Artikel,Gedanken, Ideen, Links und Kommentare plus etwas Musik sowie ab und an etwas zum Schmunzeln, aber mit einer politischen bzw. geo-politischen Tendenz. Deutsch und Englisch. Kommentare und Artikel von Lesern sind willkommen!
Articles, thoughts, ideas and comments plus some music and the odd joke, though with a political and geo-political bent. German and English. Readers are invited to submit articles and comments!
Sonntag, Januar 20, 2008
Montag, Januar 07, 2008
Die Kriminalgeschichte des Christentums: Interview mit Karlheinz Deschner
Weltwoche
Ausgabe 14/07 | Interview
Karlheinz Deschner
«Es muss anders werden»
Mit einem enorm umfangreichen Werk kämpft der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner gegen das Christentum, in dem er «die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung» sieht. Ein Gespräch über Gott, Zwingli und himmelschreiendes Unrecht.
siehe auch: http://www.deschner.info/
Ausgabe 14/07 | Interview
Karlheinz Deschner
«Es muss anders werden»
David Signer
Mit einem enorm umfangreichen Werk kämpft der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner gegen das Christentum, in dem er «die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung» sieht. Ein Gespräch über Gott, Zwingli und himmelschreiendes Unrecht.
Herr Deschner, was ist der Kern des Christentums?
Die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung. Dazu gehören viele schöne Legenden, zum Beispiel das Märchen von der Auferstehung. Gehören viele schöne Gebote, zum Beispiel das Gebot der Nächsten-, der Feindesliebe, das Gebot, nicht zu stehlen, nicht zu töten, und die Klugheit, keines dieser Gebote zu halten. Christentum, das ist die Liaison eines Gesangsvereins mit einer Feuersbrunst.
Aber was ist denn heute am Christentum noch so schlimm? «Kriminalgeschichte des Christentums» heisst Ihr inzwischen achtbändiges Hauptwerk. Hat die Kirche – zumindest in Westeuropa – nicht massiv an Einfluss verloren?
Zunächst: Ich beschreibe nicht das bestehende, das gegenwärtige Christentum, sondern seine Vergangenheit, also oft, aber oft auch nicht, etwas mehr oder weniger anderes. Heute jedenfalls noch kriminell im Christentum sind die Auswirkungen seiner Ideologie, die vielen Folgen seines dogmatischen Wahnsinns, der sich ja nie mit dem blossen Glauben begnügt, der vielmehr missionieren, ausgreifen, erobern will. Heute noch kriminell im Christentum ist dessen desaströse Sexual- und Sozialmoral, seine Praxis, im Mutterschoss zu schützen, was man dann preisgibt im Krieg – als sammelte man in Weiberbäuchen Kanonenfutter. Aus den grossen Opfern der Armen für die Reichen macht es kleine Opfer der Reichen für die Armen. Was die Kirchen aber in Westeuropa verlieren oder zu verlieren scheinen, gewinnen sie woanders, in «God’s own country» etwa, wieder.
Geht heute nicht eine viel grössere Gefahr vom radikalen Islam aus?
Was den Islam betrifft – seine eigenen aggressiven Potenziale, verstärkt durch die sozioökonomische Misere der Dritten Welt, einmal beiseite –, was den Islam betrifft, den man, wie einst Juden oder Kommunisten, bald nur noch in der Rolle des Bösen, ja fast des einzig grossen Bösen sieht, könnte diese Rolle gewissen westlichen Kreisen nicht durchaus erwünscht, könnte von ihnen die islamische Gefahr nicht insgeheim gar noch geschürt worden sein?
Aber es ist doch offensichtlich, dass viele Terroristen heute ihre Morde islamisch legitimieren.
Ja, nach der hier herrschenden öffentlichen Meinung. Doch eine Ende November publizierte weltweite Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kommt zu einem andern Resultat. Als Hauptmotiv nämlich politischer Gewalt – sie hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht – nennt die Studie nicht religiösen Fanatismus, sondern Armut, Misswirtschaft und Unterdrückung. Der religiöse Extremismus, darunter der islamische, nehme zwar zu, umfasse aber insgesamt nur ein Viertel der terroristischen Gruppen. Ihren grössten Anteil, 36 Prozent, stellen, wie eh und je, nationalistische Bewegungen.
Wie sehen Sie das Verhältnis Christentum–Islam–Judentum? Ist die Gewalt und die Ausschliessung der Andersdenkenden überall im Monotheismus angelegt, oder gibt es Abstufungen?
Alle drei monotheistischen Religionen haben etwas Chauvinistisches. Etwas Gewalttätiges und Vergewaltigendes. Haben kraft ihres Auserwähltheitsdünkels einen Absolutheitsanspruch, der echte Toleranz von vornherein ausschliesst.
Was treibt Sie über all die Jahrzehnte zu dieser unglaublichen Arbeit an? Empörung?
Ja, was treibt mich? Schlicht und einfach: das Unrecht. Ein himmelschreiendes Unrecht, jahrtausendelang verpackt in pseudofromme Sprüche, in unverschämte Lügen; nachzulesen in Dutzenden meiner christentumskritischen Bücher.
Sie bezeichnen sich als Agnostiker – was meinen Sie genau damit?
