Freitag, Juli 10, 2009

TA: Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg

Tages Anzeiger 08.07.09
Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg
Von Christof Münger.

Beim Wettlauf zum Mond ging es den USA wie der Sowjetunion nur vordergründig um die Entdeckung des Alls. Wichtiger waren der propagandistische und der technologische Erfolg.

Diese Gelegenheit liess sich US-Präsident Richard Nixon nicht entgehen. Nach 1968, dem amerikanischen Annus horribilis mit der kommunistischen Tet-Offensive in Vietnam, den Antikriegsdemonstrationen und den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy, gab es endlich wieder Good News. Mit Apollo 11 war die erste Mondlandung geglückt, und die Helden Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin waren unversehrt auf die Erde zurückgekehrt. Um sie zu empfangen, flog Nixon am 24. Juli 1969 auf die USS Hornet. Der amerikanische....


Tages Anzeiger 08.07.09
Der Mond, die grosse Trophäe im Kalten Krieg
Von Christof Münger.

Beim Wettlauf zum Mond ging es den USA wie der Sowjetunion nur vordergründig um die Entdeckung des Alls. Wichtiger waren der propagandistische und der technologische Erfolg.

Diese Gelegenheit liess sich US-Präsident Richard Nixon nicht entgehen. Nach 1968, dem amerikanischen Annus horribilis mit der kommunistischen Tet-Offensive in Vietnam, den Antikriegsdemonstrationen und den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy, gab es endlich wieder Good News. Mit Apollo 11 war die erste Mondlandung geglückt, und die Helden Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin waren unversehrt auf die Erde zurückgekehrt. Um sie zu empfangen, flog Nixon am 24. Juli 1969 auf die USS Hornet. Der amerikanische Flugzeugträger kreuzte südwestlich von Hawaii, nur 12 Seemeilen vom Schiff entfernt war die Mondkapsel im Pazifik gelandet.

Nixon durfte den Helden allerdings nicht die Hand schütteln. Aus Angst, sie könnten gefährliche Bakterien vom Mond eingeschleppt haben, mussten sie 21 Tage in die Quarantäne. Nixon gratulierte via Mikrofon und getrennt durch eine Glasscheibe. Er wusste um die Bedeutung des Erfolgs, in dem auch er sich sonnen konnte.

Nun war der Mond amerikanisch


«Über hundert Regierungen, Kaiser, Präsidenten, Premierminister und Könige haben uns die freundlichsten Botschaften gesandt, die wir je erhalten haben», so Nixon auf der Hornet. Erstmals hatten die Amerikaner beim Wettlauf ins Weltall, im sogenannten Space Race, die Nase vorn, die Sowjetunion geschlagen und die ganz grosse Trophäe geholt: Der Mond war nun amerikanisch. Und vor allem: Jedes Schulkind wusste es. «Über zwei Milliarden Menschen dieser Erde hatten dank dem TV die Möglichkeit, zu sehen, was ihr erreicht habt», sagte Nixon seinen Helden.

Der amerikanische Triumph war umso grösser, als ihm eine schmachvolle Niederlage vorausgegangen war. Zwölf Jahre früher, am 4. Oktober 1957, hatten die Sowjets Sputnik 1 ins All geschossen. Der Signalton des ersten Satelliten ging ebenfalls um die Welt. Doch das schnelle «piep, piep, piep» wirkte nun, 1969, wie aus einem andern Zeitalter, verglichen mit den weltweit ausgestrahlten Livebildern und -tönen von Neil Armstrong und seinem «gigantischen Sprung für die Menschheit».

In jenem andern Zeitalter hatten die Sowjets Erfolg an Erfolg gereiht, derweil die Amerikaner scheiterten. Sie hatten zwar 1958 die Weltraumbehörde Nasa gegründet. Die amerikanische Antwort auf den Sputnik, die Trägerrakete Vanguard, gedacht für den Transport des ersten US-Satelliten in die Erdumlaufbahn, explodierte jedoch auf der Startrampe. Und während die sowjetischen Hunde Strelka und Belka 1960 nach ihrer Rückkehr aus dem Weltall munter bellten und später Junge bekamen, überlebten die von den USA verwendeten Affen ihren Kurzflug nicht oder nur kurz. Als am 12. April 1961 der Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch die Erde umrundete und sicher landete, brach im Ostblock definitiv das Weltraumfieber aus.

New York im Visier der Atombombe


In den USA und im Westen herrschten Tristesse und Selbstzweifel. Nicht nur wegen des Propagandaerfolgs des kommunistischen Imperiums, sondern auch wegen sicherheitspolitischer Sorgen: Die Sowjets konnten mit der R-7, der ersten Interkontinentalrakete, nicht nur einen Satelliten, einen Hund oder einen Gagarin ins All befördern, sonden auch eine Atombombe auf New York schiessen. Amerika war nicht mehr unverwundbar.

Der Wettlauf zum Mond wurde zur Disziplin im Mehrkampf des Wettrüstens. Gestartet hat das Rennen John F. Kennedy. Sein Widersacher, Kreml-Führer Nikita Chruschtschow, strotzte vor Selbstbewusstsein und prahlte, die Sowjetunion produziere «Raketen wie Würste». Mit seiner «Sputnikdiplomatie» löste er in Berlin und Kuba die gefährlichsten Krisen des Kalten Krieges aus. Und ständig rieb er Kennedy seine Erfolge unter die Nase. So schenkte er der Präsidententochter einen der Welpen, die Weltraumfahrerin Strelka nach ihrer Rückkehr geworfen hatte. Das Geschenk dürfte Caroline mehr gefreut haben als ihren Vater.

