13. September 2009, NZZ am Sonntag
China lässt die Muskeln spielen

Der grösste Produzent von seltenen Metallen will den Export in den Westen einschränken

Ohne ausgefallene Materialien können weder iPods noch Flachbildschirme hergestellt werden. Hersteller alternativer Energien sind von Chinas Quasimonopol am stärksten bedroht.

Daniel Puntas Bernet

Neodym, Lanthan, Terbium, Dysprosium, Scandium: Metalle, von denen man nicht jeden Tag hört, die aber bald in aller Munde sein dürften. Denn die fünf gehören zusammen mit zwölf weiteren zu den sogenannten Metallen der seltenen Erden (Rare Earth Elements/REE), allesamt Rohstoffe, die in iPods, Automotoren, Windturbinen, Stromsparlampen oder Flachbildschirmen stecken. Vor wenigen Tagen hat Wang Caifeng, Rohstoff-Direktor des chinesischen Industrieministerium, einen Satz geäussert, der Firmenchefs auf der ganzen Welt in Aufregung versetzte: «Es könnte sein, dass wir künftig diese Rohstoffe nicht ausreichend liefern können.» Eine weiche Formulierung für eine gleichzeitig angekündigte massive Exportbeschränkung.

Die Aufregung ist durchaus berechtigt. China förderte letztes Jahr 124 000 Tonnen REE, 95% dessen, was weltweit verwendet wird. Auch wenn die Menge im Verhältnis zu Eisenerz, Kupfer oder Aluminium fast verschwindend klein ist: Bei keinem anderen Rohstoff ist die Abhängigkeit von einem einzigen Land grösser als bei den seltenen Metallen, die in fast allen modernen technischen Geräten vorhanden sind. «Die Welt kann ohne Mobiltelefone, Autos und Fernseher nicht mehr sein. Ausserdem spielen die Metalle eine entscheidende Rolle bei der Herstellung grüner Technologien», sagte Wang Caifeng gegenüber chinesischen Medien, für den Fall, dass die Bedeutung der angekündigten Massnahmen nicht deutlich genug zu Tage getreten wäre.

Kein Prius ohne Lanthan

Vor allem für die Herstellung der globalen Hoffnungsträger im Kampf gegen CO 2 -Emissionen sind Chinas Rohstoffe zentrale Zutaten – eine Verknappung käme einer starken Einschränkung bei der Entwicklung alternativer Energien gleich. Beschichtungen von Solarzellen enthalten ebenso seltene Substanzen wie Katalysatoren oder Elektromotoren. In jedem Hybridmotor von Toyota stecken 1 Kilogramm Neodym und 15 Kilogramm Lanthan, und sobald die nächste Generation auf den Markt kommt, gar doppelt so viel. Die Generatoren von Windturbinen wiederum enthalten mehrere hundert Kilo Dysprosium. «Diese Stoffe ermöglichen eine maximale magnetische Wirkung in Kombination mit hoher Korrosionsbeständigkeit», sagt Christoph Bolliger von der Zürcher Firma Bomatec, Zulieferer für Windturbinen-Generatoren. «Ohne die Metalle wäre die derzeitige Energieeffizienz von Wind oder Hybridmotoren nicht zu haben.» Von den Ausfuhrrestriktionen ist Bomatec nicht betroffen, die Firma bezieht die fertigen Magnete aus China – was ganz im Sinn der chinesischen Industriepolitik ist, die darauf abzielt, die Wertschöpfungskette weitgehend im eigenen Land zu behalten.

Anders bei der Firma Vacuumschmelze aus Hanau bei Frankfurt, dem einzigen Hersteller von Magneten in Europa und Importeur von REE. «Die chinesische Ankündigung könnten auch marketingtechnische Gründe haben. Weil der Absatz dieses Jahr wegen der Krise ins Stocken kam, versuchen einige der Minengesellschaften, dadurch die Nachfrage zu forcieren», sagt Geschäftsleitungsmitglied Bernd Schleede. Ein Versiegen der Metalleinfuhren aus China hätte für das Frankfurter Unternehmen existenzbedrohende Folgen. Das sieht auch Japan so, wo Wang Caifengs Statement die höchsten Wellen warf. Spitzenreiter im Verbrauch der Metalle ist der Toyota Prius. Angesichts der Pläne von Toyota, ab 2010 den hybrid betriebenen Prius weltweit jährlich eine Million Mal zu verkaufen, hat die Sicherstellung der Metalle strategische Bedeutung erlangt.

