Samstag, Januar 31, 2009

Berge / Mountains

NZZ: Wie gehorsam sind die Menschen von heute?

Neue Zürcher Zeitung
28. Januar 2009,
Wie gehorsam sind die Menschen von heute?
Eine Neuauflage des Milgram-Experiments – mit ähnlichen Ergebnissen wie vor 45 Jahren
In einer Variante des Milgram-Experiments drückte der strafende Lehrer die Hand des Schülers auf eine Platte, die vorgeblich unter Strom stand

Zu Beginn der sechziger Jahre fanden sich in einem aufsehenerregenden Experiment rund zwei Drittel der Teilnehmer bereit, auf Geheiss einer Autoritätsperson einen Menschen mit starken Elektroschocks zu bestrafen. Eine Neuauflage des Versuchs hat nun ergeben, dass die Gehorsamsbereitschaft seither kaum abgenommen hat.

Ralph Erich Schmidt


Neue Zürcher Zeitung
28. Januar 2009,
Wie gehorsam sind die Menschen von heute?
Eine Neuauflage des Milgram-Experiments – mit ähnlichen Ergebnissen wie vor 45 Jahren
In einer Variante des Milgram-Experiments drückte der strafende Lehrer die Hand des Schülers auf eine Platte, die vorgeblich unter Strom stand

Zu Beginn der sechziger Jahre fanden sich in einem aufsehenerregenden Experiment rund zwei Drittel der Teilnehmer bereit, auf Geheiss einer Autoritätsperson einen Menschen mit starken Elektroschocks zu bestrafen. Eine Neuauflage des Versuchs hat nun ergeben, dass die Gehorsamsbereitschaft seither kaum abgenommen hat.

Ralph Erich Schmidt

1963 prägte Hannah Arendt in ihrem Bericht über den Prozess gegen den NS-Schreibtischtäter Adolf Eichmann die berühmte Formel von der «Banalität des Bösen». Im selben Jahr veröffentlichte Stanley Milgram, ein junger Assistenzprofessor an der Yale University, die Ergebnisse eines Experiments, die in seinen Augen die zentrale These von Arendt belegten: Ganz «banale» Menschen können anderen erhebliches Leid zufügen, es bedarf dazu keiner sadistischen Persönlichkeitszüge. Auf Anweisung einer Autoritätsperson bestraften in seinem Experiment rund zwei Drittel der Teilnehmer einen Probanden für falsche Antworten in einer Lernaufgabe mit starken Stromschlägen – ohne zu wissen, dass die Apparatur nicht unter Strom stand. Aus ethischen Gründen wurde das Experiment während langer Zeit nicht mehr durchgeführt. Manche Fachleute mutmassten aber, die Menschen seien heute – etwa im Gefolge der antiautoritären 68er Bewegung – hellhöriger für die Gefahren blinden Gehorsams und würden sich daher eher widersetzen. Doch eine ethisch vertretbare Neuauflage des Experiments hat diese Vermutung nun widerlegt.

Kleine Schritte in die Unmenschlichkeit

An der von Jerry Burger von der Santa Clara University in Kalifornien durchgeführten Studie nahmen wie bei Milgram Angehörige verschiedenster Berufsgruppen teil, insgesamt 29 Männer und 41 Frauen. Jeweils zwei Personen wurden vom Versuchsleiter, einem Mittdreissiger in einem weissen Laborkittel, gleichzeitig empfangen. Er erklärte, die Studie bezwecke, den Einfluss von Strafen auf das Lernvermögen zu erkunden. Dazu müsse ein Teilnehmer einen Lehrer spielen, der andere einen Schüler. Bei der vermeintlich zufälligen Rollenverteilung wurde der Part des Schülers immer einem fünfzigjährigen Komplizen des Versuchsleiters zugelost. Die tatsächliche Testperson sah nun mit an, wie der Versuchsleiter die Arme des auf einem Stuhl sitzenden Schülers an den Lehnen festband und eine Elektrode an seinem linken Handgelenk anbrachte. Dann wurde ihm mitgeteilt, dass er gleich eine Liste von 25 Wortpaaren, zum Beispiel «stark - Arm», vorgelesen bekomme, die er sich einprägen solle. Für Fehler beim anschliessenden Abfragen werde er mit Stromschlägen zunehmender Stärke bestraft.

An dieser Stelle wies der Schüler darauf hin, dass bei ihm vor einigen Jahren ein leichtes Herzleiden diagnostiziert worden sei. Der Versuchsleiter beschwichtigte, die Schocks seien zwar schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Daraufhin begab er sich mit dem Lehrer in einen Nebenraum und bat ihn, vor einem grossen Gerät, dem «Schockgenerator», Platz zu nehmen. An der Frontseite prangte eine Reihe von 30 Schaltern, die in 15-Volt-Schritten das Spannungsspektrum von 15 bis 450 Volt umfassten. Der Lehrer wurde instruiert, wie er den Schüler zu prüfen habe. Falsche Antworten seien mit einem Stromstoss zu bestrafen, die erste mit 15 Volt und jede weitere mit der nächsthöheren Spannungsstufe. Schliesslich gab der Versuchsleiter dem Lehrer mit dessen Einverständnis einen Probeschock von 15 Volt, um ihm einen Eindruck zu vermitteln, wie sich die Strafe anfühlte.

«Machen Sie bitte weiter!»

Im Verlaufe der Unterweisung wurde der Lehrer dreimal darauf aufmerksam gemacht, dass er seine Teilnahme am Experiment jederzeit aufkündigen und das bereits ausbezahlte Entgelt von 50 Dollar dennoch behalten könne – ihm war also bewusst, dass er die Rolle des strafenden Lehrers jederzeit aufgeben konnte. Ungemütlich wurde seine Lage spätestens nach Betätigung des 75-Volt-Schalters, denn da drang erstmals ein Stöhnen des Schülers durch die Wand, das bei den nachfolgenden Stromschlägen immer lauter wurde. Zeigte sich der Lehrer zögerlich oder wandte er sich fragend an den Versuchsleiter, so bekam er eine der folgenden Standardantworten zu hören: «Machen Sie bitte weiter!», «Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!» oder «Sie haben keine andere Wahl, Sie müssen weitermachen!». Erkundigte sich der Lehrer, ob er es zu verantworten habe, falls der Schüler einen gesundheitlichen Schaden davontragen sollte, erwiderte ihm der Versuchsleiter beruhigend: «Ich bin verantwortlich!»

Beim Drücken des 150-Volt-Schalters eskalierte die Situation – der Schüler schrie: «Es reicht, lassen Sie mich hier raus! Ich habe doch gesagt, dass ich an Herzbeschwerden leide. Ich weigere mich weiterzumachen!» Fand sich der Lehrer ungeachtet dieses Protests bereit, die Prozedur fortzusetzen, so wurde das Experiment an diesem Punkt aus ethischen Gründen abgebrochen und der Proband darüber aufgeklärt, dass dem Schüler in Wirklichkeit keine Schocks verabreicht worden waren. Bei Milgram hatten die Teilnehmer ihren Gehorsam bis zur Betätigung des 450-Volt-Schalters beweisen können, wobei ab 330 Volt kein Laut vom Schüler mehr zu vernehmen war. An der Frage, ob die Belastung der Versuchspersonen in Milgrams Experiment nicht die Grenzen des Zumutbaren überschritten habe, entzündete sich seinerzeit eine erbitterte Kontroverse, die letztlich zur Einführung von ethischen Richtlinien für die Forschung beitrug – und ab Ende der siebziger Jahre eine Wiederholung von Milgrams Experiment in den USA verunmöglichte. Vergeblich hatte er immer wieder hervorgehoben, dass in einer Nachbefragung viele Probanden die Teilnahme an seinem Experiment als persönliche Bereicherung beschrieben und lediglich weniger als zwei Prozent sie bereut hätten.

Kulturelle Unterschiede

In den sechziger Jahren vermochte er aber mit verschiedenen Varianten seines Experiments zu zeigen, in welchem Ausmass das Umfeld menschliches Verhalten beeinflusst. Wurde den Teilnehmern ein «Lehrerkollege» an die Seite gestellt und das Umlegen des Stromschalters an diesen delegiert, fanden sich über 90 Prozent zu maximalem Gehorsam bereit. Hatten sie dagegen die Hand des Schülers selber auf eine Stromplatte zu drücken, fiel die Gehorsamsrate auf etwa 30 Prozent. Wichtiger noch als die Nähe des Schülers aber war die Anwesenheit der Autoritätsperson: Erteilte diese ihre Anweisungen telefonisch, zog nur noch jeder Fünfte die Strafprozedur bis ans Ende durch. Auch kulturelle Unterschiede scheinen die Gehorsamsbereitschaft beeinflussen zu können: In Australien beispielsweise ergab sich 1974 bei einer Wiederholung des Milgram-Experiments eine Gehorsamsrate von 28 Prozent, während sie sich in Deutschland zur gleichen Zeit auf 85 Prozent belief. Im Durchschnitt jedoch waren in neun Versuchswiederholungen in Europa, Afrika und Asien wie bei Milgram rund 65 Prozent der Teilnehmer bereit, den letzten Schalter zu drücken.

In der nun durchgeführten Neuauflage des Experiments zeigten sich 70 Prozent der Teilnehmer gewillt, über das Strafmass von 150 Volt hinauszugehen. Da bei Milgram 79 Prozent derjenigen, die bei 150 Volt weitermachten, schliesslich auch den 450-Volt-Schalter gedrückt hatten, lässt sich hochrechnen, dass die Gehorsamsrate für den letzten Schalter heute nur unwesentlich unter derjenigen der sechziger Jahre liegen dürfte. Im Übrigen hing die Gehorsamsbereitschaft wie bei Milgram weder mit dem Alter noch dem Geschlecht oder Bildungsniveau der Teilnehmer zusammen. Indes ergab sich ein bedeutsamer Zusammenhang mit dem Empathievermögen, das mittels eines Fragebogens eingeschätzt wurde: Besonders einfühlsame Menschen verweigerten zwar nicht häufiger den Gehorsam, wandten sich aber früher als andere mit kritischen Rückfragen an den Versuchsleiter. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen einer kürzlich erschienenen Nachauswertung von acht Milgram-Studien, die für einmal anstelle des Gehorsams den Ungehorsam in den Mittelpunkt rückte.
Rechtsbewusstsein wichtiger als Mitleid

Dabei untersuchte Dominic Packer von der Ohio State University, wie sich die Weigerung der Teilnehmer, einen weiteren Stromschlag zu verabreichen, in Milgrams Studien auf die 30 Schalter verteilt hatte. Die Auswertung ergab zum einen, dass die Ausstiegsrate nicht mit den Schmerzbekundungen des Schülers zusammenhing, die ab 75 Volt einsetzten und mit jedem weiteren Stromschlag an Intensität zunahmen. Mitgefühl allein scheint demnach nicht zu höheren «Befehlsverweigerungsraten» zu führen – selbst bei besonders einfühlsamen Menschen nicht, wie es auch Burgers Studie bestätigte. Zum anderen stellte sich heraus, dass die höchste Ungehorsamsrate nach dem Drücken des 150-Volt-Schalters auftrat: Mehr als ein Drittel der «Dienstverweigerer» stieg hier aus. Wie bereits erwähnt, verlangten die Schüler in Burgers und Milgrams Experimenten an diesem Punkt erstmals ausdrücklich, aus dem Experiment entlassen zu werden. Aussteiger, so die Deutung von Packer, entschieden den nun offen ausgebrochenen Konflikt augenscheinlich in dem Sinne, dass sie den Rechten des anderen Teilnehmers den Vorrang vor den Anweisungen des Versuchsleiters einräumten.

Diese Erkenntnis könnte für das Verständnis verschiedener Probleme des «wirklichen Lebens» von Bedeutung sein, zu deren Erklärung Milgrams Experiment immer wieder herangezogen wird, etwa das der Misshandlung von Gefangenen. Packer erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die amerikanische Regierung unter Präsident Bush im Kampf gegen den Terrorismus verschiedene Rechte, die Kriegsgefangenen aufgrund der Genfer Konventionen zustehen, ausser Kraft gesetzt und durch die Zusicherung ersetzt hat, den Gefangenen werde bei den Verhören «kein übermässiger Schmerz» zugefügt. Die Ergebnisse seiner Studie legten nun allerdings nahe, so Packer, dass Schmerzeinfühlung kaum Schutz vor Misshandlung zu bieten vermöge, wenn die Rechte der Betroffenen eingeschränkt oder unklar seien. Trete in einer solchen Situation eine Autoritätsperson auf, die eine Technik wie etwa das «Waterboarding» (das Begiessen des Kopfes eines auf ein Brett gefesselten Menschen mit Wasser, wodurch Erstickungsängste ausgelöst werden) als notwendig und ungefährlich darstelle, dann bestehe die Gefahr, dass blinder Gehorsam von ganz gewöhnlichem Vollzugspersonal in Unmenschlichkeit münde.

