Freitag, Juli 31, 2009

NZZaS: Kein Eis – kein Wasser

26. Juli 2009, NZZ am Sonntag
Kein Eis – kein Wasser
Energieversorgung steht vor gravierenden Problemen

Die Schweizer Gletscher werden in neunzig Jahren wahrscheinlich verschwunden sein. Schon im letzten Jahrzehnt haben sie zwölf Prozent ihrer Masse verloren. Das Ende der riesigen Wasserspeicher bringt den Wasserhaushalt in der Schweiz durcheinander – mit gravierenden Folgen für die Energieversorgung.

Von Michael Furger

Das Wasser ist 100 Grad heiss und schiesst mit Hochdruck....


26. Juli 2009, NZZ am Sonntag
Kein Eis – kein Wasser
Energieversorgung steht vor gravierenden Problemen

Die Schweizer Gletscher werden in neunzig Jahren wahrscheinlich verschwunden sein. Schon im letzten Jahrzehnt haben sie zwölf Prozent ihrer Masse verloren. Das Ende der riesigen Wasserspeicher bringt den Wasserhaushalt in der Schweiz durcheinander – mit gravierenden Folgen für die Energieversorgung.

Von Michael Furger

Das Wasser ist 100 Grad heiss und schiesst mit Hochdruck aus einer schmalen Metallröhre. Das Instrument wirkt wie ein Bohrer: Gurgelnd frisst es sich durchs Eis, über mehrere hundert Meter bis hinunter auf den Talboden. Zurück bleibt ein schmaler Kanal mitten durch den Rhonegletscher.

Andreas Bauder und sein Team von der ETH Zürich werden darin ein paar Messinstrumente versenken. Die Forscher haben Material auf den Gletscher geschafft, als gelte es, eine Polarexpedition zu starten: Pumpen, Winden, Heizaggregate, Solarzellen und unzählige Instrumente, die im Eis des Rhonegletschers kleinste Veränderungen registrieren. Laserstrahlen und GPS-Sender messen die Fliessgeschwindigkeit und Veränderungen an der Oberfläche, Sensoren im Eis ermitteln den Wasserdruck und die Verformung. Der Rhonegletscher wird überwacht, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.

Die Arbeit der Forscher ist eine Operation an einem sterbenden Riesen. Der Rhonegletscher am Furkapass reichte vor 150 Jahren bis weit ins Tal hinunter, in 40 Jahren wird er sich nach den Prognosen der ETH auf eine kleine Eisfläche mit Gletschersee zurückziehen (siehe Fotomontage rechts). Anderen der rund 1500 Schweizer Gletscher geht es ähnlich. Das Eis des Unteren Grindelwaldgletschers wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als begehrtes Kühlmittel bis nach Paris exportiert. Heute endet er in einen trüben See oberhalb Grindelwalds, der das Tal zu überfluten droht.

Seit dem Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 ziehen sich die Schweizer Gletscher zurück; nur während zweier Kälteperioden konnten sich die Eismassen leicht erholen . In den letzten zehn Jahren hat sich der Prozess wegen der überdurchschnittlich hohen Temperaturen wieder massiv beschleunigt.

Wie schnell die Schweizer Gletscher sterben, haben die ETH-Forscher kürzlich mit einer neuen Methode berechnet. Gestützt auf Messungen ermittelten sie, wie viel Eismasse insgesamt in jüngerer Zeit weggeschmolzen ist. Das Ergebnis überrascht: Von den 74 Kubikkilometern Eis im Jahr 1999 verloren die Schweizer Gletscher bis heute rund 9 Kubikkilometer (12 Prozent). Man könnte mit diesen Wassermassen zweimal den Zürichsee füllen.

Steigen die Temperaturen in der Schweiz weiter dermassen an, wie Klimatologen voraussagen, um 2 bis 6 Grad bis Ende des Jahrhunderts, sieht es düster aus für das Eis auf den Bergen. Bis 2050 könnten drei Viertel des Schweizer Gletschereises geschmolzen sein, sagt Proclim voraus, ein Experten-Forum der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Geografen der Universität Zürich gehen davon aus, dass bei einer Erwärmung um 5 Grad die Schweiz in 90 Jahren gletscherfrei sein dürfte.

Mehr Niederschlag könnte das Abschmelzen zwar kompensieren. Allerdings müsste sich angesichts dieser Prognosen die Niederschlagsmenge etwa verdoppeln und nicht abnehmen, wie die Klimaforscher annehmen. Es läuft alles gegen die Gletscher: höhere Temperaturen, weniger Niederschlag, eine intensivere Sonneneinstrahlung sowie Schmutzpartikel in der Luft, die sich auf dem Eis ablagern. Eine dunkel verschmutzte Oberfläche nimmt mehr Wärme auf als eine saubere weisse und schmilzt daher schneller ab.

«Die Natur kann sich einer Schweiz ohne Gletscher anpassen», sagt Gletscherforscher Andreas Bauder. Mühsamer werde es für die Menschen. So erwarten die Experten zum Beispiel bei 49 Gletschern, dass die Folgen ihres Schmelzens – etwa Erdrutsche oder Überschwemmungen – in den nächsten Jahrzehnten Siedlungen oder Verkehrswege beschädigen. Schwerer wiegt ein anderer Punkt: Gletscher spielen eine zentrale Rolle im Wasserhaushalt der Schweiz. Ein Sechstel alles gespeicherten Wassers, zum Beispiel in Seen oder als Grundwasser, wird in Gletschereis festgehalten. Diese Speicherfunktion ist zentral. Im Winter wird Wasser eingelagert und im Sommer wieder freigegeben. Damit stellen die Gletscher sicher, dass Wasser gleichmässig abfliesst und somit Flüsse und Bäche auch in Trockenphasen ausreichend Wasser führen.

Fällt dieser Zwischenspeicher aus, gerät der Wasserhaushalt der Schweiz aus dem Gleichgewicht. Es fliesst weniger Wasser aus den Bergen ab. Nach der Schneeschmelze im Frühling wird der Abfluss nahezu versiegen (siehe Grafik). Wasser strömt nur noch nach Niederschlägen, die künftig ohnehin spärlicher ausfallen werden. Der regulierte Abfluss ist Vergangenheit.

Bis ein Drittel weniger Strom

Das hat Folgen für die Strombranche, deren Stauseen und Flusskraftwerke auf einen gleichmässigen Zufluss angewiesen sind. Sind die Gletscher weg, wird das Wasser aus den Bergen markant zurückgehen. Die ETH Lausanne hat einen Rückgang um 7 Prozent bis 2050 und sogar um 17 Prozent bis Ende des Jahrhunderts berechnet. Im gleichen Ausmass werde auch die Produktion von Strom aus Stauseen und Flusskraftwerken einbrechen, schätzt das Bundesamt für Energie. Schlechte Aussichten für die Schweizer Stromwirtschaft. Wasser ist in der Schweiz die wichtigste Energiequelle. Rund 60 Prozent des verbrauchten Stroms werden heute in Wasserkraftwerken erzeugt. Schon im Jahr 2035, so schätzt der Bund, wird der Anteil nur noch 46 Prozent betragen.

Die Elektrizitätsbranche hat jetzt reagiert. Derzeit lässt sie von einer Forschergruppe die Auswirkungen der Klimaveränderung auf die Wasserkraft abklären. Laut der Vorstudie können die Folgen zum Teil drastisch sein. Für den Walliser Lac de Mauvoisin, einen der grössten Stauseen der Schweiz mit mehreren Gletschern im Einzugsgebiet, wird die Produktion ab 2070 um 36 Prozent einbrechen. Studienleiter Rolf Weingartner vom Geographischen Institut der Universität Bern kommt zum Schluss: «Wir werden in Zukunft mehr Wasser speichern müssen, um für Trockenphasen gerüstet zu sein.»

Neue Stauseen als Ersatz


Auch den Energieunternehmen dämmert es. «Wir rechnen ab 2060 mit 10 Prozent weniger Ertrag aus der Wasserkraft», sagt Jörg Aeberhard, Leiter der hydraulischen Produktion von Alpiq. «Die Stromproduktion wird abnehmen», bestätigt Ernst Baumberger von den Kraftwerken Oberhasli (KWO), der Betreiberin des Grimselstausees. Beide sind sich einig: Um die Gletscher als Wasserspeicher zu ersetzen, muss man neue Stauseen bauen. Die Ausmasse müssten riesig sein. Heute lagert in den Gletschern zehnmal so viel Wasser wie in sämtlichen Schweizer Stauseen.

Problematisch ist vor allem, dass künftig nicht nur weniger Wasser fliessen wird, sondern dass es auch unregelmässig kommen wird. «Einen zu starken Wasserfluss können die Kraftwerke nicht optimal nutzen», sagt Baumberger. Genau damit haben die Kraftwerke in den kommenden Jahren zu kämpfen. Denn bis die Gletscher weggeschmolzen sind, geben sie mehr Wasser ab, als die Kraftwerke nutzen können. Für Jörg Aeberhard von Alpiq beunruhigend: «Wir erleben jetzt, wie unsere Reserven abgebaut werden.»

Am Rhonegletscher könnte der Abbau spektakulär verlaufen. Das Team um Andreas Bauder hat sich dort eingerichtet, weil es vermutet, dass der Gletscher demnächst kalben wird. Dass also die Eismassen an der Gletscherfront in einen Gletschersee abbrechen. Ein seltenes Ereignis in der Schweiz. Und es wird nicht mehr oft stattfinden.

Donnerstag, Juli 30, 2009

Wall Street Journal - CFTC Chief Seeks Curbs on Oil Trade Data Rift?

07/29/2009 / The Wall Street Journal
Sarah N. Lynch
(Copyright (c) 2009, Dow Jones & Company, Inc.)
CFTC Chief Seeks Curbs on Oil Trade
Data Rift?

WASHINGTON -- The chairman of the Commodity Futures Trading Commission said he believes the agency must "seriously consider" setting strict limits on traders who place bets on energy contracts, the latest example of how the once sidelined agency has been flexing its regulatory muscles.

In opening remarks Tuesday at the agency's first hearing....


07/29/2009 / The Wall Street Journal
Sarah N. Lynch
(Copyright (c) 2009, Dow Jones & Company, Inc.)
CFTC Chief Seeks Curbs on Oil Trade
Data Rift?

WASHINGTON -- The chairman of the Commodity Futures Trading Commission said he believes the agency must "seriously consider" setting strict limits on traders who place bets on energy contracts, the latest example of how the once sidelined agency has been flexing its regulatory muscles.

In opening remarks Tuesday at the agency's first hearing studying the issue, Gary Gensler made clear he believes the CFTC needs to exert its powers to rein in excessive speculation.

"The CFTC is in the best position to apply limits across different exchanges, and we are most able to strike a balance between competing interests and the responsibility to protect the American public," Mr. Gensler said.

The change in tone is part of a broader shift for the CFTC, which was heavily criticized last year for lax regulation after oil prices rose to $145 a barrel. Critics blamed traders such as pension funds and hedge funds for driving up prices, while others cited the fundamentals of supply and demand.

At the hearing, executives at two major exchanges said they are willing to accept tougher regulations, suggesting the CFTC's ambitions in this area might become reality. The exchanges heavily rely on such trading as a source of revenue.
"We are prepared to respond to those concerns by adopting a hard-limit regime for those products," said CME Group Chief Executive Craig Donohue.

IntercontinentalExchange CEO Jeffrey Sprecher also expressed support for new limits.
The two men differed on who should set the new rules. Mr. Donohue said the exchanges should create limits; Mr. Sprecher said regulators should do the job.

The question of speculators' role in the commodities markets appears to have caused a rift within the CFTC. Mr. Gensler said the CFTC is updating -- but not necessarily reversing -- a 2008 report that blamed supply and demand, rather than speculators, for last year's exchange-record oil prices.

The Wall Street Journal reported Tuesday that the CFTC plans to issue a report next month suggesting speculators played a significant role in driving wild swings in oil prices.

Last year, the CFTC pinned oil-price swings primarily on supply and demand. Bart Chilton, one of four CFTC commissioners, told the Journal that the analysis of last year's study were based on "deeply flawed data."

Mr. Gensler said the agency will begin releasing a quarterly report describing the activities of index investors, but he said it would be "premature and even inaccurate to report as to what those numbers might say."
Mr. Gensler has said he believes speculation by index investors contributed to the price run-up last year, although CFTC economists have said their research shows that supply-and-demand fundamentals, not speculation, were to blame.

Currently, the CFTC sets hard limits on speculative trading only in certain agricultural markets and leaves the exchanges to set limits on all other products.
Exchanges impose hard limits on energy products only in the last three days of trading before a contract's expiration. The rest of the time, they impose accountability levels, which trigger additional oversight if exceeded.