Mitsubishi und Toyota schlossen kürzlich Joint Ventures mit brasilianischen und kanadischen Firmen ab, und ein nationales Forschungsteam lässt Satelliten über Botswana kreisen, wo nach Vorkommen Ausschau gehalten wird. Denn im Gegensatz zum Namen kommen die Metalle der seltenen Erden auf der ganzen Welt häufig vor, nur haben es andere Länder unterlassen, in ihre Förderung zu investieren, was der hauptsächliche Grund für Chinas Quasimonopol ist.

Alles andere als grün


Erst seit die Chinesen nämlich mit viel billigeren Fördermethoden die Preise für REE in den Keller drückten (Neodym notierte beispielsweise Anfang der neunziger Jahre noch bei 50 $ pro Kilogramm, bevor es auf 5 $ einbrach), mussten weltweit andere Minengesellschaften den Betrieb einstellen, weil die Produktion unprofitabel wurde. Die Fördermethoden des unentberlichen Metalls grüner Technologien sind zudem alles andere als grün: Um 1 Tonne der Metalle zu gewinnen, kann es vorkommen, dass 2000 Tonnen Erde bewegt werden müssen. Und anders denn als Umweltverschmutzung kann laut vielen Experten die chinesische Billigförderung nicht bezeichnet werden: «Chemie auf den Berg schütten und unten die herausgeschwemmten Metalle auffangen», fasst ein Branchenkenner die ökologisch bedenkliche Methode zusammen. Es könnte sein, dass gerade höhere Umweltstandards in China zum Rückgang der Produktion in diesem Jahr geführt haben.

Der Preis für Neodym liegt wieder bei knapp 20 $, doch die Aussichten auf eine steigende Nachfrage in Verbindung mit den Ausfuhrrestriktionen Chinas lassen die Minen in Kanada und Australien ihre Bagger wieder auffahren. Das US-Unternehmen Molycorp Minerals will in Kalifornien die stillgelegte Mountain Pass Mine wieder in Betrieb nehmen, das grösste bekannte Vorkommen an REE ausserhalb Chinas.

Zu den Gewinnern der Umstände gehört die kanadische Explorationsfirma Avalon. Die Firma besitzt Schürfrechte am Thor Lake im Nordwesten Kanadas – laut Avalon-Geschäftsführer Don Bubar «eine wahre Goldgrube». Ab 2013 werden dort Tantal, Lithium und Niobium gefördert. «Die meisten unterschätzen REE noch – aber das wird sich schnell ändern», warb Bubar im Sommer 2008 auf der Suche nach neuen Investoren. Avalons Aktienkurs hat sich seit letztem Juni und nach Wang Caifengs Rede verfünffacht.

Montag, September 14, 2009

Candy Dulfer

Lily was here


Can't make you love me (1998 - Live at Montreux)


smoking gun

Samstag, September 12, 2009

Sonntag, September 06, 2009

TA: Wie wird es enden mit den USA?

Tages Anzeiger Online 05.09.09
Wie wird es enden mit den USA?
Von Christoph Lenz.

Der US-Journalist Josh Levin hat bei Wissenschaftlern nachgefragt – und überraschende Antworten erhalten. Ein Lehrstück über die Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen.

Es lodert im Himmel. Die Ozeane schwellen an. Die Erde bebt. Ein Asteroidenhagel prasselt nieder. Derweil brettert ein Wissenschaftler in seinem Pick-up durch einen Nationalpark und tippt die Geheimnummer des Weissen Hauses in sein Handy, um den Präsidenten über die Ursachen der Vorkommnisse zu unterrichten. Aber verdammt, das Netz ist tot. Scheiss Asteroidenhagel.

So schildert Hollywood-Regisseur Roland Emmerich in seinem neuen Film «2012» (ab November in den Kinos) den Weltuntergang. Grundlage des Streifens ist ein Maya-Kalender, der voraussagt, dass am 21. Dezember 2012 ein mysteriöser Planet die Erdumlaufbahn kreuzen wird. Bei Roland Emmerich läuft das folgendermassen ab: Alles geht kaputt, dann kommt der Abspann.

Sie hat alle Völker in ihren Bann geschlagen, die Frage, was genau sich....



Tages Anzeiger Online 05.09.09
Wie wird es enden mit den USA?
Von Christoph Lenz.

Der US-Journalist Josh Levin hat bei Wissenschaftlern nachgefragt – und überraschende Antworten erhalten. Ein Lehrstück über die Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen.

