2. Januar 2009, NZZ Online
Als sich der Schleier über Kambodscha lüftete
Erinnerungen an das Ende des Regimes der Khmer Rouge vor 30 Jahren
Am 7. Januar 1979 eroberten vietnamesische Truppen die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Die Invasion beendete die Terrorherrschaft der Roten Khmer. Die überlebenden Opfer legen Zeugnis ab von den Schrecken in den Gefängnissen des Regimes.
http://de.wikipedia.org/wiki/Tuol_Sleng
Von Manfred Rist
Phnom Penh, im Dezember 2008
Den vietnamesischen Truppen, die vor 30 Jahren die Hauptstadt Kambodschas eroberten, bot sich das Bild einer verwahrlosten Geisterstadt. Phnom Penh, das 1975, im Jahr der Machtergreifung der Roten Khmer, rund 1 Million Einwohner gezählt hatte, war menschenleer. Die letzten Vertreter des Pol-Pot-Regimes hatten die Kapitale ihres agrarisch verbrämten Utopia am Vortag verlassen. Ein Teil der Clique flog nach Peking. Andere zogen sich in die östlichen Dschungelgebiete zurück, um von dort aus und mit chinesischer Unterstützung den Kampf gegen die verhassten Yuon weiterzuführen. Mit den «Yuon» war der Erzfeind Vietnam gemeint, der mit der Invasion der Schreckensherrschaft der Steinzeit-Kommunisten in «Democratic Kampuchea» ein Ende bereitete.
2. Januar 2009, NZZ Online
Als sich der Schleier über Kambodscha lüftete
Erinnerungen an das Ende des Regimes der Khmer Rouge vor 30 Jahren
Am 7. Januar 1979 eroberten vietnamesische Truppen die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Die Invasion beendete die Terrorherrschaft der Roten Khmer. Die überlebenden Opfer legen Zeugnis ab von den Schrecken in den Gefängnissen des Regimes.
http://de.wikipedia.org/wiki/Tuol_Sleng
Von Manfred Rist
Phnom Penh, im Dezember 2008
Den vietnamesischen Truppen, die vor 30 Jahren die Hauptstadt Kambodschas eroberten, bot sich das Bild einer verwahrlosten Geisterstadt. Phnom Penh, das 1975, im Jahr der Machtergreifung der Roten Khmer, rund 1 Million Einwohner gezählt hatte, war menschenleer. Die letzten Vertreter des Pol-Pot-Regimes hatten die Kapitale ihres agrarisch verbrämten Utopia am Vortag verlassen. Ein Teil der Clique flog nach Peking. Andere zogen sich in die östlichen Dschungelgebiete zurück, um von dort aus und mit chinesischer Unterstützung den Kampf gegen die verhassten Yuon weiterzuführen. Mit den «Yuon» war der Erzfeind Vietnam gemeint, der mit der Invasion der Schreckensherrschaft der Steinzeit-Kommunisten in «Democratic Kampuchea» ein Ende bereitete.
Von Tuol Sleng zu den «Killing Fields»
Für die sieben überlebenden Insassen des Tuol-Sleng-Gefängnisses (S-21) bedeutete der Exodus aus Phnom Penh einen letzten Frondienst. Als der Geschützlärm näher rückte, bürdeten ihnen ihre Peiniger nämlich Reissäcke auf, mit denen sie sich bis zur thailändischen Grenze durchzuschlagen hofften. Von dort aus sollten Pol Pot und seine Entourage die letzte Phase des Bürgerkriegs entfesseln, der 1970 mit dem Sturz von Staatschef Prinz Sihanouk (durch General Lon Nol) begonnen hatte und dessen Ausläufer noch bis 1997 dauerten. Die Tragik dieses südostasiatischen Landes indessen gipfelte im Genozid der Roten Khmer, dem zwischen 1975 und 1979 etwa 1,7 Millionen Personen zum Opfer fielen, damals ein Viertel der Bevölkerung.