Freitag, Januar 30, 2009

NZZ: Die neuen Stellvertreterkriege - Russland rüstet gemeinsam mit China die Gegner des Westens auf

29. Januar 2009
Neue Zürcher Zeitung
* Der Autor ist Referent in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Die neuen Stellvertreterkriege
Russland rüstet gemeinsam mit China die Gegner des Westens auf

Russlands wirtschaftliche und militärische Schwäche im Vergleich zu Amerika schafft Probleme. Eine direkte Konfrontation ist nicht ratsam, deshalb rüsten Moskau und Peking die Gegner des Westens auf. Damit wird Geld verdient und werden strategische Ziele erreicht.

Von Thomas Speckmann*


29. Januar 2009
Neue Zürcher Zeitung
* Der Autor ist Referent in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Die neuen Stellvertreterkriege
Russland rüstet gemeinsam mit China die Gegner des Westens auf

Russlands wirtschaftliche und militärische Schwäche im Vergleich zu Amerika schafft Probleme. Eine direkte Konfrontation ist nicht ratsam, deshalb rüsten Moskau und Peking die Gegner des Westens auf. Damit wird Geld verdient und werden strategische Ziele erreicht.

Von Thomas Speckmann*

Als im August 2008 für fünf Tage Krieg in Georgien tobte, da begann sogleich die Suche nach einem Begriff für diesen Typ von Waffengang. Erlebt der klassische Krieg zwischen Staaten eine Renaissance? Wird der «neue kalte Krieg» zu einem heissen? Steht die Welt vor einer Serie von kleinen lokalen Kriegen zwischen Ost und West? Moskaus Feldzug gegen Tiflis weckte derlei Vermutungen. Doch sie spiegeln nicht die Wirklichkeit. Russland ist militärisch wie ökonomisch viel zu schwach, um ein direktes Kräftemessen mit den Vereinigten Staaten zu wagen.

Schwächen im Georgien-Feldzug

Das hat nicht zuletzt der russische Einmarsch in Georgien gezeigt: Russlands Börsenindex fiel um 13 Prozent. Ausländische Investoren zogen mehr als 20 Milliarden Dollar vom russischen Finanzmarkt ab. Auch Russlands Armee offenbarte Schwächen. Nach überraschend hohen Verlusten in den ersten Kriegstagen gelang ihr der Sieg auf dem Schlachtfeld vor allem durch die erdrückende Übermacht an Mensch und Material. Moskaus vollmundige Ankündigungen einer verstärkten Aufrüstung wirken da wie Trotzreaktionen.

Dem russischen Militär stehen 2009 rund 35 Milliarden Dollar zur Verfügung – dem Pentagon 612 Milliarden. Ein neues Wettrüsten mit der Nato kann sich der Kreml nicht leisten. Das gilt spätestens seit der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Ohnehin von gravierenden Problemen in der Infrastruktur, von einem dramatischen Rückgang der Bevölkerung und niedriger Lebenserwartung geplagt, zeigt sich Russland besonders hart von der globalen Rezession und dem Preisverfall bei Erdöl und Erdgas getroffen. Glaubte sich der Kreml zu Zeiten der Sowjetunion ein Militärbudget von bis zu einem Viertel des Bruttoinlandprodukts leisten zu können, so waren es in Putins Präsidentschaft weniger als 3 Prozent. Bis auf Tartus in Syrien sind alle Stützpunkte ausserhalb Russlands geschlossen worden. Selten war die Schere zwischen Moskaus imperialem Anspruch und der realpolitischen Wirklichkeit grösser.

Nun soll die noch 2 Millionen Mann umfassende Armee weiter schrumpfen. Allein im ersten Quartal 2009 sollen über 200 000 militärische und zivile Stellen wegfallen. Bis 2012 soll die Truppe personell fast halbiert sein. Auch das Raketenarsenal soll bis 2020 um 30 Prozent verringert werden. Eine Streitmacht von gut einer Million Mann mit mobilen, schlagkräftigen Brigaden ist das Ziel.

Droht dem Westen also in naher Zukunft neue Gefahr aus Moskau? Es mag auf den ersten Blick paradox klingen: Gerade weil Russland derzeit nicht in der Lage ist, den USA militärisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe zu begegnen, bereitet der Kreml dem Weissen Haus zunehmend Probleme. Denn für Moskau erscheint es politisch wie ökonomisch lukrativer denn je, Washington indirekt zu treffen. Russland rüstet systematisch die Gegner der amerikanischen Verbündeten auf. Eine Renaissance der Stellvertreterkriege ist die Folge: Im Kaukasus hängen Südossetien und Abchasien am Tropf russischer Waffenlieferungen. Bereits vor Moskaus August-Feldzug beschossen südossetische Milizen georgische Dörfer mit schwerer Artillerie, die sie nur vom Kreml erhalten haben konnten.

Iran als Kunde

Ein ähnliches Bild entfaltet sich derweil im Nahen Osten. Iran wird von Russland bewaffnet. Teherans Raketen- und Atomprogramme wären ohne russische Hilfe nicht denkbar. Bereits Ende der neunziger Jahre hat Iran zahlreiche Atom- und Raketenexperten aus Russland angeworben. Wiederholt wurden russische Firmen von den USA mit Sanktionen belegt, da sie den Kernwaffensperrvertrag unterliefen. Mit dem Bau des Atomkraftwerks Bushehr am Persischen Golf, an dem Moskau in den letzten Jahren mit bis zu 2500 russischen Arbeitern und Ingenieuren massgeblich beteiligt war, gelangt Teheran in den Besitz moderner Atomtechnologie. Zusätzlich zur Fertigstellung des Kernreaktors, der im Jahr 2009 ans Netz gehen soll, bildet Russland rund 500 iranische Atomwissenschafter und Techniker aus.

Für Moskau ist das Engagement in Iran ein lukratives Geschäft: Das eine Milliarde Dollar teure Bauprojekt in Bushehr hat der russischen Atomindustrie als erster Auslandsauftrag nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Existenz gesichert. Anschlussverträge für weitere sechs Reaktoren und für Uranlieferungen in gewaltigen Mengen stehen in Aussicht. Von Aufträgen in zweistelliger Milliarden-Dollar-Höhe ist die Rede. Dabei scheint sich der Kreml vollkommen bewusst, welche Konsequenzen Irans atomare Aufrüstung hat. Bereits Präsident Jelzin gab nach der Unterzeichnung des Bushehr-Vertrages 1995 zu, dass das Abkommen sowohl Elemente friedlicher wie militärischer Nutzung enthalte.

Um die iranischen Atomanlagen vor etwaigen Luftangriffen Israels oder der USA zu schützen, haben Moskau und Teheran im Dezember 2005 die Lieferung von 29 Boden-Luft-Raketen-Systemen des Typs TOR-M1 für 1,4 Milliarden Dollar vereinbart. Damit hat Russland das sogenannte «Tschernomyrdin-Gore-Abkommen» von 1995 aufgekündigt, nach dem Moskau auf Waffenlieferungen an Teheran verzichtet und dafür mit amerikanischen Finanzhilfen für die eigene Atomwirtschaft entschädigt wird. Indes ist die Auslieferung der russischen Raketen an Iran abgeschlossen. Auch die Bedienungsmannschaften stehen bereit. Schon im Dezember 2006 hat eine Gruppe iranischer Soldaten ihren Schulungslehrgang in Russland beendet.

Derzeit wird ferner über die Lieferung von fünf russischen Flugabwehrsystemen vom Typ S-300 verhandelt. Mit einer Reichweite von 200 Kilometern, einer Flughöhe von bis zu 27 Kilometern und der Fähigkeit, gleichzeitig bis zu hundert Flugzeuge oder Raketen zu erfassen und zwölf von ihnen zu bekämpfen, würde diese Waffe das Kräfteverhältnis am Golf entscheidend zugunsten Teherans verlagern. Denn selbst für die Hightech-Luftwaffen Israels und der USA wäre die S-300 ein ernstzunehmender Gegner. Auch an diesem System sollen bereits Iraner in Russland ausgebildet worden sein. Damit hat sich Iran als Kunde für russische Waffen hinter China und Indien auf den dritten Platz vorgeschoben und beflügelt erheblich Moskaus Waffenexport.

Hizbullah und Hamas

Ende Dezember 2008 hat Russland nach Meldungen einheimischer Medien mit der Lieferung von 200 Boden-Luft-Raketen im Gesamtwert von 250 Millionen Dollar an weitere sieben Staaten begonnen. Unter ihnen befinden sich neben Venezuela, Libyen und Ägypten auch Syrien, das im August 2008 Verständnis zeigte für die russische Invasion Georgiens und die Militärbeziehungen mit Russland ausbaut – eine Stationierung russischer Raketen auf syrischem Territorium nicht ausgeschlossen. Damaskus kauft seit 2005 moderne Luft- und Panzerabwehrwaffen in Moskau und betätigt sich zugleich als Drehscheibe für iranische Waffenlieferungen russischer Produktion an den Hizbullah.

Im Libanonkrieg 2006 wurden fünfzig schwere «Merkava»-Kampfpanzer der israelischen Armee von modernen Panzerabwehrwaffen zerstört oder beschädigt. Dabei kamen 30 Soldaten um, mehr als 100 wurden verletzt. Nach einer von Israels Generalstab in Auftrag gegebenen Analyse hatte Teheran in Russland entwickelte und gebaute Panzerabwehrraketen vom Typ AT-13 Metis-M an den Hizbullah geliefert. Neuerdings soll er auch über russische schultergestützte Flugabwehrraketen des Typs SA-18 verfügen. Mitte Dezember 2008 hat überdies Libanon als Heimatland des Hizbullah bekanntgegeben, man wolle zehn moderne MiG-29-Kampfflugzeuge von Moskau beziehen.

Bereits im April 2006 hatte der Kreml auch der Hamas direkte Finanzhilfen zugesagt. Präsident Putin stilisierte Russland zur Schutzmacht der Muslime, um wieder eine führende Rolle in der Weltpolitik spielen zu können. Ist es da Zufall, dass bei den jüngsten Kämpfen auf Seiten der Hamas Waffensysteme aus dem Kalten Krieg auftauchen, die über Ägypten in den Gazastreifen geschmuggelt werden? Auf Israel werden unter anderem Flugkörper vom Typ BM-21 Grad («Hagel») mit einer Reichweite von bis zu 30 Kilometern abgefeuert – eine Rakete, die ursprünglich die Sowjetunion in den sechziger Jahren entwickelt hatte und die heute in Iran unter dem Namen «Arash» produziert und weiterentwickelt wird.

Russische Unternehmen und Wissenschafter sind auch erheblich in das ambitionierte Programm zur Entwicklung ballistischer Raketen in Iran involviert, das unter den Gesichtspunkten der militärischen Effizienz wie der politischen Symbolwirkung nur dann als sinnvoll gilt, wenn zu ihrer Bestückung ABC-Sprengköpfe zur Verfügung stehen, wobei Kernwaffen allein aus technischen Gründen eindeutig am attraktivsten sind. Während es sich bei der iranischen Mittelstreckenrakete vom Typ Shahab III («Sternschnuppe») um eine Eigenentwicklung auf Basis der nordkoreanischen Nodong-1 handelt, orientiert sich die Konstruktion des Flugkörpers mit der Projektbezeichnung Shahab IV stark an der einstigen sowjetischen Mittelstreckenrakete SS-4. Entsprechend gross ist die Beteiligung russischer Experten an dem iranischen Versuch, die Technologie dieses Flugkörpers mit einer Reichweite von etwa 2000 Kilometern wiederzuverwenden.

Munition für die Taliban

Nachdem es Ende der neunziger Jahre so geschienen hatte, als sei es den Vereinigten Staaten gelungen, durch politischen Druck sowie Sanktionen gegen Firmen die russische Unterstützung für das iranische Raketenprogramm deutlich zu verringern, berichteten amerikanische Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren, dass erneut Russland zusammen mit China und Nordkorea zu den wichtigsten Helfern bei der Entwicklung von Flugkörpern in Iran gehöre. Wie weit die iranische Technologie inzwischen gereift ist, zeigte im August 2008 der erstmalige Test einer mehrstufigen Trägerrakete vom Typ Safir («Botschafter»), die als bedeutender Schritt zur Entwicklung von atomaren Langstreckenraketen angesehen wird. Bereits 2005 hatte Teheran, das auch ein eigenes Raumfahrtprogramm betreibt, mit Hilfe Moskaus einen kommerziellen Satelliten ins All geschossen; 2008 folgte ein iranischer Forschungssatellit an Bord einer chinesischen Rakete.