While tentatively supporting Mr. Gensler's approach, the exchanges Tuesday also defended index traders, saying they bring needed liquidity to the market, and they reiterated they haven't seen one study proving excessive speculation caused record price spikes last summer.

In histestimony, CME's Mr. Donohue argued that speculators have been wrongly targeted in the debate over energy prices, which reached a fever pitch last summer. Any effort to control prices or market volatility by position limits, he said, is a "failed strategy."

He also said his company recognizes concerns many people have about the role nontraditional hedgers, such as swap dealers and index traders, are playing in the energy markets. CME is "prepared to lead" on the issue, he said.

The CFTC's general counsel, Dan Berkovitz, told commissioners Tuesday he believes the CFTC has legal authority to be able to apply position limits to all commodities, even if limits on those products are currently set by exchanges.
Mr. Gensler disclosed that in the past 12 months, 70 parties exceeded those accountability levels in the four major energy contracts.

Samstag, Juli 25, 2009

Müller Tauscher GmbH - Wandmalerei und schöne Kunst!

Titel des Bildes: Blüemlibrüenzle
http://www.muellertauscher.ch/index.html


Müller Tauscher für phantasievollen Wandschmuck. Inneneinrichtungen. Wandmalereien.
Kunstmalerei. Kunst.

Freitag, Juli 24, 2009

Billy Joel - Piano Man

Billy Joel - The Piano Man


Rowan Atkinson - The Piano Player

Mittwoch, Juli 22, 2009

TA: Das Psychogramm des Topmanagers

Das Psychogramm des Topmanagers
Von Olivia Kühni

Obwohl sie bereits Macht und Geld haben, setzen manche Manager alles aufs Spiel. Warum? Forscher der Universitäten Bochum und Surrey wissen Antworten.

Seit Jahren versuchen Psychologen zu erkunden, wie Topmanager ticken. Zahlreiche Studien wurden zu dem Thema in den letzten Jahren verfasst, und sie alle kommen zu einem ähnlichen Fazit. Eine Mehrheit der Führungskräfte auf der obersten Ebene weist Merkmale auf, wie sie in psychiatrischen Kompendien aufgeführt werden: Sie sind narzisstisch, hysterisch und süchtig nach Aufmerksamkeit.

Einer der Forscher ist Rüdiger Hossiep von der deutschen Universität Bochum. Er hat Hunderte von Fragebögen zu den Eigenschaften von Topmanagern ausgewertet....

Das Psychogramm des Topmanagers
Von Olivia Kühni

Obwohl sie bereits Macht und Geld haben, setzen manche Manager alles aufs Spiel. Warum? Forscher der Universitäten Bochum und Surrey wissen Antworten.

Seit Jahren versuchen Psychologen zu erkunden, wie Topmanager ticken. Zahlreiche Studien wurden zu dem Thema in den letzten Jahren verfasst, und sie alle kommen zu einem ähnlichen Fazit. Eine Mehrheit der Führungskräfte auf der obersten Ebene weist Merkmale auf, wie sie in psychiatrischen Kompendien aufgeführt werden: Sie sind narzisstisch, hysterisch und süchtig nach Aufmerksamkeit.

Einer der Forscher ist Rüdiger Hossiep von der deutschen Universität Bochum. Er hat Hunderte von Fragebögen zu den Eigenschaften von Topmanagern ausgewertet – und ein Psychogramm des Topmanagers erstellt. Seine Erkenntnis, wie die «Financial Times Deutschland» schreibt: «Viele Leute in solchen Positionen sind Anerkennungsjunkies.» Sie suchten sich auf der Jagd nach einer Belohnung immer neue und grössere Risiken.

Es steigt auf, wer Zahlen liefert

Auch die finanziellen Entschädigungssysteme unterstützten diese Mentalität, so Hossiep in dem Blatt. Aufsteigen würde nur, wer Zahlen liefere, nicht, wer langfristig denke. «Ein Zocker will immer ganz vorne sein und dem System ein Schnippchen schlagen.» Auf diese Weise steige er immer weiter hoch auf der Karriereleiter – und in den Führungsetagen sässen dann stark machtorientierte Menschen.

Bahnbrechend waren die Erkenntnisse von Belinda Board und Katarina Fritzon von der britischen Universität Surrey. Sie untersuchten in einer viel beachteten Studie aus dem Jahr 2005, inwieweit psychiatrische Persönlichkeitsmerkmale bei Topmanagern und bei verurteilten Kriminellen vorkommen. Ihr Fazit: Störungen wie Theatralische Hysterie (ausgezeichnet durch oberflächliches Charisma, Unaufrichtigkeit, Egozentrismus, manipulative Tendenzen), Narzissmus (Grössenwahn, Empathiemangel, Ausbeuterei) sowie Zwangsneurosen (Perfektionismus, Sturheit, Arbeitswut, diktatorische Tendenzen) kommen bei Managern weitaus häufiger vor als bei verurteilten Kriminellen. Bei denen waren eher passiv-aggressive Merkmale wie physische Aggressivität, Unverantwortlichkeit oder depressiv-suizidale Tendenzen häufiger.

«Erfolgreiche Psychopathen»

Die Studie von Board und Fritzon sorgte für ein gewaltiges Echo und wurde tausendfach zitiert. Auch Autoren von populärwissenschaftlicher Management-Literatur greifen auf sie zurück, so beispielsweise Gunter Dueck, als IBM Business Leader selber ein Topmanager. In seinem Buch «Karriere Direkt» schreibt Dueck, Führungskräfte seien ganz einfach «erfolgreiche Psychopathen».

Wer Karriere machen wolle, müsse die Triebkräfte der Karrieristen studieren und in sich entdecken: Hyperaggression im unteren Management, Zwanghaftigkeit im mittleren Management und theatralische Hysterie, «die manischen und selbstzelebrierenden Verhaltensweisen», – im obersten Management. Schonungslos und selbstironisch legt der IBM-Topmann dem Buch ausserdem eine Schlagwortliste des Managementkauderwelschs bei. «Da das Kauderwelsch allein schwer beeindruckt, ist Inhalt entbehrlicher geworden», so das trockene Fazit.

«Ein Gefühl der Wertlosigkeit»

Oliver James, Autor beim britischen «Guardian», hat eine Reihe weiterer psychologischer Studien zusammengetragen, die allesamt zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Zusätzlich führt er eine erstaunlich Statistik auf: Unter den in den verschiedenen amerikanischen Studien erfassten Führungskräften hat ein Drittel einen Elternteil vor dem 14. Lebensjahr verloren, verglichen mit acht Prozent in der Gesamtbevölkerung der USA. Betrachte man all diese Studienergebnisse, so scheine es, als sei emotionale Not der Schlüssel zum Erfolg. Für viele erfolgreiche Menschen sei die Jagd nach Status eine Kompensation für ein ursprüngliches Gefühl der Wertlosigkeit und Verzweiflung: «Es ist nicht das kleine Bisschen mehr, das die Mächtigen antreibt, es ist das kleine Bisschen weniger.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

Erstellt: 17.07.2009, 09:40 Uhr

Montag, Juli 20, 2009

Corvus Corax - Dulcissima / Carmina Burana - Oh Fortuna

Corvus Corax - Dulcissima


Carmina Burana - Oh Fortuna


Carmina Burana (UC Davis Symphony, the University Chorus and Alumni Chorus and the Pacific Boychoir perform Carl Orff's "Carmina Burana"

Berge / Mountains

Sonntag, Juli 19, 2009

NZZ: Das dünne Eis des Kilimandscharo

17. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Das dünne Eis des Kilimandscharo
Der Gletscher auf Afrikas höchstem Berg könnte schon in wenigen Jahren abgeschmolzen sein

Viele Berggänger wollen den zwar technisch einfachen, aber 5895 Meter hohen Kilimandscharo noch besteigen, solange das Gletschereis nicht geschmolzen ist. Dies stellt eine Belastung für die einheimischen Führer und für die Natur dar. Die Behörden Tansanias kümmert das wenig, ist doch der «Kili» längst die Haupteinnahmequelle des Landes.

Christian Schreiber

Braunes Steppenland, durchzogen von blauen Strömen, gesprenkelt mit grünen Oasen. Aber die Bergsteiger haben keinen Blick für den bunten Landschaftsteppich, der sich vom Fuss des Berges ins Unendliche ausrollt. Das Gleiche gilt für die faszinierenden Gebilde, die die Sonnenstrahlen ins Eis gelasert haben. Viele begreifen erst, dass sie ganz oben sind, wenn sie....


17. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Das dünne Eis des Kilimandscharo
Der Gletscher auf Afrikas höchstem Berg könnte schon in wenigen Jahren abgeschmolzen sein

Viele Berggänger wollen den zwar technisch einfachen, aber 5895 Meter hohen Kilimandscharo noch besteigen, solange das Gletschereis nicht geschmolzen ist. Dies stellt eine Belastung für die einheimischen Führer und für die Natur dar. Die Behörden Tansanias kümmert das wenig, ist doch der «Kili» längst die Haupteinnahmequelle des Landes.

Christian Schreiber

Braunes Steppenland, durchzogen von blauen Strömen, gesprenkelt mit grünen Oasen. Aber die Bergsteiger haben keinen Blick für den bunten Landschaftsteppich, der sich vom Fuss des Berges ins Unendliche ausrollt. Das Gleiche gilt für die faszinierenden Gebilde, die die Sonnenstrahlen ins Eis gelasert haben. Viele begreifen erst, dass sie ganz oben sind, wenn sie von den Brettern am Gipfel ablesen: «Höchster freistehender Berg der Welt, Afrikas höchster Punkt, Kilimandscharo, 5895 Meter.» Selbst erfahrene Alpinisten und durchtrainierte Sportler sind körperlich so geschwächt, dass sie bei der Gipfelrast nur an den Abstieg denken und die Schönheiten der Natur vor ihren Augen verschwimmen. Dabei lautet das häufigste Motiv für eine Besteigung: das Eis auf dem «Kili» sehen, bevor es verschwindet.

In den vergangenen hundert Jahren sind die Gletscher auf dem Dach Afrikas um rund 80 Prozent geschmolzen. Mit einer Ausnahme hat sich die Eismasse Jahr für Jahr kontinuierlich zurückgebildet: 2006 stellten Wissenschafter an verschiedenen Stellen ein Wachstum von 50 bis 80 Zentimetern fest, weil in diesem Jahr ausserordentlich viel Schnee fiel. Eine einzige Ausnahme. Ein Tropfen auf den heissen Stein – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Eis schmilzt von unten, wo es auf dem Felsen aufliegt, den die afrikanische Sonne Tag für Tag aufheizt. Der Prozess beschleunigt sich seit Jahren durch die globale Erwärmung, und pessimistische Prognosen besagen, dass schon in zehn bis zwanzig Jahren der ganze Berg eisfrei sei.

Eine andere These vertreten Wissenschafter der Universität Innsbruck: Gemäss ihnen ist Tauwetter auf dem Kilimandscharo eine Ausnahme, weil die Temperaturen der Umgebungsluft nur selten über die Null-Grad-Marke kletterten. Ausschlaggebend sei vielmehr ein anderer Effekt, den man auch beim Gefriertrocknen von Lebensmitteln beobachten könne: Das Eis verpufft aufgrund der besonders trockenen Luft und der Sonneneinstrahlung; es überspringt den flüssigen Zustand und geht direkt in einen gasförmigen Zustand über. Der Klimawandel nehme bei diesem Schauspiel nur noch eine Nebenrolle ein. Hingegen ist er nach Ansicht der österreichischen Wissenschafter verantwortlich für den Rückgang der Niederschläge. Eine Schneeschicht auf dem Gletscher würde einen gewissen Schutz vor der Verpuffung des Eises bieten. Die Innsbrucker Forscher geben dem Kilimandscharo-Gletscher noch ein paar wenige Jahre, aber in rund dreissig Jahren dürfte ihrer Ansicht nach von den 2,2 Quadratkilometern kaum noch etwas übrig sein.

Der Gletscherschwund beschert dem Berg ein kurioses Publikum. Eine US-Amerikanerin erzählt im letzten Hochlager auf 4800 Metern stolz von ihrem zwölfjährigen Sohn, der den Aufstieg bis hier problemlos gemeistert habe. In ihren Augen ist es höchste Zeit: «Wir wollten das Eis noch sehen, bevor es ganz weg ist.» Auf den Gipfel schafft es der Knabe, runter müssen ihn die Guides allerdings tragen. Und damit ist er in guter Gesellschaft: Am Gipfeltag schleppen die Träger keine Kartons, kein Kochgeschirr, keine Kartoffeln – ihre Ladung zurück zum Hochlager ist menschlich, die Leute kommen meist aus den USA und Japan, manchmal aus England, selten aus der Schweiz oder Deutschland. Auch viele Amerikaner und Asiaten betrachten den Kilimandscharo als Spaziergang. Im Prinzip ist er ja auch ein technisch einfacher Wanderberg.