Als Agnostiker lasse ich die Frage nach Gott, nach Unsterblichkeit redlicherweise offen. Ich verneine sie nicht, obwohl für mich ein Nein hochwahrscheinlich ist. Denn vermute ich auch mit Shakespeare viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit nichts träumt, halte ich doch diese Frage mit Goethe für unerforschlich, unser Gehirn für zu begrenzt. «Genauso gut», sagt Darwin, «könnte ein Hund über den Verstand Newtons spekulieren» – womit ich nichts gegen den Hund gesagt haben möchte.
Waren Sie früher gläubig? Wenn ja, wann und warum kam es zum Bruch?
Gläubig war ich als Kind. Mit zehn wollte ich Priester werden. Mit elf schon nicht mehr. Mit fünfzehn las ich Nietzsche, als Student Schopenhauer und Kant. Das genügte für den Abschied vom Christentum. Einen letzten, doch nicht zu unterschätzenden emotionalen Rest löschte für immer die Niederschrift von «Abermals krähte der Hahn», grossenteils eine frühchristliche Dogmen-, partienweise eine vergleichende Religionsgeschichte; 25 000 Arbeitsstunden in fünf Jahren.
Bedeutete die Reformation einen Fortschritt, eine Humanisierung des Christentums?
Nein, ganz und gar nicht. Sie bedeutet eine Fortsetzung seiner Verbrechen. Die Heiligenlegenden zwar entlarvte Luther als Märchen. An den Bibellegenden hielt er fest; am Teufelsglauben auch; am Hexenglauben; an der Ketzervertilgung; am Antisemitismus, am Kriegsdienst, an der Leibeigenschaft, den Fürsten. Man nennt es: Reformation.
Und in der Schweiz? War Zwingli besser?
Zwingli, der zeitweilige päpstliche Feldpfaffe, wollte zwar nicht mit Luther verwechselt werden, verbat sich gar, dass ihn «die Bäpstler luterisch nennind», war aber so selbständig nicht, zumal in der Praxis. Wie Luther sich hinter den Fürstenstand steckte, so er sich hinter den Zürcher Rat, die autonome Stadtrepublik. Wie Luther bekämpfte er die Bauernunruhen, wie Luther ging er gegen die Täufer vor, wie Luther (und alle echten Christen) trat er für den Krieg ein. Wie Luther spaltete er das Land und fiel, ungleich allerdings dem Wittenberger, in Helm und Harnisch gegen die Innerschweizer Katholiken. Schliesslich war er längst der Meinung, «die Kirche könne bloss durch Blut erneuert werden, nicht anders». Blut schmeckt ihnen immer am besten, vor allem das der andern.
Und Calvin?
Ach, dieser extrem unsinnliche, immer kränkelnde, bleichwangige, schwarzgekleidete Asket, der weder eine Empfindung für die Natur noch für die Kunst noch Gefallen an Frauen, der überhaupt keine Lebenslust zu verspüren schien, nichts als unersättliche Gier nach Macht, das unerbittliche Durchsetzen seiner «Lehre», seiner theokratischen Diktatur – nichts als eisiger Fanatismus, systematische Bespitzelung, Bestrafung, Einmischung ins Persönlichste, Privateste. Allein die ungeheure Niedertracht, mit der er Michael Servet, den einstigen Mitreformer, den Arzt, den Naturphilosophen, wegen einer sogenannten Lehrdifferenz erst im Kerker schinden, dann auf dem Scheiterhaufen unsäglich grauenhaft eine halbe Stunde lang buchstäblich lebendig braten liess, bis der entsetzlich Schreiende nur noch wie eine schwarze verkohlte Masse am Pfahl hing – noch zweihundert Jahre später bekennt Edward Gibbon, der grosse Geschichtsschreiber und Aufklärer, diese eine Opferung habe ihn «tiefer erschüttert als die Tausende auf dem Scheiterhaufen der Inquisition», deren Grundgedanken Calvin übrigens übernommen hat.
Ist eine atheistische Gesellschaft automatisch eine bessere Gesellschaft?
Nein. Durchaus nicht. Aber eine Gesellschaft ohne «Gott», ohne Mythen, ohne militante Lügenreligionen als Basis, scheint mir erstrebenswerter. Ich weiss zwar nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber mit Lichtenberg weiss ich: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
Sind die Fälle von Pädophilie ein neueres Phänomen, oder gehört das zur Kirche?
Natürlich ist Pädophilie da nichts Neues. Das gibt es in der Kirche, seit es die Kirche gibt, ja schon früher, schon in urchristlicher Zeit. Liest man die Briefe des Paulus, die echten und die sechs gefälschten, so findet man da, wie auch sonst im Neuen Testament, jederlei Art von sexuellen «Sünden».
Hängen die «Perversionen» von Priestern mit dem Zölibat zusammen?
Leicht möglich. Doch der grösste Teil der Zölibatäre hat sich ums Zölibat überhaupt nicht gekümmert, hielt sich statt des ihm versagten EINEN Weibes Frauen oft haufenweise, die Klerikerehe löst gleichsam ein Klerikerharem ab. Im 8. Jahrhundert ertappt der heilige Bonifatius Geistliche mit vier, fünf, noch mehr Konkubinen nachts im Bette. Später gibt es, in Basel, in Lüttich, Bischöfe mit zwanzig, ja mit einundsechzig Kindern, wimmeln selbst Männerklöster von Frauen. Und Nonnen machen den Huren Konkurrenz. Im 13. Jahrhundert stöhnen sogar Päpste über die Verkommenheit des Klerus, nennen ihn sittenloser als die Laien, die Verderbnis der Völker, sehen ihn «verfaulen wie das Vieh im Mist». Im 15. Jahrhundert wirken auf dem Konzil von Konstanz, das Hus verbrennt, ausser dem Heiligen Geist auch siebenhundert öffentliche Nutten mit, nicht gerechnet jene, welche die Konzilsväter selber mitgebracht.