Es lodert im Himmel. Die Ozeane schwellen an. Die Erde bebt. Ein Asteroidenhagel prasselt nieder. Derweil brettert ein Wissenschaftler in seinem Pick-up durch einen Nationalpark und tippt die Geheimnummer des Weissen Hauses in sein Handy, um den Präsidenten über die Ursachen der Vorkommnisse zu unterrichten. Aber verdammt, das Netz ist tot. Scheiss Asteroidenhagel.

So schildert Hollywood-Regisseur Roland Emmerich in seinem neuen Film «2012» (ab November in den Kinos) den Weltuntergang. Grundlage des Streifens ist ein Maya-Kalender, der voraussagt, dass am 21. Dezember 2012 ein mysteriöser Planet die Erdumlaufbahn kreuzen wird. Bei Roland Emmerich läuft das folgendermassen ab: Alles geht kaputt, dann kommt der Abspann.

Sie hat alle Völker in ihren Bann geschlagen, die Frage, was genau sich abspielt, wenn eines Tages die Welt einfach so untergeht. Ungleich interessanter ist es aber eigentlich, darüber nachzudenken, was passiert, wenn die Welt einfach nicht untergeht. Sondern nur, sagen wir mal, die USA. Wer wird dann auf der Welt nach dem Rechten sehen, welches Wirtschaftssystem unser Handeln bestimmen? Zu welcher Musik werden wir in Liebeskummer versinken und wessen Modediktat folgen? Und wer sichert in dieser Zukunft noch die Werte von Freiheit, Demokratie und Blue Jeans?

Mormonen als Freiheitsapostel

Josh Levin müsste es wissen. Der Journalist hat sich diesen Sommer von renommierten Historikern, Politologen, Naturwissenschaftlern, Theologen und Ökonomen erklären lassen, wie es enden könnte mit den USA. Die Resultate hat Levin zu einer Artikelserie für das Online-Magazin «Slate» verarbeitet.

Indes, auf die oben aufgeworfenen Fragen mag Josh Levin nicht antworten. Die Zukunft voraussagen, das sei schlechthin unmöglich, sagt Levin. Einzig bei der Sicherung der amerikanischen Werte, da hege er eine Vermutung: «Es könnten die Mormonen sein, die unsere heutigen Vorstellungen von Recht und Unrecht über unser Zeitalter hinaus konservieren.» Der Grund: Das Amalgam von Religion, Geschichte und Sprache, das die Mormonen verbindet, wird sich in Krisenzeiten als besonders resistent erweisen. Hier könnten Traditionen besser als anderswo bewahrt werden. Äussere Einflüsse würden abperlen am Teflon der gemeinschaftlichen Identität. «Aber es ist, was es ist», sagt Levin, «nur eine leise Vermutung.»

Dass sich eine überschaubare, homogene Volksgruppe in einem unsicheren Umfeld besser und schneller zurechtfindet, hat Levin schon im von Hurrikan «Katrina» zerstörten New Orleans beobachtet. Dort, erzählt er, seien es die Vietnamesen gewesen, die als Erste ihre Geschäfte wieder öffneten, ihre Häuser instand setzten und ihre traditionellen Feste feierten. «Während viele Amerikaner noch auf Hilfe durch die Regierung warteten, hat die vietnamesische Gemeinde sich selbst geholfen.»

New Orleans ist Josh Levins Heimatstadt. Als Schauplatz, an dem sich vor drei Jahren die Zivilisation für mehrere Wochen auflöste, ist sie auch der Ausgangspunkt für Levins Recherchereise durch die USA. «,Katrina‘ hat uns schwer getroffen», erzählt Levin. «Ein Sturm von diesem Ausmass war für jeden von uns unvorstellbar. Unsere Dämme wurden zerstört, und unser Vertrauen in die Regierung wurde erschüttert.» Der Hurrikan habe ihm zwei Dinge vor Augen geführt. «Es wird der Tag kommen, an dem staatliche Institutionen, auf die wir uns verlassen, scheitern. Und wir gewisse Teile unserer Zivilisation werden aufgeben müssen. So wie es schon die Römer, die Spanier und die Engländer getan haben.»

