Sonntag, Mai 31, 2009

Freitag, Mai 29, 2009

Birthday Present! :-)

Holiday Snap Torture! -Stephen Fry & Hugh Laurie


Always look on the bright side of life - The life of Brian


John Cleese and Rowan Atkinson - Beekeeping

Mittwoch, Mai 27, 2009

Leon - The Professional - Lux Aeterna - Clint Mansell


And here is the rest of it.

Dienstag, Mai 26, 2009

TA: Agrarland als Machtfaktor

Tages Anzeiger Online
Wirtschaft
Agrarland als Machtfaktor
Von Robert Mayer.

Vor allem Chinesen und Araber sind darauf aus, Ländereien in Entwicklungsländern zu erwerben. Und das hat Folgen – allerdings nicht nur negative.
Auf grossen Flächen lassen sich grosse Erträge erwirtschaften: Agrarland wird weltweit zum begehrten Gut.

Die Bilder sind noch in Erinnerung: Wut und Verzweiflung vieler Menschen wegen der rasant gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen, Hirse und Mais entluden sich im Sommer letzten Jahres von Ägypten bis Haiti in Revolten. Die damalige Nahrungsmittelkrise hat jedoch auch andernorts aufgerüttelt: Saudiarabien, die Golfstaaten, China oder Südkorea, die ihre Bevölkerung nicht mit eigener Agrarproduktion versorgen können, mussten unvermittelt erkennen, wie trügerisch ihre Ernährungssicherheit ist. Ihnen machten weniger die Preissteigerungen zu schaffen, verfügen sie doch allesamt über komfortable Devisenreserven. Aufgeschreckt wurden sie vielmehr durch einseitig verhängte Handelsrestriktionen von wichtigen Agrarexporteuren, wie Indien (im Fall von Reis), der Ukraine (Weizen) oder Argentinien (Soja).


Tages Anzeiger Online
Wirtschaft
Agrarland als Machtfaktor
Von Robert Mayer.

Vor allem Chinesen und Araber sind darauf aus, Ländereien in Entwicklungsländern zu erwerben. Und das hat Folgen – allerdings nicht nur negative.
Auf grossen Flächen lassen sich grosse Erträge erwirtschaften: Agrarland wird weltweit zum begehrten Gut.

Die Bilder sind noch in Erinnerung: Wut und Verzweiflung vieler Menschen wegen der rasant gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen, Hirse und Mais entluden sich im Sommer letzten Jahres von Ägypten bis Haiti in Revolten. Die damalige Nahrungsmittelkrise hat jedoch auch andernorts aufgerüttelt: Saudiarabien, die Golfstaaten, China oder Südkorea, die ihre Bevölkerung nicht mit eigener Agrarproduktion versorgen können, mussten unvermittelt erkennen, wie trügerisch ihre Ernährungssicherheit ist. Ihnen machten weniger die Preissteigerungen zu schaffen, verfügen sie doch allesamt über komfortable Devisenreserven. Aufgeschreckt wurden sie vielmehr durch einseitig verhängte Handelsrestriktionen von wichtigen Agrarexporteuren, wie Indien (im Fall von Reis), der Ukraine (Weizen) oder Argentinien (Soja).

Transaktionen mit politischer Brisanz

Um ihre Ernährungsbasis zu erweitern und die Abhängigkeit von schwankungsanfälligen Weltmarktpreisen und Importen zu verringern, haben Araber und Asiaten begonnen, fruchtbares Agrarland in der Dritten Welt in grossem Stil zu kaufen oder zu pachten. Dies in der Absicht, die Ländereien zu kultivieren und die dabei erzielten Erträge (grösstenteils) zur Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung zu exportieren. Die politische Brisanz solcher Landabtretungen wurde einer breiteren Weltöffentlichkeit spätestens im vergangenen März auf Madagaskar vor Augen geführt: Die dortige Regierung stürzte nicht zuletzt wegen ihres Vorhabens, 1,3 Millionen Hektar fruchtbares Agrarland – was etwa der Hälfte der Fläche Belgiens entspricht – an die südkoreanische Daewoo Logistics zu verpachten.

Ein am Montag veröffentlichter Bericht unter dem Titel «Land Grab or Development Opportunity», an dem unter anderem die Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) und das britische International Institute for Environment and Development mitgewirkt haben, beschäftigt sich erstmals vertieft mit diesem neueren Phänomen.

Im Fokus stehen dabei die fünf afrikanischen Länder Äthiopien, Ghana, Mali, Madagaskar und Sudan – und dort sind laut dem Report in den vergangenen fünf Jahren nicht weniger als 2,5 Millionen Hektar Land an ausländische Investoren abgetreten worden – eine Fläche, die beinahe dem Neunfachen der Schweiz entspricht. Die Zahlen sind zwar mit Vorsicht zu geniessen, wie der Bericht einräumt, weil sich die Erhebungen ziemlich schwierig gestalten. Der in den letzten Jahren zu verzeichnende deutliche Anstieg der Auslandsinvestitionen in den besagten Ländern mag aber als Fingerzeig für die rasant zunehmenen Engagements in Landbesitz dienen.