Und die Päpste selbst?
Noch im selben Jahrhundert koitiert Papst Sixtus IV., Erbauer der nach ihm benannten Sixtinischen Kapelle und eines hochprofitablen Bordells, mit seiner Schwester und seinen Kindern. Und führt 1476 das Fest der Unbefleckten Empfängnis ein! Natürlich setzt sich das klerikale Sextreiben nach den tridentinischen Reformen fort. Noch 1970 beklagt der katholische «Aktionskreis München» das geheime eheähnliche Verhältnis und die erzwungene «Unwahrhaftigkeit» des katholischen Priesters.
Sind Sie also für die Abschaffung des Zölibats?
Aber nein! Ich bin, wie die Päpste, durchaus für das Zölibat: Wer katholisch, wer katholischer Kleriker sein will, der soll seinen Katholizismus auch ausfressen.
Kann man sagen: Das Urchristentum war gut, aber was die Kirche daraus gemacht hat, ist schlecht?
Ja, das glauben viele. Doch abgesehen davon, dass nichts, absolut nichts im Christentum originell ist – vom Weihnachtsfest zur Himmelfahrt: lauter Plagiate! –, bereits Band 1 der «Kriminalgeschichte» belegt auf nahezu hundert Seiten den Kampf des Frühchristentums gegen die Juden.
Sie sind selber der beste Beweis für die Liberalität des Christentums. Im Islam hätten Sie längst eine Fatwa am Hals.
Und früher im Christentum einen Bannfluch, einen Strick oder Feuer unterm Hintern – jahrhundertelang! Heute, niemand täusche sich, verhütet nur die relative Ohnmacht des Klerus, seine Gegner zu verbrennen.
Leben wir in einer säkularen Gesellschaft, oder betrachten Sie die Religion immer noch/wieder vermehrt als wichtigen Faktor?
Man braucht doch nur fernzusehen, um zu erleben, wie man Kirchen und Kirchenführer, zumal Päpste, hofiert, welchen Raum man ihnen gönnt – und welche Kommentare! Wie geht es da erst hinter den Kulissen zu...
Inwiefern reiht sich der aktuelle Papst in Ihre Geschichte ein?
Indem er in allem Wesentlichen die Politik seiner Vorgänger fortsetzen dürfte, nicht zuletzt ihre entsetzliche Sexualrepression, deren Opfer es, fürchte ich, noch geben wird, solange Menschen leben werden und sterben. Das Vermächtnis seiner Vorgänger ist beschrieben in meiner fast 1400-seitigen «Politik der Päpste im 20. Jahrhundert».
Könnte Benedikt XVI. diese unselige Tradition durchbrechen, wenn er wollte?
Es ist nicht so wichtig, wer an der Spitze der Kurie steht, wie man oft glaubt. Denn bei aller Machtfülle, der papale Handlungsspielraum ist begrenzt. Ist abhängig schon von dem ganzen tradierten bürokratisch-hierarchischen Apparat, von politischen, von theologischen Strömungen, von Richtungskämpfen innerhalb der Kurie und ausserhalb in der Bischofskirche. Faktisch ist der scheinbare Autokrat an allen Ecken und Enden gebunden, sind Entscheidungen oft schon entschieden, bevor sie durch ihn spruchreif werden. Und dabei ist der Papst selten imstande, die Extreme zu integrieren, er wird oft nur Vollzugsorgan dieser oder jener Seite. Kurz, der Vatikan erweist sich für seinen höchsten Herrn als eine Zwangsjacke.
Lassen sich die Opfer des Christentums beziffern?
Zählt man zu seinen direkten Opfern – Heiden, Juden, Muslime, «Ketzer», Hexen, Indianer – die indirekten dazu, etwa die der grossen Kriege des letzten Jahrhunderts, wozu alle christlichen Kirchen eindringlich und immer wieder aufgerufen haben, sind es mit Sicherheit mehrere hundert Millionen Menschen; von den Tieren zu schweigen.
Moment mal! Sie schieben die Opfer der beiden Weltkriege der Kirche in die Schuhe? Das kommunistische Regime der Sowjetunion war atheistisch, und auch die Nazis waren gegen die Kirche. Christen waren mehrheitlich auf der Opferseite oder stellten sich gegen die totalitären Regimes.
Das stimmt ja fast alles. Trotzdem, das ist doch die Schande, haben die Kirchen, die katholische, die protestantische, die orthodoxe, hat der Klerus mit den kriegführenden Regimes kollaboriert, engstens und auf allen Seiten.
Was war zum Beispiel die Rolle des Papstes im Ersten Weltkrieg?
Pius X., rabiat antislawisch, hat Österreich geradezu in den Ersten Weltkrieg getrieben. Und auch Kardinalstaatssekretär Merry del Val hoffte unmittelbar vor Ausbruch des Infernos, die Monarchie werde, wörtlich, «bis zum Äussersten gehen». Dafür gibt es eindeutige Dokumente. Und Tausende und Abertausende von Brechreiz erregenden «Feldpredigten» hetzen jetzt bald, röhren förmlich vor Kriegsbrunst, vor Mordrausch. Sie feiern das millionenhafte Krepieren als «Völkerfrühling», «Pfingststurm», nennen das Kugelsausen «Messgesang», die Kanonen «Sprachrohre der rufenden Gnade», den Schützengraben «Grotte von Gethsemane», das Schlachtfeld «Golgatha», den Augenblick des Schlachtens «la minute divine». Und die Christen waren dabei, aber sie waren Opfer und Täter. Beides!