Bitte keine Sciencefiction

Die USA sind dem Untergang geweiht – das ist natürlich ein alter Hut. Beeindruckend an Josh Levins Arbeit ist denn auch nicht die These. Sondern die Ernsthaftigkeit, mit welcher sich der Journalist ihren Hintergründen widmet. Der Untergang erscheint hier nicht in Gestalt eines Science-Fiction-Szenarios, das mit Geheimdienstakteuren und feindlichen Besuchern aus dem All zu einem prickelnden Schauermärchen angereichert werden kann. Der Untergang ist für Levin zunächst eine historische Gesetzmässigkeit, der sich auf lange Sicht keine Weltmacht entziehen kann – das ist der einfache Teil. Dann aber ist er auch das Resultat eines Kräftespiels mit unzähligen Unbekannten. Ein komplexes Phänomen, das sich nicht mit einem Mega-Tsunami, einer Terrorattacke oder einer Pandemie alleine erklären lässt. «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein singuläres Ereignis die USA zu Fall bringt, ist gleich null», sagt Levin.

Zum Beispiel Rom

Gestützt wird diese Aussage vom deutschen Historiker Alexander Demandt. Dieser hat sich Anfang der 1980er-Jahre darangemacht, sämtliche Ursachen, die jemals für den Untergang des Römischen Reichs vorgebracht wurden, zu sammeln und zu ordnen. Am Ende zählte Demandt nicht weniger als 210 mögliche Gründe. Viele davon widersprüchlich, manche sogar reichlich absurd, etwa der «Mangel an Ernsthaftigkeit» oder eine «romantische Vorstellung von Frieden». Um ein Weltreich zu Fall zu bringen, braucht es schon ein bisschen mehr als einen zeitweiligen Anflug von Pazifismus.

Josh Levin drückt es so aus: «Nur ein Dummkopf kann ernsthaft behaupten, er kenne die exakten Gründe für den Untergang der USA.» Zu viele Faktoren beeinflussten den Weltenlauf, zu wichtig sei die Rolle, die unvorhersehbare Ereignisse und Entwicklungen dabei spielen. Statt die Hände in den Schoss zu legen und das Ende abzuwarten, begibt sich Josh Levin auf eine Recherchereise durch die Bildungstempel und Forschungszentren der USA. Um, wie Levin sagt, «zumindest eine Ahnung davon zu vermitteln, wodurch der Untergang ausgelöst werden könnte».

Szenario: Wilder Westen

In Buffalo erfährt er von einem Professor für Architektur und Raumplanung, weshalb sich mittelfristig ein Grossteil der amerikanischen Bevölkerung in der Gegend rund um die Great Lakes niederlassen wird. Robert Shibleys Erklärung: Infolge Klimawandel versumpfen und verwittern die Küstenregionen, mithin die heutigen Ballungszentren Nordamerikas. Zugleich wird der Mittlere Westen, die Kornkammer der USA, von anhaltenden Dürren heimgesucht – gerade so, wie es schon in den 1930er-Jahren, der Zeit der Staubstürme, geschehen ist. Damals verliessen Tausende von Bauern ihre versandeten Felder und zogen nach Westen, um in Kalifornien als Wanderarbeiter zu dienen. Die Klimaflüchtlinge der Zukunft werden nach Norden fliehen. Nur dort findet sich dereinst noch ein erträgliches Klima, und nur dort steht den Menschen dank den grossen Seen ausreichend Süsswasser zur Verfügung. Auf die Entvölkerung folgt alsbald die Entstaatlichung: Die Regierung sieht sich aus Kostengründen gezwungen, die unwirtlichen Küsten- und Wüstenregionen aufzugeben. Zurück bleiben Aussteiger, Einsiedler und marodierende Outlaw-Banden. Der Westen wird wieder wild.

Szenario: Balkanisierung


Ganz anders sieht es der emeritierte Ökonomie-Professor in Vermont. Sein Kleinstaat, erklärt Thomas Naylor, wird sich schon in naher Zukunft aus der Umklammerung Washingtons befreien. Damit wird ein Domino-Effekt ausgelöst: Hat sich erst mal ein Bundesstaat für unabhängig erklärt, werden andere schnell folgen. Das Resultat: eine Balkanisierung der USA. Ein Flickenteppich anstelle der halbwegs homogenen Staatenunion. Und noch etwas weiss der Professor: Die kleinen Republiken täten gut daran, sich bei der Gestaltung ihrer politischen Institutionen eng an das Vorbild der Schweiz zu halten.