Der Landverkauf bringt auch Vorteile

Der Report äussert sich keineswegs nur negativ zu den Landübereignungen. Tatsächlich können auf diesem Weg in Entwicklungsländern dringend benötigte Investitionen in den Agrarsektor und in die Infrastruktur von ländlichen Räumen angeschoben werden, die auch neue Arbeitsplätze schaffen. Entscheidend sind jedoch die im Einzelfall ausgehandelten Vertragsbedingungen. Sie sollen beispielsweise gewährleisten, dass Kosten und Gewinne zwischen Landgebern und -nehmern fair aufgeteilt werden, dass insbesondere die unmittelbar betroffene Landbevölkerung ihre Rechte wahrnehmen kann und nötigenfalls auch entschädigt wird.

Da sind indes Zweifel angebracht: Zum einen weil die vertraglichen Konditionen bei Landabtretungen kaum je offengelegt werden, zum andern weil die Bauern oft kein verbrieftes Eigentum an ihrem Land haben. Im Fall der fünf afrikanischen Länder bemängelt der Bericht, dass die meisten der darin dokumentierten Landtransaktionen, wenn überhaupt, nur mit geringen Kosten für die neuen Besitzer verbunden gewesen seien.

Studienautoren bestätigt

Umgekehrt seien die Afrikaner mit höchst vagen Versprechungen hinsichtlich der Schaffung neuer Jobs und der Entwicklung ihrer lokalen Infrastruktur abgespeist worden. Die Studienautoren sehen sich durch diese Missstände bestätigt in ihrer Forderung nach einem international akzeptierten Kodex zur Durchführung von Landabtretungen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 25.05.2009, 22:27 Uhr

Montag, Mai 25, 2009

Blade Runner Special - Vangelis

Blade Runner Soundtrack (Theme)


Tears in Rain


Love Theme

Samstag, Mai 23, 2009

NZZ: Was der Finanzsektor mit Umweltproblemen gemeinsam hat

20. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft
Was der Finanzsektor mit Umweltproblemen gemeinsam hat

Wenn Verschmutzer verursachergerechte Preise zahlen müssen, kann man wieder auf die Marktkräfte zählen

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Frage nach neuen oder anderen Regulierungen im Finanzsektor in den Vordergrund geschoben. Die Autoren des folgenden Beitrags plädieren für einen Ansatz, den man vor allem auch aus der Umweltökonomie kennt: das Etablieren verursachergerechter Preise für Ressourcen oder externe Effekte. Sie sehen Verschmutzer der Umwelt und des Finanzsektors in ähnlichen Rollen. (Red.)

Von Thomas Cooley, Horst Siebert und Ingo Walter


20. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft
Was der Finanzsektor mit Umweltproblemen gemeinsam hat
Wenn Verschmutzer verursachergerechte Preise zahlen müssen, kann man wieder auf die Marktkräfte zählen

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Frage nach neuen oder anderen Regulierungen im Finanzsektor in den Vordergrund geschoben. Die Autoren des folgenden Beitrags plädieren für einen Ansatz, den man vor allem auch aus der Umweltökonomie kennt: das Etablieren verursachergerechter Preise für Ressourcen oder externe Effekte. Sie sehen Verschmutzer der Umwelt und des Finanzsektors in ähnlichen Rollen. (Red.)

Von Thomas Cooley, Horst Siebert und Ingo Walter

Viele haben wahrscheinlich schon vergessen, dass es nur etwas mehr als ein Jahr her ist, dass ein junger Wertpapierhändler der französischen Grossbank Société Générale im Bestreben, seinen Anteil am Bonus seiner Abteilung hochzutreiben, sich in verdächtige Geschäfte verwickelt hatte, die die Bank schliesslich dazu zwangen, gewaltige Aktienpakete und Derivate-Positionen zu liquidieren, was an den Aktienmärkten zu abnormalen Volatilitäten führte und vorübergehend sogar die Geldpolitik der Vereinigten Staaten in Atem hielt. Abgesehen vom Verlust der Société Générale von 7,2 Mrd. $ handelte es sich in diesem Zusammenhang um den typischen Fall, in dem eine grosse Anzahl unbeteiligter Anleger erheblichen finanziellen Schaden erlitt oder mit einem erhöhten systemischen Risiko konfrontiert wurde, nur weil ein einziger Aktienhändler in einer von vielen Banken in einem von zahlreichen Ländern der Erde schlecht überwacht war.

Im Bann der systemischen Risiken

Sind solche Vorkommnisse einfach alte Geschichten aus dem Finanzsektor, aus einer Branche, in der der Begriff «langfristig» mehr oder weniger «heute Nachmittag» bedeutet? Keineswegs. Im vergangenen Jahr war die globale Finanzwelt fast ausschliesslich mit Themen des systemischen Risikos und dessen Konsequenzen beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit den zentralen Ursachen des systemischen Risikos muss denn auch im Mittelpunkt jeglicher Bemühung stehen, die auf die Schaffung eines robusteren internationalen Finanzsystems abzielt.

Dabei geht es primär darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen eine Marktwirtschaft funktionieren kann. Solche Regelwerke sind ja auch für die Wettbewerbspolitik unabdingbar, etwa um das Entstehen von Monopolen zu verhindern. Man kann die anvisierten neuen Spielregeln des Finanzsektors auch als einen grossen, umfassenden Principal-Agent-Vertrag interpretieren, bei dem die Politik bzw. Regulatoren als Auftraggeber (Principal) jene Anreize und Restriktionen vorgeben, auf die sich die Finanzinstitute (Agenten bzw. Auftragnehmer) beim Ausführen ihrer Aufträge in Strategie wie auch Geschäftsalltag dann einstellen müssen.