Obwohl Russland offiziell mit dem Westen in Irans Nachbarland Afghanistan kooperiert und seit November 2008 Deutschland erlaubt, seine Truppen am Hindukusch nicht nur auf dem Luftweg, sondern auch per Bahn über russisches Territorium mit Nachschub zu versorgen, mehren sich die Berichte über ein doppeltes Spiel Moskaus. Kommandanten der Taliban rühmen sich, von Russland und China gegen die Nato-Truppen munitioniert zu werden. Motive dafür dürfte es in Moskau und Peking genügend geben, allen Beteuerungen eines gemeinsamen Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus zum Trotz.

Russische Hardliner glauben ohnehin, in Afghanistan noch eine Rechnung mit den USA aus dem Kalten Krieg offen zu haben, als nicht zuletzt amerikanische Waffenlieferungen für den afghanischen Widerstand die sowjetischen Besetzer schliesslich zum Abzug zwangen. Auch Peking verdächtigt das Weisse Haus, in Zentralasien Ziele zu verfolgen, die sich gegen China richten.

Moskau rüstet gleichfalls im südlichen Amerika die Gegner der Vereinigten Staaten auf. Venezuela ist zum grössten Kunden von russischen Waffen in Lateinamerika geworden und hat seit 2005 Rüstungsgüter im Wert von 6,7 Milliarden Dollar in Russland erworben: 24 Suchoi-MK2-Jagdbomber, 50 Helikopter der Typen Mi-26, Mi-35 und Mi-17, Panzer, Radargeräte und 100 000 Kalaschnikow-AK-103-Sturmgewehre. Waffengeschäfte im Wert von weiteren 2,5 Milliarden Dollar sind vereinbart, darunter MiG-29-Jagdflugzeuge. Auch ein Atomkraftwerk soll mit russischer Hilfe gebaut werden.

Venezuela, Nicaragua, Kuba

Zur Bekräftigung der «strategischen Partnerschaft» zwischen Russland und Venezuela landeten im September 2008 zwei strategische TU-160-Bomber der russischen Luftwaffe zu Trainingsflügen auf der venezolanischen Luftwaffenbasis Libertador rund hundert Kilometer westlich der Hauptstadt Caracas. Anfang Dezember 2008 fanden erste gemeinsame Flottenmanöver in der Karibik statt. Das zentralamerikanische Nicaragua hat sich sogar bereitgefunden, die von Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien als eigenständige Staaten anzuerkennen. Kuba ist als erneuter Stationierungsort oder Auftankplatz für russische Kampfflugzeuge im Gespräch.

Russlands unabhängiger Verbündeter in seinen neuen Stellvertreterkonflikten gegen den Westen ist China. Zwar investiert Peking sowohl absolut als auch relativ noch stärker als Moskau in die Modernisierung seiner Armee und baut vor allem sein atomares Arsenal und seine Marine aus, die nun mit ihrem Anti-Piraterie-Einsatz vor der Küste Somalias zum ersten Mal seit dem 15. Jahrhundert mit einem nennenswerten Flottenverband in Übersee operiert und damit einen historischen Strategiewechsel der Volksrepublik vollzieht. Aber wie Russland kann und will sich China derzeit nicht auf eine direkte Konfrontation mit den technisch weiterhin überlegenen USA einlassen. Daher verkauft auch Peking stattdessen Waffen an die Gegner der amerikanischen und europäischen Alliierten.

So gelang es dem Hizbullah im Sommer 2006, eine israelische Korvette vor der libanesischen Küste mit einer Anti-Schiff-Rakete schwer zu beschädigen, wobei vier israelische Seeleute ums Leben kamen. Der Marschflugkörper des iranischen Typs C-802 war eine ursprünglich chinesische Entwicklung namens Ying-Ji-802. Aus Peking soll Teheran rund 75 dieser Raketen erhalten haben, die mit einer geschätzten Treffsicherheit von bis zu 98 Prozent zu den gefährlichsten Anti-Schiff-Waffen der Welt zählen. Entlang der libanesischen Küste soll der Hizbullah allmählich rund tausend C-802-Marschflugkörper stationiert haben.

Auch das geheime Nuklearwaffenprogramm Irans unterstützt China seit Anfang der neunziger Jahre. Peking lieferte 1991 mit fast zwei Tonnen Uran den Grundstock für die iranische Atombombe. Die Anleitung zum Bau von Zentrifugen für die Anreicherung waffenfähigen Urans ergänzte der pakistanische Atomschmuggler Khan. Jüngste Prognosen gehen davon aus, dass Teheran ab Mitte 2009 einen Atomtest durchführen könnte. Pläne eines nuklearen Sprengkopfs für die iranische Shahab III wurden bereits 2004 in der Schweiz sichergestellt.

Indien, Pakistan, Afrika

Chinas militärischer Aussenhandel gerät mehr und mehr ins Visier der Vereinigten Staaten. Während Peking scharf gegen Washingtons jüngste Waffengeschäfte mit Taiwan protestiert, profiliert sich die Volksrepublik als Atom- und Raketenhändler auf dem globalen Markt. Unter den Kunden befinden sich neben Iran und Nordkorea auch die nuklearen Wettrüster Indien und Pakistan. Bereits 2003 sind in Libyen chinesische Baupläne für Kernwaffen aufgetaucht. Daher lehnte die amerikanische Regierung wiederholt die Forderung der Volksrepublik ab, Sanktionen gegen Chinas Staatsunternehmen aufzuheben, denen von Washington vorgeworfen wird, das Waffenembargo der USA gegen Iran zu unterlaufen.

In Afrika beliefert Peking ebenfalls die Gegner des Westens: Wiederholt sind Kampfflugzeuge vom Typ A5 Fantan, Lastwagen und Flugabwehrsysteme chinesischer Produktion auf Seiten der sudanesischen Regierungstruppen in Süddarfur gesichtet worden; auch Piloten werden von China ausgebildet. Weitere Waffenlieferungen gehen nach Berichten von Menschenrechtsgruppen an die regierungsnahen Janjawid-Milizen, die für schwere Menschenrechtsverstösse verantwortlich gemacht werden. Mitte November 2008 bestätigte die sudanesische Regierung zudem den Kauf von 12 MiG-29-Kampfflugzeugen in Russland. Damit verletzen Moskau und Peking nicht nur das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen den Sudan, sondern untergraben auch die Bemühungen des Westens im Uno-Sicherheitsrat, dem Massenmord in Darfur ein Ende zu setzen.

In dem erfolgreichen Einsatz ihrer Waffen sehen Russland und China die beste Werbung für die Qualität ihrer Systeme und hoffen auf neue Absatzmärkte in naher Zukunft. Mit ihrer weltweiten Parteinahme für die Gegner der Amerikaner und der Europäer positionieren sich Moskau und Peking als Konkurrenten um Einflusszonen. Als Vetomacht im Uno-Sicherheitsrat sperrt sich Russland nicht allein gegen weitreichende Sanktionen wegen Irans Nuklearprogramm. Moskau und Teheran haben auch eine strategische Partnerschaft geschlossen, um den USA und der EU den Zugang zum Kaspischen Meer zu versperren. Die Energieressourcen der Region wollen sich Russland und Iran alleine aufteilen. Im Kreml gilt die Islamische Republik als Schlüsselmacht, um den Einfluss der Amerikaner und der Europäer in Zentralasien und im Mittleren Osten einzudämmen.

* Der Autor ist Referent in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrbeauftragter am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Berge / Mountains

Donnerstag, Januar 29, 2009

Economists...........

In case you are getting worried with all the predictions economists are pouring out at the time of crisis, some consolation might be found in this age old eastern wisdom:

"Economists were invented to make astrologers look good"

:-)

NZZ: Starker Anstieg des israelischen Siedlungsausbaus

NZZ Online
28. Januar 2009,
Starker Anstieg des israelischen Siedlungsausbaus
Um 60 Prozent im vergangenen Jahr - Gemäss Bericht einer Friedensorganisation

Israel hat den Ausbau der jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem) im vergangenen Jahr um 60 Prozent gesteigert.

(sda/dpa) Zu diesem Schluss kommt ein Bericht, den die israelische Friedensorganisation «Peace Now» veröffentlichte. Insgesamt seien im Vorjahr mindestens 1257 neue Wohneinheiten errichtet worden.

Darunter seien 748 feste Gebäude und 509 Wohn-Container, stellte der Bericht fest. Im Jahr 2007 waren es 800 neue Wohneinheiten gewesen.
Viele Baugenehmigungen im Osten Jerusalems

Massiv verstärkt wurden demnach die jüdischen Bauaktivitäten im Osten Jerusalems, den Israel im Gefolge des Sechs-Tage-Kriegs 1967 ebenso wie das Westjordanland besetzt hatte. So wurden im Vorjahr Baugenehmigungen für 2730 Wohngebäude erteilt. Im Jahr zuvor waren es nur 391 gewesen. Nach dem Völkerrecht ist die Besiedlung von in Kriegen besetztem Land nicht zulässig.

Der neue amerikanische Nahost-Sondergesandte George Mitchell hatte in seinem viel beachteten Bericht aus dem Jahr 2001 ein Ende des israelischen Siedlungsausbaus empfohlen und den Palästinensern den Verzicht auf terroristische Gewalt nahegelegt.

Leben mit der Krise

Tagesanzeiger-Online
Dossier: Leben mit der Krise
Motto: Nimms mit Humor

* Was ist der Unterschied zwi­schen einem Investmentbanker und einer Pizza? Die Pizza kann eine vierköpfige Familie ernäh­ren.
* Warum schauen Immobilien­makler seit neustem morgens nicht mehr aus dem Fenster? Weil sie sonst nicht mehr wis­sen, was sie nachmittags tun sollen.
* Frage: «Soll ich vorsichtshalber mein Bankkonto leeren?» Ant­wort: «Brauchen Sie nicht, das er­ledigt Ihre Bank für Sie.»
* Fragt ein Börsia­ner den ande­ren: «Hast du Devisen?» Ant­wort: «Nur eine – seid nett zuei­nander!»
* Gerade wollte ich 400 Franken am Bancomaten abheben. Der zeigte die Meldung «Konto nicht gedeckt». Meint er meines oder das der Bank?
* Wie heisst das neue Lieblings­lied der Topbanker? «My Boni Are Over the Ocean».
* Wie viele Rohstoffhändler sind notwendig, um eine Glühbirne zu wechseln? Gar keine. Das machen die nicht. Aber der Marktpreis für Dunkelheit taucht wegen Überangebot.
* Was sagen Sie zu einem Hedge­Funds-Manager, der keine Leer­verkäufe machen kann? «Ein­mal Big Mac mit Cola!»
* Wie viele Aktienhändler sind notwendig, um eine Glühbirne zu wechseln? Zwei. Einer lässt die Birne fallen, der andere ver­sucht, sie zu verkaufen, bevor sie abgestürzt ist.
* Was ist Optimismus? Wenn ein Investment­banker sich am Sonntag fünf frische Hemden bü­gelt.
* Sagt der Investor: «Ich schlafe wie ein Baby – ich wache jede Stunde auf und heule.»
* Klagt der Investor: «Diese Krise ist schlimmer als eine Schei­dung. Ich habe die Hälfte mei­nes Besitzes verloren und bin immer noch verheiratet.»
* Ein Mann ging zur Bank und sagte: «Ich möchte ein kleines Unternehmen gründen.» Sagt der Bankmanager: «Kaufen Sie ein grosses und warten Sie ein paar Tage.»

Mittwoch, Januar 28, 2009

Dienstag, Januar 27, 2009

NZZ: Herdentrieb und Panik statt Angebot und Nachfrage

NZZ Online
3. Dezember 2008, Neue Zürcher Zeitung
Herdentrieb und Panik statt Angebot und Nachfrage
Ökonophysiker modellieren die Finanzmärkte mit den Werkzeugen der statistischen Mechanik

Laut der klassischen Finanzmarkttheorie werden Börsenkurse durch Angebot und Nachfrage rationaler Investoren bestimmt. Ökonophysiker setzen auf einen anderen Ansatz zum Studium der Finanzmärkte. Sie betrachten die Marktteilnehmer als eine Gemeinschaft autonomer Agenten, die wie die Teilchen eines Gases miteinander agieren.

George Szpiro

NZZ Online
3. Dezember 2008, Neue Zürcher Zeitung
Herdentrieb und Panik statt Angebot und Nachfrage
Ökonophysiker modellieren die Finanzmärkte mit den Werkzeugen der statistischen Mechanik

Laut der klassischen Finanzmarkttheorie werden Börsenkurse durch Angebot und Nachfrage rationaler Investoren bestimmt. Ökonophysiker setzen auf einen anderen Ansatz zum Studium der Finanzmärkte. Sie betrachten die Marktteilnehmer als eine Gemeinschaft autonomer Agenten, die wie die Teilchen eines Gases miteinander agieren.