Nochmals anders sieht die Zukunft im Büro von Jamais Cascio aus. Der kalifornische Futurologe und «Wall Street Journal»-Publizist hat unlängst drei Vorhersagen für die nächsten 50 Jahre veröffentlicht. Eines der Szenarien, die «lange Krise», beinhaltet unter anderem: einen nuklearen Konflikt zwischen Indien und Pakistan (2024), einen Nuklearen Winter (2024–2034), eine weltweite Hungersnot (2025–2028), einen Computervirus, der die Finanzmärkte lahmlegt (2037–2047), eine synthetisch erzeugte Weizen-Fäule (2037), die weltweite Hungersnot II (2038–2045), die Spaltung der USA in acht Staaten (2039) und den grossen russischen Bürgerkrieg, der durch den Einsatz schwerer biochemischer Waffen beendet wird (2039–2046). Immerhin: 2026 knacken afrikanische Bio-Hacker das Aids-Virus. Und 2051 gibt es ein globales Freudenjahr, weil die Gesamtbevölkerung der Erde erstmals seit 2020 wieder zugenommen hat. Sie liegt dann bei rund 6 Milliarden.

Das Unwahrscheinliche bedenken

Zugegeben, die Szenarien sind nach abnehmendem Wahrscheinlichkeitsgrad geordnet. Während der Rückzug an die Grossen Seen noch halbwegs realistisch erscheint, hätte man Jamais Cascio wohl schon lange für verrückt erklärt – betonte dieser nicht immer wieder, dass er selbst nicht an seine Szenarien glaube und dass es ihm auch gar nicht darum gehe, ein glaubhaftes Szenario zu entwerfen. «Fast alles, was ich über die Zukunft erzähle, wird sich als falsch herausstellen», sagt Cascio. «Aber einzelne Elemente meiner Szenarien werden uns in Zukunft begegnen. Und dann werden wir wissen, wie wir darauf reagieren können.»

Hier wird Josh Levins Artikelserie über das Ende der USA richtig spannend. Futurologen wie Jamais Cascio entwickeln ihre Szenarien nicht mit dem Ziel, die Zukunft präzise vorauszusagen – ihnen ist bewusst, dass das unmöglich ist. Futurologen arbeiten, um das Denken in neue Richtungen zu lenken. Oder andersherum: um sicherzustellen, dass auch das Unwahrscheinliche bedacht wird. Warum das so wichtig ist? Weil uns Menschen angesichts einer Zukunft, in der alles möglich ist, ein grober Denkfehler unterläuft: Wir halten uns an Wahrscheinlichkeiten.

Wahrscheinlich ist zum Beispiel, dass der islamistische Terror den Westen nicht zu Fall bringt. Wahrscheinlich ist auch, dass Diktaturen wie Nordkorea, Burma, Kuba oder China ihre Bürger nicht ewig in Unfreiheit halten können. Wahrscheinlich scheint auch, dass der Kapitalismus sich weiter über den Planeten verbreitet. Und es mag sogar wahrscheinlich sein, dass die Welt ihre Hunger-, Armuts- und Klimaprobleme irgendwann in den Griff bekommt.

Einzig: Dass am Ende alles genau so herauskommt, wie wir es aufgrund der einzelnen Wahrscheinlichkeiten erwarten, ist schrecklich unwahrscheinlich. Gerade so, wie es unwahrscheinlich ist, dass an einem Spieltag in der Super League nur jene Mannschaften gewinnen, die als Favoriten auf den Platz gehen. Sicher, in jeder Ausmarchung liegt der statistische Vorteil aufseiten der besseren Mannschaft. Aber dass sich in einem komplexen System mit Hunderten von zusammenhängenden Entscheidungen immer jenes Ergebnis mit der relativ höchsten Wahrscheinlichkeit einstellt, ist ausgesprochen selten. Man bezeichnet dieses Paradoxon als die Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen. Um es zu verstehen, muss man kein Mathematiker sein. Da kann man jeden Sport-Toto-Spieler fragen.

Das wird die Welt erschüttern

Auf die Zukunft der USA und der Welt angewandt, sagt uns das Paradoxon Folgendes: Die scheinbar unaufhaltsame Verbreitung von Wohlstand und Demokratie wird durch unberechenbare, weil unwahrscheinliche Ereignisse gebremst, wenn nicht sogar ins Gegenteil verkehrt. Ein Erdbeben, ein Putsch, eine revolutionäre Erfindung, ja sogar ein Student, der auf einen Kaiser schiesst, vermögen eine Ereigniskette auszulösen, die die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Statt Stabilität herrscht Chaos, statt Friede und Freiheit: Schrecken ohne Ende.