Auf die dünne Höhenluft bereiten sich viele nicht durch eine vernünftige Akklimatisation vor, sondern mit dem Medikament Diamox. «Damit hat man eine grosse Chance, nicht höhenkrank zu werden», erklärt der Sportwissenschafter und Bergsport-Experte Thomas Lämmle. Anderen Gefahren schenken die Berggänger oft nicht genügend Beachtung: So spielt mit dem Leben, wer nicht ausreichend trinkt; Lungenembolien haben zahlreiche Kilimandscharo-Touristen ins Grab gebracht. Lämmle selbst hat bei einem seiner Gipfelstürme zwei Todesfälle erlebt. Insider sprechen von zwanzig Toten pro Jahr, offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht. In den meisten Fällen überschätzen sich die Opfer, und so sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen an der Tagesordnung.

50 000 Besteigungen pro Jahr

«Gefühlt ist auf dem Gipfel nur noch halb so viel Sauerstoff vorhanden wie am Fuss des Berges», sagt Lämmle. Von dünner Luft könne man nicht sprechen, der Sauerstoff-Gehalt bleibe nämlich gleich. Was den Bergsteigern zu schaffen mache, sei der nachlassende Luftdruck. Auf 6000 Metern beträgt dieser nur noch etwa 500 statt gut 1000 Millibar wie in Meeresnähe. Dadurch zirkuliere das Blut wesentlich langsamer, so Lämmle, und die einzelnen Körperregionen würden nicht mehr schnell genug mit Sauerstoff versorgt.

Schlecht vorbereitete Bergsteiger sind kein neues Phänomen am Kilimandscharo, seit je gibt es übergewichtige Amerikaner und unsportliche Europäer mit Gipfelambitionen. Erschreckend ist aber, dass sich die Zahl der Bergtouristen innerhalb von drei Jahren verdoppelt hat. Die zuständige Behörde beantwortet derartige Anfragen zwar nicht, aber der Kilimandscharo-Kenner und Buchautor Tom Kunkler hat nach eigenen Angaben einen verlässlichen Informanten, der ihm diese Zahlen übermittelt hat: 25 000 Besteigungen im Jahr 2005, zwei Jahre später waren es bereits 42 000. Im November 2008 kratzten die durchnummerierten Urkunden für die Besteigungen bereits an der 50 000er-Marke.

Natürlich kommen die Reisenden aus aller Welt nicht nur, um den Gletscher zu bestaunen. Um den Kilimandscharo hat sich ein grüner Gürtel geschlungen, der so fruchtbar ist wie kein anderes Stück Erde in Tansania. Es ist die erste von fünf Vegetationszonen, die die Bergsteiger durchqueren. Mit der Kilimandscharo-Begehung hat der Tourist eine botanische Reise vom Äquator zur Arktis gebucht: Regenwald, Hochmoor, Wüste, Schnee und Eis. Einzigartig auf der Welt.

Der Berg als Goldesel


Die Politiker in Tansania scheinen den Berg allerdings nur als Goldesel zu betrachten, der nicht gefüttert wird. Vor drei Jahren haben die Behörden die Besteigungsgebühren auf mehr als 150 Franken pro Tag erhöht. Damit hat der Tourist noch keinen Führer, keinen Träger, noch nicht einmal einen Teller Suppe bezahlt. Laut Aussagen von offizieller Seite soll davon natürlich nur die Natur profitieren. Aber die Zahl der Kilimandscharo-Bergsteiger wächst weiter, und die sprudelnde Geldquelle fliesst in dunkle Kanäle.

«Der ist mittlerweile die Haupteinnahmequelle für Tansania. Aber am Berg kommt von dem Geld nichts an. Das Ganze ist dermassen korrupt», sagt Sportwissenschafter Lämmle. Es gebe nicht einmal ein ökologisches Konzept, dabei wäre es dringend nötig, etwas für die Erhaltung der Natur zu unternehmen. Müll macht sich breit, regelmässig verwüsten Brände ganze Landstriche. Es gibt keine Erste-Hilfe-Einrichtungen am Berg und nur schäbige Unterkünfte für die Ranger. Die Führer erhielten nicht einmal eine Ausbildung von der Behörde, kritisiert Lämmle, der im Auftrag des deutschen Reiseveranstalters DAV Summit Club seit Jahren Guides in Tansania schult, um dem Problem zu begegnen. «Zur Erlangung der Lizenz reicht es, die verschiedenen Routen auf den Berg genau zu kennen.» Führungstechnik, Bergrettung, Höhenmedizin sind Fremdwörter in Tansania.

Die Guides und die Tausende von Trägern haben keinerlei Lobby. Zwar bescheren sie dem Staat und den Tourismusagenturen Jahr für Jahr eine Millionensumme, aber niemand kümmert sich beispielsweise um ihre Gesundheit. Obwohl Ärzte raten, maximal zwei Gipfelbesteigungen pro Monat zu machen, sind die meisten Bergbediensteten in der Hochsaison jede Woche im Einsatz. Nur so können sie sich und ihre Familie über Wasser halten. Trotzdem beenden viele Führer ihre Tätigkeit schon, wenn sie ungefähr Mitte dreissig sind, weil der Körper die Strapazen nicht mehr mitmacht. Bis dahin haben sie in der Regel 200 bis 300 Mal die Bretter am Gipfel gelesen: «Höchster freistehender Berg der Welt, Afrikas höchster Punkt, Kilimandscharo, 5895 Meter.»

Samstag, Juli 18, 2009

NZZ: Ungesühnte politische Morde in Russland

17. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Ungesühnte politische Morde in Russland
Natalia Estemirowa dokumentierte furchtlos Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien

Der Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa hat international und in Russland Bestürzung ausgelöst. Die Organisation Memorial, bei der Estemirowa gearbeitet hat, macht den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow für den Mord verantwortlich.

gho. Moskau, 16. Juli

Der Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa hat sowohl in Russland als auch international zu bestürzten Reaktionen geführt. Unter anderen forderten die schwedische EU-Rats-Präsidentschaft, die USA und mehrere Menschenrechtsorganisationen von den...


17. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Ungesühnte politische Morde in Russland
Natalia Estemirowa dokumentierte furchtlos Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien

Der Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa hat international und in Russland Bestürzung ausgelöst. Die Organisation Memorial, bei der Estemirowa gearbeitet hat, macht den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow für den Mord verantwortlich.

gho. Moskau, 16. Juli

Der Mord an der russischen Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa hat sowohl in Russland als auch international zu bestürzten Reaktionen geführt. Unter anderen forderten die schwedische EU-Rats-Präsidentschaft, die USA und mehrere Menschenrechtsorganisationen von den russischen Behörden eine umgehende Aufklärung. Der russische Präsident Dmitri Medwedew zeigte sich am Mittwoch laut einer Sprecherin «empört» und ordnete eine Untersuchung an. Die unmittelbare Reaktion des Kremls kontrastiert mit dessen Verhalten bei früheren Morden an Aktivisten.

Kadyrow als Drahtzieher?

Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow verurteilte ebenfalls den Mord und nannte ihn zynisch. Damit würden die Bewohner Tschetscheniens und Inguschetiens vor der russischen Öffentlichkeit und vor der Weltgemeinschaft diskreditiert. Kadyrow will die Aufklärung des Mordes unter seine persönliche Kontrolle nehmen. Für den Leiter von Memorial, Oleg Orlow, sind dies jedoch Krokodilstränen. Orlow sagte, er sei sich sicher, dass Kadyrow hinter dem Mord stecke. Der junge und tatkräftige Präsident habe Estemirowa bedroht, beleidigt und als einen persönlichen Feind empfunden. Er wisse nicht, ob Kadyrow persönlich den Auftrag erteilt habe oder ob jemand aus dessen Entourage seinem Boss einen Gefallen habe erweisen wollen.

Die russischen Strafverfolgungsbehörden haben aber bis jetzt bei Morden an Menschenrechtsaktivisten wenig bis gar keine Erfolge auszuweisen. Sowohl der Fall der im Jahr 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja als auch die Erschiessung des Menschenrechtsanwaltes Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa in diesem Jahr sind noch ungelöst.

Der Mord an Estemirowa wird mit ihren jüngsten Aufdeckungen in Verbindung gebracht, welche die tschetschenische Führung in Rage gebracht haben sollen. In Berichten von Memorial und der Organisation Human Rights Watch, mit der Estemirowa eng zusammengearbeitet hat, wurden aussergerichtliche Exekutionen und das Niederbrennen von Häusern dokumentiert, die Familien mutmasslicher Aufständischer gehörten. Dabei sollen tschetschenische Sicherheitskräfte involviert gewesen sein. Estemirowa, deren Mutter Russin und deren Vater Tschetschene ist, verfolgte jedoch bereits seit dem ersten Tschetschenienkrieg Menschenrechtsverletzungen. Im zweiten Tschetschenienkrieg dokumentierte sie unermüdlich Kriegsverbrechen. Estemirowa arbeitete später auch eng mit Politkowskaja zusammen.

Öffentliche Kritik

Die Memorial-Mitarbeiterin war in der vergangenen Zeit eine der wenigen, die auch öffentlich in Tschetschenien die Menschenrechtslage kritisierten. Im April dieses Jahres ist das Regime für antiterroristische Operationen für die Republik aufgehoben worden. Trotzdem ist die Sicherheitslage alles andere als ruhig. Moskau lässt Kadyrow in Tschetschenien freie Hand, was zu Menschenrechtsverletzungen und zur Bedeutungslosigkeit der zentralstaatlichen Sicherheitskräfte führt. Kadyrows Arm könnte auch weiter reichen: In der vergangenen Zeit erfolgten einige aufsehenerregende Morde in Moskau, Wien und Dubai an Opponenten und Kritikern des tschetschenischen Regionalfürsten. Kadyrow weist jedoch alle Anschuldigungen von sich.

Der Umstand, dass die Leiche Estemirowas in der Nachbarrepublik Inguschetien gefunden wurde, könnte noch von Bedeutung sein. Der selbstherrlich auftretende Kadyrow streckt seine Hand nach Inguschetien aus – vor allem nach einem Selbstmordattentat auf den inguschetischen Präsidenten Junus-Bek Jewkurow vor einigen Wochen. Der Mord an Estemirowa zeigt, dass es für Tschetschenien, auch wenn es offiziell nicht mehr im Krieg ist, keinen Frieden gibt.

Donnerstag, Juli 16, 2009

Mozart - Eine kleine Nachtmusik

Dienstag, Juli 14, 2009

TA Magazin: Roger de Weck - Markt ist Macht


Tages Anzeiger Magazin - Roger de Weck

Nach der Fast-Kernschmelze des Finanzsystems erleben wir die Stunde der Ingenieure, die hier eine defekte Röhre ersetzen und dort ein Ventil. Doch der Kapitalismus muss sich von Grund auf erneuern, um das verspielte Vertrauen wiederherzustellen. Ein Essay in fünf Folgen


Markt ist Macht (Teil 2)
(der erste Teil der Artikelserie findet sich unter diesem Link)
Im real existierenden Kapitalismus gilt: Wer mächtig ist, bestimmt die Marktordnung. Und die begünstigt die Mächtigen. Der Markt ist unsere Diktatur: nützlich und masslos.

10.07.2009 von Roger de Weck

Ist der Kapitalismus eine Religion, war der Markt bis vor Kurzem unfehlbar wie der Papst. Erst jetzt gestehen ultraliberale Vordenker ein, was sie Jahrzehnte verdrängt oder selten thematisiert hatten: dass dieser Markt nicht alles richtet. Wobei sie ihm gegenüber Milde walten lassen. Hingegen erfüllt sie tiefer Hass auf den Staat, der ebenso wenig alles richten wird, aber den Kollaps des Bankensystems und eine noch tiefere Weltwirtschaftskrise fürs Erste abgewendet hat. Selten wurde ein Nothelfer dermassen verhöhnt.

Wirtschaftsliberale, die sonst die Eigenverantwortung...


Markt ist Macht

Im real existierenden Kapitalismus gilt: Wer mächtig ist, bestimmt die Marktordnung. Und die begünstigt die Mächtigen. Der Markt ist unsere Diktatur: nützlich und masslos.