George Szpiro

Die Häufung der weltweiten Krisen in den Finanzmärkten gibt Wirtschaftswissenschaftern und Finanzmarkttheoretikern Rätsel auf. Denn laut ihren Modellen sollten ausserordentliche Ereignisse wie der Absturz der Börse 1987, das Platzen der Dotcom-Blase von 2000, der scharfe Anstieg des Ölpreises im vergangenen Sommer oder der jetzige Crash viel seltener auftreten, als es tatsächlich der Fall ist. Das Versagen der traditionellen Erklärungsansätze hat Wissenschafter aus anderen Fachgebieten dazu ermutigt, sich den Wirtschaftswissenschaften zuzuwenden. Dabei haben sich in den letzten Jahren vor allem Physiker hervorgetan. Unter dem Banner «Ökonophysik» versuchen sie, das Verhalten von Märkten – also ein sozialwissenschaftliches Phänomen – mit Methoden zu beschreiben, die der statistischen Mechanik entliehen sind.

Gasmoleküle und Investoren

Die ersten fachfremden Wissenschafter, die der Ökonomie unter die Arme griffen, waren Psychologen und Verhaltensforscher. Durch Befragungen und Laborexperimente eruierten sie, wie Menschen finanzielle Entscheidungen treffen. 2002 mündeten ihre Bemühungen in den Nobelpreis für Daniel Kahneman und Vernon Smith. Die neuesten Akteure auf der Bildfläche sind Neurowissenschafter, die mittels Magnetresonanztomographen untersuchen, welche Gehirnregionen und welche Emotionen bei Kauf und Verkauf eine Rolle spielen. Im Gegensatz dazu analysieren Physiker nicht die einzelnen Akteure und ihre Aktivitäten. Sie betrachten die Marktteilnehmer vielmehr als «Agenten», die wie die Teilchen eines Gases interagieren und so ein bestimmtes Marktverhalten hervorbringen. Die Analyse geschieht mit den Methoden der statistischen Mechanik, die ursprünglich entwickelt worden war, um makroskopische Eigenschaften von Gasen wie Druck oder Temperatur auf das mikroskopische Verhalten der Atome und Moleküle zurückzuführen.

Laut der herkömmlichen Finanzmarkttheorie sind Börsenkurse durch Angebot und Nachfrage der Investoren bestimmt. Diese tasten sich an die «richtigen» Preise der Wertpapiere heran, indem sie aufgrund wirtschaftlicher Fundamentalwerte rationale Entscheidungen zur Maximierung ihres Vermögens treffen. Zur mathematischen Lösung ihrer Probleme verwenden «rationale» Investoren die klassischen Methoden der Differenzialrechnung. Diese Anschauungsweise müsse jedoch überholt werden, meint Jean-Philippe Bouchaud, der an der Ecole Polytechnique Physik lehrt und gleichzeitig Forschungsdirektor der Investmentfirma Capital Fund Management in Paris ist. Die Theorie baue nämlich auf Konzepten wie der unsichtbaren Hand, dem rationalen Investor oder dem effizienten Markt auf. Von solchen zu Axiomen geronnenen Konzepten würden sich Ökonomen nur ungern trennen, auch wenn die empirische Erfahrung schon längst gegen sie spreche. Bouchaud meint zum Beispiel, dass die Vergötterung des freien Marktes zu einem Mangel an Regulierungen geführt und damit zur jüngsten Krise beigetragen habe.

Als weiteres Beispiel für obsolete ökonomische Ansätze weist der Volkswirtschafter Thomas Lux von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel auf Verteilungsprobleme hin. In der klassischen ökonomischen Theorie dominiere der Begriff des repräsentativen Agenten, der sein Vermögen optimiere. Wenn aber alle Marktteilnehmer repräsentative Agenten seien, könnten keine Vermögens- oder Einkommensunterschiede entstehen. Andere Fachleute bringen vor, dass der perfekte Markt, laut dem der Preis eines Wertpapiers alle sachdienlichen Informationen widerspiegelt, nur in der Theorie existiere. Trotzdem halten Ökonomen an den überlieferten Konzepten fest. Dies sei es, wo die altehrwürdige Physik der relativ jungen Ökonomie viel beibringen könne, sagt der Physiker Bouchaud. In ihrer jahrhundertealten Geschichte seien Fehlschläge gang und gäbe gewesen. Im Gegensatz zu Wirtschaftswissenschaftern hätten Physiker daher gelernt, unbrauchbare Theorien zu verwerfen.

Eine Verteilung mit dicken Enden

Begonnen hatte die Symbiose zwischen Physik und Finanztheorie im Jahre 1900, als der französische Mathematiker Louis Bachelier in Paris eine Doktorarbeit präsentierte, in der er Börsenbewegungen mit eigens dafür entwickelten mathematischen Mitteln untersuchte – notabene fünf Jahre bevor Albert Einstein unabhängig von ihm dieselben Mittel neu erfand, um eine erratische Bewegung von winzigen Schwebeteilchen in einer ruhenden Flüssigkeit, die sogenannte Brownsche Bewegung, vorherzusagen.

Doch ein grosses Problem sollte die Beobachter von Finanzmärkten fortan plagen. Eine der Grundannahmen, die Bachelier und seine Nachfolger machten – dass Änderungen der Aktienkurse einer sogenannten Normalverteilung folgen –, ist nämlich in einem zentralen Punkt falsch. Laut dieser Annahme sollten sich die Kursänderungen gemäss einer Gaussschen Glockenkurve um einen Mittelwert scharen. Doch während kleine und mittelgrosse Preisfluktuationen im Allgemeinen dieser Normalverteilung folgen, treten extreme Ereignisse wie Börsencrashs oder plötzliche Preisanstiege viel häufiger auf, als es aufgrund der Glockenkurve zu erwarten wäre. Statistiker sagen daher, dass die tatsächliche Verteilung der Preisschwankungen im Vergleich zur Gaussschen Glockenkurve «dickere Enden» hat.

Physiker, angeführt von H. Eugene Stanley von der University of Boston, suchten daraufhin andere Verteilungen, die besser zur Beschreibung von Börsendaten geeignet sind. Dabei stiessen sie auf Skalengesetze und Potenzverteilungen, die Benoît Mandelbrot, der Begründer der Chaostheorie, verwendet hatte, um die Länge von Küstenlinien, die Oberfläche von Blumenkohl und eben auch Preisänderungen an Rohstoffmärkten zu beschreiben. Ökonophysiker wiesen darauf hin, dass viele Naturerscheinungen diesen Verteilungen folgen. Zum Beispiel fand Didier Sornette, der heute an der ETH Zürich forscht, heraus, dass die Statistik von plötzlichen Ausschlägen an den Finanzmärkten Ähnlichkeiten mit jener von Erdbeben und epileptischen Anfällen aufweist. Und der Däne Per Bak stellte Zusammenhänge zwischen Börsencrashs, dem Abgang von Sandlawinen und dem Auftreten von Verkehrsstaus her.

Nachdem festgestellt worden war, dass Potenzverteilungen die Börsenbewegungen gut beschreiben, musste ihre Verwendung theoretisch gerechtfertigt werden. Denn wie Stanley zugibt, machen statistische Beobachtungen bloss Angaben über die relative Häufigkeit extremer Erscheinungen, sagen aber nichts über die Gründe für deren Auftreten aus. Um also zu verstehen, wieso Börsenbewegungen und verschiedene Naturerscheinungen ähnliche Charakteristiken aufweisen, muss man herausfinden, was der Grund für das weitverbreitete Auftreten von Potenzverteilungen ist.

Laut Lux haben die physikalischen Phänomene und die Vorgänge an der Börse vor allem eines gemeinsam: Unzählige Elemente seien in Netzwerken miteinander verkoppelt. Und Phänomene mit vielfachen Interaktionen liessen sich fast immer gut mit Potenzverteilungen beschreiben. Dies könnten in der Seismik etwa kleine Risse sein, in denen sich Energie aufbaut und sich in Kaskaden bis zum Ausbruch eines Erdbebens fortpflanzt, meint Sornette, der früher in Kalifornien in der Erdbebenforschung aktiv war. Bei Epilepsie sei es das Zusammenspiel von miteinander über Synapsen verbundenen Neuronen.

Ökonophysiker übertrugen das auf die Finanzmärkte und folgerten, dass die korrekte Verteilung von Kursschwankungen nur erklärt werden könne, wenn man die Interaktionen zwischen vielen Investoren und die daraus resultierenden Verhaltensweisen berücksichtige. Sornette nennt Nachahmungs- und Herdentrieb, positive Rückkoppelung, Panikreaktionen und spontane Selbstorganisation. Nicht jedermann ist allerdings mit solchen Analogien einverstanden. Der Finanztheoretiker Bruce Mizrach von der Rutgers University in New Jersey meint, die Tatsache, dass verschiedene Phänomene ähnlichen Potenzverteilungen folgten, bedeute keineswegs, dass sie den gleichen Gesetzen gehorchten.

Durch solche Kritik lassen sich die Ökonophysiker allerdings nicht beirren. Mit Computermodellen versuchen sie herauszufinden, ob einfache Verhaltensregeln zwischen den Investoren (wie etwa «Kaufe die Aktie, wenn ihr Preis um fünf Prozent gefallen ist und der Kollege sie auch kauft») tatsächlich zum Platzen von Blasen und zu Börsencrashs führen können. Obwohl dies noch keinen Beweis darstellen würde, dass die Regeln tatsächlich gelten, wäre es zumindest ein Hinweis auf ihre Brauchbarkeit zur Erklärung des Marktverhaltens.

Zu den Forschern, die Finanzmärkte mit den Mitteln der statistischen Physik simulieren, gehört Blake LeBaron von der Brandeis University in Massachusetts. In seinen Computerprogrammen interagieren viele Agenten nach wenigen, möglichst einfachen Regeln. Manchmal treten dann kollektive Phänomene wie Panikreaktionen auf, die es in der «rationalen» Welt der klassischen Finanzmarkttheorie gar nicht geben sollte. So stellte sich bei den Simulationen heraus, dass Anlagestrategien, die in gewöhnlichen Zeiten nicht korreliert sind, in Krisenzeiten durch das «irrationale» Verhalten der interagierenden Investoren stark zu korrelieren beginnen. Der ursprüngliche Wunsch, das Klumpenrisiko zu vermindern, wird also in sein Gegenteil verkehrt: Mit zunehmender Volatilität werden Wertpapierbestände, die gut diversifiziert schienen, plötzlich Risiko-anfällig. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass Crashs öfters auftreten, als man es aufgrund der Normalverteilung erwarten würde.

Ein Frühwarnsystem für Börsencrashs

Manche Ökonophysiker geben sich allerdings nicht damit zufrieden, mit ihren Modellen lediglich das statistische Verhalten der Märkte zu simulieren. Sie wollen einzelne Extremereignisse vorhersagen. Da physikalische Phänomene Gesetzmässigkeiten folgen, hofft Sornette, an dem von ihm gegründeten Financial Crisis Observatory der ETH Werkzeuge zum rechtzeitigen Erkennen zukünftiger Börsencrashs zu entwickeln. Dabei orientiert er sich zum Beispiel an dem sogenannten Omori-Gesetz aus der Geophysik, laut dem sich um ein Erdbeben typischerweise Vor- und Nachbeben entsprechend einer Potenzverteilung häufen. Solche charakteristischen Verhaltensmuster, die Sornette auch in den Finanzmärkten zu erkennen glaubt, sollen genutzt werden, um rechtzeitig vor drohenden Ereignissen zu warnen. Sornette ist vom Erfolg seiner Methoden so überzeugt, dass er demnächst eine nicht unbedeutende Summe seines eigenen Geldes in die Börse investieren will.

Berge / Mountains

Montag, Januar 26, 2009

Economist: Russian political murders / Deaths in Moscow

The Economist
Russian political murders
Deaths in Moscow
Jan 22nd 2009 | MOSCOW

Political killings have become systematic in Russia. Their punishment has not

ON MARCH 26th 2000 Vladimir Putin was elected president of Russia. By coincidence his election, partly promoted by the war in Chechnya, was soiled by a horrific crime that same night. A Russian colonel, Yuri Budanov, entered a house in the Chechen village of Tangi, home to an 18-year-old girl, Elza Kungaeva. Mr Budanov ordered his soldiers to wrap her in a blanket, put her in his armoured personal carrier and take her to his quarters.


The Economist
Russian political murders
Deaths in Moscow
Jan 22nd 2009 | MOSCOW

Political killings have become systematic in Russia. Their punishment has not

ON MARCH 26th 2000 Vladimir Putin was elected president of Russia. By coincidence his election, partly promoted by the war in Chechnya, was soiled by a horrific crime that same night. A Russian colonel, Yuri Budanov, entered a house in the Chechen village of Tangi, home to an 18-year-old girl, Elza Kungaeva. Mr Budanov ordered his soldiers to wrap her in a blanket, put her in his armoured personal carrier and take her to his quarters.