Wer aber könnte ein Interesse an Szenarien haben, deren Vorhersagen sich grösstenteils als falsch erweisen werden? Ein Blick in die Kundenkartei von Jamais Cascios Institute for the Future, ein Think-Tank mit gut 30 Angestellten, zeigt Erstaunliches. Die Auftraggeber sind Regierungen, global agierende Konzerne, grosse Unternehmen und politische Organisationen. Sie alle entwickeln ihre langfristigen Strategien aufgrund von positiven und negativen Szenarien, die an den Schreibtischen der Futurologen entstanden sind. Dass die einzelnen Details dann nicht unbedingt stimmen, damit müssen sie leben. In einer globalen Perspektive ist es ja auch nicht von Belang, ob der nukleare Konflikt nun zwischen Pakistan und Indien, China und Nordkorea oder Israel und Iran ausbricht. Der Schaden wäre in jedem Fall gigantisch.

Grösser wäre er wohl nur, wenn sich die Maya-Vision des Kometeneinschlags bewahrheiten würde. Auch die Bedrohung durch einen Himmelskörper hat Jamais Cascio übrigens auf seiner Rechnung. Zwar nicht für 2012, dafür im Jahr 2033. Im Gegensatz zu Emmerichs Untergangsstreifen gibt es das Lodern im Himmel dann ganz umsonst – inklusive Happy End. Denn: 2029 werden die amerikanische und die chinesische Raumfahrtbehörde ein Programm zur Abwehr des Himmelskörpers lancieren. Und wenn die beiden Weltmächte zusammenspannen, dann kann ja nichts schiefgehen. Selbst Jamais Cascio sieht das so.

Josh Levins Artikelserie «How Is America Going to End?» findet sich unter www.slate.com.

Erstellt: 05.09.2009, 16:23 Uhr

Freitag, September 04, 2009

NZZ: Weltweiter Wettlauf um Agrarland in Drittweltländern

NZZ-13.09.2009
Weltweiter Wettlauf um Agrarland
in Drittweltländern
Am G-8-Gipfel soll die Landnahme durch Drittstaaten zum Thema werden
Reich werden oder allfälligen Hungerkrisen vorbeugen, das sind die Motive, die staatliche und private Investoren dazu treiben, sich Land in der Dritten Welt zu sichern. Fragwürdige Geschäftspraktiken haben den Ruf nach Regulierungen laut werden lassen. Am G-8-Gipfel, der im Juli in Italien stattfindet, soll das Thema zur Sprache kommen.

bau. Genf, im Juni
Saudiarabien kauft Farmen in Äthiopien und pachtet Land in Tansania, um Weizen anzubauen. China und Korea schielen nach Plantagen in Afrika, wo sie Reis und Soja produzieren können. Investoren aus den Golfstaaten sichern sich Agrarland in Thailand und Pakistan. Die einen spekulieren auf steigende Preise landwirtschaftlicher Produkte, die andern wollen die Ernährung ganzer Völker sicherstellen. Unübersehbar ist indessen, dass die Nahrungsmittelkrise...



NZZ-13.09.2009
Weltweiter Wettlauf um Agrarland
in Drittweltländern
Am G-8-Gipfel soll die Landnahme durch Drittstaaten zum Thema werden
Reich werden oder allfälligen Hungerkrisen vorbeugen, das sind die Motive, die staatliche und private Investoren dazu treiben, sich Land in der Dritten Welt zu sichern. Fragwürdige Geschäftspraktiken
haben den Ruf nach Regulierungen laut werden lassen. Am G-8-Gipfel, der im Juli in Italien stattfindet, soll das Thema zur Sprache kommen.

bau. Genf, im Juni
Saudiarabien kauft Farmen in Äthiopien und pachtet Land in Tansania, um Weizen anzubauen. China und Korea schielen nach Plantagen in Afrika, wo sie Reis und Soja produzieren können. Investoren aus den Golfstaaten sichern sich Agrarland in Thailand und Pakistan. Die einen spekulieren auf steigende Preise landwirtschaftlicher Produkte, die andern wollen die Ernährung ganzer Völker sicherstellen. Unübersehbar ist indessen, dass die Nahrungsmittelkrise und die Volatilität der Notierungen für Agrarerzeugnisse die Nachfrage nach landwirtschaftlich nutzbaren Böden weltweit angeheizt haben.