10.07.2009 von Roger de Weck

Ist der Kapitalismus eine Religion, war der Markt bis vor Kurzem unfehlbar wie der Papst. Erst jetzt gestehen ultraliberale Vordenker ein, was sie Jahrzehnte verdrängt oder selten thematisiert hatten: dass dieser Markt nicht alles richtet. Wobei sie ihm gegenüber Milde walten lassen. Hingegen erfüllt sie tiefer Hass auf den Staat, der ebenso wenig alles richten wird, aber den Kollaps des Bankensystems und eine noch tiefere Weltwirtschaftskrise fürs Erste abgewendet hat. Selten wurde ein Nothelfer dermassen verhöhnt.

Wirtschaftsliberale, die sonst die Eigenverantwortung des Individuums — und allen voran des Managers — hochhalten, schreiben dem Staat Fremdverantwortung an der Krise zu. Er habe die Finanzwelt falsch reguliert und schlecht beaufsichtigt. Die US-Notenbank Federal Reserve (kurz Fed) habe zu viel und zu billiges Geld in die Märkte gepumpt. Sie habe jedes Mal, wenn eine Blase platzte, die Geldschleusen geöffnet und auf diese Weise die Verluste minimiert, weswegen sich die Spekulanten in Sicherheit wiegten und umso dreister zockten. Demagogische Politiker in Washington hätten um jeden Preis das private Wohneigentum gefördert, was Exzesse am Immobilienmarkt ermöglichte. Politiker seien unfähig, ihren Wählerinnen und Wählern Opfer zuzumuten. Sie könnten es sich «nicht erlauben, dass es dem Bürger schlechter geht», schrieb ein Kritiker des Wohlfahrtsstaats und letztlich der Demokratie.
Diejenigen, die dem Aberglauben an den Markt erlegen waren, warnen nun vor dem Glauben an den Staat — und dies nicht einmal zu Unrecht. Staat und Markt, beide können richtig liegen, sind aber auch fehlbar. Fruchtlos ist das Eindreschen der einen auf den Staat und der anderen auf den Markt, zumal öffentliche Hand und private Wirtschaft eine Symbiose bilden. Markt versus Staat, auf dem Hintergrund der Krise ist das ein verjährter Streit. Heute geht es, anspruchsvoller, ums richtige Zusammenspiel von Staat und Markt in einer seit eh und je gemischten Wirtschaft.
Die Finanzmärkte sind vollends auf den Staat angewiesen. Schon in früheren Finanzkrisen musste er — in Gestalt des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Notenbanken — einspringen. Und nicht nur Grossbanken geniessen eine Staatsgarantie, sondern auch alle Atomkraftwerke, deren Höchstrisiko kein privater Versicherer zu schultern wagt. Auf weiten Teilen des Pharmamarkts sind Angebot und Nachfrage gleichzusetzen: Kommt ein besseres Heilmittel heraus, wird es sozusagen automatisch erworben, weswegen der Staat Preise und Tarife regelt. Ohne staatliche oder halbstaatliche Krankenkassen, ohne Schulen und Hochschulen, Forschungsprogramme und Raumfahrtagenturen, ohne öffentlichen Verkehr und Infrastruktur kann die private Wirtschaft nicht gedeihen, die Baubranche schon gar nicht. Auf dem Markt für Rüstungsgüter ist das Spiel von Angebot und Nachfrage gänzlich politisiert; Minister wirken als Handelsvertreter der Rüstungsfirmen, zum Marketing gehören politische Gegengeschäfte. Und ein Teil der Landwirtschaft — auf die keine westliche Nation verzichten würde — überlebt ohnehin nur dank staatlichem Schutz.

In Gottesnähe

Überall vermengen sich Markt und Staat. Beide sind derart aufeinander angewiesen, dass neben Kapital und Arbeit der Staat als «Produktionsfaktor» gelten müsste, wie es in der Sprache der Ökonomen heisst: als elementare Voraussetzung kapitalistischer Wirtschaft, die darauf gründet, dass staatliche Gewalten Privateigentum garantieren. Ohne Staat kein Kapitalismus — das ist die real existierende Markt- und Machtwirtschaft. Es gibt keine andere.

Aber es gab, bis vor Kurzem, die Marktutopie. Warum haben so viele Zeitgenossen den Markt wie eine Gottheit verehrt und den Staat verteufelt?

Triebfeder des Kapitalismus ist im Grunde nämlich der Plan. Die in kommunistischen Ländern untergegangene Planwirtschaft hat überlebt, wo sie niemand vermutet: in den Konzernspitzen. Jeden Sommer schmieden die Manager mit ihren Stäben die Pläne fürs nächste Jahr. Sie beraten über das Plansoll, verhandeln, wem wie viel Geld und Personal zuteil wird, um einen vorgegebenen Umsatz oder Gewinn zu erzielen. Sie haben auch Drei- oder Fünfjahrespläne — jedes Unternehmen ist eine kleine Planwirtschaft. In der Marktwirtschaft behaupten sich diejenigen Firmen am besten, die von Planung etwas verstehen.

Dabei beziehen sich die Pläne der Manager nicht nur aufs eigene Unternehmen. Am liebsten möchten sie ihren Markt beherrschen, dann können sie ihn besser planen. Selten gelingt das so gut wie dem Software-Riesen Microsoft, aber es bleibt das Ziel. Firmen wettern gegen jedes Monopol, das sie nicht selbst ausüben. Und reicht die eigene Kraft nicht aus, sprechen sie sich gern mit ihren Wettbewerbern ab, um — planwirtschaftlich — den Markt aufzuteilen und auszuhebeln. So stark ist der Hang zu Kartellen, dass der Staat sie verbieten musste. Den Weg zur Marktmacht ebnen jetzt deshalb Fusionen und Übernahmen, aus denen Riesenkonzerne erwachsen, wo die Kommandowirtschaft grassiert, mit der bekannten Mischung von Büro- und Autokratie. «Unternehmen sind totalitär strukturiert, ihre Rituale sind totalitär aufgebaut», schreibt der französische Autor Laurent Quintreau in seinem Bestseller «Und morgen bin ich dran».

So kann man die Dinge sehen. Man kann sie auch anders sehen. Wer Planwirtschaft sagt, meint in der Regel: Staatswirtschaft. Pläne haben wir alle — die Frage ist, inwiefern der Staat oder aber der Markt die Einzelpläne von Unternehmen und Menschen koordinieren soll. Und diese Frage ist bis heute nicht definitiv beantwortet, weder faktisch noch ideologisch.

Das Faktische: Der Anteil des Staats am Volkseinkommen der westlichen Länder beträgt rund fünfzig Prozent. Im real existierenden Kapitalismus halten wir uns ebenso sehr an die öffentliche Hand wie an die «unsichtbare Hand» des Markts. Unser System war längst vor der Krise halb Marktwirtschaft, halb Staatswirtschaft. Für die Hälfte der Volkswirtschaft hat sich — fast überall in den Industrieländern — die Steuerung durch den Staat durchgesetzt.

Markt erzeugt Staat

Das Ideologische: Die Lehrmeinung besagt, der Markt steuere die Wirtschaft besser als der Staat. Richtig? Nicht ganz. Die Marktwirtschaft bringt immer mehr Konzerne hervor, die so gross sind, dass sie nie untergehen dürfen und deswegen Staatsgarantie geniessen: «too big to fail», sagen die Angelsachsen. Die Globalisierung verstärkt den Trend. Ausgerechnet der Markt erzeugt noch mehr Staat.
Doch was sagten in den vergangenen Jahren die Marktschreier zu dieser Rückkehr des Etatismus durch die Hintertür? Nichts. Unberührt sahen sie der von Investmentbankern und Hedge-Fonds inszenierten Orgie der Fusionen zu, die im Einzelfall den Wettbewerb nicht unbedingt minderten, deren Summe aber — geradezu planmässig — auf Vermachtung statt Vermarktung deutete.

Dem Menschen ist der Plan vertraut wie der Markt. Dem Machtmenschen verhilft der Plan zur Marktmacht. Wie jede Ideologie verkennt die Marktideologie, was ihr zum Glück Grenzen setzt: den Menschen. Er ist komplexer und komplizierter als alle Glaubenssätze. Frappant war die Ähnlichkeit zwischen den marktradikalen Ideologen und den früheren kommunistischen Propagandisten. So wie einst die Partei immer recht hatte, galt später der Markt als unfehlbar, womit wir wieder beim Papst und in Gottesnähe sind. Ideologen erstreben das Vollkommene. Läuft etwas schief, wissen sie den Grund: Der Sozialismus sei noch nicht perfekt, aber alles werde gut, sobald der Kommunismus erreicht sei, die höchste Stufe des Fortschritts — sagten die einen. Und die anderen führten jedes Problem darauf zurück, der Markt sei nicht frei genug, weshalb er nicht einwandfrei funktioniere. Lasse man ihn ungehindert wirken, löse sich manches wie von selbst.

Acht Schwächen

Pech, dass wir uns — seit der grossen Krise erst recht — mit dem real existierenden, stets unvollkommenen Markt benügen müssen. Demokratie sei die schlechteste Staatsform, ausser allen anderen, sagte Winston Churchill. Marktwirtschaft ist vermutlich die schlechteste Wirtschaftsform, ausser allen früheren. Von Vorteil ist, dass sie einigermassen funktioniert, wiewohl mit schweren Aussetzern. Von Nachteil bleibt, dass sie gefährlich ist. Sie kann Menschen und Mentalitäten, Gesellschaften und ihre Werte, Völker und Volkswirtschaften schädigen — und sich selbst. Der Markt ist nicht das Ziel oder gar Ideal, sondern ein unbefriedigendes Instrument. Alle Vernunft spricht dafür, es einzusetzen, aber auch dafür, seinen mindestens acht Nachteilen und Schwächen Rechnung zu tragen.

Erstens: Auf dem Marktplatz wird fast alles in Geld bewertet. Der übermächtige Markt negiert oder zerstört nichtökonomische Werte, zum Beispiel demokratische, staatspolitische, gesellschaftliche, soziale, ökologische, kulturelle Werte. Irreführend ist die Annahme der Ultraliberalen, wenig Nachgefragtes sei von vornherein auch wenig werthaltig. Nicht selten verhält es sich umgekehrt. Was einige Medien anbieten, seit sie einer harten Markt- und Quotenwirtschaft unterstehen, ist zwar gefragt, aber oft von minderer Qualität und geradezu demokratieschädlich.

Zweitens: Wird ausgerechnet der Marktplatz — im Kasinokapitalismus die Börse — zum Angelpunkt der Gesellschaft, prägt er ihre Mentalität. Die Marktwirtschaft ufert zur Marktgesellschaft aus. Eine Familie, die untereinander marktwirtschaftlich statt solidarisch umginge, bliebe nicht lang eine. Eine reine Wettbewerbsgesellschaft ist brüchig.

Drittens: Der Marktplatz ist Ausleseplatz, auf dem manche Menschen gut bestehen, andere schlecht oder gar nicht. Zu wenig Markt schwächt die Leistung und mithin den Erhalt einer Gesellschaft, zu viel Markt schwächt ihren Zusammenhalt. Der Ultraliberalismus verbreiterte die Kluft zwischen den Gewinnern und jenen Verlierern, die zulasten der Gesellschaft und des Staats aus dem Markt scheiden.

Viertens: Wer besucht den Marktplatz — wer ist «der Markt»? Die Frage stellte bereits der Staatsdenker und Soziologe Max Weber, stets wird sie ungern beantwortet. Auf dem Arbeitsmarkt sind wir fast alle. Auf anderen Märkten nicht. Als der Spekulant George Soros 1992 das britische Pfund angriff und es mithilfe zahlreicher Gefolgsleute niederschlug, war dieser Machtmensch im Grunde «der Markt», er allein. Finanzleute bestimmen den Finanzmarkt, nicht wir, wiewohl unser Pensionskassengeld mit im Spiel ist. Und Finanzleute vertreten Eigeninteressen, die sie mit dem Gemeinwohl gleichsetzen.

Zwang zum Wachstum

Fünftens: Wer politische Macht hat, bestimmt weitgehend die Regeln auf dem Markt. Beispielsweise denkt Washington nicht daran, die Vormacht des Dollars preiszugeben. Die geltende «Marktordnung» erlaubt den Amerikanern, sich massiv im Ausland zu verschulden, in eigener Währung, ohne Risiko — in der Krise sind die Gläubiger der USA am kürzeren Hebel. Kein Wunder, dass China und Russland darauf sinnen, den Dollar als Leitwährung abzulösen. Auf dem Arbeitsmarkt wiederum bestimmen nicht bloss Angebot und Nachfrage den Lohn, sondern ebenso sehr die Machtproben zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.