Und im Zweiten Weltkrieg?
Nun, vorher hatte das Papsttum erst alle faschistischen Banden, in Italien, Deutschland, Spanien, die allerscheusslichsten in Kroatien, von Anfang an unterstützt und mit an die Macht gebracht. Und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs drohte Pius XII. den «Millionen Katholiken in den deutschen Heeren»: «Sie haben geschworen, sie müssen gehorsam sein.» Er hämmerte ihnen ein, dass der «Führer» das legale Oberhaupt der Deutschen sei und jeder sündige, der ihm den Gehorsam verweigere. Dieser Papst brachte, noch mitten im Krieg, nicht nur wärmste Sympathie für Deutschland zum Ausdruck, sondern auch, wörtlich, «Bewunderung grosser Eigenschaften des Führers». Ja, er lässt diesem gleich durch zwei Nuntien übermitteln, er wünsche, wiederum im Wortlaut, «dem Führer nichts sehnlicher als einen Sieg»!
Warum? Angst, Anpassung? Oder verfolgte die Kirche eigene Ziele?
Pius XII. – Besitzer eines Privatvermögens von achtzig Millionen in Gold und Valuten – hoffte, was das Papsttum im Ersten Weltkrieg mit Habsburg und dem deutschen Kaiser nicht erreicht hatte, nun im Zweiten Weltkrieg – 25 000 Tote täglich, Tagesumsatz zwei Milliarden Mark – mit Hitler zu erreichen, das alte Grossziel Roms: die Katholisierung des Balkans und die Unterwerfung der russisch-orthodoxen Kirche.
Wie reagierte die russisch-orthodoxe Kirche?
Nun, sie trat sofort an die Seite der atheistischen Sowjetunion, an die Seite Stalins. Denn es geht da immer, ob katholisch, evangelisch oder russisch-orthodox, in Wahrheit nur um eines, um die Macht, die Macht, die Macht. Und so rief man die Bevölkerung zur aktiven Unterstützung Stalins auf, hielt Bittgottesdienste für den Sieg der Roten Armee. Ein Konzil von 46 Bischöfen wünschte «unserm vielgeliebten Chef Josef Stalin noch zahlreiche Lebensjahre».
Macht Religion automatisch blöd? Oder kann sie den Menschen auch «veredeln»?
Ich weiss nicht, vielleicht «veredelt» sie sogar manchmal; vor allem solche, die auch von allein «edler» geworden wären. Doch die guten Christen sind am gefährlichsten, man verwechselt sie mit dem Christentum. Und partiell «blöd» machen absurde Glaubensvorstellungen immer.
Sie sind ein Kämpfer gegen kitschige Literatur, den American Way of Life und Grausamkeit gegen Tiere. Speisen sich diese verschiedenen Offensiven aus einer gemeinsamen Quelle?
Ja, ich meine schon: aus einem empfindsamen Sensorium, einem heftigen Abscheu sowohl vor dem Unechten wie dem Unrechten.
Apropos Amerika: Schätzen Sie Religion als wichtigen Faktor in Bushs Politik ein?
Aber ja! Bei der für Frommes, Frömmlerisches besonders anfälligen Mentalität vieler Amerikaner versteht sich das fast von selbst. Was den Präsidenten persönlich angeht, halte ich ihn durchaus für beschränkt genug, dass er das, was er an «Religiösem» von sich gibt, auch glaubt. Einerseits. Andererseits halte ich ihn für charakterlos genug, dass er es nicht glaubt. Ohne seine Beschränktheit unterschätzen zu wollen, erscheint mir Letzteres sogar viel wahrscheinlicher.
Was würden Sie einem Kind antworten, das angesichts einer Kirche fragt, was das sei?
Mit Nietzsche: die Gruft und das Grabmal «Gottes». Die versteinerte Erinnerung an etwas, das es höchstwahrscheinlich nie gegeben hat.
Sie haben Ihr Leben einem immens umfangreichen Werk gewidmet. Würden Sie es wieder so machen?
Anders würde ich es, zumindest da und dort, schon machen wollen, besser nämlich, formal besser! Und am liebsten hätte ich nicht gegen etwas gekämpft – so notwendig die Bekämpfung des Christentums ist –, sondern für etwas: für die Befreiung der Tiere. Denn was wir ihnen seit ungezählten Jahrtausenden angetan haben, Wesen, die so empfinden wie wir, so sich freuen, so leiden wie wir, nur auf die Welt kommen zu lassen, um sie dann schlachten und essen zu können, ist das grösste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, unsagbar abscheulich. Ich denke jeden Tag daran, oft, doch ich darf nicht zu oft daran denken, ich würde verrückt werden.
Beschäftigt Sie – als jemand, der vermutlich nicht an das ewige Leben glaubt – die Vergänglichkeit und die Endgültigkeit des Todes?
Ja. Diese Fragen beschäftigen mich. Ich bin alt. Es wird dunkel – und Licht ist meine Lieblingsfarbe. Doch lieber möchte ich in tausend Zweifeln sterben als um den Preis der Lüge in der Euphorie.
Haben Sie einen Traum?