Two hours later she was dead, her strangled naked body displaying marks of severe beating. She was buried in secret but an autopsy later showed that she had been raped and sodomised. After a three-year legal odyssey, Colonel Budanov was sentenced to ten years in prison for the murder. A rare case of a Russian officer being brought to justice for a wartime crime in Chechnya, it became a symbol of the army’s atrocities there.

On January 15th Mr Budanov was freed on parole for good behaviour, 18 months early. Stanislav Markelov, a lawyer for the Kungaev family, protested vainly against his early release. On January 19th Mr Markelov held a press conference, claiming that Mr Budanov was freed only after a false statement by the prosecution service.

After the news conference, Mr Markelov walked towards a Moscow metro station along a busy street, accompanied by Anastasia Baburova, a 25-year-old journalist for Novaya Gazeta, one of Russia’s most daring remaining independent newspapers. A masked man following behind shot Mr Markelov dead. Ms Baburova chased the killer; he turned and shot her in the head, and she later died. It was about 3pm, barely a mile from the Kremlin. Even by Russian standards this was brazen.

Mr Budanov denied any involvement. Mr Markelov had defended many victims of human-right abuses, in Chechnya and elsewhere. He was particularly hated by Russia’s nationalists and neo-fascists, for whom Mr Budanov is an idol and a cause célèbre. (Ms Baburova had written about just these groups in her newspaper.)
AP
AP

Flowers for a human-rights defender

As Mr Markelov argued in his final news conference, Mr Budanov’s release reflected neither his own interest, nor the state’s. “It was in the interest of those who seek to undermine legal institutions in the Caucasus,” he said. Jailing Mr Budanov was a way to show Chechens that they could seek justice peacefully rather than turning to separatists for revenge. His release argued the opposite.

In Chechnya, it was seen as yet another sign of Moscow’s contempt. Even Ramzan Kadyrov, the republic’s pro-Kremlin president, was outraged. The killing of Mr Markelov eliminated a man whose name in Chechnya, according to Tatyana Lokshina of Human Rights Watch, a campaigning group, “was synonymous with hope for justice.” It also epitomised the atmosphere of lawlessness and impunity that has flourished in Russia in recent years.

The list of dead journalists, campaigners for civil liberties and those who seriously harm the interests of over-mighty state officials is getting longer by the day. On January 13th a former Chechen rebel, Umar Israilov, who had turned against Mr Kadyrov and formally complained to the European Court of Human Rights of his involvement in kidnappings and torture, was gunned down in Vienna.

Last August Magomed Yevloyev, a journalist and owner of an opposition internet site in another north Caucasus republic, Ingushetia, was detained and “accidentally” shot by an interior ministry guard. His supporters blamed Ingushetia’s then president and interior minister. To the joy of the whole republic the Kremlin fired both men in October. But on December 30th Russia’s president, Dmitry Medvedev, appointed the former interior minister to a new job of “federal inspector” in Moscow. Impunity, it seems, still prevails.

Mr Putin prides himself on having pacified Chechnya. The war is indeed over, but its legacy continues to poison and haunt Russia. Its methods have spread far beyond Chechnya to reach Moscow. In a recent road-rage incident in the Russian capital, two Chechen policemen bearing special security passes beat up and fired at a bus driver who cut in front of their Mercedes.

Mr Medvedev once pledged to fight “legal nihilism” in Russian society. But neither he nor Mr Putin has uttered a word about the killing of Mr Markelov and his brave companion, both of whom tried to defend the law from the abuses of the state.

Economist: Iceland hunts the euro

Economist
Iceland hunts the euro
Jan 22nd 2009


Why a crisis-hit Iceland may apply to join the European Union as soon as March

FOR a small country, Iceland has room for lots of contradictions. Some can be seen in the harbour of Reykjavik, the trim capital. On one side of the Aegisgardur pier lie whale-watching boats that take foreign tourists to commune with whales, dolphins and puffins. But just across the pier are four large ships, with mysterious gantries and winches above their decks: whalers, their harpoon guns in storage as the government ponders allowing a commercial hunt. Iceland’s stance on whaling is...


Economist
Iceland hunts the euro
Jan 22nd 2009


Why a crisis-hit Iceland may apply to join the European Union as soon as March

FOR a small country, Iceland has room for lots of contradictions. Some can be seen in the harbour of Reykjavik, the trim capital. On one side of the Aegisgardur pier lie whale-watching boats that take foreign tourists to commune with whales, dolphins and puffins. But just across the pier are four large ships, with mysterious gantries and winches above their decks: whalers, their harpoon guns in storage as the government ponders allowing a commercial hunt. Iceland’s stance on whaling is ambiguous: it opted out of an international moratorium, but the most recent big hunt was in 2006. Some fishing bosses support catching whales: there are plenty of them, they say, and they eat fish. Activists say whales are intelligent, scoffs Kristjan Loftsson, boss of the whaling fleet. His family has been hunting fin whales in the same spot since 1948, “and they still come there to eat”. If whales went farther offshore, they would not be caught, he adds, as their large carcasses might rot on the journey back.

Ambivalence about whales mirrors larger tensions. Iceland—three times as big as Belgium, but with only 300,000 inhabitants—has full access to the European Union’s single market through the European Economic Area (EEA). Its citizens can live and work across the EU, and it is assiduous about implementing directives from Brussels. But most of its leaders have always been hostile to full EU membership: they prize their sovereignty (Iceland became independent from Denmark only in 1944) and fear foreign control of their fish.

EEA membership has been good for Iceland, which pays relatively little into EU funds, and runs its own farm and fish policies (it also escapes EU laws banning whaling). Yet the EU debate has been revived by the collapse of Iceland’s economy after its debt-fuelled boom. Above all, the Icelandic krona is barely traded now: banks cannot borrow abroad, and capital controls block investment flows. A large majority of Icelandic voters want a new currency. Given trading patterns, the euro makes most sense.

What happens next revolves around a congress next week of the ruling Independence Party, a broad centre-right coalition hostile to EU membership. The prime minister, Geir Haarde, remains a Eurosceptic. But he also knows that the Icelandic krona is “finished”, says an observer. Hardliners have called for unilateral adoption of the euro (or maybe the dollar, Swiss franc or Norwegian krone). But Mr Haarde has been told by EU bosses that unilateral action without the boring necessity of joining the EU first would wreck relations with Brussels. And an open letter, signed by 32 Icelandic economists, gave warning that it would not even provide Iceland with what it needs: international credibility as a normal developed state. Mr Haarde agrees, say officials.

Which leaves him pondering EU membership after all—and trying to preserve party unity. Mr Haarde is “not a decisive man”, and will try to keep his options open at the congress. Talk of a referendum on opening EU talks briefly tempted him. He may now prefer a committee to review options (with strong caveats over fish) and discussions with his coalition partners, the pro-EU Social Democrats. The Social Democrats say they will quit the coalition if an EU membership application is not lodged by March. But they have as much to fear from a snap election as Mr Haarde (a tide of protests suggest the big winner might be the Left-Green Movement, which denounces the EU as too capitalist). In short, the government may end up stalling for time.

Unfortunately, Iceland does not have time. The European commissioner for enlargement, Olli Rehn, is a strong ally. A Finn, Mr Rehn says that Iceland “would complement the EU, both philosophically and economically”. Its strict fish-management policies have been praised by the fisheries commissioner, Joe Borg (who is from Malta, a small island that has no selfish interests in cod). But there will be a new European Commission in the autumn. To catch both Mr Borg and Mr Rehn in their current jobs, an application must go in by April at the latest. The commission could rush through a formal positive opinion in six months (Iceland already applies two-thirds of EU laws). Iceland could then become a formal candidate in late 2009, when Sweden (another ally) holds the rotating EU presidency, and a full EU member by 2011. Membership of the single currency would take a bit longer, but pro-EU politicians say the simple act of applying and working towards euro convergence would reassure the markets.

Dangerous shoals ahead

As time passes, Iceland’s chances may shrink. Sweden will be followed in the presidency by Spain, a country with a prodigious appetite for others’ fish. Then comes federalist Belgium, which may feel Europe has enough sceptical Atlantic islands already.

Icelanders fear the EU wants to grab some of their fish through the common fisheries policy. Such fears are “exaggerated, but not wholly unjustified”, admits one Eurocrat. If Iceland wants the euro, it may have to “move a bit” on fish. (Greenland and the Faroes, nearby Danish dependencies, control their own fish, but neither is an EU member.) Exemption from the fisheries policy is a non-starter, not least because future applicants might seek the same. But Iceland may win transitional arrangements, perhaps along the lines of national subsidies permitted for far-northern Finnish and Swedish farms.

Will such a fudge do it? Icelanders are fond of national myths of splendid isolation, says Arni Pall, a Social Democratic member of parliament. But they are also deeply pragmatic. Just consider whale hunting, he suggests. Icelanders grew up thinking of whaling as normal, but whaling offends public opinion abroad and harms lucrative fish exports, so it is now stalled.

Iceland will be bullied, in subtle and unpleasant ways, if it applies to join the EU from its present position of weakness. Yet it may never have a better chance of a good deal. That sounds like a contradiction, but Iceland is good at managing those.

Sonntag, Januar 25, 2009

Berge / Mountains

Samstag, Januar 24, 2009

NYT: Muammar Qaddafi: The One-State Solution

The New York Times
January 22, 2009
Op-Ed Contributor
The One-State Solution
By MUAMMAR QADDAFI

Tripoli, Libya

THE shocking level of the last wave of Israeli-Palestinian violence, which ended with this weekend’s cease-fire, reminds us why a final resolution to the so-called Middle East crisis is so important. It is vital not just to break this cycle of destruction and injustice, but also to deny the religious extremists in the region who feed on the conflict an excuse to advance their own causes.


The New York Times
January 22, 2009
Op-Ed Contributor
The One-State Solution
By MUAMMAR QADDAFI

Tripoli, Libya

THE shocking level of the last wave of Israeli-Palestinian violence, which ended with this weekend’s cease-fire, reminds us why a final resolution to the so-called Middle East crisis is so important. It is vital not just to break this cycle of destruction and injustice, but also to deny the religious extremists in the region who feed on the conflict an excuse to advance their own causes.

But everywhere one looks, among the speeches and the desperate diplomacy, there is no real way forward. A just and lasting peace between Israel and the Palestinians is possible, but it lies in the history of the people of this conflicted land, and not in the tired rhetoric of partition and two-state solutions.

Although it’s hard to realize after the horrors we’ve just witnessed, the state of war between the Jews and Palestinians has not always existed. In fact, many of the divisions between Jews and Palestinians are recent ones. The very name “Palestine” was commonly used to describe the whole area, even by the Jews who lived there, until 1948, when the name “Israel” came into use.

Jews and Muslims are cousins descended from Abraham. Throughout the centuries both faced cruel persecution and often found refuge with one another. Arabs sheltered Jews and protected them after maltreatment at the hands of the Romans and their expulsion from Spain in the Middle Ages.

The history of Israel/Palestine is not remarkable by regional standards — a country inhabited by different peoples, with rule passing among many tribes, nations and ethnic groups; a country that has withstood many wars and waves of peoples from all directions. This is why it gets so complicated when members of either party claims the right to assert that it is their land.

The basis for the modern State of Israel is the persecution of the Jewish people, which is undeniable. The Jews have been held captive, massacred, disadvantaged in every possible fashion by the Egyptians, the Romans, the English, the Russians, the Babylonians, the Canaanites and, most recently, the Germans under Hitler. The Jewish people want and deserve their homeland.

But the Palestinians too have a history of persecution, and they view the coastal towns of Haifa, Acre, Jaffa and others as the land of their forefathers, passed from generation to generation, until only a short time ago.

Thus the Palestinians believe that what is now called Israel forms part of their nation, even were they to secure the West Bank and Gaza. And the Jews believe that the West Bank is Samaria and Judea, part of their homeland, even if a Palestinian state were established there. Now, as Gaza still smolders, calls for a two-state solution or partition persist. But neither will work.

A two-state solution will create an unacceptable security threat to Israel. An armed Arab state, presumably in the West Bank, would give Israel less than 10 miles of strategic depth at its narrowest point. Further, a Palestinian state in the West Bank and the Gaza Strip would do little to resolve the problem of refugees. Any situation that keeps the majority of Palestinians in refugee camps and does not offer a solution within the historical borders of Israel/Palestine is not a solution at all.

For the same reasons, the older idea of partition of the West Bank into Jewish and Arab areas, with buffer zones between them, won’t work. The Palestinian-held areas could not accommodate all of the refugees, and buffer zones symbolize exclusion and breed tension. Israelis and Palestinians have also become increasingly intertwined, economically and politically.