Sechstens: Oft kaufen sich die Marktmächtigen die Politik, die sie brauchen. Sie finanzieren Parteien und Volksvertreter, die dann im Wesentlichen jene Marktordnung durchsetzen, die ihren Auftrag- und Geldgebern ins Konzept passt. Oder Wirtschaftsführer steigen selbst in die Politik ein wie Silvio Berlusconi, der in Italien politische, wirtschaftliche und mediale Macht bündelt, und Christoph Blocher, dessen politische Linie genau seinen Eigeninteressen entspricht.

Siebtens: Der Markt braucht Wachstum und erzeugt Wachstum — durchaus auch dort, wo dieses Wachstum unerwünscht ist: wo Schonung der natürlichen oder sonstigen Ressourcen vorrangig wäre. Marktwirtschaft ist oft eine Vergeudungs- und Verschwendungswirtschaft, nur schon, weil sie die Konsumenten zum Konsumieren anregt. Und weil ein Markt ohne Wachstum besonders instabil ist. Wo Gleichgewicht ohne Wachstum herzustellen ist, eine wichtiger werdende Aufgabe, stösst der Markt an seine Grenzen.

Achtens: Der Marktplatz versagt, immer wieder. Im Jahr 2006, kurz vor Ausbruch der Krise, war der Finanzmarkt besonders ineffizient: Zinsen und Börsenkurse signalisierten in keiner Weise die Risiken, die manche Bank eingegangen war. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, gestand im März 2008: «Ich glaube nicht mehr an die Selbstheilungskraft der Märkte.» Langfristig mag der Markt etliche Fehlentwicklungen berichtigen, doch «langfristig sind wir alle tot», pflegte der Ökonom John Maynard Keynes zu frotzeln. Und die Krisen, die der «selbst heilende» Markt oder der Staat bewältigen muss, bringen schweres Leid über die Menschen.

Selbstheilung — der Wortschatz des Kapitalismus neigt auch da zum Religiösen, als berge der Markt wie der Glaube eine übernatürliche Kraft zur Regeneration. Gerade dem Kasinokapitalismus wohnte eine fromme Unbekümmertheit inne: Wenn der Markt immer recht hat, erhebt «niemand mehr den Anspruch, das Geschehen zu verstehen», vermerkt der Soziologe Dirk Baecker. Solange der Markt göttergleich alles richtet, darf sich die kapitalistische Menschheit ihm hingeben. Politik, der Ausdruck menschlichen Gestaltungswillens jenseits des Markts, wirkt verdächtig, schädlich, frevelhaft. Die göttliche Regel lautet, dass der Mensch im Allgemeinen und der Politiker im Besonderen möglichst wenig Regeln aufstellen sollten. Die Allmacht hat und ist der Markt.

Zwischenergebnis 2
Im real existierenden Kapitalismus bleibt der Staat so wichtig wie der Markt; ist die gemischte Wirtschaft bewusst zu gestalten; ist der Markt als Macht zu begreifen; ist Gegenmacht aufzubauen, damit die nichtökonomischen Werte bestehen bleiben.

Roger de Weck ist Publizist und schreibt regelmässig für «Das Magazin». Dieser Text ist Teil eines Buchprojekts, das Ende Jahr unter dem Titel «Gibt es einen anderen Kapitalismus?» im Verlag Nagel&Kimche, Zürich und München, erscheinen wird. «Das Magazin» publiziert in loser Folge Auszüge.

Montag, Juli 13, 2009

NZZ: Die einsamen Frauen von Srebrenica Spurensuche in den Untiefen von Massengräbern und Kriegserinnerungen

11. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Die einsamen Frauen von Srebrenica
Spurensuche in den Untiefen von Massengräbern und Kriegserinnerungen

Der Name Srebrenica steht weltweit für Unmenschlichkeit und Barbarei. Auch nach vierzehn Jahren bleiben die Spuren des Völkermordes allgegenwärtig. Zwar sind viele Vertriebene wieder in den bosnischen Ort zurückgekehrt; Zuversicht mögen sie aber noch keine schöpfen.

Von unserem Korrespondenten Thomas Fuster


Srebrenica, Ende Juni

Am 11. Juli wird Amra Begic endlich ihren Vater beerdigen können, vierzehn Jahre nach seinem Tod. Im vergangenen Jahr erst wurden seine Überreste entdeckt, in einem Massengrab im Osten Bosniens. Begic sichtete die Knochen, liess sich...


11. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Die einsamen Frauen von Srebrenica
Spurensuche in den Untiefen von Massengräbern und Kriegserinnerungen

Der Name Srebrenica steht weltweit für Unmenschlichkeit und Barbarei. Auch nach vierzehn Jahren bleiben die Spuren des Völkermordes allgegenwärtig. Zwar sind viele Vertriebene wieder in den bosnischen Ort zurückgekehrt; Zuversicht mögen sie aber noch keine schöpfen.

Von unserem Korrespondenten Thomas Fuster


Srebrenica, Ende Juni

Am 11. Juli wird Amra Begic endlich ihren Vater beerdigen können, vierzehn Jahre nach seinem Tod. Im vergangenen Jahr erst wurden seine Überreste entdeckt, in einem Massengrab im Osten Bosniens. Begic sichtete die Knochen, liess sich von Experten erklären, dass die Gebeine mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99,95 Prozent zum Vermissten passten – und die junge Frau berührte mit ihren Händen ein letztes Mal, was von ihrem Vater nach all den Jahren übrig geblieben war. Zu Hause sperrte sie sich ins Bad und schrubbte in einem fort ihre Hände – wie besessen, so sagt sie, aus Furcht, sie könnte ihre damals eineinhalbjährige Tochter mit der Unreinheit des Todes anstecken. Ein schrecklicher Gedanke sei es, erzählt die Mutter mit erstickter Stimme, das eigene Kind vor den Spuren des Grossvaters schützen zu müssen.

Alljährliche Massenbestattungen

Begics Vater war nach der Massenexekution nicht sofort tot. Nachdem die serbischen Soldaten ihre Opfer geknebelt, in Reih und Glied aufgestellt und mit Gewehrsalven niedergestreckt hatten, schritten sie noch einmal durch den Haufen lebloser Körper. Wer noch ein Wimmern von sich gab oder sich bewegte, wurde mit einem Kopfschuss gerichtet, ehe die Bagger heranfuhren, um die Leichen in Massengräbern zu verscharren. Auch bei ihrem Vater stellten die Forensiker einen Kopfschuss aus nächster Nähe fest. Dass er noch einige Minuten länger litt, belastet Begic. Zu schaffen macht ihr zudem, dass sie jenem serbischen Nachbarn, der ihren Vater von der Familie losriss und in den Tod schickte, regelmässig auf den Strassen begegnet. Er sei bis heute stolz auf seine Tat und zeige keine Zeichen der Reue. Gerne würde sie alles vergessen – doch es gelinge ihr nicht.

Amra Begic wird ihren Vater in Potocari, einem Vorort von Srebrenica, zu Grabe tragen. Im September 2003 wurde hier nach langem politischem Gezerre eine Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1995 errichtet – eines Massakers, das der Internationale Gerichtshof in Den Haag als Genozid bewertete. Die Gedenkstätte und der Friedhof liegen direkt gegenüber einer stillgelegten Batteriefabrik, wo sich während des Kriegs die niederländischen Uno-Soldaten eingerichtet hatten. Alljährlich am 11. Juli, dem Tag des Gedenkens an den Völkermord, werden hier jene sterblichen Überreste, die in den vergangenen zwölf Monaten neu entdeckt und identifiziert werden konnten, beigesetzt. Dieses Jahr werden es 529 Leichname sein. Ein Ende des alljährlich wiederkehrenden Reigens von Massenbestattungen ist nicht absehbar: Von über 8000 vermuteten Opfern konnten bisher erst 3300 identifiziert und beerdigt werden.

Vor den Augen der Uno

Zahllose Bücher, Essays, Analysen sind verfasst worden zu Srebrenica. Begreifbar ist das Geschehen dadurch gleichwohl nicht geworden. «Das schlimmste Massaker auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs», so die behelfsmässige Formel, auf die man sich zur Beschreibung des Unfassbaren geeinigt hat, sprengt jegliche Vorstellungskraft. Mit kühler Planung wurden während Tagen systematisch Tausende von Männern und Knaben ermordet, viele auf bestialische Weise, allein ihrer Zugehörigkeit zur «falschen», nämlich bosnjakischen (muslimischen) Volksgruppe wegen. Die Leichen wurden danach von Baumaschinen wie Müll verscharrt. Und all dies in einer Schutzzone der Uno. Zu einer solchen Zone war die bosnjakische Enklave 1993 erklärt worden, und über 60 000 Muslime drängten sich in der Folge in den vermeintlichen Hort international überwachter Sicherheit. Als jedoch die bosnischen Serben den Ort nach jahrelanger Belagerung überrannten, waren die niederländischen Uno-Soldaten nur noch um den eigenen Schutz besorgt.

Widerstand erwuchs der Soldateska rund um Ratko Mladic jedenfalls keiner, als sie am 11. Juli 1995 in den zuvor ausgehungerten Ort einmarschierte. In einer an Kollaboration grenzenden Hilflosigkeit beobachteten die Blauhelmsoldaten, wie Familien auseinandergerissen und alle Männer und Knaben – einige von ihnen knapp 12-jährig – von ihren Frauen und Müttern separiert wurden. Um die Serben nur ja nicht zu provozieren, so das Geheiss von oberer Stelle, halfen einige Niederländer bei der Aussonderung der Flüchtlinge gar noch tatkräftig mit. Die Massenexekutionen zur «ethnischen Säuberung» dieser nahe der serbischen Grenze liegenden Gegend in Ostbosnien waren zu diesem Zeitpunkt bereits minuziös geplant. Viele Muslime erahnten das Böse, und über 10 000 Männer und Knaben versuchten, durch die umliegenden Wälder in die 50 Kilometer entfernte, bosnjakisch kontrollierte Stadt Tuzla zu fliehen; die wenigsten überlebten den Marsch durch die feindlichen Linien.

In Tuzla, der drittgrössten Stadt von Bosnien-Herzegowina, treffen wir Nura Begovic. Ihr Ehemann gehörte zu den wenigen, denen die Flucht von Srebrenica nach Tuzla gelang. Zum Glück des Paars gehörte zudem, dass es zwei Töchter hatte, aber keine Söhne. Dennoch, auch Begovic hat durch das Massaker 16 Familienmitglieder verloren, unter ihnen den einzigen Bruder, dessen Gebeine noch immer unentdeckt sind. Begovic gehört dem 1995 gegründeten Verein «Frauen von Srebrenica» an. Die Wände der engen Wohnung, in der der Verein einquartiert ist, sind tapeziert mit den Porträts der Opfer. An jedem 11. Tag im Monat marschieren die Frauen im stummen Protest durch die Strassen von Tuzla, mit sich tragen sie leere Kissenbezüge, bestickt mit den Namen und Jahrgängen der vermissten Opfer. Die Märsche sollen so lange fortgesetzt werden, bis die Überreste aller Vermissten gefunden sind.

Begovic arbeitet in Tuzla, wohnt aber wieder in Srebrenica. Einfach war die Rückkehr nicht. Auch sie begegnet zu Hause jahrein, jahraus jenen serbischen Häschern, die damals muslimische Familien denunzierten, sie auseinanderrissen und die Bustransporte der Frauen und Mädchen nach Tuzla durchführten. Sind die ständigen Begegnungen nicht unerträglich? «Nein», antwortet Begovic mit bestimmtem Ton. «Es ist für mich eine Genugtuung, diese Leute zu sehen, ihnen ins Gesicht zu sagen, was ich von ihnen denke und dass sie hinter Gitter gehörten. Nach dem Krieg galten diese Untiere als Helden der Serbischen Republik. Das hat sich mit der Rückkehr von uns Flüchtlingen geändert. Unsere Präsenz erinnert sie ständig an ihre Taten. Sie schauen nun weg, wenn sie uns auf der Strasse begegnen.»

«Kein Durchgang»

Vor dem Krieg zählten sich rund drei Viertel der damals 37 000 Bewohner der Gemeinde Srebrenica zur muslimischen Volksgruppe. Heute liegt die Einwohnerzahl bei gegen 11 000, und das Verhältnis zwischen Serben und Bosnjaken dürfte etwa hälftig sein. So genau weiss das jedoch niemand; die letzte Volkszählung stammt noch aus Zeiten vor dem Krieg, und die Durchführung eines neuen Zensus erscheint den Politikern als allzu heikel. Die exakte Zahl ändert aber wenig daran, dass es die nach Srebrenica zurückgekehrten Muslime als Demütigung empfinden, nun als Bürger der Republika Srpska zu gelten – jener bosnischen Teilrepublik also, die erst durch den Daytoner Vertrag entstanden ist und die letztlich einer Billigung der serbischen Politik «ethnischer Säuberungen» gleichkommt. Immer wieder ertönt seitens der Opferverbände die Forderung, Srebrenica aufgrund seiner Vergangenheit einen speziellen Status im Staat einzuräumen – eine Forderung, die im ethnisch zerstückelten Land chancenlos bleiben muss.