Lehren aus der Umweltpolitik

Wir möchten hier eine Idee zur Lösung des Regulierungsproblems im Finanzsektor präsentieren, die dem Ansatz nach eigentlich aus einem ganz andern Gebiet stammt: Unserer Ansicht nach liegt nämlich der Schluss nah, dass die erfolgreiche Entwicklung der Umweltpolitik bzw. der Massnahmen gegen Umweltverschmutzung im Laufe des zurückliegenden halben Jahrhunderts auch für die Frage nach dem weiteren Vorgehen beim Regulieren des Finanzsektors etliche nützliche Lehren gebracht hat.

Wie kommt es zu Schäden an der Umwelt? In der Regel hängen Umweltverschmutzungen mit Marktversagen zusammen, und zwar in dem Sinn, dass der Preis einer sehr wichtigen Ressource, nämlich der natürlichen Umwelt, einfach vernachlässigt wird. Menschen und Industrie konsumieren und produzieren in diesem Rahmen auf eine Art und Weise, wie es für sie optimal ist; genau das hat jedoch Verschmutzung und Schäden für andere zur Folge. Giftige Abwässer schädigen die Nutzer von Wasservorkommen; Emissionen der Schwerindustrie belästigen Bewohner von Ortschaften, denen der Wind die Verschmutzung zuträgt; Schwermetalle kontaminieren das Grundwasser und den Boden in lokalem Umkreis; die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.

Wenn Menschen etwas unternehmen, verursachen sie oft Externalitäten gegenüber anderen Personen, ihr Tun hat also Auswirkungen, die die andern hinnehmen müssen, ohne dass man sie nach ihrer Zustimmung oder Haltung dazu fragt. Man kann diesen Mangel dadurch beheben, dass die externen Effekte internalisiert werden, dass also beispielsweise die wichtigen Ressourcen für die Nutzer mit einem Preis versehen werden, der den unerwünschten Nebenwirkungen Rechnung trägt. Wenn man Umweltverschmutzung ernsthaft bekämpfen will, kann man also einerseits die Aktivitäten, die die Verschmutzung verursachen, stärker unter Kontrolle bringen, oder aber man kann Gebühren erheben, die den Verschmutzern den Anreiz bieten, ihre Tätigkeiten umweltfreundlicher zu gestalten.

«Der Verschmutzer zahlt»

Die beste Lösung folgt meist einem einfachen Grundsatz, nämlich dem Prinzip «Der Verschmutzer zahlt», da in diesem Rahmen die Marktkräfte ihr Wirkung entfalten können und so das Problem so effizient als möglich beheben. Gesellschaft und Politik setzen durch einen politischen und regulatorischen Prozess sowie durch Richtlinien bestimmte Umweltstandards fest. Der Verschmutzer sucht anschliessend selber nach der besten Lösung, um den Standards entsprechen zu können. Die externen Umweltkosten, sozusagen die auf Dritte abgewälzten Belastungen, werden so an den Verschmutzer zurückgeleitet, der die Belastungen seinerseits in Form erhöhter Absatzpreise an den Konsumenten oder in Form niedrigerer Gewinne an den Aktionär weitergibt.

Welcher Weg auch gewählt wird – die unsichtbare Hand des Marktes verleiht der Umweltpolitik Kraft. Je stärker ein Produkt oder eine Dienstleistung die Umwelt verschmutzt, desto teurer werden der Erwerb und die Produktion des Gutes gemäss dem Prinzip «Der Verschmutzer zahlt». Die Gesellschaft setzt die umweltpolitischen Ziele fest, und die Marktwirtschaft hilft, diese so effizient wie möglich umzusetzen, indem sie die knappen Umweltressourcen angemessen verteilt und darüber hinaus deutlich macht, dass nichts umsonst zu haben ist – für eine saubere Umwelt wird immer irgendwer etwas zahlen müssen.

Was ist «Finanzverschmutzung»?

Marktversagen in der globalen Finanzwelt ist gar nicht so verschieden vom Marktversagen in der Umweltpolitik. Aus dieser Sicht hat man es im Wesentlichen mit einer «Finanzverschmutzung» zu tun – in dem Sinn, dass dem Finanzsystem durch einzelne Firmen und Personen, die auf der Jagd nach privatem Gewinn sind, gewaltige Kosten aufgebürdet werden.

Um einige Beispiele zu nennen: Finanzmathematiker entwerfen hochprofitable Produkte, die niemand versteht. Es werden zweifelhafte Kredite aus einem bestimmten Teil der Welt gebündelt, anschliessend neu zusammengesetzt und wieder gebündelt und dann weltweit an Institutionen und Einzelinvestoren verkauft. Risikomanager an der Basis beteuern gegenüber den Managern und Direktoren an der Unternehmensspitze, die Produkte seien eine sichere Sache, dabei beruhen die Konstrukte auf Modellen, die nicht in der Lage sind, die reale Welt widerzuspiegeln. Zahlreiche Bankmanager und andere Finanzintermediäre leben im Glauben, ihre Banken seien zu bedeutend, als dass sie Bankrott machen könnten; und sie arbeiten mit exzessiven Schuldenhebeln, garantiert durch Gläubiger, die ihrerseits darauf vertrauen, dass es im Fall des Scheiterns schon einen Rettungsplan gebe und die Steuerzahler sicher zu dessen Finanzierung einspringen würden.