Kennedys Versprechen

Kennedy reagierte am 25. Mai 1961, als er vor dem US-Kongress ankündigte, die USA würden noch «vor Ende des Jahrzehnts einen Mann auf den Mond und wieder sicher zur Erde zurückbringen». Dabei ging es um den Aufbau von «nationalem Prestige», wie Verteidigungsminister Robert McNamara und Nasa-Direktor James Webb nahelegten. Was eignete sich dazu besser als ein Flug zum Mond? «Kein einziges Raumprojekt wird eindrücklicher sein für die Menschheit», so Kennedy.

Wie manche dramatische Rede wirkte auch jene Kennedys so entschlossen wie verzweifelt. Er riskierte viel, um der zunehmenden Angst in Amerika entgegenzutreten, zumal der kommunistische Gegner kurz zuvor weiteren Auftrieb erhalten hatte wegen der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht. Gleichzeitig weckte Kennedy jenen Pioniergeist, den er stets gefordert hatte. Fortan scheuten die USA keinen Aufwand mehr, um zu «neuen Grenzen» aufzubrechen. Erst recht nicht nach Kennedys Ermordung 1963, welche dem Projekt Mondlandung eine beinahe heilige Aura verlieh.

Die Milliarden flossen reichlich


Die Nasa arbeitete auf Hochtouren, die Deadline war sakrosankt. Bevor Apollo 11 auf dem Mond aufsetzte, gab es 33 Flüge mit 59 Astronauten, wobei einzelne mehrmals dabei waren. Geld spielte keine Rolle: Das Apollo-Programm verschlang 25 Milliarden Dollar, die beiden Vorläufer, Mercury und Gemini, 393 Millionen und 1,3 Milliarden. Die grossen Aufträge erhielten die damals wichtigsten amerikanischen Rüstungsfirmen, Rockwell, Grumman und Boeing. Obwohl Rückschläge nicht ausblieben – 1967 verbrannten bei einem Bodentest drei Astronauten – wurde die Nasa zum Sinnbild für ein Land des unbegrenzten Fortschritts.

Die Sowjets gerieten ins Hintertreffen. Vor allem gelang es ihnen nicht, eine für die bemannte Raumfahrt geeignete Trägerrakete zu entwickeln. 1966 setzte die unbemannte Sonde Luna 9 im Oceanus Procellarum auf, im Ozean der Stürme. Es war die erste weiche Landung auf dem Mond. Kurz vor dem Start von Apollo 11 befürchteten die Amerikaner, Luna 15 könnte die rote Fahne mit Hammer und Sichel zum Mond bringen, noch bevor dort das Sternenbanner stehe. Luna 15 startete drei Tage vor Apollo 11. Beim Versuch, am 21. Juli 1969 zu landen, schlug sie jedoch hart auf und zerschellte vor den Augen der Apollo-11-Besatzung. So konnte Richard Nixon als Ernte einfahren, was John F. Kennedy gesät hatte.

Der Kalte Krieg verhinderte, dass Astronauten und Kosmonauten, Nasa und sowjetische Raumfahrtbehörde zusammenarbeiteten. Einzige Ausnahme war die Apollo-Sojus-Mission im Jahr 1975, als sich die Supermächte auf eine Entspannung einliessen. Als in den 80er-Jahren US-Präsident Ronald Reagan den Kalten Krieg im Weltall mit der SDI (Strategic Defense Initiative) entscheiden wollte, einem Schutzschild gegen Interkontinentalraketen, läuteten in Moskau die Alarmglocken. Man befürchtete einen ähnlichen Wettlauf wie in den 60er-Jahren. Deshalb bot 1986 Regierungschef Michael Gorbatschow beim Gipfel in Reykjavik Reagan an, das sowjetische Raketenarsenal drastisch abzubauen, falls die Amerikaner SDI aufgäben.

Nach Apollo schien alles machbar

Offensichtlich fürchtete man in Moskau das Potenzial der USA. Seit dem erfolgreichen Apollo-Programm waren die Amerikaner glaubwürdig, wenn sie sagten, etwas sei technologisch machbar. Reagan nutzte dies aus, lehnte Gorbatschows Angebot ab und hielt den Druck aufrecht. Mit dem Ende des Kalten Kriegs verlor SDI ihre Bedeutung. Der umstrittene Raketenschild, den die USA derzeit in Osteuropa errichten wollen, ist nur eine sehr abgespeckte Version von SDI.

Bis heute ist die geheime militärische Spitzentechnologie das Rückgrat der Weltraumtechnik. Deshalb arbeiten die USA und Russland auch jetzt nur beschränkt zusammen, obwohl dies die immensen Kosten der Raumfahrt vermindern könnte. Dass dennoch ein neues Zeitalter begonnen hat, zeigt die gemeinsame internationale Weltraumstation ISS. Seit 1998 ist sie im Bau und soll 2011 fertig sein.

(Tages-Anzeiger)

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