Srebrenica liegt in einem langen, schmalen Talkessel. Auf beiden Seiten ziehen sich dichte Wälder die Hänge hinauf. An diesem Junitag hängt der Nebel tief, und ein feiner Nieselregen legt sich über das Tal – eine bleierne Stimmung, die dem erstmaligen Besucher als geradezu zwingend erscheint für einen Ort, der vorab als Chiffre für Unmenschlichkeit und Grauen Bekanntheit erlangte. Fast eineinhalb Jahrzehnte nach Kriegsende sind im einstigen Bergwerkstädtchen, das es in früheren Zeiten dank seinen Silberminen zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatte, die Spuren der Zerstörung allgegenwärtig: zerschossene Häuser, vom Kugelhagel perforierte Mauern, verwaiste Weiler und viel zu viele Gräber sowieso. Selbst das niederländische Uno-Bataillon, auf das man hier nicht gut zu sprechen ist, bleibt mancherorts verewigt: «Geen Doorgang» (kein Durchgang) steht in verblichener Farbe auf der rostigen Wand einer Fabrikhalle, in der das «Dutchbat» einst ein Lager hatte. Bitterer Zynismus, wie er dem Blauhelmsoldaten, der die Warnung in dicken Pinselstrichen anbrachte, kaum bewusst sein konnte.

Der Geruch des Todes

Anderen Spuren des Krieges fühlt sich die International Commission on Missing Persons (ICMP) verpflichtet. Die Organisation wurde im Juni 1996 auf Initiative des damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton ins Leben gerufen, am Treffen der G-7-Staaten in Lyon. Zehn Monate zuvor hatten die USA dem Uno-Sicherheitsrat erstmals Satellitenaufnahmen vorgelegt, die auf Greueltaten in der Gegend um Srebrenica hindeuteten. Die Bilder zeigten tiefe Umwälzungen der Erde, zugeschüttet durch schwere Planierraupen, und sie erhärteten die Befürchtung, dass die vielen vermissten Zivilisten aus Srebrenica, von denen jede Spur fehlte, wohl nicht mehr am Leben waren. Die in Bosnien ansässige Organisation wurde in der Folge mit der Ortung und Identifikation der vermissten Personen beauftragt. Was diese Arbeit bedeutet und wie sie riecht, ist im Totenhaus des zur ICMP gehörenden Podrinje Identification Project (PIP) erfahrbar, einem unscheinbaren Barackenbau in einem Aussenquartier Tuzlas.

Instinktiv macht der Besucher einen Schritt zurück, nachdem er in den Kühlraum des PIP getreten ist. Ein abstossender, süsslicher Geruch füllt den Raum, trotz Kälte. Auf beiden Seiten des Lagers stapeln sich über acht Schichten blaue Plasticsäcke, jeder mit einer Nummer versehen, stellvertretend für die Lokalität des Massengrabs, aus dem die Knochen, Gebisse, Kleidungsstücke, Schuhe, persönlichen Utensilien stammen. Nüchtern erklären die Experten der ICMP den üblen Geruch und führen aus, was naturwissenschaftlich abläuft, wenn Leichenteile, die zuvor während Jahren in feuchter Erde verscharrt waren, mit Sauerstoff in Verbindung kommen. In diesem Gebäude werden alle exhumierten Opfer von Srebrenica gelagert und kriminalistisch untersucht. Stimmen die Erbinformationen der Knochen überein mit einem der über 80 000 DNA-Samples, die man in Sarajevo aus Blutproben lebender Familienmitglieder archiviert hat, macht sich ein Mitarbeiter auf den Weg, um die Angehörigen zu informieren.

Direkt gegenüber dem Kühlraum liegt das Autopsiezentrum des PIP. Eine Anthropologin ist dort gerade mit der Untersuchung von Knochenteilen beschäftigt, vor sich hat sie ein fast vollständig erhaltenes Skelett assortiert. «Ein bestmöglicher Fall», wie sie meint. Freigelegt wurden die sterblichen Überreste vor drei Wochen in einem neu entdeckten Massengrab, zusammen mit fünfzehn weiteren Skeletten. Typisch ist der Fall nicht: Denn zur Vertuschung ihrer Massaker hoben die bosnisch-serbischen Täter ab August 1995 zahlreiche Massengräber erneut aus, um die halbverwesten Leichen in neue Gräber zu verlegen. Diese sekundären – und teilweise tertiären – Gräber liegen meist in weiter entfernten Gegenden. Die schweren Maschinen, die bei den Umbettungen eingesetzt wurden, beschädigten nicht nur die Skelette, sie mischten die Gebeine auch heillos durcheinander. Die Zusammenführung und Identifizierung der Leichenteile kommt daher meist einem zeitraubenden forensischen Puzzle gleich. Es gebe Leichen, so die Expertin der ICMP, deren Einzelteile in vier verschiedenen Gräbern freigelegt worden seien.

Grosse Hoffnungen in die 170 Angestellten, die in Bosnien für die ICMP tätig sind und für deren Arbeit angesichts der vielen noch vermuteten Massengräber kein Ende absehbar scheint, setzt Hatidza Mehmedovic. «Der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, weiter in Bosnien herumzureisen und die Überreste meiner Familie zu suchen, damit ich sie endlich begraben kann.» Die gross gewachsene Frau hat in jenen heissen Julitagen des Jahres 1995 den Ehemann, die beiden Söhne (sie waren 13 und 15 Jahre jung), zwei Brüder und vier Neffen verloren. Als sie einige Jahre nach dem Krieg in ihr Familienhaus in Srebrenica zurückkehrte, fand sie dieses besetzt von Serben, die sich weigerten auszuziehen. Die neuen Bewohner erklärten, ihnen sei zugesichert worden, dass sie hier bleiben könnten, dass die vertriebenen Muslime mit Sicherheit nie mehr an diesen Ort zurückkehren würden. «In Bosnien gibt es stets verschiedene Wahrheiten, eine muslimische, eine serbische, eine kroatische und eine der internationalen Organisationen», sagt Mehmedovic. Sie setzte ihre Wahrheit durch – und erstritt sich das Haus zurück.

Tiefsitzendes Misstrauen

Trotz einigen Rückkehrern hängt das Misstrauen zwischen den Volksgruppen weiterhin schwer über dem Talkessel. Die Muslime und die Serben fühlen sich beide auf ihre Art betrogen vom Krieg; Kroaten gibt es derweil – anders als vor dem Krieg – kaum noch im Ort; ihnen sei nur der Strassenkehrer bekannt, erklären Dorfbewohner. Wie tief das Misstrauen sitzt, verdeutlicht eine ältere Muslimin, der wir in Potocari begegnen. Sie bezweifle, schimpft die Frau, die ihren Groll nicht zu verstecken sucht, dass der ehemalige Serbenführer Slobodan Milosevic tatsächlich in Den Haag gestorben sei. Niemand habe den Sarg geöffnet, wahrscheinlich habe man Milosevic einfach laufen lassen. Und falls der Despot doch tot sei, lebe sein Projekt der «ethnischen Säuberung» gleichwohl weiter, in Form der Republika Srpska. «Eine Schande, dass wir unsere Söhne auf einem Gebiet beerdigen müssen, das sich Serbische Republik nennt.»

Es fällt schwer, von einer Reise nach Srebrenica auch einen Funken Hoffnung mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht symbolisiert Advija Ibrahimovic ein wenig Zukunftsglaube. Die junge Muslimin wurde durch den Genozid zur Vollwaise: Die Mutter starb zu Beginn des Kriegs, den Vater entriss man dem damals 11-jährigen Mädchen am 11. Juli 1995 – im vergangenen Jahr wurden in einem sekundären Massengrab erste Überreste von ihm entdeckt. Dank der finanziellen Unterstützung von Opferverbänden konnte Ibrahimovic in Tuzla ein Medizinstudium absolvieren, das sie demnächst mit dem Examen abschliessen wird. Was sie danach als gut ausgebildete junge Frau für Pläne habe? Selbstverständlich werde sie nach Srebrenica zurückkehren, hier sei sie aufgewachsen, hier gehöre sie hin. Die ergrauten einsamen Frauen, die sich um die modisch gekleidete, attraktive Studentin gruppiert haben, applaudieren spontan – und für einen kurzen Augenblick scheint auf ihren Gesichtern so etwas wie Zuversicht erkennbar.

Sonntag, Juli 12, 2009

Harry Manx: Blues, Blues and Blues!

Bring that thing


Take this hammer


Death have mercy

Samstag, Juli 11, 2009

Wall Street Journal: Must Address Oil-Market Volatility

The Wall Street Journal
OPINION EUROPE
JULY 8, 2009

We Must Address Oil-Market Volatility
Erratic price movements in such an important commodity are cause for alarm.

By GORDON BROWN and NICOLAS SARKOZY

For two years the price of oil has been dangerously volatile, seemingly defying the accepted rules of economics. First it rose by more than $80 a barrel, then fell rapidly by more than $100, before doubling to its current level of around $70. In that time, however, there has been no serious interruption of supply. Despite ongoing conflict in the Middle East, oil has continued to flow. And although...



The Wall Street Journal
OPINION EUROPE
JULY 8, 2009

We Must Address Oil-Market Volatility
Erratic price movements in such an important commodity are cause for alarm.

By GORDON BROWN and NICOLAS SARKOZY

For two years the price of oil has been dangerously volatile, seemingly defying the accepted rules of economics. First it rose by more than $80 a barrel, then fell rapidly by more than $100, before doubling to its current level of around $70. In that time, however, there has been no serious interruption of supply. Despite ongoing conflict in the Middle East, oil has continued to flow. And although the recession and price rises have had some effect on consumption, medium-term forecasts for demand are robust.

The oil market is complex, but such erratic price movement in one of the world's most crucial commodities is a growing cause for alarm. The surge in prices last year gravely damaged the global economy and contributed to the downturn. The risk now is that a new period of instability could undermine confidence just as we are pushing for recovery.

Governments can no longer stand idle. Volatility damages both consumers and producers. Those who rely on oil and have no substitutes readily available have been the victims of extreme price fluctuations beyond their control -- and apparently beyond reason. Importing countries, especially in the developing world, find themselves committed to big subsidies to shield domestic consumers from potentially devastating price shifts.

In Britain and France we also know how the price of crude dictates the price of petrol at filling stations and the effect on families and businesses. For countries heavily reliant on income from oil exports, the windfalls from brief price surges are offset by the consequent difficulties of planning national budgets and investment strategies.

Extreme fluctuations in price are encouraging energy users to reconsider their reliance on oil. The International Energy Agency, for instance, has cut its long-term forecast of oil consumption by almost a quarter. Producers are in danger of finding that their key national resource loses both its market and its long-term value.

More immediately, we as consumers must recognize that abnormally low oil prices, while giving short-term benefits, do long-term damage. They diminish incentives to invest, not only in oil production but also, in our own countries, in energy savings and carbon-free alternatives. As such, future problems are stored up in the form of shortages, greater dependence and an acceleration of global warming. Upstream investment worldwide is already down by 20% over the past year. And with some sources of supply in decline, such as Alaska and the North Sea, the resource we will all need as the economy recovers is being developed in neither an adequate nor a timely way.

There are no easy solutions and any progress must be made with the full co-operation of the world community and the oil industry. On Monday we used the U.K.-France summit in Evian to explore a way forward. We hope our ideas inform meetings both today, at the Group of Eight Summit in Italy, and in future talks between world leaders.

We are committed to intensifying the ongoing dialogue between producers and consumers through the International Energy Forum. Saudi Arabia and OPEC have expressed interest in this and we believe producers and consumers are closer now than at any time in the past 30 years to recognizing the huge common interest in giving clear and stable perspectives to long-term investment.

At the London Energy Meeting last December, all participants agreed that still closer co-ordination between the IEA, OPEC and the IEF was necessary to develop a shared analysis of future demand and supply trends. The Expert Group of the IEF should use this work to arrive at a common long-term view on what price range would be consistent with the fundamentals.

The experts should also consider any measures that could be put in place to reduce volatility. Discussions should look again into the question of whether trading activity is amplifying erratic price movements.