Jede einzelne Handlung wirkt durchaus sinnvoll aus Sicht der direkt involvierten Personen, aber jede solche Handlung bedeutet eine potenzielle Schwächung der Integrität des Finanzsystems als ganzes – man hat es sozusagen mit der «Finanz-Allmende» zu tun, dem öffentlichen Gut, das von allen gerne übernutzt wird, weil dies gratis ist. Wenn das System aber aus dem Ruder läuft, betrifft der Schaden, wie bei der Umweltverschmutzung, weit mehr Menschen als die direkt Verantwortlichen. Die Risiken werden kumuliert, gebündelt und vervielfältigt.

Und viele Unschuldige, die sich gerade in der Nähe des Geschehens aufhalten, werden von diesem Sog mit erfasst. Investoren, die finanziell gelitten haben und Liquidität benötigen, finden nur mit Mühe Käufer für ihre Titel und verkaufen deshalb alles, was irgendwie geht. So verursachen sie Marktturbulenzen selbst in Sektoren, die weit vom ursprünglichen Problem entfernt sind. Die darauffolgende Panik an den Finanzmärkten kontaminiert die gesamte Wirtschaft, und deren Abschwung verstärkt im mittlerweile bekannten Teufelskreis wiederum die Finanzkrise.

In der Zwischenzeit versuchen überforderte Politiker verzweifelt die blutenden Wunden zu stillen und die «gesünderen» Banken zum Kauf der «lebensgefährlich verletzten» Institute zu drängen. Dies wiederum führt zu einer beschleunigten Konsolidierung in der Finanzbranche, und damit rückt ein regelrechtes Albtraum-Szenario in den Vordergrund – ein Szenario mit einer kleinen Gruppe riesiger Global Player, die zu gross, zu stark gegenseitig vernetzt, zu konfliktträchtig, zu komplex, zu schwierig zu managen sind – und wahrscheinlich zu schwierig zu regulieren sind. Damit würde eine Art neue Generation von Mega-Verschmutzern der Finanzbranche entstehen. Eine Gruppierung derart dominanter «Finanz-Goliaths», die fast nach Belieben riesige Schäden anrichten können und gleichzeitig immun sind gegen Konkurs, kann aber doch nicht im Sinn des Finanzsystems und des öffentlichen Interesses liegen.

Verursachergerechte Preise

Unserer Ansicht nach liegt der Schlüssel zur Wiederherstellung von Stabilität und Robustheit im Erkennen, Messen und Berechnen des systemischen Risikos, das sich aus privaten Finanzaktivitäten ergibt, sowie einer verursachergerechten Kostenzuordnung: Wer Risiken ins System bringt, soll verpflichtet werden, die Kosten für die Versicherung gegen diese Risiken zu tragen. Dies wäre der Weg, um im Finanzsektor das aus der Umweltpolitik bekannte Prinzip «Der Verschmutzer zahlt» anzuwenden.

– Erstens müssen Preise für die staatlichen Einlagensicherungen und all die Garantien für den Fall eines Scheiterns von «Too big to fail»-Instituten neu gerechnet werden. Bei der Ermittlung des neuen Preises müssen die zu verrechnenden Kosten und damit die Belastungen für diejenigen, die direkt von den Garantien profitieren – also Banken und Anleger –, höher angesetzt werden als bisher.

– Zweitens muss die angemessene Kapitalausstattung neu definiert werden in einer Welt, die schon sehr bald wieder Finanzkasinos in grosser Anzahl hervorbringen dürfte. Für die Firmen, die an den Markt treten, muss es so sein, dass ihre Finanzkosten ungefähr im Gleichschritt mit den Risiken zunehmen, die sie eingehen. Dadurch wird es für Banken teurer, höhere Risiken einzugehen, und diese zusätzliche Belastung werden sie in den Märkten an Aktionäre oder Kunden weitergeben.

– Drittens muss die Liquidität erhöht und den Marktbedingungen angepasst werden – auch wenn dies bedeutet, dass man sich grosse Chancen auf profitable Geschäfte vergibt, weil man hohe Barmittel in der Kasse halten muss, statt sie zu investieren.

– Viertens erscheint es wegen der strukturellen Komplexität und der gegenseitigen Vernetzung von Finanzintermediären geboten, eine Art speziellen systemischen Aufpreis zu verlangen. Dies um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass einige interne Transfers von Risiken durch eine herkömmliche regulatorische Aufsicht nicht erfasst werden können.


Wie es aber auch immer ausgestaltet wird – wichtig ist, dass jede neue Bestimmung, die Banken und anderen Finanzintermediären auferlegt wird, die Anteilseigner der Firmen und ihre Kunden mit beträchtlichen Kosten belastet, um so dem systemischen Risiko sozusagen die richtige Preisetikette anzuheften. Es bestehen gute Chancen, dass sie in ihrem eigenen Interesse den kostengünstigsten und effizientesten Weg suchen werden, den Bestimmungen nachzukommen.