Wer kann, greift zu
Das Phänomen massiver friedlicher Landnahme, die kapitalistischen Regeln gehorcht, soll am kommenden Gipfeltreffen der G-8 in Italien zur Debatte stehen. Dem Wildwuchs zweifelhafter Geschäftspraktiken will man mit einer internationalen Übereinkunft Paroli bieten. Weltweit dürften ausländische Investoren in den letzten drei Jahren 15 Mio. bis 20 Mio. ha Ackerland in Entwicklungs- und Schwellenländern unter ihre Kontrolle gebracht haben, eine Fläche, die etwa der gesamten Produktionsfläche Frankreichs entspricht. Dafür seien 20 Mrd. bis 30 Mrd. $ bezahlt oder verpflichtet worden, schätzt das International Food Policy Research Institute (IFPRI), ein unabhängiges Forschungsinstitut in Washington. Zu den wichtigsten Akteuren zählen solvente, häufig durch Petrodollars reich gewordene Regierungen oder Staatsfonds aus Asien und den Golfstaaten, die der Beschaffung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen strategische Bedeutung beimessen. Man misstraut dem globalen Handelssystem mit den zuweilen abrupten Exportverboten in Notzeiten und will sich den ununterbrochenen direkten Zugang zu Nahrungsmitteln oder Bioenergie sichern. Begehrt sind vorab Ländereien im südlichen Afrika und in Asien, in kleinerem Umfang in Lateinamerika. Experten warnen vor der Gefahr der «Enklaven-Wirtschaft» im Stil der früher für Zentralamerika typischen «Bananenrepubliken». Politiker sprechen von «Agrar-Neokolonialismus», und Nichtregierungsorganisationen verteufeln das Phänomen als «land grab», als Landraub, mit desaströsen sozialen und politischen Auswirkungen.

Ordnung muss her
Allein in fünf Ländern Afrikas – Äthiopien, Ghana, Mali, Madagaskar und Sudan – sind laut einer unter der Ägide der Uno-Landwirtschaftsorganisation FAO publizierten Studie in den letzten fünf Jahren 2,4 Mio. ha Land an ausländische Investoren abgetreten worden, Land, das bis vor kurzem keinerlei Marktwert hatte. Allerdings, so die Verfasser der Studie, seien die jährlichen Pachtzinsen auch im internationalen Vergleich äusserst niedrig; in Äthiopien etwa werden pro Hektare 3$ bis 10$ bezahlt. Ausländisches Kapital dominiert den Markt für grossflächige Agrar- Investitionen, aber vielerorts beteiligen sich bereits die lokalen Eliten am neuen Geschäft. Laut der Studie sind private Kauf- oder Pachtverträge häufiger als bilaterale Regierungsabkommen. Wo ausländische Regierungen intervenieren, werden nicht selten private Investoren vorgeschoben oder unterstützt. Mit ihrer Fallstudie will die FAO mit-helfen, einen Verhaltenskodex für grenzübergreifende Investitionen im Landwirtschaftsbereich und Richtlinien für den Landbesitz aufzustellen. Ähnliches hat diese Woche auch der Sonderberichterstatter der Uno für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, gefordert.
Er plädiert für multilaterale Regeln, wie sie auch das IFPRI vorschlägt (siehe Kasten).

Schutzmechanismen
Man müsse verhindern, dass Entwicklungsländer sich gegenseitig mit Angeboten zu übertreffen versuchten, um zu unvorteilhaften Bedingungen Direktinvestitionen im Agrarbereich anzuziehen, schreibt De Schutter. Klare Regeln erhöhten gleichzeitig die Rechtssicherheit für den Investor und schützten diesen vor möglichen Reputationsschäden.

Ein besonderes Anliegen ist dem Uno-Berichterstatter die Ernährungssicherheit für die einheimische Bevölkerung. Investitionsabkommen sollen Klauseln enthalten, wonach ein Teil der Ernten auf den lokalen Märkten verkauft werden muss, und dies unter besonderen Bedingungen, falls die Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten bestimmte Limiten überschreiten. Es gilt Konflikten vorzubeugen, die dann entstehen, wenn vor der Nase der hungernden Bevölkerung tonnenweise Lebensmittel ins Ausland abtransportiert werden. Die von der FAO vorgelegten Beispiele aus Afrika lassen erahnen, dass bei Vertragsverhandlungen mit mächtigen Investoren die betroffenen Landbesitzer eins ums andere Mal über den Tisch gezogen werden. Auch wird Korruption in grossem Stil vermutet, dann etwa, wenn Beamte in Äthiopien grosse Landflächen als «unfruchtbar» einstufen, um es so einfacher an Ausländer verschachern zu können. Laut den Experten des IFPRI besitzt die Mehrzahl afrikanischer Kleinbauern keine Landtitel. Respektiere man die überkommenen Rechte nicht, so sei die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen bedroht.