Einst nannte mich meine Mutter «trotziger Träumer». Heranwachsend hatte ich dann mancherlei Träume, darunter den Traum vom Fortschritt, von einer gerechteren Welt. Inzwischen aber gibt es fast nur einen Fortschritt noch, von dem ich träume: dass Politiker und Pfaffen nicht mehr die Welt erschüttern, sondern das Zwerchfell.
Ausgabe 14/07 | Interview
Karlheinz Deschner
«Es muss anders werden»
Mit einem enorm umfangreichen Werk kämpft der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner gegen das Christentum, in dem er «die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung» sieht. Ein Gespräch über Gott, Zwingli und himmelschreiendes Unrecht.
siehe auch: http://www.deschner.info/
Ausgabe 14/07 | Interview
Karlheinz Deschner
«Es muss anders werden»
David Signer
Mit einem enorm umfangreichen Werk kämpft der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner gegen das Christentum, in dem er «die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung» sieht. Ein Gespräch über Gott, Zwingli und himmelschreiendes Unrecht.
Herr Deschner, was ist der Kern des Christentums?
Die Frohe Botschaft mit der Kriegsbemalung. Dazu gehören viele schöne Legenden, zum Beispiel das Märchen von der Auferstehung. Gehören viele schöne Gebote, zum Beispiel das Gebot der Nächsten-, der Feindesliebe, das Gebot, nicht zu stehlen, nicht zu töten, und die Klugheit, keines dieser Gebote zu halten. Christentum, das ist die Liaison eines Gesangsvereins mit einer Feuersbrunst.
Aber was ist denn heute am Christentum noch so schlimm? «Kriminalgeschichte des Christentums» heisst Ihr inzwischen achtbändiges Hauptwerk. Hat die Kirche – zumindest in Westeuropa – nicht massiv an Einfluss verloren?
Zunächst: Ich beschreibe nicht das bestehende, das gegenwärtige Christentum, sondern seine Vergangenheit, also oft, aber oft auch nicht, etwas mehr oder weniger anderes. Heute jedenfalls noch kriminell im Christentum sind die Auswirkungen seiner Ideologie, die vielen Folgen seines dogmatischen Wahnsinns, der sich ja nie mit dem blossen Glauben begnügt, der vielmehr missionieren, ausgreifen, erobern will. Heute noch kriminell im Christentum ist dessen desaströse Sexual- und Sozialmoral, seine Praxis, im Mutterschoss zu schützen, was man dann preisgibt im Krieg – als sammelte man in Weiberbäuchen Kanonenfutter. Aus den grossen Opfern der Armen für die Reichen macht es kleine Opfer der Reichen für die Armen. Was die Kirchen aber in Westeuropa verlieren oder zu verlieren scheinen, gewinnen sie woanders, in «God’s own country» etwa, wieder.
Geht heute nicht eine viel grössere Gefahr vom radikalen Islam aus?
Was den Islam betrifft – seine eigenen aggressiven Potenziale, verstärkt durch die sozioökonomische Misere der Dritten Welt, einmal beiseite –, was den Islam betrifft, den man, wie einst Juden oder Kommunisten, bald nur noch in der Rolle des Bösen, ja fast des einzig grossen Bösen sieht, könnte diese Rolle gewissen westlichen Kreisen nicht durchaus erwünscht, könnte von ihnen die islamische Gefahr nicht insgeheim gar noch geschürt worden sein?
Aber es ist doch offensichtlich, dass viele Terroristen heute ihre Morde islamisch legitimieren.
Ja, nach der hier herrschenden öffentlichen Meinung. Doch eine Ende November publizierte weltweite Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kommt zu einem andern Resultat. Als Hauptmotiv nämlich politischer Gewalt – sie hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht – nennt die Studie nicht religiösen Fanatismus, sondern Armut, Misswirtschaft und Unterdrückung. Der religiöse Extremismus, darunter der islamische, nehme zwar zu, umfasse aber insgesamt nur ein Viertel der terroristischen Gruppen. Ihren grössten Anteil, 36 Prozent, stellen, wie eh und je, nationalistische Bewegungen.
Wie sehen Sie das Verhältnis Christentum–Islam–Judentum? Ist die Gewalt und die Ausschliessung der Andersdenkenden überall im Monotheismus angelegt, oder gibt es Abstufungen?
Alle drei monotheistischen Religionen haben etwas Chauvinistisches. Etwas Gewalttätiges und Vergewaltigendes. Haben kraft ihres Auserwähltheitsdünkels einen Absolutheitsanspruch, der echte Toleranz von vornherein ausschliesst.
Was treibt Sie über all die Jahrzehnte zu dieser unglaublichen Arbeit an? Empörung?
Ja, was treibt mich? Schlicht und einfach: das Unrecht. Ein himmelschreiendes Unrecht, jahrtausendelang verpackt in pseudofromme Sprüche, in unverschämte Lügen; nachzulesen in Dutzenden meiner christentumskritischen Bücher.
Sie bezeichnen sich als Agnostiker – was meinen Sie genau damit?
Als Agnostiker lasse ich die Frage nach Gott, nach Unsterblichkeit redlicherweise offen. Ich verneine sie nicht, obwohl für mich ein Nein hochwahrscheinlich ist. Denn vermute ich auch mit Shakespeare viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit nichts träumt, halte ich doch diese Frage mit Goethe für unerforschlich, unser Gehirn für zu begrenzt. «Genauso gut», sagt Darwin, «könnte ein Hund über den Verstand Newtons spekulieren» – womit ich nichts gegen den Hund gesagt haben möchte.
Waren Sie früher gläubig? Wenn ja, wann und warum kam es zum Bruch?