Die Märkte arbeiten lassen

Der Markt wird wieder seine magische Wirkung entfalten können: Finanzprodukte und Institutionen, die hohe Risiken in das Finanzsystem bringen, werden durch erhöhte Preise belastet, ihre Rentabilität im Vergleich mit anderen Akteuren wird gedrückt, und in den Finanzströmen werden die systemischen Risiken besser berücksichtigt sein als in jüngerer Zeit. Verursacher systemischer Risiken werden dafür zahlen müssen, und dies wird durch das ganze System hindurch entsprechende Auswirkungen haben. Neue Spielregeln, die auf eine angemessene Preisstruktur für systemische Risiken hinwirken, werden der Sache sehr förderlich sein, wenn es um die Wiederherstellung des Finanzsystems zu möglichst geringen Kosten geht, und zwar hinsichtlich Wachstum wie auch Effizienz.


Die Autoren

Gy. Nimmt man den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Karrieren der drei Autoren zum Massstab, kann der nebenstehende, aus dem Englischen übersetzte Artikel als eine Art transatlantische Zusammenarbeit gesehen werden. Horst Siebert ist Professor für europäische Integration und Wirtschaftspolitik der Johns-Hopkins-Universität in Bologna und emeritierter Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Die Kieler Zeit (1989 bis 2003) als Präsident des Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für theoretische Volkswirtschaftslehre war es vor allem, die Siebert auch im breiteren Publikum bekanntgemacht hat, nicht zuletzt dank seiner Mitarbeit in bedeutenden Expertengremien. So war Siebert längere Zeit Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland; seit 2005 ist er Mitglied der Group of Economic Policy Analysis, die die Diskussion wirtschaftspolitischer Themen zwischen der EU-Kommission and europäischen Spitzenökonomen fördern soll.

Thomas Cooley ist Dekan und Ökonomieprofessor der Stern School of Business der New York University. Seine wissenschaftlichen Interessen beziehen sich vor allem auf makroökonomische Theorie, Geldtheorie und Geldpolitik sowie die Finanzwirtschaft in Firmen. Vor seiner New Yorker Zeit war Cooley Ökonomieprofessor in Rochester, und vor dem akademischen Teil seiner Karriere war er als Systemingenieur im IBM-Konzern tätig gewesen. Er ist mit einer wöchentlichen Kolumne auf forbes.com präsent, die geldpolitischen, wirtschaftspolitischen und ökonomischen Themen im weiteren Sinn gilt.

Ingo Walter ist Fakultätsdekan der Stern School und Professor für Finance, Corporate Governance und Ethik. Seine Interessen in Wissenschaft und Beratung gelten vor allem der internationalen Handelspolitik, internationaler Umweltpolitik und der Ökonomik multinationaler Unternehmen. Forschungsaufenthalte führten ihn auch nach Europa, unter anderem nach Berlin, Basel und Zürich. Walter ist für mehrere Unternehmen, Banken und öffentliche Gremien beratend tätig, daneben ist er auch in Aufsichtsgremien von Firmen engagiert.


Weiterführende Literatur

Die drei Autoren des obenstehenden Textes haben an folgendem Sammelband mitgewirkt: Viral Acharya und Matthew Richardson (eds.): Restoring Financial Stability – How to Repair a Failed System. New York University Stern School of Business, John Wiley & Sons, New York 2009.

Thomas Cooley nimmt mit seinen zwei jüngsten Kolumnen auf www.forbes.com mit den Titeln «The Federal Reserve Needs to Be Boring Again» und «Are There any Rules in the Bailout Game?» direkt Bezug auf die Finanzkrise, andere Artikel sind allgemeineren ökonomischen Zusammenhängen gewidmet.

Horst Siebert: The World Economy. 2. Auflage, Routledge, London und New York 2002.

Markus M. Schmid and Ingo Walter: Do Financial Conglomerates Create or Destroy Economic Value? Working Paper 2008.

Mittwoch, Mai 20, 2009

NZZ: Wer macht das Rennen? Christoph Seidler über den neuen kalten Krieg in der Arktis

Das politische Buch
NZZ Online 16.05.2009
Wer macht das Rennen?
Christoph Seidler über den neuen kalten Krieg in der Arktis

Thomas Speckmann

Das politische Buch

«Ich habe heute die Staatsflagge der Vereinigten Staaten an dieser Stelle gehisst, die nach meinen Berechnungen die nordpolare Achse der Erde ist. Ich habe im Namen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika förmlich von der ganzen Gegend und Umgebung Besitz ergriffen. Ich hinterlasse diese Urkunde und die Flagge der Vereinigten Staaten als Besitzzeichen. Robert E. Peary von der Marine der Vereinigten Staaten.» Seit dem 6. April 1909 liegt diese Botschaft in einer Glasflasche im nordpolaren Eis. Hundert Jahre sind seit dem amerikanischen Sieg beim Wettlauf zum Nordpol vergangen. Doch das Rennen ist erneut eröffnet, dieses Mal nicht zwischen todesmutigen Abenteurern, sondern zwischen den globalen Mächten. Öl und Gas winken als Trophäen.

16. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
Das politische Buch
Wer macht das Rennen?
Christoph Seidler über den neuen kalten Krieg in der Arktis

Thomas Speckmann

Das politische Buch

«Ich habe heute die Staatsflagge der Vereinigten Staaten an dieser Stelle gehisst, die nach meinen Berechnungen die nordpolare Achse der Erde ist. Ich habe im Namen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika förmlich von der ganzen Gegend und Umgebung Besitz ergriffen. Ich hinterlasse diese Urkunde und die Flagge der Vereinigten Staaten als Besitzzeichen. Robert E. Peary von der Marine der Vereinigten Staaten.» Seit dem 6. April 1909 liegt diese Botschaft in einer Glasflasche im nordpolaren Eis. Hundert Jahre sind seit dem amerikanischen Sieg beim Wettlauf zum Nordpol vergangen. Doch das Rennen ist erneut eröffnet, dieses Mal nicht zwischen todesmutigen Abenteurern, sondern zwischen den globalen Mächten. Öl und Gas winken als Trophäen.

Die USA sind nicht gut gerüstet

Wer wird das Rennen machen? Christoph Seidler sieht Russland in der Pole-Position. Und er selbst ist es auch: Der Wissenschaftsjournalist von «Spiegel Online» legt die erste deutschsprachige Darstellung des neuen «Great Game» am Nordpol vor. Ihr etwas reisserisch geratener Titel spiegelt erfreulicherweise nicht den Stil der Studie wider. In ihr geht es deutlich seriöser zu. Nüchtern und sachlich werden die Chancen der Kontrahenten ausgelotet.

Die Vereinigten Staaten scheinen vorerst abgeschlagen: «Wenn es ein Fünfnationenrennen um den Nordpol gibt, dann sind wir gerade mal Fünfter», zitiert Seidler den US-Küstenwachen-Admiral Gene Brooks. Denn nach der förmlichen Inbesitznahme vor einem Jahrhundert ist wenig auf amerikanischer Seite geschehen. Derzeit verfügen die USA, deren Marine so gross ist wie die siebzehn nächstkleineren Flotten anderer Staaten zusammengenommen, über gerade einmal drei Eisbrecher. Und auch in der neuen Strategie zur Arktis, die noch von der Bush-Administration in den letzten Tagen ihrer Amtszeit im Januar 2009 veröffentlicht wurde, findet sich kein konkreter Hinweis auf den Bau neuer Eisbrecher. Dabei könnten Öl und Gas aus dem hohen Norden den Vereinigten Staaten ein Stück jener ökonomischen Unabhängigkeit sichern, die sie nach ihren ernüchternden Erfahrungen im Nahen und Mittleren Osten ersehnen. Doch selbst wenn der Arktis unter Barack Obama eine grössere Priorität zukommen sollte: Der Bau neuer Eisbrecher und die Errichtung arktischer Öl- und Gasförderanlagen brauchen viel Zeit. Die Früchte einer aktiveren Arktispolitik könnten erst in zehn oder fünfzehn Jahren geerntet werden.

Russland hingegen hält nach Seidlers Analyse alle Trümpfe in der Hand: Moskau ist für einen Wettlauf in der Arktis gut gerüstet. Es verfügt nicht nur über tiefseefähige Tauchboote, sondern vor allem über ein halbes Dutzend grosser Eisbrecher, die jederzeit auf arktische Patrouillenfahrt gehen können. In den kommenden Jahren sollen drei bis vier atomgetriebene Schiffe hinzukommen. Auch die russische Infrastruktur in der Region ist – allen Problemen mit Abwanderung und Finanzschwächen zum Trotz – vergleichsweise gut ausgebaut: Während im kanadischen Hafenort Churchill heute lediglich tausend Menschen leben, hat das russische Murmansk noch immer rund dreihunderttausend Einwohner. Hinzu kommen weitere Hafenstädte entlang der nördlichen Küste, die teils per Bahn, teils über schiffbare Flüsse mit dem Binnenland verbunden sind. Seidler bringt das Dilemma des Westens auf den Punkt: «Russland muss gewiss einen grossen Teil seiner Infrastruktur im Norden wieder in Schuss bringen, doch Kanada zum Beispiel muss sie überhaupt erst aufbauen.»

Im Auftrag des norwegischen Schifffahrtsverbandes wagt das Beratungsunternehmen Econ Pöyry einen Blick in die Zukunft: Auf der politischen Bühne stehen sich drei grosse Handelsblöcke gegenüber: die Nordamerikanische Union unter Führung der USA, eine noch vergrösserte Europäische Union und die von China dominierte Zone des Asiatischen Handelsvertrages. U-Boote jagen durch das mittlerweile fast eisfreie Nordpolarmeer. Zwischen den Inseln Nordkanadas kreuzen amerikanische Kriegsschiffe. Von Freihandel, Klimaschutz und anderen lang debattierten politischen Zielen vom Anfang des Jahrtausends ist kaum mehr etwas zu spüren. Der Kampf um Ressourcen hat sich massiv verstärkt. Der Nahe Osten ist politisch noch instabiler als heute. Die Handelsblöcke haben sich nach alternativen Fördermöglichkeiten umgesehen. Allerdings kann jedes der drei Lager beinahe ausschliesslich auf Lieferungen aus dem eigenen Bereich der aufgeteilten Polarregion hoffen. In vielen Teilen der Arktis hat das Militär die Kontrolle übernommen.