In absolute terms, the two movements must remain in perpetual war or a compromise must be reached. The compromise is one state for all, an “Isratine” that would allow the people in each party to feel that they live in all of the disputed land and they are not deprived of any one part of it.

A key prerequisite for peace is the right of return for Palestinian refugees to the homes their families left behind in 1948. It is an injustice that Jews who were not originally inhabitants of Palestine, nor were their ancestors, can move in from abroad while Palestinians who were displaced only a relatively short time ago should not be so permitted.

It is a fact that Palestinians inhabited the land and owned farms and homes there until recently, fleeing in fear of violence at the hands of Jews after 1948 — violence that did not occur, but rumors of which led to a mass exodus. It is important to note that the Jews did not forcibly expel Palestinians. They were never “un-welcomed.” Yet only the full territories of Isratine can accommodate all the refugees and bring about the justice that is key to peace.

Assimilation is already a fact of life in Israel. There are more than one million Muslim Arabs in Israel; they possess Israeli nationality and take part in political life with the Jews, forming political parties. On the other side, there are Israeli settlements in the West Bank. Israeli factories depend on Palestinian labor, and goods and services are exchanged. This successful assimilation can be a model for Isratine.

If the present interdependence and the historical fact of Jewish-Palestinian coexistence guide their leaders, and if they can see beyond the horizon of the recent violence and thirst for revenge toward a long-term solution, then these two peoples will come to realize, I hope sooner rather than later, that living under one roof is the only option for a lasting peace.

Muammar Qaddafi is the leader of Libya.

Freitag, Januar 23, 2009

NZZ: Zurück zu den grundlegenden Prinzipien einer soliden Wirtschaft

21. Januar 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft

Zurück zu den grundlegenden Prinzipien einer soliden Wirtschaft
Nüchterne Gegenvorschläge zur verbreiteten Sehnsucht nach der ewig weiterlaufenden Geldmaschine

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise ist die Suche nach wirksamen und sinnvollen Gegenmassnahmen voll im Gang. Der Autor des folgenden Beitrags legt unter anderem dar, von welchen Untugenden man sich im Finanzsektor abwenden sollte, um zu einer stabileren Wirtschaft, mehr Innovation und höherer Produktivität zu gelangen. (Red.)

Von Didier Sornette


21. Januar 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft
Zurück zu den grundlegenden Prinzipien einer soliden Wirtschaft
Nüchterne Gegenvorschläge zur verbreiteten Sehnsucht nach der ewig weiterlaufenden Geldmaschine

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise ist die Suche nach wirksamen und sinnvollen Gegenmassnahmen voll im Gang. Der Autor des folgenden Beitrags legt unter anderem dar, von welchen Untugenden man sich im Finanzsektor abwenden sollte, um zu einer stabileren Wirtschaft, mehr Innovation und höherer Produktivität zu gelangen. (Red.)

Die Finanzkrise des Jahres 2008, die seinerzeit von einem klar lokalisierbaren Epizentrum im Markt für verbriefte Hypotheken am amerikanischen Immobilienmarkt ausgegangen ist, wächst sich zu einer weltweiten Rezession aus, die immer verheerender wird und angesichts der Ungewissheit über ihre Dauer riesige Verluste und grosse Schäden für Milliarden von Menschen bringt. In vielen Ländern haben Notenbanken massive Interventionen durchgezogen, zahlreiche Regierungen haben gewaltige Ausgabenprogramme lanciert, wobei die staatlichen Massnahmen in Amerika und Europa besonders umfangreich waren. All dies erweckt den Eindruck, als setze nun eine Art Gegenbewegung zu der während Jahrzehnten erlebten Expansion von Marktwirtschaft, Freihandel und kapitalistischen Spielregeln ein.

Ursprung und Natur der Krise

Die heutige Krise hat eine ziemlich lange Vorgeschichte. Im vorliegenden Artikel wird zunächst dargelegt, dass ihr Ursprung etwa ein Jahrzehnt zurückreicht und dass sie sich dann über mehrere aufeinanderfolgende Vermögensblasen aufbaute. Im zweiten Teil sollen einige Empfehlungen und Lösungsansätze dargelegt werden, die sich aus der Analyse ableiten lassen. Einer der wichtigsten Schauplätze ist der Markt für verbriefte Hypotheken. Ein mit Hypotheken besichertes Wertpapier (mortgage-backed security, MBS) entspricht im Prinzip einem Bündel von Eigenheim-Hypotheken, dessen Eigentümer bzw. Käufer daraus typischerweise periodisch wiederkehrende Zahlungsströme zugut hat. Diese Zahlungen stammen letztlich von den Zinszahlungen der Schuldner, die ihre Kredite zu bedienen haben.

Es ist klar, dass die unmittelbare Ursache für die Finanzkrise darin zu suchen ist, dass die Immobilienpreis-Blasen in den USA, in England und einigen andern Ländern platzten, dass dadurch Schuldner in Not gerieten, Kredite ausfielen und die damit besicherten MBS an Wert verloren. Der Zusammenbruch ist derart dramatisch, weil sowohl die Immobilienblase in den USA, die ihren Höhepunkt Mitte 2006 erreicht hatte, als auch die damit verbundene MBS-Blase riesig waren. Von einer MBS-Blase zu sprechen, ist durchaus gerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass das Marktvolumen der emittierten Titel zwischen 2002 und 2007 explosionsartig wuchs. Aufgebläht wurde die Blase einerseits durch den Renditehunger der Investoren, anderseits eröffnete eine ganze Welle von Finanzinnovationen neue Möglichkeiten, die mit der Zeit die Illusion nährten, Gläubiger, vor allem Banken, könnten die mit den von ihnen gewährten Krediten verbundenen Ausfallrisiken einfach wegdiversifizieren.

Weitverbreiteter Irrtum

Im Grunde waren diese Erwartungen der Spiegel einer weitverbreiteten Fehleinschätzung der Wirklichkeit. Es wurde dabei nämlich ausser acht gelassen, dass in vernetzten Systemen, also bei relativ engen Beziehungen zwischen Unternehmen, mit vielfältigen Interdependenzen und Wechselwirkungen zu rechnen ist. Neuere Forschungen über selbstorganisierende Netzwerke zeigen eindeutig, dass die Verringerung von Vielfalt, mangelnde Redundanz, das Aufheben von trennenden Grenzen und engere Verknüpfungen genau die Rezepte sind, mit denen man Systeme ins Verderben laufen lassen kann.

Diese Gefahren treffen im Finanzsektor umso ausgeprägter zu, als da die mittelgrossen Risiken verringert worden sind. Dadurch wurde ein trügerisches Gefühl von Sicherheit erweckt, und das begünstigte das Aufkommen eines sehr gefährlichen kollektiven Glaubens, die Risiken seien verschwunden. Die «grosse Glättung» der Konjunkturschwankungen in den entwickelten Volkswirtschaften und die absurd niedrigen Risikoprämien an den Finanzmärkten im zurückliegenden Jahrzehnt passen in dieses Bild.

Dass der Abschwung in der laufenden Krise nun derart scharf ist, erklärt sich auch aus der schieren Grösse des Nominalwertes der MBS, die in den Portefeuilles von Banken, Versicherern und vielen andern Unternehmen liegen. Als die Immobilienblase an Luft zu verlieren begann, schoss die Zahl der Kreditausfälle in die Höhe, und die Halter von MBS begannen schwere Verluste zu spüren. In der Folge sahen sich viele Finanzinstitute plötzlich ungenügend mit Eigenkapital und Kapital ausgestattet, was zu Konkursen oder staatlichen Rettungsaktionen führte.

Im globalisierten und komplexen Netz interdependenter Banken, die typischerweise auf gegenseitiges Ausleihen von Geld ausgerichtet waren, sah plötzlich jeder mit Schrecken, dass die Branchenkollegen in der gleichen Lage waren. Alle suchten sich in Sicherheit zu flüchten, die Verluste auf den MBS-Portefeuilles wuchsen, und schliesslich kamen die Interbankenausleihungen praktisch zum Erliegen, da jede Bank fürchtete, die Gegenpartei könnte ausfallen. Gleichzeitig haben die Banken sodann ihre vormals lasche Praxis der Kreditvergabe durch ein lächerlich strenges Gebaren gegenüber kreditsuchenden Firmen und Haushalten ersetzt und damit der Wirtschaft fast den Sauerstoff bzw. die Liquiditätsversorgung entzogen.

Zentralbanken und Regierungen haben rasch interveniert, um etwas gegen dieses Umkippen in eine fast schon pathologische Risikoaversion bei den Banken zu unternehmen – vertrauend auf die «Theorie», dass die Krise zu meistern sei, wenn die Verluste auf MBS-Titeln gestoppt würden und dadurch das Vertrauen wiederhergestellt werde. Ein ganzes Arsenal von Massnahmen wurde herangezogen, um die Entwertung dieser heiklen Papiere in den Portefeuilles der Finanzinstitute aufzuhalten.
Werte, die eigentlich nie da waren

Ich bin der Meinung, dass diese Sichtweise auf einem grundlegenden Irrtum beruht, weil sie die zentrale Ursache für diese «Verluste» verkennt. Die Verluste widerspiegeln nämlich nicht einfach die Abschwungphase eines Konjunkturzyklus, nein, sie bringen eine simple Wahrheit zum Ausdruck, die für viele zu schmerzhaft ist, als dass sie sie ertragen könnten: Die früheren Gewinne waren gar nicht real, sondern stellten künstlich aufgeblasene Werte im Finanzsektor dar, ohne dass sie in der realen Wirtschaft irgendwie verankert oder durch Leistungen gerechtfertigt gewesen wären.

Mehr als ein Jahrzehnt lang haben sich Banken, Versicherer, Wall Street und Main Street dem Glauben hingegeben, sie seien reicher. Aber dieser Reichtum war nur das Resultat einer ganzen Serie von sich selbst erfüllenden Blasen: Noch in frischer Erinnerung ist etwa die Internetblase in den USA und in Europa (2002–2006), daneben gab es die Immobilienblase (2002–2006), die MBS-Blase (2002–2007), eine regelrechte Aktienblase (2003–2007) und eine Rohstoffblase (2004–2008). Jede Blase linderte einige Probleme aus der vorangegangenen Übertreibung oder bildete den Ausgangspunkt für die nächste Blase.




Ausbruch aus alten Bahnen und Verhaltensmustern und die Suche nach Stabilität NZZ Online 21.01.2009
Didier Sornett

Die unbequemen Konsequenzen der obigen einfachen, aber brutalen Wahrheit bestehen darin, dass alle Versuche, die Bewertungen aus der «Blasenperiode» irgendwie «oben» zu erhalten, auf den Versuch hinauslaufen, eine Art Geldmaschine ewig in Schwung zu halten. Ja es ist noch schlimmer: Man missbraucht so die knappen Mittel der Steuerzahler, bürdet ihnen langfristige Schulden und Verpflichtungen auf, und zwar in einem Ausmass, das in vielen Ländern bereits gefährlich hoch geworden ist.

Gewiss, Wunderwaffen gibt es keine, aber im Folgenden sollen doch einige Konzepte dargelegt werden, die als Grundlage für ein pragmatisches Vorgehen gegen die Krise dienen können.

1. Suche nach Liquidität.
Ein Problem, das unmittelbar anzugehen ist, besteht in der Blockade der Liquidität. Hauptschuldige sind die Banken, die bei der Kreditvergabe an Firmen und Haushalte neuerdings übertrieben rigide Regeln anwenden. Dieses Liquiditätsproblem birgt die Gefahr, dass es zu einer Rezessionsspirale katastrophalen Ausmasses führen könnte, zu einer Entwicklung, für die es fundamental keinen Grund gibt – ausser eben, dass sie sich ungewollt aus prozyklischen Wechselwirkungen zwischen Finanzsektor und Realwirtschaft ergibt, wo doch eigentlich nur im Finanzsektor Korrekturen fällig wären. In dieser Hinsicht sollten Zentralbanken und Regierungen Kreativität beweisen und sicherstellen, dass kleinere und mittlere Unternehmen jeden Monat Zugang zu genügend Liquidität haben, um ihre Produktion fortzuführen und die Belegschaften zu halten oder auszubauen.

Die Tragweite dieses Problems wurde bisher stark unterschätzt und ruft nach einer raschen und energischen Lösung. Neben den Kreditspielräumen für Banken, die ihrer Multiplikator-Rolle in der Wirtschaft gerecht werden, könnte man für eine beschränkte Zeitdauer auch zusätzlich spezielle staatliche Einrichtungen vorsehen, die den Auftrag haben, die Realwirtschaft mit Liquidität zu versorgen – und zwar direkt, unter Umgehung der knausrig-widerspenstigen Banken. Zu beachten ist, dass dieses Verfahren nicht zur Rettung schlecht geführter Unternehmen mit offensichtlichem Restrukturierungsbedarf herangezogen werden sollte. Krisen sind oft Gelegenheiten für Restrukturierungen, die zwar zunächst etwas kosten, in der Zukunft aber umso höhere Erträge bringen.