Für den heute 72-jährigen Vann Nath kam die Befreiung mit 24-stündiger Verspätung. Der Trupp der Gefängnis-Schergen mit den sieben Trägern stiess auf der Flucht nämlich bald auf vietnamesische Soldaten. Im Chaos des Gefechts konnte sich Vann Nath trotz einem verstauchten Knöchel absetzen. Damit ging für ihn die einjährige Haft im Foltergefängnis S-21 endgültig zu Ende. Dort wurden während des dreieinhalb Jahre dauernden Terrors der Khmer Rouge fast 20 000 Insassen zu Tode gequält oder – falls sie das Inferno überlebten – auf ausserhalb der Stadt liegenden Feldern niedergemetzelt, die als «Killing Fields» in die Geschichte eingegangen sind. 388 dieser Felder sind heute aufgrund von Ausgrabungen eindeutig identifiziert.
Dass Vann Nath, der damals alle um einen Kopf überragte, die Hölle überlebte und die Todesfahrt nicht antreten musste, hat er weder seiner robusten Konstitution noch seinem Wohlverhalten im Kerker zu verdanken. Unter den unmenschlichen Haftbedingungen, den kleinen Essensrationen und der Folter, so erklärt er im Gespräch, seien auch die Stärksten nach wenigen Wochen zerbrochen. Vann hat überlebt, weil sich bei den Kadern der Roten Khmer seine Begabung herumgesprochen hatte. In seinem Atelier in Battambang, wo er Ende Dezember 1977 nach der Arbeit auf dem Reisfeld aufgegriffen und verschleppt wurde, hatte er zuvor jahrelang als Maler gewirkt.
Die Steinzeit-Kommunisten der Roten Khmer, die Kambodscha nach ihrer Machtübernahme am 17. April 1975 in einen totalitären Agrarstaat verwandelten, hatten immerhin einen Bedarf: Die Führungsclique, vor allem «Bruder Nummer eins» Saloth Sar alias Pol Pot, sollte auf Bildern verewigt werden. So wurde Vann in den Spezialtrakt von Tuol Sleng übergeführt, wo er zusammen mit Bildhauern, die Büsten aus Stein meisselten, jeden Tag an Porträts arbeitete. Mit stoischem Ausdruck erinnert er sich an jenen Tag, an dem der Lagerchef von S-21, Kaing Guek Eav, der als «Duch» in die Annalen des Horror-Regimes einging, das erste Werk des Malers inspizierte und es für gut genug befand, um diesen am Leben zu erhalten.
Vann Nath, der heute in Phnom Penh ein Restaurant betreibt und sich den Lebensunterhalt im Übrigen wieder mit der Malerei verdient, ist kein Mann der grossen Worte. Aber er willigt ein, an die Stätte des Grauens zurückzukehren. Die dreistöckigen Gebäude, die 1962 als Schule errichtet wurden, sind inzwischen ein Museum, das an die Greueltaten der Roten Khmer erinnern soll. Hier wandert Vann mit bedächtigen Schritten durch den Innenhof und die ehemaligen Zellen und weist auf schaurige Details der dort ausgestellten Bilder: abgemagerte, geschundene Körper, Fussfesseln und Gefangene, die mit verbundenen Augen eingeliefert oder zur Exekution abgeführt werden. Kleinkinder wurden den Müttern entrissen. Einer der Schlächter von Tuol Sleng, A-Huy, der sich 1995 ergab und deshalb Straffreiheit geniesst, gestand, dass man auch Babys getötet habe.
Vor einer der Schwarzweissfotos bleibt Vann stehen und weist auf einen Leidensgenossen von damals hin, den heute 78-jährigen Chhum Mey. Dieser gehört ebenfalls zum Kreis der Insassen, die Tuol Sleng überstanden. Von diesen ehemaligen Häftlingen sind heute noch drei am Leben. Chhum Mey, den wir später in seinem Häuschen in einem Vorort von Phnom Penh aufsuchen, verdankt sein Überleben einem anderen Handwerk als der Kunstmalerei: Er war Maschinenmechaniker. Seine Kenntnisse waren gefragt, damit kaputte Generatoren, Traktoren und Lastwagen repariert werden konnten.