Militärische Auseinandersetzungen?

Kann das «Arctic Great Game», so der Titel dieses norwegischen Gedankenspiels, friedlich gespielt oder beendet werden? Seidler scheint in seiner Skepsis nicht allein: Die britischen Kollegen der Zeitschrift «Jane's Intelligence Review» warnen vor der Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen ab dem Jahr 2020. Die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hat ähnliche Befürchtungen: «Symbolische Machtdemonstrationen Russlands und anderer Staaten in der Arktis zeigen, dass Grossmachtkonkurrenz um Rohstoffe und Verkehrswege in den europäischen Raum zurückkehren könnten.»

Wie ernst derlei Szenarien genommen werden, zeigt allein die Aufrüstung von Norwegen und Kanada. Oslo will die modernste Küstenwache der Welt aufbauen. Ottawas Armee trainiert bereits regelmässig arktische Kampfeinsätze. Es scheint, als ob die Arktisanrainerstaaten es Robert E. Peary nachtun wollten. Er rief vor hundert Jahren: «Endlich am Pol. Der Preis von drei Jahrhunderten. Mein Traum und Ziel seit zwanzig Jahren. Endlich mein!»

Christoph Seidler: Arktisches Monopoly. Der Kampf um die Rohstoffe der Polarregion. Deutsche Verlagsanstalt, München 2009. 288 S., Fr. 34.90, € 19.95.

Dienstag, Mai 19, 2009

Sport: Private und Personal Training mit Tina Putignano



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Get your bum moving!
Auf gehts!

Montag, Mai 18, 2009

NYT: Paying With Our Sins

The New York Times
Op-Ed Contributor
Paying With Our Sins
By NICK GILLESPIE

Washington

THE Obama administration’s drug czar made news last week by saying he wanted to end all loose talk about a “war on drugs.” “We’re not at war with people in this country,” said the czar, Gil Kerlikowske, who favors forcing people into treatment programs rather than jail cells.

Here’s a better idea — and one that will help the federal and state governments fill their coffers: Legalize drugs and then tax sales of them. And while....


May 17, 2009
The New York Times
Op-Ed Contributor
Paying With Our Sins
By NICK GILLESPIE

Washington

THE Obama administration’s drug czar made news last week by saying he wanted to end all loose talk about a “war on drugs.” “We’re not at war with people in this country,” said the czar, Gil Kerlikowske, who favors forcing people into treatment programs rather than jail cells.

Here’s a better idea — and one that will help the federal and state governments fill their coffers: Legalize drugs and then tax sales of them. And while we’re at it, welcome all forms of gambling (rather than just the few currently and arbitrarily allowed) and let prostitution go legit too. All of these vices, involving billions of dollars and consenting adults, already take place. They just take place beyond the taxman’s reach.

Legalizing the world’s oldest profession probably wasn’t what Rahm Emanuel, the White House chief of staff, meant when he said that we should never allow a crisis to go to waste. But turning America into a Sin City on a Hill could help President Obama pay for his ambitious plans to overhaul health care and invest in green energy. More taxed vices would certainly lead to significant new revenue streams at every level. That’s one of the reasons 52 percent of voters in a recent Zogby poll said they support legalizing, taxing and regulating the growth and sale of marijuana. Similar cases could be made for prostitution and all forms of gambling.

In terms of economic stimulation and growth, legalization would end black markets that generate huge amounts of what economists call “deadweight losses,” or activity that doesn’t contribute to increased productivity. Rather than spending precious time and resources avoiding the law (or, same thing, paying the law off), producers and consumers could more easily get on with business and the huge benefits of working and playing in plain sight.

Consider prostitution. No reliable estimates exist on the number of prostitutes in the United States or aggregate demand for their services. However, Nevada, one of the two states that currently allows paid sex acts, is considering a tax of $5 for each transaction. State Senator Bob Coffin argues further that imposing state taxes on existing brothels could raise $2 million a year (at present, brothels are allowed only in rural counties, which get all the tax revenue), and legalizing prostitution in cities like Las Vegas could swell state coffers by $200 million annually.

A conservative extrapolation from Nevada to the rest of the country would easily mean billions of dollars annually in new tax revenues. Rhode Island, which has never explicitly banned prostitution, is on the verge of finally doing so — but with the state facing a $661 million budget shortfall, perhaps fully legalizing the vice (and then taking a cut) would be the smarter play.

Every state except Hawaii and Utah already permits various types of gambling, from state lotteries to racetracks to casinos. In 2007, such activity generated more than $92 billion in receipts, much of which was earmarked for the elderly and education. Representative Barney Frank, Democrat of Massachusetts, has introduced legislation to repeal the federal ban on online gambling; and a 2008 study by PriceWaterhouseCoopers estimates that legalizing cyberspace betting alone could yield as much as $5 billion a year in new tax revenues. Add to that expanded opportunities for less exotic forms of wagering at, say, the local watering hole and the tax figure would be vastly larger.

Based on estimates from the White House Office of National Drug Control Policy, Americans spend at least $64 billion a year on illegal drugs. And according to a 2006 study by the former president of the National Organization for the Reform of Marijuana Laws, Jon Gettman, marijuana is already the top cash crop in a dozen states and among the top five crops in 39 states, with a total annual value of $36 billion.