Gläubig war ich als Kind. Mit zehn wollte ich Priester werden. Mit elf schon nicht mehr. Mit fünfzehn las ich Nietzsche, als Student Schopenhauer und Kant. Das genügte für den Abschied vom Christentum. Einen letzten, doch nicht zu unterschätzenden emotionalen Rest löschte für immer die Niederschrift von «Abermals krähte der Hahn», grossenteils eine frühchristliche Dogmen-, partienweise eine vergleichende Religionsgeschichte; 25 000 Arbeitsstunden in fünf Jahren.
Bedeutete die Reformation einen Fortschritt, eine Humanisierung des Christentums?
Nein, ganz und gar nicht. Sie bedeutet eine Fortsetzung seiner Verbrechen. Die Heiligenlegenden zwar entlarvte Luther als Märchen. An den Bibellegenden hielt er fest; am Teufelsglauben auch; am Hexenglauben; an der Ketzervertilgung; am Antisemitismus, am Kriegsdienst, an der Leibeigenschaft, den Fürsten. Man nennt es: Reformation.
Und in der Schweiz? War Zwingli besser?
Zwingli, der zeitweilige päpstliche Feldpfaffe, wollte zwar nicht mit Luther verwechselt werden, verbat sich gar, dass ihn «die Bäpstler luterisch nennind», war aber so selbständig nicht, zumal in der Praxis. Wie Luther sich hinter den Fürstenstand steckte, so er sich hinter den Zürcher Rat, die autonome Stadtrepublik. Wie Luther bekämpfte er die Bauernunruhen, wie Luther ging er gegen die Täufer vor, wie Luther (und alle echten Christen) trat er für den Krieg ein. Wie Luther spaltete er das Land und fiel, ungleich allerdings dem Wittenberger, in Helm und Harnisch gegen die Innerschweizer Katholiken. Schliesslich war er längst der Meinung, «die Kirche könne bloss durch Blut erneuert werden, nicht anders». Blut schmeckt ihnen immer am besten, vor allem das der andern.
Und Calvin?
Ach, dieser extrem unsinnliche, immer kränkelnde, bleichwangige, schwarzgekleidete Asket, der weder eine Empfindung für die Natur noch für die Kunst noch Gefallen an Frauen, der überhaupt keine Lebenslust zu verspüren schien, nichts als unersättliche Gier nach Macht, das unerbittliche Durchsetzen seiner «Lehre», seiner theokratischen Diktatur – nichts als eisiger Fanatismus, systematische Bespitzelung, Bestrafung, Einmischung ins Persönlichste, Privateste. Allein die ungeheure Niedertracht, mit der er Michael Servet, den einstigen Mitreformer, den Arzt, den Naturphilosophen, wegen einer sogenannten Lehrdifferenz erst im Kerker schinden, dann auf dem Scheiterhaufen unsäglich grauenhaft eine halbe Stunde lang buchstäblich lebendig braten liess, bis der entsetzlich Schreiende nur noch wie eine schwarze verkohlte Masse am Pfahl hing – noch zweihundert Jahre später bekennt Edward Gibbon, der grosse Geschichtsschreiber und Aufklärer, diese eine Opferung habe ihn «tiefer erschüttert als die Tausende auf dem Scheiterhaufen der Inquisition», deren Grundgedanken Calvin übrigens übernommen hat.
Ist eine atheistische Gesellschaft automatisch eine bessere Gesellschaft?
Nein. Durchaus nicht. Aber eine Gesellschaft ohne «Gott», ohne Mythen, ohne militante Lügenreligionen als Basis, scheint mir erstrebenswerter. Ich weiss zwar nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber mit Lichtenberg weiss ich: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
Sind die Fälle von Pädophilie ein neueres Phänomen, oder gehört das zur Kirche?
Natürlich ist Pädophilie da nichts Neues. Das gibt es in der Kirche, seit es die Kirche gibt, ja schon früher, schon in urchristlicher Zeit. Liest man die Briefe des Paulus, die echten und die sechs gefälschten, so findet man da, wie auch sonst im Neuen Testament, jederlei Art von sexuellen «Sünden».
Hängen die «Perversionen» von Priestern mit dem Zölibat zusammen?
Leicht möglich. Doch der grösste Teil der Zölibatäre hat sich ums Zölibat überhaupt nicht gekümmert, hielt sich statt des ihm versagten EINEN Weibes Frauen oft haufenweise, die Klerikerehe löst gleichsam ein Klerikerharem ab. Im 8. Jahrhundert ertappt der heilige Bonifatius Geistliche mit vier, fünf, noch mehr Konkubinen nachts im Bette. Später gibt es, in Basel, in Lüttich, Bischöfe mit zwanzig, ja mit einundsechzig Kindern, wimmeln selbst Männerklöster von Frauen. Und Nonnen machen den Huren Konkurrenz. Im 13. Jahrhundert stöhnen sogar Päpste über die Verkommenheit des Klerus, nennen ihn sittenloser als die Laien, die Verderbnis der Völker, sehen ihn «verfaulen wie das Vieh im Mist». Im 15. Jahrhundert wirken auf dem Konzil von Konstanz, das Hus verbrennt, ausser dem Heiligen Geist auch siebenhundert öffentliche Nutten mit, nicht gerechnet jene, welche die Konzilsväter selber mitgebracht.
Und die Päpste selbst?