Mehr produzieren
Investoren, die in grossem Stil Ländereien in der Dritten Welt aufkaufen oder unter Pacht nehmen, stellen sich gerne als Wohltäter dar. Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, muss dringend mehr produziert werden. Dazu sind enorme Kapitalinvestitionen in den Agrarsektor notwendig, die weder die meist armen Länder selber noch die internationale Entwicklungshilfe zu erbringen imstande sind. Gerade in Afrika wurde die Förderung der Landwirtschaft in der jüngsten Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Vielerorts erhoffen sich jetzt Regierungen von ausländischen Grossinvestitionen einen eigentlichen Entwicklungsschub. Schon kursiert die Vision des dunklen Kontinents als «Brotkorb der Welt». Mit neuen Technologien sollen Saatgut und Anbaumethoden verbessert und so die Ernteerträge gesteigert werden. Als Nebeneffekt erhofft man sich dank Investitionen in Schulen, Spitälern und Strassen bessere Lebensverhältnisse für die Landbevölkerung. Der neueste Bericht der Uno- Wirtschaftskommission für Afrika liest sich wie ein grosses Lamento über die Rückständigkeit der Landwirtschaft auf dem Schwarzen Kontinent. Hier stehen insgesamt 733 Mio. ha Ackerland zur Verfügung, mehr als in Asien (628 Mio. ha) oder Lateinamerika (570 Mio. ha). Aber lange nicht alles Farmland wird auch tatsächlich bebaut. Die Auswertung von Satellitenaufnahmen hat ergeben, dass in Afrika lediglich ein Drittel für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wird. Vor allem in den Ländern südlich der Sahara ist die Produktivität im Vergleich mit anderen Entwicklungsgebieten auf der Welt sehr bescheiden. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind unterkapitalisiert, werfen wenig Ertrag ab und sind in keine Wertschöpfungsketten eingebunden. Bewässert werden im Subsahara- Gebiet lediglich 3,6% der bebaubaren Fläche, Kunstdünger wird nur spärlich verwendet. Deprimierendes Fazit der Uno-Wirtschaftskommission ist: Afrikas Kleinbauern sind seit Jahrzehnten gefangen in einem Zyklus von Armut und Ernährungsunsicherheit.

Ein Kodex für faires Verhalten

bau. Die Experten des Washingtoner Think-Tank IFPRI wünschen sich dringend klare Regeln für Landkäufe in Entwicklungsländern.
Sie schlagen einen Verhaltenskodex vor, an den sich Regierungen in den Zielländern und Investoren aus dem Ausland zu halten haben:
• Verhandlungen sollen transparent sein. Lokale Landbesitzer sind zu informieren und in die Verhandlungen einzubeziehen.
Besondere Anstrengungen sind erforderlich, um indigene Gruppen zu schützen.
• Bestehende Landrechte sind zu respektieren. Dieses Postulat betrifft vor allem Ansprüche, die auf Gewohnheitsrecht oder Gemeinschaftsbesitz
fussen. Wer Land verliert, soll entsprechend entschädigt werden. Ihm ist eine gleichwertige Lebensgrundlage zu erstatten.
• Gewinne sind zu teilen. Die lokale Bevölkerung soll profitieren, nicht Verluste erleiden. Das Verpachten von Land ist dem Verkauf
mit einer einmaligen Abgeltung vorzuziehen, da Pachtzinsen ein regelmässiges Einkommen garantieren. Besser noch sind
Verträge, bei denen Kleinbauern im Auftragsverhältnis auf ihren eigenen Feldern produzieren. Verstösse gegen eingegangene
Verpflichtungen müssen geahndet werden.
• Landbau soll nachhaltig sein. Dazu gehören Massnahmen gegen Übernutzung von Böden, Verlust der Biodiversität, gesteigerten Ausstoss von Treibhausgasen und Vergeudung von Wasser auf Kosten anderer Verwendungszwecke.
• Bestimmungen mit Biss. Der Kodex muss international verankert sein und Recht schaffen, das überall, auch in den Herkunftsländern der Investoren, eingefordert werden kann. Dies betrifft im Besonderen Fälle von Korruption.