We therefore call upon the International Organization of Securities Regulators to consider improving transparency and supervision of the oil futures markets to reduce damaging speculation and to take forward the recommendations already made by its taskforce in March. This would serve the interests of orderly and adequate investment in future supplies. Volatility and opacity are the enemies of growth. In the absence of transparency, consumers and importing nations are losing confidence in oil. Climate change is also altering government attitudes to energy.

The world's economy is still reliant on secure supplies at prices that are not so high as to destroy the prospects of economic growth but not so low as to lead to a slump in investment, as happened in the 1990s.

It is a thorny issue, but complex markets need not be volatile or damaging to the wider global economy. We are convinced that producers and consumers alike would benefit from greater transparency, greater stability and greater consensus on the market fundamentals. After two years of destructive volatility the time has come for both sides to work together to build on this common interest.

Mr. Brown is prime minister of the United Kingdom. Mr. Sarkozy is president of France.

Freitag, Juli 10, 2009

TA: Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg

Tages Anzeiger 08.07.09
Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg
Von Christof Münger.

Beim Wettlauf zum Mond ging es den USA wie der Sowjetunion nur vordergründig um die Entdeckung des Alls. Wichtiger waren der propagandistische und der technologische Erfolg.

Diese Gelegenheit liess sich US-Präsident Richard Nixon nicht entgehen. Nach 1968, dem amerikanischen Annus horribilis mit der kommunistischen Tet-Offensive in Vietnam, den Antikriegsdemonstrationen und den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy, gab es endlich wieder Good News. Mit Apollo 11 war die erste Mondlandung geglückt, und die Helden Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin waren unversehrt auf die Erde zurückgekehrt. Um sie zu empfangen, flog Nixon am 24. Juli 1969 auf die USS Hornet. Der amerikanische....


Tages Anzeiger 08.07.09
Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg
Von Christof Münger.

Beim Wettlauf zum Mond ging es den USA wie der Sowjetunion nur vordergründig um die Entdeckung des Alls. Wichtiger waren der propagandistische und der technologische Erfolg.

Diese Gelegenheit liess sich US-Präsident Richard Nixon nicht entgehen. Nach 1968, dem amerikanischen Annus horribilis mit der kommunistischen Tet-Offensive in Vietnam, den Antikriegsdemonstrationen und den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy, gab es endlich wieder Good News. Mit Apollo 11 war die erste Mondlandung geglückt, und die Helden Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin waren unversehrt auf die Erde zurückgekehrt. Um sie zu empfangen, flog Nixon am 24. Juli 1969 auf die USS Hornet. Der amerikanische Flugzeugträger kreuzte südwestlich von Hawaii, nur 12 Seemeilen vom Schiff entfernt war die Mondkapsel im Pazifik gelandet.

Nixon durfte den Helden allerdings nicht die Hand schütteln. Aus Angst, sie könnten gefährliche Bakterien vom Mond eingeschleppt haben, mussten sie 21 Tage in die Quarantäne. Nixon gratulierte via Mikrofon und getrennt durch eine Glasscheibe. Er wusste um die Bedeutung des Erfolgs, in dem auch er sich sonnen konnte.

Nun war der Mond amerikanisch


«Über hundert Regierungen, Kaiser, Präsidenten, Premierminister und Könige haben uns die freundlichsten Botschaften gesandt, die wir je erhalten haben», so Nixon auf der Hornet. Erstmals hatten die Amerikaner beim Wettlauf ins Weltall, im sogenannten Space Race, die Nase vorn, die Sowjetunion geschlagen und die ganz grosse Trophäe geholt: Der Mond war nun amerikanisch. Und vor allem: Jedes Schulkind wusste es. «Über zwei Milliarden Menschen dieser Erde hatten dank dem TV die Möglichkeit, zu sehen, was ihr erreicht habt», sagte Nixon seinen Helden.

Der amerikanische Triumph war umso grösser, als ihm eine schmachvolle Niederlage vorausgegangen war. Zwölf Jahre früher, am 4. Oktober 1957, hatten die Sowjets Sputnik 1 ins All geschossen. Der Signalton des ersten Satelliten ging ebenfalls um die Welt. Doch das schnelle «piep, piep, piep» wirkte nun, 1969, wie aus einem andern Zeitalter, verglichen mit den weltweit ausgestrahlten Livebildern und -tönen von Neil Armstrong und seinem «gigantischen Sprung für die Menschheit».

In jenem andern Zeitalter hatten die Sowjets Erfolg an Erfolg gereiht, derweil die Amerikaner scheiterten. Sie hatten zwar 1958 die Weltraumbehörde Nasa gegründet. Die amerikanische Antwort auf den Sputnik, die Trägerrakete Vanguard, gedacht für den Transport des ersten US-Satelliten in die Erdumlaufbahn, explodierte jedoch auf der Startrampe. Und während die sowjetischen Hunde Strelka und Belka 1960 nach ihrer Rückkehr aus dem Weltall munter bellten und später Junge bekamen, überlebten die von den USA verwendeten Affen ihren Kurzflug nicht oder nur kurz. Als am 12. April 1961 der Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch die Erde umrundete und sicher landete, brach im Ostblock definitiv das Weltraumfieber aus.

New York im Visier der Atombombe


In den USA und im Westen herrschten Tristesse und Selbstzweifel. Nicht nur wegen des Propagandaerfolgs des kommunistischen Imperiums, sondern auch wegen sicherheitspolitischer Sorgen: Die Sowjets konnten mit der R-7, der ersten Interkontinentalrakete, nicht nur einen Satelliten, einen Hund oder einen Gagarin ins All befördern, sonden auch eine Atombombe auf New York schiessen. Amerika war nicht mehr unverwundbar.

Der Wettlauf zum Mond wurde zur Disziplin im Mehrkampf des Wettrüstens. Gestartet hat das Rennen John F. Kennedy. Sein Widersacher, Kreml-Führer Nikita Chruschtschow, strotzte vor Selbstbewusstsein und prahlte, die Sowjetunion produziere «Raketen wie Würste». Mit seiner «Sputnikdiplomatie» löste er in Berlin und Kuba die gefährlichsten Krisen des Kalten Krieges aus. Und ständig rieb er Kennedy seine Erfolge unter die Nase. So schenkte er der Präsidententochter einen der Welpen, die Weltraumfahrerin Strelka nach ihrer Rückkehr geworfen hatte. Das Geschenk dürfte Caroline mehr gefreut haben als ihren Vater.

Kennedys Versprechen

Kennedy reagierte am 25. Mai 1961, als er vor dem US-Kongress ankündigte, die USA würden noch «vor Ende des Jahrzehnts einen Mann auf den Mond und wieder sicher zur Erde zurückbringen». Dabei ging es um den Aufbau von «nationalem Prestige», wie Verteidigungsminister Robert McNamara und Nasa-Direktor James Webb nahelegten. Was eignete sich dazu besser als ein Flug zum Mond? «Kein einziges Raumprojekt wird eindrücklicher sein für die Menschheit», so Kennedy.

Wie manche dramatische Rede wirkte auch jene Kennedys so entschlossen wie verzweifelt. Er riskierte viel, um der zunehmenden Angst in Amerika entgegenzutreten, zumal der kommunistische Gegner kurz zuvor weiteren Auftrieb erhalten hatte wegen der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht. Gleichzeitig weckte Kennedy jenen Pioniergeist, den er stets gefordert hatte. Fortan scheuten die USA keinen Aufwand mehr, um zu «neuen Grenzen» aufzubrechen. Erst recht nicht nach Kennedys Ermordung 1963, welche dem Projekt Mondlandung eine beinahe heilige Aura verlieh.

Die Milliarden flossen reichlich


Die Nasa arbeitete auf Hochtouren, die Deadline war sakrosankt. Bevor Apollo 11 auf dem Mond aufsetzte, gab es 33 Flüge mit 59 Astronauten, wobei einzelne mehrmals dabei waren. Geld spielte keine Rolle: Das Apollo-Programm verschlang 25 Milliarden Dollar, die beiden Vorläufer, Mercury und Gemini, 393 Millionen und 1,3 Milliarden. Die grossen Aufträge erhielten die damals wichtigsten amerikanischen Rüstungsfirmen, Rockwell, Grumman und Boeing. Obwohl Rückschläge nicht ausblieben – 1967 verbrannten bei einem Bodentest drei Astronauten – wurde die Nasa zum Sinnbild für ein Land des unbegrenzten Fortschritts.

Die Sowjets gerieten ins Hintertreffen. Vor allem gelang es ihnen nicht, eine für die bemannte Raumfahrt geeignete Trägerrakete zu entwickeln. 1966 setzte die unbemannte Sonde Luna 9 im Oceanus Procellarum auf, im Ozean der Stürme. Es war die erste weiche Landung auf dem Mond. Kurz vor dem Start von Apollo 11 befürchteten die Amerikaner, Luna 15 könnte die rote Fahne mit Hammer und Sichel zum Mond bringen, noch bevor dort das Sternenbanner stehe. Luna 15 startete drei Tage vor Apollo 11. Beim Versuch, am 21. Juli 1969 zu landen, schlug sie jedoch hart auf und zerschellte vor den Augen der Apollo-11-Besatzung. So konnte Richard Nixon als Ernte einfahren, was John F. Kennedy gesät hatte.

Der Kalte Krieg verhinderte, dass Astronauten und Kosmonauten, Nasa und sowjetische Raumfahrtbehörde zusammenarbeiteten. Einzige Ausnahme war die Apollo-Sojus-Mission im Jahr 1975, als sich die Supermächte auf eine Entspannung einliessen. Als in den 80er-Jahren US-Präsident Ronald Reagan den Kalten Krieg im Weltall mit der SDI (Strategic Defense Initiative) entscheiden wollte, einem Schutzschild gegen Interkontinentalraketen, läuteten in Moskau die Alarmglocken. Man befürchtete einen ähnlichen Wettlauf wie in den 60er-Jahren. Deshalb bot 1986 Regierungschef Michael Gorbatschow beim Gipfel in Reykjavik Reagan an, das sowjetische Raketenarsenal drastisch abzubauen, falls die Amerikaner SDI aufgäben.

Nach Apollo schien alles machbar

Offensichtlich fürchtete man in Moskau das Potenzial der USA. Seit dem erfolgreichen Apollo-Programm waren die Amerikaner glaubwürdig, wenn sie sagten, etwas sei technologisch machbar. Reagan nutzte dies aus, lehnte Gorbatschows Angebot ab und hielt den Druck aufrecht. Mit dem Ende des Kalten Kriegs verlor SDI ihre Bedeutung. Der umstrittene Raketenschild, den die USA derzeit in Osteuropa errichten wollen, ist nur eine sehr abgespeckte Version von SDI.

Bis heute ist die geheime militärische Spitzentechnologie das Rückgrat der Weltraumtechnik. Deshalb arbeiten die USA und Russland auch jetzt nur beschränkt zusammen, obwohl dies die immensen Kosten der Raumfahrt vermindern könnte. Dass dennoch ein neues Zeitalter begonnen hat, zeigt die gemeinsame internationale Weltraumstation ISS. Seit 1998 ist sie im Bau und soll 2011 fertig sein.

(Tages-Anzeiger)

Montag, Juli 06, 2009

Johann Pachelbel - Canon in D Major

Sonntag, Juli 05, 2009

Financial Times: Iraqis are too shrewd to fall for an ‘invisible’ occupation

Iraqis are too shrewd to fall for an ‘invisible’ occupation
Financial Times, 01 Jul 2009
By Priya Satia

We are at the beginning of the end. On Tuesday, US troops left Iraq’s cities, and in two years they will leave the country. Or so the official story goes. In reality, most of the “withdrawing” forces are merely relocating to forward operating bases where they appear to be hunkering down for a long entr’acte offstage in expensive, built-to-last facilities.

Still, Nouri al-Maliki, the prime minister, is touting this redistribution of American power as a “great victory” against foreign occupation, akin to the Iraqi rebellion against the British in 1920. The US media appear bemused...


Iraqis are too shrewd to fall for an ‘invisible’ occupation
Financial Times, 01 Jul 2009
By Priya Satia

We are at the beginning of the end. On Tuesday, US troops left Iraq’s cities, and in two years they will leave the country. Or so the official story goes. In reality, most of the “withdrawing” forces are merely relocating to forward operating bases where they appear to be hunkering down for a long entr’acte offstage in expensive, built-to-last facilities.

Still, Nouri al-Maliki, the prime minister, is touting this redistribution of American power as a “great victory” against foreign occupation, akin to the Iraqi rebellion against the British in 1920. The US media appear bemused at the comparison, as they continue to miss the point of the Iraqi insurgency. But Mr al-Maliki is more right than he knows about the historical echo: 1920 turned out to be a sad year for Iraq, as the brutal British suppression of that uprising inaugurated four decades of British rule, lasting until the 1958 Iraqi revolution.