Noch im selben Jahrhundert koitiert Papst Sixtus IV., Erbauer der nach ihm benannten Sixtinischen Kapelle und eines hochprofitablen Bordells, mit seiner Schwester und seinen Kindern. Und führt 1476 das Fest der Unbefleckten Empfängnis ein! Natürlich setzt sich das klerikale Sextreiben nach den tridentinischen Reformen fort. Noch 1970 beklagt der katholische «Aktionskreis München» das geheime eheähnliche Verhältnis und die erzwungene «Unwahrhaftigkeit» des katholischen Priesters.
Sind Sie also für die Abschaffung des Zölibats?
Aber nein! Ich bin, wie die Päpste, durchaus für das Zölibat: Wer katholisch, wer katholischer Kleriker sein will, der soll seinen Katholizismus auch ausfressen.
Kann man sagen: Das Urchristentum war gut, aber was die Kirche daraus gemacht hat, ist schlecht?
Ja, das glauben viele. Doch abgesehen davon, dass nichts, absolut nichts im Christentum originell ist – vom Weihnachtsfest zur Himmelfahrt: lauter Plagiate! –, bereits Band 1 der «Kriminalgeschichte» belegt auf nahezu hundert Seiten den Kampf des Frühchristentums gegen die Juden.
Sie sind selber der beste Beweis für die Liberalität des Christentums. Im Islam hätten Sie längst eine Fatwa am Hals.
Und früher im Christentum einen Bannfluch, einen Strick oder Feuer unterm Hintern – jahrhundertelang! Heute, niemand täusche sich, verhütet nur die relative Ohnmacht des Klerus, seine Gegner zu verbrennen.
Leben wir in einer säkularen Gesellschaft, oder betrachten Sie die Religion immer noch/wieder vermehrt als wichtigen Faktor?
Man braucht doch nur fernzusehen, um zu erleben, wie man Kirchen und Kirchenführer, zumal Päpste, hofiert, welchen Raum man ihnen gönnt – und welche Kommentare! Wie geht es da erst hinter den Kulissen zu...
Inwiefern reiht sich der aktuelle Papst in Ihre Geschichte ein?
Indem er in allem Wesentlichen die Politik seiner Vorgänger fortsetzen dürfte, nicht zuletzt ihre entsetzliche Sexualrepression, deren Opfer es, fürchte ich, noch geben wird, solange Menschen leben werden und sterben. Das Vermächtnis seiner Vorgänger ist beschrieben in meiner fast 1400-seitigen «Politik der Päpste im 20. Jahrhundert».
Könnte Benedikt XVI. diese unselige Tradition durchbrechen, wenn er wollte?
Es ist nicht so wichtig, wer an der Spitze der Kurie steht, wie man oft glaubt. Denn bei aller Machtfülle, der papale Handlungsspielraum ist begrenzt. Ist abhängig schon von dem ganzen tradierten bürokratisch-hierarchischen Apparat, von politischen, von theologischen Strömungen, von Richtungskämpfen innerhalb der Kurie und ausserhalb in der Bischofskirche. Faktisch ist der scheinbare Autokrat an allen Ecken und Enden gebunden, sind Entscheidungen oft schon entschieden, bevor sie durch ihn spruchreif werden. Und dabei ist der Papst selten imstande, die Extreme zu integrieren, er wird oft nur Vollzugsorgan dieser oder jener Seite. Kurz, der Vatikan erweist sich für seinen höchsten Herrn als eine Zwangsjacke.
Lassen sich die Opfer des Christentums beziffern?
Zählt man zu seinen direkten Opfern – Heiden, Juden, Muslime, «Ketzer», Hexen, Indianer – die indirekten dazu, etwa die der grossen Kriege des letzten Jahrhunderts, wozu alle christlichen Kirchen eindringlich und immer wieder aufgerufen haben, sind es mit Sicherheit mehrere hundert Millionen Menschen; von den Tieren zu schweigen.
Moment mal! Sie schieben die Opfer der beiden Weltkriege der Kirche in die Schuhe? Das kommunistische Regime der Sowjetunion war atheistisch, und auch die Nazis waren gegen die Kirche. Christen waren mehrheitlich auf der Opferseite oder stellten sich gegen die totalitären Regimes.
Das stimmt ja fast alles. Trotzdem, das ist doch die Schande, haben die Kirchen, die katholische, die protestantische, die orthodoxe, hat der Klerus mit den kriegführenden Regimes kollaboriert, engstens und auf allen Seiten.
Was war zum Beispiel die Rolle des Papstes im Ersten Weltkrieg?
Pius X., rabiat antislawisch, hat Österreich geradezu in den Ersten Weltkrieg getrieben. Und auch Kardinalstaatssekretär Merry del Val hoffte unmittelbar vor Ausbruch des Infernos, die Monarchie werde, wörtlich, «bis zum Äussersten gehen». Dafür gibt es eindeutige Dokumente. Und Tausende und Abertausende von Brechreiz erregenden «Feldpredigten» hetzen jetzt bald, röhren förmlich vor Kriegsbrunst, vor Mordrausch. Sie feiern das millionenhafte Krepieren als «Völkerfrühling», «Pfingststurm», nennen das Kugelsausen «Messgesang», die Kanonen «Sprachrohre der rufenden Gnade», den Schützengraben «Grotte von Gethsemane», das Schlachtfeld «Golgatha», den Augenblick des Schlachtens «la minute divine». Und die Christen waren dabei, aber sie waren Opfer und Täter. Beides!
Und im Zweiten Weltkrieg?