2. Rückkehr zu den Grundlagen von Wachstum und Innovation.
Notwendig sind des Weiteren langfristig angelegte Programme in grossem Massstab zur Stimulierung der Wirtschaft – möglicherweise im Umfang von einigen Prozenten des Bruttoinlandprodukts –, die je nach Entwicklung der Krise pragmatisch neu justiert werden müssen. Die Massnahmen sollten auf die grundlegenden Wachstumskräfte ausgerichtet werden, auf Infrastruktur, Bildung und Unternehmertum. Ziel muss es sein, das Produktivitätswachstum und die Schaffung realen Wohlstands zu fördern. Studien zeigen zum Beispiel, dass Investitionen in Maschinenausrüstungen ziemlich direkt einen anregenden Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben.

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist auch die Bildung, und viele Erhebungen deuten darauf hin, dass Bildung und Ausbildung in den USA in den vergangenen Jahrzehnten schlechter geworden sind, in geringerem Ausmass gilt dies auch für Europa. Die heutige Krise bietet die Chance, sich darauf zurückzubesinnen, wie langfristig Wohlstand geschaffen werden kann.Diese Stimulierungsprogramme bieten auch die Chance, die Infrastruktur energieeffizienter und umweltschonender zu gestalten. Dadurch kämen neue Industriezweige wie Windenergie, Stromspeicherung, Atommüll-Aufarbeitung und -Verarbeitung und andere zu neuen Impulsen. Zieht man in Betracht, dass die Menschheit vor der Herausforderung steht, auf der begrenzten Erde ihre Existenz zu sichern, dann bietet die heutige Krise eine Gelegenheit, grundlegende Entscheide zu treffen, um die Entwicklung in Richtung Umweltverträglichkeit zu lenken.

3. Deflation in der Finanzsphäre.
Es ist unumgänglich, im Finanzsektor eine rapide Deflation durchzuführen bzw. Luft aus der Finanzsphäre abzulassen. Und mit Blick auf die fernere Zukunft wären Mechanismen zu entwerfen, die ein überschiessendes Wachstum des Finanzsektors verhindern und so Gewähr für eine höhere Stabilität bieten. Wenn der Finanzsektor gut funktioniert, erbringt er viele produktive Dienstleistungen wie etwa die effiziente Finanzierung von Firmen, Staaten und privaten Haushalten. Darüber hinaus fungiert der Finanzsektor als Aufbewahrungsort für Werte, die sich in der «realen Wirtschaft» spiegeln sollten. Das in jüngerer Zeit erlebte aussergewöhnliche Wachstum jener Vermögensteile dagegen, die primär mit der Finanzwelt zusammenhängen, war künstlich, ein Produkt aus Multiplikatoren, das einer virtuellen, fragilen Ausweitung von Vermögen entsprach. Typisch war etwa, dass die Marktbewertungen von Fonds in Blasenperioden viel höher waren als die Summe der Industrie-Anteile in ihren Portefeuilles.

Man kann durchaus objektive Messzahlen und Indikatoren entwickeln, um das Verhältnis zwischen dem allein aus der Finanzwelt heraus erzeugten Vermögen und dem Gesamtvermögen einer Wirtschaft zu ermitteln. Beobachtet man zum Beispiel, dass im Durchschnitt 40% der Einnahmen der grossen amerikanischen Firmen aus Finanzanlagen kommen, dann ist dies ein klarer Hinweis darauf, dass in der Wirtschaft Luftschlösser gebaut worden sind.Auch das Konzept der Inflation muss überdacht werden. Wenn beispielsweise die Häuserpreise steigen, dann bedeutet das nicht nur, dass die Hauseigentümer reicher sind als vorher. Es bedeutet auch, dass im privaten Haushalt mehr Geld nötig ist, um eine Einheit «Wohnen» zu kaufen, verglichen etwa mit den Preisen für Nahrungsmittel, Ferien oder Schulgeld. Aus dieser Sicht sind Immobilienpreise durchaus Teil der Inflation. Meiner Ansicht nach sollten deshalb Immobilien- und Aktienindizes in die Inflationsmessung einbezogen werden – natürlich unter angemessener Berücksichtigung des ganzen Nutzens, den man aus einer Liegenschaft ziehen kann. Auf diese Weise würde eine auf Inflationsziele ausgerichtete Geldpolitik fast auf natürliche Art und Weise eine gewisse Kontrolle über einige jener Typen von Vermögensblasen erlauben, die am Anfang der heutigen Krise standen. Man könnte in Richtlinien festlegen, welche Warnsignale Notenbanken und Regierungen zu beachten hätten, etwa nach folgendem Muster: Sollte das Verhältnis von finanziellem Vermögen zum Wert der Realwirtschaft eine bestimmte, vorher festgelegte Marke überschreiten, könnten Massnahmen eingeleitet werden, um die Relationen wieder zurechtzurücken.

Ein letzter Punkt zum Thema Grösse der Finanzsphäre: Ich bin ein glücklicher Professor, der an einer international renommierten technischen Hochschule ein laufend wachsendes Studentenpublikum auf dem Gebiet Financial Economics unterrichtet. Aber ich bin beunruhigt darüber, dass immer mehr Ingenieure aus Elektro- und Maschinentechnik, Bauwesen und andern Gebieten in die Finanzbranche wechseln, um da zu arbeiten. Ist da möglicherweise eine neue Bubble am Entstehen? Finance wird die vielen oben erwähnten Probleme nicht lösen. Es ist vielmehr so, dass Kreativität und Unternehmertum in der realen Wirtschaft und der realen Welt besser honoriert werden müssen.

4. Faire Spielregeln bei Interventionen.
Es ist durchaus angebracht, dass Zentralbanken und Regierungen auf den Plan treten, um Finanzinstitute zu stützen, dabei müssen aber faire Bedingungen eingehalten werden. Aktionäre und nachrangige Gläubiger sollen die Folgen der Verluste mittragen, es darf nicht sein, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Fachleute des Finanzsektors haben diverse Mechanismen in dieser Richtung vorgeschlagen, die die Interessen der Steuerzahler auf lange Frist schützen.

5. Suche nach robusten Strukturen und international abgestimmten Regulierungen.
Die gegenwärtige Krise führt vor Augen, dass die Gesellschaft immer fragiler wird und dass sich dies noch beschleunigt. Ich glaube, wir erleben zurzeit so etwas wie einen Vorgeschmack auf viel gewaltigere und ernsthaftere Schocks, die in nicht allzu ferner Zukunft, vielleicht in ein, zwei Jahrzehnten, auf uns zukommen könnten. Umso mehr sollte heute die Gelegenheit genutzt werden, die Welt widerstandsfähiger, robuster zu machen. Die Rezepte sind bekannt: Vielfalt, Redundanz, gewisse klare Grenzen, Robustheit von Netzen bei destabilisierenden Effekten.

Dieser «Robustheits-orientierte» Ansatz lässt sich etwa am Beispiel von Warren Buffetts Investitionsphilosophie veranschaulichen, die auf «Erzielen annehmbarer langfristiger Resultate unter ausserordentlich widrigen Umständen» abzielt. Dies steht in starkem Kontrast zu den Praktiken im Finanzsektor, die auf Schätzungen von Wahrscheinlichkeiten zur Erfüllung von Verpflichtungen und kurzfristigen Gewinnen beruhen.

Dies erfordert grundsätzlich neue Ausrichtungen von Strukturen und Regulierungen. Die Aufgabe ist komplex, aber wenn man sie erkennt und formulieren kann, ist schon ein grosser Schritt getan, dem dann freilich ein energisches Vorgehen auf internationaler Ebene folgen sollte, ein umfangreiches Programm für multidisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppen, die über genug Mittel und Befugnisse verfügen sollten. In einem ersten Schritt sollten führende Länder allerdings bei sich zu Hause beginnen und den Prozess dann auf die internationale Ebene heben.

6. Besseres Verständnis und Ausbildung im Zusammenhang mit Risiken.
Schliesslich sollte man, jenseits aller unmittelbaren Probleme, das grosse Bild nicht aus dem Blick verlieren. Es muss wiederholt werden, dass sich dieses Mal eine einmalige Gelegenheit für grundlegende Veränderungen und Verbesserungen bietet. Die heutige Krise sollte genutzt werden, um eine echte Risikokultur zu entwickeln, entsprechende Trainings sollten für Verantwortliche in Regierungen, Regulierungsinstanzen und Finanzinstitutionen eigentlich obligatorisch werden.

Tatsächlich lag ein bisher kaum diskutierter Grund für die Finanzkrise darin, dass etliche Top-Manager in Sachen Risiko und damit verbundenen Implikationen nicht gut genug ausgebildet waren. Es ist nun Zeit, dass eine Kultur zum Umgang mit Risiken für die breitere Öffentlichkeit zum Thema wird. Im 21. Jahrhundert sollte das «lineare Denken» allmählich einem grösseren Verständnis für Wechselwirkungen, Rückkoppelungen in komplexen Systemen weichen, denn mit solchen Systemen haben wir es zu tun, diese erzeugen Schocks, aber auch Chancen.

Der Autor
Gy. Didier Sornette ist seit 2006 ordentlicher Professor für Entrepreneurial Risks an der ETH Zürich. In dem in den letzten Jahren stark gewachsenen Departement Management, Technologie und Ökonomie ist er als Spezialist für Grossrisiken und extreme Gefahren tätig. Seine Forschungsinteressen gelten unter anderem der Analyse komplexer Systeme, dies mit Blick auf den Finanzsektor, Betriebswirtschaft, das Versicherungswesen oder auch im Zusammenhang mit medizinischen Gefahren, Erdbeben oder Erdrutschen. Sornette ist 1957 in Paris geboren, er hat an der Ecole Normale Supérieure Physik studiert, an der Universität Nizza doktoriert, am CNRS in leitender Funktion gearbeitet und nach einem anfänglichen Teilpensum an der UCLA 1999 eine Professur angetreten, die er 2006 in Richtung Zürich verliess.

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Donnerstag, Januar 22, 2009

«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an

Tagesanzeiger Online
«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an
Von Mathias Morgenthaler. Aktualisiert am 21.01.2009

René Zeyer, Vertreter der Schweizer Lehman-Opfer, schiesst in seinem Buch mit schwerem Geschütz auf die Finanzbranche. Die Banker verfügten über ein minimes Fachwissen, hätten aber einen grossen Geltungsdrang.


René Zeyer (53) ist Inhaber der Firma Zeyer Kommunikation und Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer. Als langjähriger Berater in der Finanzbranche kennt er die Banken von innen. Zuvor arbeitete Zeyer als Journalist und Reporter für Publikationen wie «Stern», FAZ und «Schweizer Illustrierte». In den Neunzigerjahren berichtete er als Kuba-Korrespondent für die NZZ. (mmw)

Tagesanzeiger Online
«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an
Von Mathias Morgenthaler. Aktualisiert am 21.01.2009

René Zeyer, Vertreter der Schweizer Lehman-Opfer, schiesst in seinem Buch mit schwerem Geschütz auf die Finanzbranche. Die Banker verfügten über ein minimes Fachwissen, hätten aber einen grossen Geltungsdrang.
Scharfe Kritik an Bankmanagern: René Zeyer.

René Zeyer (53) ist Inhaber der Firma Zeyer Kommunikation und Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer. Als langjähriger Berater in der Finanzbranche kennt er die Banken von innen. Zuvor arbeitete Zeyer als Journalist und Reporter für Publikationen wie «Stern», FAZ und «Schweizer Illustrierte». In den Neunzigerjahren berichtete er als Kuba-Korrespondent für die NZZ. (mmw)

Herr Zeyer, Sie haben in guten Jahren als Kommunikationsberater für Banken gearbeitet und legen jetzt, wo die Banken stark angeschlagen sind, ein Buch mit «Storys aus der Welt der Abzocker» vor. Haben Sie keine Skrupel?

Da bin ich genauso skrupellos wie die Banker selber und habe genauso wenig Mitleid mit den Banken wie diese mit ihren Opfern. Ich hielt es für wichtig, die Dunkelkammer hinter den schönen Holztüren etwas auszuleuchten. Bis heute sind viele mehr oder weniger gescheite Erklärungen für die Finanzkrise publiziert worden. Wie das berühmte Schweizer Private Banking in der Praxis aber konkret funktioniert, ist bisher meines Wissens nicht dargestellt worden.

Bei Ihrem Buch handelt es sich doch nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um eine böse Karikatur. Die Protagonisten feiern Trinkorgien mit russischen Anlegern, Sie mogeln Geld an den Steuerbehörden vorbei und beschäftigen sich tagelang mit der Frage, ob sie einen BMW oder Mercedes kaufen sollen.