Today, too, victory is tinged with fraud. And the Fallujah bombers – the “patriotic resistance” – know it. Mr al-Maliki may claim US participation in maintaining public order is “finished”, but everyone knows public order depends on Iraqi awareness of the offstage presence of US troops.

US operations will be suspended for a few days to promote the perception that Iraqi forces are actually in control; Ali al-Adeeb, a senior leader of Mr al-Maliki’s Dawa party, says the Americans will become “invisible”.

But Iraqis are too shrewd to fall for invisible occupation again; indeed, they never fell for it the first time. Tuesday’s withdrawals echo the cynical British grant of “independence” in 1932 more than Mr al-Maliki’s selective memory of 1920. Then, too, the foreign occupiers co-operated in the local government’s efforts to create an impression of sovereignty, while continuing to pull the strings of real authority behind the scenes. Then, too, Iraqis saw through the ruse. The celebrations of 1932 rang hollow as British aircraft continued to patrol overhead and British personnel were renamed advisors, trainers, liaisons – “the same individuals with new and supposedly thicker cloaks”, one British official confessed. Today, too, the thousands of troops that will remain in Iraq will be restyled as “trainers” and “advisers”; American aircraft will retain their free hand. Moreover, the Iraqi and US governments’ focus on appearances has increased their need for secrecy about the true number and nature of the withdrawals, compounding suspicions of foul play.

Iraqis worry equally about the loyalty of Iraqi security forces, who will remain under the sway of thousands of embedded US “trainers”. Their takeover of the violent security work of the former occupiers also renders them suspect.

In sermons last week, Moqtada al-Sadr, the firebrand cleric, warned of American loyalists in the military and government. Echoing 1920s and 1930s speculation that violence was the result of British machinations, he blames recent explosions on an American conspiracy to justify the US presence. His sermons inspired marches in Sadr City with shouts of, “No, no to America. No, no to occupation. No, no to terrorism. Yes for independence”. The current withdrawals are not seen as a step toward independence but to more covert and thus even more unaccountably violent American control – like the post-1932 British period.

American officials should heed the cautionary tale of the past, unwittingly invoked by Mr al-Maliki’s bluster. As the British ambassador in “independent” Iraq realised too late, Iraqis “never swallowed the fiction that [the advisers] are maintained as much, more even, for their good than for ours”. Independence remained a mirage as British trainers refused to entrust critical elements of Iraqi security to their trainees for fear of compromising British security. Security itself remained a pipe dream. As the isolated trainers grew increasingly susceptible to a paranoid groupthink about Iraqi politics, it became impossible for them to accept real withdrawal. The fortifications that protect US trainers from their trainees threaten to create a similar bubble.

In 1932 as now, rhetoric about withdrawal was aimed at global as much as Iraqi opinion. Instead of attending only to appearances, stoking the fears of a people familiar with nominal independence, the US and Iraqi governments should deliver the reality Iraqis and Americans want: “Yes for independence.”

The writer is assistant professor of history at Stanford University and author of Spies in Arabia

Freitag, Juli 03, 2009

Welt: Paulus-Grab: Einwände der Wissenschaftler

"Welt" Online
Paulus-Grab: Einwände der Wissenschaftler

1. Juli 2009, 04:00 Uhr

Die Bekanntgabe von Papst Benedikt XVI., man habe in Rom Grab und womöglich Leiche des Apostels Paulus gefunden, wird in der Fachwelt verhalten aufgenommen. So ist eine eindeutige Identifizierung des Missionars und Märtyrers nach Angaben des Archäologen Rengert Elburg ausgeschlossen. Eine Genanalyse der Knochen in dem Sarkophag habe mangels Nachfahren und damit DNA-Material zum Vergleich keinen Sinn, sagte der Spezialist für organische Reste im sächsischen Landesamt für Archäologie in Dresden. "Die Knochen können aber Auskunft über Geschlecht und Sterbealter geben." Da der Apostel enthauptet worden sein soll, müsste....


"Welt" Online
Paulus-Grab: Einwände der Wissenschaftler

1. Juli 2009, 04:00 Uhr

Die Bekanntgabe von Papst Benedikt XVI., man habe in Rom Grab und womöglich Leiche des Apostels Paulus gefunden, wird in der Fachwelt verhalten aufgenommen. So ist eine eindeutige Identifizierung des Missionars und Märtyrers nach Angaben des Archäologen Rengert Elburg ausgeschlossen. Eine Genanalyse der Knochen in dem Sarkophag habe mangels Nachfahren und damit DNA-Material zum Vergleich keinen Sinn, sagte der Spezialist für organische Reste im sächsischen Landesamt für Archäologie in Dresden. "Die Knochen können aber Auskunft über Geschlecht und Sterbealter geben." Da der Apostel enthauptet worden sein soll, müsste es entsprechende Spuren geben. Elburg mahnte bei einer Öffnung des Sarkophags zur absoluten Sorgfalt. "Das ist vergleichbar mit der Öffnung des Pharaonengrabes."

Auch Carola Jäggi, Professorin für Christliche Archäologie an der Universität Erlangen, meldet Zweifel an: "Dass in einem Sarg Knochen liegen, gehört sich für ein Grab", sagte die evangelische Theologen der "Nürnberger Zeitung". Es gebe jedoch keine Möglichkeit, sie als Überreste des Heiligen Paulus zu identifizieren. Jäggi warnte vor Wunschdenken. Die Geschichte des Reliquienkultes kenne viele Fälschungen. Bei den Apostelfürsten Petrus und Paulus habe der Kult um die Grabstätten erst um 200 eingesetzt, rund 140 Jahre nach ihrem Tod. Erst seit diesem Zeitpunkt seien aus Verehrungsbedürfnis heraus Bestattungsorte lokalisiert worden. "Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob das tatsächlich das Grab war." Die Knochenreste in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern werden ins 2. Jahrhundert datiert.

Der Reliquien-Kult sei kein Auslaufmodell, erklärte der Kölner Heiligen-Forscher Manfred Becker-Huberti. "Bis heute hat in der ganzen Welt jeder Altar in einer katholischen Kirche ihre Reliquie." DW

Donnerstag, Juli 02, 2009

NZZ: Rauchen schädigt auch das Ohr

1. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Rauchen schädigt auch das Ohr
Eine Untersuchung zu einer wenig bekannten Auswirkung der Nikotinsucht

Rauchen ist nicht nur der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs, sondern führt neben anderem auch im Ohr zu unerwünschten Veränderungen. Dies zeigt eine Studie, bei der Ohr-Operationen untersucht wurden. Raucher schnitten dabei schlechter ab als Nichtraucher.

Ronald D. Gerste

Der Einfluss von Zigarettenrauch auf die Schleimhaut...



1. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Rauchen schädigt auch das Ohr
Eine Untersuchung zu einer wenig bekannten Auswirkung der Nikotinsucht

Rauchen ist nicht nur der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs, sondern führt neben anderem auch im Ohr zu unerwünschten Veränderungen. Dies zeigt eine Studie, bei der Ohr-Operationen untersucht wurden. Raucher schnitten dabei schlechter ab als Nichtraucher.

Ronald D. Gerste

Der Einfluss von Zigarettenrauch auf die Schleimhaut des Mittel- und Innenohrs ist ähnlich dem an den Bronchien, wie mehrere Untersuchungen gezeigt haben. Tabakrauch kann an beiden Orten die Zellen zur Absonderung von verändertem, schwer abtransportierbarem Sekret bringen, was zu einer Verstopfung der «Tuba Eustachii» führen kann. Diese rund 35 Millimeter lange feine Röhre stellt die Verbindung zwischen dem Hörorgan und dem Rachenraum dar, durch den der Rauch inhaliert wird. Die im Zigarettenrauch enthaltenen Substanzen wie Formaldehyd, Blausäure, Acrolein, Acetaldehyd und Phenole beeinträchtigen zudem die kleinen Flimmerhärchen auf den Schleimhautzellen. Dies behindert den für die Säuberung wichtigen Materialtransport zwischen Ohr und Rachen zusätzlich. Darüber hinaus schädigt der Zigarettenrauch noch eine weitere Funktion gesunder Zellen: ihre Fähigkeit, eingedrungene Mikroorganismen durch Einverleibung unschädlich zu machen. Dies fördert das Bakterienwachstum und damit die Entstehung von Infektionen im Ohr.

Hypothese bestätigt

Es erstaunt daher nicht, dass in Fachkreisen schon länger die Hypothese kursiert, wonach Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern schwerwiegendere Krankheiten im Hörorgan aufweisen und operative Eingriffe am Ohr bei ihnen zu schlechteren Ergebnissen führen. Eine Arbeitsgruppe aus mehreren amerikanischen Hals-Nasen-Ohren-Kliniken hat diese Annahme nun in einer grossen retrospektiven Untersuchung bestätigt.¹ Wie die Wissenschafter unter der Leitung von David M. Kaylie von der Duke University in North Carolina schreiben, handelt es sich dabei um den ersten derartigen Vergleich zwischen Rauchern, Nichtrauchern und ehemaligen Rauchern. Ausgewertet haben die Forscher 1531 Mittelohr-Operationen an 1183 Patienten, die über einen Zeitraum von fast 15 Jahren an den beteiligten Kliniken durchgeführt worden waren; 12 Monate war dabei das Minimum an Nachbeobachtungszeit.

Die Probanden – annähernd gleich viele Männer wie Frauen – waren im Schnitt 34 Jahre alt. Das Krankheitsbild, das zur Operation am Ohr geführt hatte, war durch alle Gruppen hindurch mit rund 70 Prozent am häufigsten eine Perforation des Trommelfells. Sogenannte Cholesteatome jedoch, eine Horngeschwulst im Mittelohr, die häufig chronisch-eitrige Entzündungen nach sich ziehen und operativ schwierig zu behandeln sind, waren bei den Rauchern mit 23 Prozent und ehemaligen Rauchern mit 21 Prozent signifikant häufiger als bei den Nichtrauchern (16 Prozent). Ausfluss aus dem Ohr war ebenfalls bei Rauchern und Ex-Rauchern mit 29 beziehungsweise 30 Prozent häufiger als bei Nichtrauchern (24 Prozent).

Das oft schwerere Krankheitsbild bei Rauchern führte dazu, dass diese nicht selten einen umfassenderen chirurgischen Eingriff benötigten. So war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit für eine Rekonstruktion der Gehörknöchelchen erhöht, wie Kaylie und seine Kollegen schreiben. Dies sei unabhängig davon gewesen, ob eine operative Ausräumung des Warzenfortsatzes am Schläfenbein (Mastoidektomie) oder nur eine Rekonstruktion des Trommelfells (Tympanoplastik) habe vorgenommen werden müssen. Ausserdem sei in der Studie die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Eingriffs bei den Rauchern deutlich höher gewesen als bei den Nichtrauchern.

Auch bei den postoperativ durchgeführten Hörtests – von der Reintonaudiometrie in Luft- und Knochenleitung bis zur Hörweitenprüfung und zum Sprachverstehen – schnitten die Raucher schlechter ab. Ferner erlitten sie auch häufiger Komplikationen wie die Bildung von Fisteln oder die Abstossung des Transplantats nach einer Trommelfellrekonstruktion. Dies wird im Zusammenhang mit Wundheilungsstörungen gesehen, die durch die im Zigarettenrauch enthaltenen Schadstoffe begünstigt werden.

Erholung nach dem Rauchstopp

Was die Studie ebenfalls zeigt: Auch für das Hörorgan bringt ein Rauchstopp relativ rasch Verbesserungen. So hatten diejenigen Studienteilnehmer, deren letzte Zigarette mindestens fünf Jahre zurücklag, keine schwereren Erkrankungen im Mittel- oder Innenohr als Nichtraucher. Auch die Erfolgsaussichten bei einer Operation am Ohr waren bei ihnen nicht schlechter. Ähnliche prognostische Verbesserungen bringt der langfristige Verzicht auf das Rauchen auch für andere Organe. So sinkt etwa das Sterberisiko infolge eines Herzinfarkts in den ersten zwei Jahren nach dem Aufhören um 50 Prozent. Weniger schnell geht es beim Lungenkrebs. Bei einem jahrelangen starken Raucher verharrt das Erkrankungsrisiko auch nach dem Aufhören noch während vier Jahren auf einem knapp 20-fach erhöhten Niveau, bevor es langsam zu sinken beginnt. Nach zwanzig Jahren Abstinenz ist das Lungenkrebsrisiko noch doppelt so hoch wie bei jemandem, der nie geraucht hat.


¹ Laryngoscope 119, 1384–1390 (2009).