Nun, vorher hatte das Papsttum erst alle faschistischen Banden, in Italien, Deutschland, Spanien, die allerscheusslichsten in Kroatien, von Anfang an unterstützt und mit an die Macht gebracht. Und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs drohte Pius XII. den «Millionen Katholiken in den deutschen Heeren»: «Sie haben geschworen, sie müssen gehorsam sein.» Er hämmerte ihnen ein, dass der «Führer» das legale Oberhaupt der Deutschen sei und jeder sündige, der ihm den Gehorsam verweigere. Dieser Papst brachte, noch mitten im Krieg, nicht nur wärmste Sympathie für Deutschland zum Ausdruck, sondern auch, wörtlich, «Bewunderung grosser Eigenschaften des Führers». Ja, er lässt diesem gleich durch zwei Nuntien übermitteln, er wünsche, wiederum im Wortlaut, «dem Führer nichts sehnlicher als einen Sieg»!
Warum? Angst, Anpassung? Oder verfolgte die Kirche eigene Ziele?
Pius XII. – Besitzer eines Privatvermögens von achtzig Millionen in Gold und Valuten – hoffte, was das Papsttum im Ersten Weltkrieg mit Habsburg und dem deutschen Kaiser nicht erreicht hatte, nun im Zweiten Weltkrieg – 25 000 Tote täglich, Tagesumsatz zwei Milliarden Mark – mit Hitler zu erreichen, das alte Grossziel Roms: die Katholisierung des Balkans und die Unterwerfung der russisch-orthodoxen Kirche.
Wie reagierte die russisch-orthodoxe Kirche?
Nun, sie trat sofort an die Seite der atheistischen Sowjetunion, an die Seite Stalins. Denn es geht da immer, ob katholisch, evangelisch oder russisch-orthodox, in Wahrheit nur um eines, um die Macht, die Macht, die Macht. Und so rief man die Bevölkerung zur aktiven Unterstützung Stalins auf, hielt Bittgottesdienste für den Sieg der Roten Armee. Ein Konzil von 46 Bischöfen wünschte «unserm vielgeliebten Chef Josef Stalin noch zahlreiche Lebensjahre».
Macht Religion automatisch blöd? Oder kann sie den Menschen auch «veredeln»?
Ich weiss nicht, vielleicht «veredelt» sie sogar manchmal; vor allem solche, die auch von allein «edler» geworden wären. Doch die guten Christen sind am gefährlichsten, man verwechselt sie mit dem Christentum. Und partiell «blöd» machen absurde Glaubensvorstellungen immer.
Sie sind ein Kämpfer gegen kitschige Literatur, den American Way of Life und Grausamkeit gegen Tiere. Speisen sich diese verschiedenen Offensiven aus einer gemeinsamen Quelle?
Ja, ich meine schon: aus einem empfindsamen Sensorium, einem heftigen Abscheu sowohl vor dem Unechten wie dem Unrechten.
Apropos Amerika: Schätzen Sie Religion als wichtigen Faktor in Bushs Politik ein?
Aber ja! Bei der für Frommes, Frömmlerisches besonders anfälligen Mentalität vieler Amerikaner versteht sich das fast von selbst. Was den Präsidenten persönlich angeht, halte ich ihn durchaus für beschränkt genug, dass er das, was er an «Religiösem» von sich gibt, auch glaubt. Einerseits. Andererseits halte ich ihn für charakterlos genug, dass er es nicht glaubt. Ohne seine Beschränktheit unterschätzen zu wollen, erscheint mir Letzteres sogar viel wahrscheinlicher.
Was würden Sie einem Kind antworten, das angesichts einer Kirche fragt, was das sei?
Mit Nietzsche: die Gruft und das Grabmal «Gottes». Die versteinerte Erinnerung an etwas, das es höchstwahrscheinlich nie gegeben hat.
Sie haben Ihr Leben einem immens umfangreichen Werk gewidmet. Würden Sie es wieder so machen?
Anders würde ich es, zumindest da und dort, schon machen wollen, besser nämlich, formal besser! Und am liebsten hätte ich nicht gegen etwas gekämpft – so notwendig die Bekämpfung des Christentums ist –, sondern für etwas: für die Befreiung der Tiere. Denn was wir ihnen seit ungezählten Jahrtausenden angetan haben, Wesen, die so empfinden wie wir, so sich freuen, so leiden wie wir, nur auf die Welt kommen zu lassen, um sie dann schlachten und essen zu können, ist das grösste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, unsagbar abscheulich. Ich denke jeden Tag daran, oft, doch ich darf nicht zu oft daran denken, ich würde verrückt werden.
Beschäftigt Sie – als jemand, der vermutlich nicht an das ewige Leben glaubt – die Vergänglichkeit und die Endgültigkeit des Todes?
Ja. Diese Fragen beschäftigen mich. Ich bin alt. Es wird dunkel – und Licht ist meine Lieblingsfarbe. Doch lieber möchte ich in tausend Zweifeln sterben als um den Preis der Lüge in der Euphorie.
Haben Sie einen Traum?
Einst nannte mich meine Mutter «trotziger Träumer». Heranwachsend hatte ich dann mancherlei Träume, darunter den Traum vom Fortschritt, von einer gerechteren Welt. Inzwischen aber gibt es fast nur einen Fortschritt noch, von dem ich träume: dass Politiker und Pfaffen nicht mehr die Welt erschüttern, sondern das Zwerchfell.
Sonntag, Januar 06, 2008
Dienstag, Januar 01, 2008
Abonnieren
Posts (Atom)