Während die Roten Khmer zu Beginn ihrer Terrorherrschaft vor allem die städtische Bevölkerung, darunter in erster Linie Intellektuelle und ethnische Minderheiten, umbrachten, frass die Revolution am Schluss ihre eigenen Kinder. Ab 1978 wurden in Tuol Sleng fast nur noch junge Khmer-Soldaten oder Militärkommandanten aus dem Osten des Landes eingeliefert, denen mangelnde Disziplin oder Sympathien mit Vietnam vorgeworfen wurden. Schon ab Mitte 1977 hatten sich nämlich die Beziehungen zwischen Hanoi und Phnom Penh wegen Grenzstreitigkeiten und aus ideologischen Gründen verschlechtert. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen am Silvestertag 1977 lagen die kommunistischen Bruderstaaten in offenem Zwist.
Die «falschen» Befreier
Zu jenen Kommandanten, die den blutrünstigen Irrsinn der eigenen Führung relativ früh erkannten, gehörte ein junger Bataillonsführer namens Hun Sen. Er setzte sich im Juni 1977 nach Vietnam ab und spielte später beim Aufbau der von Vietnam ins Leben gerufenen Front zur Befreiung von «Kampuchea» eine führende Rolle. Die Invasion begann am 25. Dezember 1978 mit 100 000 vietnamesischen Soldaten, welche die kambodschanische Armee in zehn Tagen überrannten. Damit fing auch die politische Karriere des heute 56-jährigen Hun Sen an. Hun Sen, der 1979 mit 27 Jahren Aussenminister und sechs Jahre später Premierminister Kambodschas wurde, hat sich seither an der Macht gehalten.
Niemand behauptet heute ernsthaft, dass die vietnamesische Invasion aus rein humanitären Gründen erfolgte, um die darbende kambodschanische Bevölkerung von ihrem Joch zu befreien. Plausibler ist, dass sich Hanoi in erster Linie eines lästigen Regimes entledigen wollte, das an der Westgrenze immer wieder mit militärischen Übergriffen provozierte, bestehende Grenzen in Frage stellte, und im Übrigen einen völlig abartigen kommunistischen Kurs steuerte. Immerhin: Mit dem Einmarsch setzte Vietnam einem der schrecklichsten Regime des 20. Jahrhunderts ein Ende. Und damit begann sich auch der Schleier über dem Land zu lüften.
Das Leiden Kambodschas, von wo sich die vietnamesischen Truppen erst 1989 vollständig zurückzogen, endete indessen nicht dort. Das Land, das praktisch alle Intellektuellen und Fachkräfte verloren hatte, blieb auch nach 1979 noch jahrelang isoliert. Eine von Vietnam eingesetzte Regierung, so lautete in den achtziger Jahren die herrschende Meinung in den Hauptstädten der Welt und bei der Uno, konnte nicht anerkannt werden. Die Vietnamesen, die weniger als vier Jahre zuvor die Amerikaner aus dem Land geworfen hatten, waren offensichtlich die falschen Befreier. China, der wahre Alliierte Pol Pots, quittierte dies wenige Tage später mit einer militärischen «Strafaktion» an der Grenze zu Vietnam, die indessen wenig erfolgreich verlief.
Bauernopfer geopolitischer Interessen
In der Folge fand das verbrecherische Pol-Pol-Regime, das ab 1979 nur noch kleine Dschungelgebiete in Kambodscha kontrollierte, bis zu Beginn der neunziger Jahre als legitime Vertretung von «Democratic Kampuchea» Rückhalt im Westen, in China und in der Asean-Gruppe. Geopolitisch war für den Westen die Normalisierung der Beziehungen mit China, das sich ja gerade der Reformpolitik verschrieben hatte und Pol Pot den Rücken freihielt, wichtiger. So blieb – abgesehen von Hilfe aus den damaligen Ostblockstaaten – der Bevölkerung Kambodschas humanitäre und andere Unterstützung jahrelang verwehrt.
Auch Thailand, ein Verbündeter der USA aus den Zeiten des Vietnamkriegs, fühlte sich mit Vietnam als neuem Nachbar in Kambodscha unwohl. Und die als Schutzwall gegen den Kommunismus ins Leben gerufene Asean-Staatengruppe, der ein schwaches Kambodscha mit Pol Pot lieber war als ein starkes Vietnam, fürchtete sich noch immer vor der Dominotheorie. Entsprechend lang – bis Juni 2003 – sollte es dauern, bis sich die Staatengemeinschaft auf ein Tribunal einigen konnte, an dem nun die überlebenden Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft gezogen werden.
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