Ich habe nicht genug Fantasie, um solche Geschichten zu erfinden. Alle Storys stammen aus dem wahren Leben der hiesigen Finanzdienstleister. Ich habe bloss Namen und Örtlichkeiten verfremdet. Das mag für viele überraschend sein, aber die Hauptaufgabe eines Private-Bankers in der Schweiz ist nicht, irgendwelche Anlagemodelle für seine Kunden zu berechnen oder tolle Strategien zu entwerfen. In erster Linie ist er ein PR-Mensch, der an noblen Anlässen gut betuchte Kundschaft umgarnt. Die entscheidende Kompetenz ist Eindrucksmanagement, nicht Sachverstand.

Von Finanzmärkten und -produkten verstehen die Private-Banker in der Regel nicht viel?

Nein, die meisten sind keine Wirtschaftsspezialisten, eher Juristen, Chemiker, Autoverkäufer, die Private-Banker geworden sind, weil sie einen anderen Beruf verfehlt haben und reich werden wollten. Entscheidend ist, dass jemand einen verbindlichen Umgangston hat und gerne an allen möglichen Partys rumsteht. So kommt der Private-Banker zu seiner Kundschaft. Es ist ja nicht so, dass die Kunden sich melden würden, weil einer besonders gute Beratung bietet, sondern der Banker organisiert teure Anlässe, wo er bestehende Kunden und deren Netzwerk einlädt, oder er besucht Events, wo sich die Reichen tummeln. Dort steckt er jenen, die 10 oder besser 50 Millionen Franken mitbringen, am Schluss seine Visitenkarte zu.

Damit sagen Sie auch: Nicht nur die Kunden haben oft keine Ahnung, was für Finanzprodukte in ihrem Depot liegen, sondern auch die Berater auf der Bank tappen da im Dunkeln?

Das Standardziel des Private-Bankers ist, die Vermögensverwaltungsvollmacht zu erhalten. Er teilt seine Kunden nach banalen Grundrastern in eine Risikotyp-Kategorie ein und verwaltet das Vermögen dann eigenmächtig. Solange es an den Börsen aufwärtsgeht, sind alle happy, der Banker kassiert seine Kommissionen, Kickbacks, Courtagen, Fees und wie diese Formen der Bereicherung auf Kosten des Kunden alle heissen, der Kunde erhält selber auch einen schönen Anteil am Kursgewinn. Wenns wirtschaftlich enger wird, verschlechtert sich das Verhältnis. Der Banker will nach wie vor Umsatz generieren, weil sein Bonus davon abhängt, der Kunde fährt nun happige Verluste ein und fragt sich, wofür der Berater eigentlich seine Kommissionen kassiert.

Im Verlagstext zu Ihrem Buch steht, die Vorurteile gegenüber der Branche würden von der Realität noch übertroffen. Inwiefern sind die Banker schlimmer als ihr Ruf?

Schockierend ist nebst dem minimen Fachwissen der Realitätsverlust. Private-Banker kommen inklusive Bonus in der Regel auf ein Einkommen von 400'000 bis 600'000 Franken; da sie zusätzlich auf Kosten der Bank mit Geld um sich werfen können, führen sie das Leben eines Multimillionärs. Sie beschäftigen Fashion-Consultants, Innenarchitekten, Haushälterinnen, Wellness-Berater und Personal Trainer, fahren zum «White Turf» nach St. Moritz und fliegen auf die Seychellen in den Urlaub. Und manche bringen Tage damit zu, im März, nach Bekanntgabe der Boni, den Kauf des neuen Autos sorgfältig zu evaluieren.

Jetzt übertreiben Sie wieder.

Keineswegs, das ist durchaus matchentscheidend für die Karriere eines Private-Bankers. Wichtig ist, die Gratwanderung zwischen Statusansprüchen und innenpolitischer Korrektheit zu meistern. Wenn Ihr Chef etwas altmodisch ist und noch Mercedes fährt, kaufen Sie besser nicht einen Aston Martin oder Bentley. Lamborghini oder Maserati sind ohnehin tabu. Meistens liegen nur Mercedes und BMW drin, farblich irgendwo zwischen grau, dunkelgrau und schwarz.

Spielt da Neid mit, oder was war Ihr Antrieb, dieses Buch zu schreiben und damit lukrative Beratungsmandate aufs Spiel zu setzen?

Ich wollte das Buch ursprünglich unter einem Pseudonym veröffentlichen. Dann zog die Geschichte mit Schweizer Lehman-Opfern immer weitere Kreise; es zeigte sich, dass viele Kleinkunden einen Grossteil ihres Vermögens oder ihrer Altersvorsorge verloren hatten, weil ihr Bankberater sie dazu verleitet hatte, alles auf eine Karte zu setzen und hoch spekulative Produkte zu erwerben. Nachdem ich mich entschieden hatte, mich als Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer zur Verfügung zu stellen, war mir klar, dass ich auch als Buchautor meinen Kopf hinhalten musste.

Stimmt es, dass manche Banken ihren Angestellten verboten haben, in den USA Urlaub zu machen?

Ja, eine der beiden Schweizer Grossbanken hat den Befehl herausgegeben, dass alle Dienstreisen ihrer Mitarbeiter vorgängig genehmigt werden müssen und dass Privatreisen in die USA einstweilen untersagt sind. Wer schon Ferien gebucht hatte, musste stornieren.

Sie schiessen mit schwerem Geschütz auf die Bankbranche. Was war eigentlich Ihre Motivation, just in dieser Branche Kommunikationsmandate zu übernehmen?

Es gibt ja nicht nur die Abzocker, sondern auch eine Reihe ehrenwerter Privatbankiers. Viele junge Banker tragen Grundwerte wie Vertrauen, Seriosität und Tradition aber nur noch als Köder vor sich her. Das primäre Ziel ist, den Bonus von Jahr zu Jahr zu verdoppeln. Natürlich trifft man diese Gier auch bei der Kundschaft an. Speziell Neureiche sind oft masslos; erzielen sie in einem Jahr 15 Prozent Rendite, müssen es im nächsten Jahr 20 Prozent sein. Diese Leute vergessen, dass ein Profit von 5 Prozent ziemlich gut ist – diese Faustregel ist seit Menschengedenken gültig. Wer mehr anpeilt, bewegt sich irgendwo zwischen Casino und Lotterie.

Und die Banken haben diese Erwartungshaltung gefördert?

Sie suggerierten , dass man risikolos 10, 15 oder 20 Prozent erzielen kann. Schauen wir den Fall des Betrügers Madoff an: Da fielen Tausende von seriösen Analysten auf ein primitives Schneeball-System herein. Fachidioten wissen so viel, dass sie vergessen, banale Fragen zu stellen wie: «11 Prozent jedes Jahr – wie macht der das eigentlich?» Wenn wir vor 20 Jahren einen Anruf von den Cayman-Inseln mit einem solchen Angebot erhalten hätten, hätten wir lachend aufgelegt. Heute ist die Finanzwelt derart vernetzt, dass uns unsere angeblich seriöse 250-jährige Traditionsbank solche Produkte anbietet.

Aus Naivität oder mit böser Absicht?

Es ist eine Mischung aus Gier und Branchenverdummung. Das unsägliche «Financial Engineering» hat die Produkte so kompliziert gemacht, dass selbst die Finanzanalysten nicht mehr durchblicken. Fragen Sie mal Ihren Berater, wie ein Hedge-Fonds genau funktioniert. Er wird Ihnen erklären, dass man unabhängig von der Entwicklung an den Börsen immer Gewinn macht, weil man gleichzeitig auf fallende und steigende Kurse setzt. Leuchtet Ihnen das ein? Mir nicht. Und wir sollten nicht glauben, die Banken hätten aus Gedankenlosigkeit so komplizierte Modelle entworfen, da steckt klar kriminelle Absicht der Investment-Banker dahinter. Je komplexer ein Produkt ist, desto mehr verdient die Bank damit, so einfach ist das. Wenn man die allein im US-Hypothekarsektor angefallenen Kommissionen, Spesen, Kickbacks und Boni zusammenrechnet, kommt man auf einen Diebstahl von rund 1000 Milliarden Dollar. Die Zeiten, als in den Banken die Gangster vor den Schaltern standen, sind vorbei.

Wie haben Sie Ihr Geld angelegt?

Ich habe von Warren Buffett gelernt, dass man nur in Geschäftsmodelle investieren sollte, die man selber versteht. Darum habe ich mein Geld auf Sparbüchern und in Kassenobligationen angelegt. Auch das war in den letzten Jahren kein Vergnügen. Die tiefen Leitzinsen waren für die Banken ein schlagendes Argument. Jeder Berater konnte seinem Kunden aufzeigen, dass er mit dem Sparbuch unter dem Strich rückwärtsmacht. Auf diesem Nährboden konnten all die zweifelhaften Finanzinstrumente gedeihen.

Wird die Bankbranche nach der Zäsur vernünftiger geschäften?

Nein. Wenn die Weltwirtschaft diesen Schock überlebt – was ich keineswegs für sicher halte –, dann wird es spätestens in fünf Jahren, nach einer angemessenen Schampause, weitergehen wie vorher.

Was müsste sich ändern?

Ich sehe mich eher als Diagnostiker denn als Therapeuten. Klar ist, dass es für Privatpersonen sinnvoll ist, nur in Sachen zu investieren, die sie thematisch oder geografisch überblicken können. Wenn man nicht aufpasst, wird man heute im Handumdrehen Mitbesitzer einer dubiosen Anlagefirma auf den Cayman-Inseln. Dass die persönliche Geldgier die treibende Kraft in der Bankenwelt ist, daran wird sich nichts ändern. Man könnte die Auswirkungen eindämmen, wenn man aufhören würde, Manager an Quartalszahlen zu messen. Einen solchen Blödsinn hätte man noch vor 20 Jahren für unmöglich gehalten.

Wie hat sich das Klima in den Banken im letzten Jahr verändert?

Die Stimmung ist unterirdisch. Stellen Sie sich vor: Sie haben als Berater 30 Prozent des Vermögens Ihrer schwerreichen Kunden in den Sand gesetzt und sollten nun diesen Leuten neue Produkte verkaufen, um auf ihren Bonus zu kommen. Da wundert man sich nicht, dass manche Banker nur noch mit Kokain, Antidepressiva und Ritalin über die Runden kommen. Und dass eine der Grossbanken der Krise damit zu begegnen versucht, dass sie ihre Angestellten anweist, nicht zu oft mit dem Handy zu telefonieren und keine Farbkopien mehr zu machen, sagt alles über die Ratlosigkeit. Einzelne Riesen, die jetzt noch als tönerne Kolosse dastehen, werden zu Zwergen werden. Ich halte das für eine gesunde Entwicklung. Dass der bonusgetriebene Kleinberater sich demnächst auf der Strasse wiederfinden wird, hat er sich redlich verdient.

Bei der UBS wurde ein Grossteil des Schadens von einem kleinen Team im Investmentgeschäft in den USA erzielt. Dann kann der Kundenberater in Bern wenig dafür.

Ja, er ist in gewisser Weise ein Systemopfer, weil er sich brav an seine Umsatzvorgaben gehalten und Produkte verkauft hat. Man darf das aber nicht als Ausrede gelten lassen. Jeder Staubsaugerverkäufer, der einem Kunden drei Jahre Garantie verspricht, kriegt ein Problem, wenn der Staubsauger nach einem Jahr kaputt geht und er sich nicht an das Garantieversprechen erinnert. Warum soll das für die Berater nicht gelten, welche ihren Kunden sogenannt sichere Produkte empfahlen, die sich im Nachhinein als Schrott erwiesen? Da sind wir wieder bei den Wissenslücken. 90 Prozent der Bankberater sind PR-Menschen, die vom Backoffice mit schönen Broschüren ausgestattet werden.

Die UBS hat in den letzten Wochen ihr Image aufzupolieren versucht, indem sie Kunden in halbseitigen Inseraten Gutes über die Bank hat sagen lassen. Was halten Sie davon?

Das ist ein Desaster. Wenn eine Schweizer Grossbank eine Kampagne machen muss, um zu betonen, was absolut selbstverständlich sein sollte, ist der Tiefpunkt erreicht. Das ist ungefähr so, wie wenn die Migros plötzlich damit werben würde, dass sie ihren Kunden in der Regel keine verdorbenen Produkte verkauft. Der UBS muss man zugutehalten, dass sie sich immerhin bei ihren Kunden auf dem Postweg entschuldigt hat. Selbstkritik ist in der Branche noch nicht sehr stark entwickelt – sie wäre aber durchaus angezeigt, wenn man sich vor Augen führt, dass die Kollateralschäden der Finanzkrise einen Umfang von mehr als 10 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts angenommen haben.