A 2005 cost-benefit analysis of marijuana prohibition by Jeffrey Miron, a Harvard economist, calculated that ending marijuana prohibition would save $7.7 billion in direct state and federal law enforcement costs while generating more than $6 billion a year if it were taxed at the same rate as alcohol and tobacco. The drug czar’s office says that a gram of pure cocaine costs between $100 and $150; a gram of heroin almost $400; and a bulk gram of marijuana between $15 and $20. Those transactions are now occurring off the books of business and government alike.

As the history of alcohol prohibition underscores, there are also many non-economic reasons to favor legalization of vices: Prohibition rarely achieves its desired goals and instead increases violence (when was the last time a tobacco kingpin was killed in a deal gone wrong?) and destructive behavior (it’s hard enough to get help if you’re a substance abuser and that much harder if you’re a criminal too). And by policing vice, law enforcement is too often distracted at best or corrupted at worst, as familiar headlines about cops pocketing bribes and seized drugs attest. There’s a lot to be said for treating consenting adults like, well, adults.

But there is an economic argument as well, one that Franklin Roosevelt understood when he promised to end Prohibition during the 1932 presidential campaign. “Our tax burden would not be so heavy nor the forms that it takes so objectionable,” thundered Roosevelt, “if some reasonable proportion of the unaccountable millions now paid to those whose business had been reared upon this stupendous blunder could be made available for the expense of government.”

Roosevelt could also have talked about how legitimate fortunes can be made out of goods and services associated with vice. Part of his family fortune came from the opium trade, after all, and he and other leaders during the Depression oversaw a generally orderly re-legalization of the nation’s breweries and distilleries.

There’s every reason to believe that today’s drug lords could go legit as quickly and easily as, say, Ernest and Julio Gallo, the venerable winemakers who once sold their product to Al Capone. Indeed, here’s a (I hope soon-to-be-legal) bet worth making: If marijuana is legalized, look for the scion of a marijuana plantation operation to be president within 50 years.

Legalizing vice will not balance government deficits by itself — that will largely depend on spending cuts, which seem beyond the reach of all politicians. But in a time when every penny counts and the economy needs stimulation, allowing prostitution, gambling and drugs could give us all a real lift.

Nick Gillespie is the editor in chief of Reason.com and Reason.tv.

Samstag, Mai 16, 2009

NYT: China’s Heart of Gold

The New York Times
Op-Ed Contributor
China’s Heart of Gold
By VICTOR ZHIKAI GAO

Beijing

IN China, many people refer to the dollar as mei jin, or “American gold.” Government officials, businessmen and people on the street all use the term. So if a Chinese person tells you that he owes you 100 American gold, don’t expect a big fortune, because he’s planning to pay you $100.

Chinese impressions of the American dollar as the gold standard......

May 14, 2009
The New York Times
Op-Ed Contributor
China’s Heart of Gold
By VICTOR ZHIKAI GAO

Beijing

IN China, many people refer to the dollar as mei jin, or “American gold.” Government officials, businessmen and people on the street all use the term. So if a Chinese person tells you that he owes you 100 American gold, don’t expect a big fortune, because he’s planning to pay you $100.

Chinese impressions of the American dollar as the gold standard were so deeply entrenched that they survived President Richard Nixon’s 1971 delinking of gold and the greenback. Around 30 years ago, China’s foreign exchange reserves were as little as $167 million. At one important meeting in the late 1970s, Deng Xiaoping, the leader of China, prophesied to an audience of top government officials: “Comrades, just imagine! One day we may have a foreign reserve as big as $10 billion!” Silence fell on the audience, because that figure seemed so improbable. After a long pause, Deng went on to tell the unconvinced crowd: “Comrades, just imagine! With 10 billion American gold, how much China can do!”

Deng’s view of the dollar reflected his admiration for many positive elements of American capitalism. In November 1986, I served as Deng’s interpreter when he met with John Phelan, the chairman of the New York Stock Exchange, who was visiting Beijing. During the meeting, Deng told him: “You are the rich capitalists with great wealth, and China is still very poor with little wealth. You know finance and capital markets very well. You need to teach China a lot about finance and capital markets. One day in the future, China will also have its own stock exchange.”

That was the prelude to China’s rapid economic growth. China’s foreign reserves are now close to $2 trillion, and around $1.5 trillion of it is invested in dollar assets. With the global financial crisis, the attention of the world often focuses on this huge pile of American dollars in Chinese hands.

What many don’t remember is that for years, there was either a shortage or a feared shortage of American dollars. In the 1980s, for example, the government required everyone to convert dollars into the Chinese currency, the renminbi, which literally means “people’s money.” As a result, American gold became a status symbol. Despite the mandatory conversion into renminbi, many people held onto their dollars, or bought them at inflated exchange rates, if they could find a seller at all.

No one knows for sure when the tide started to turn, or the exact moment when American gold started its slow but seemingly irreversible loss of luster. But now, many shops in China no longer accept dollar-based credit cards issued by foreign banks (the customer pays in dollars, but the shopkeeper is paid in renminbi) and foreigners cannot convert American dollars into renminbi beyond a given quota.

In the past, people held dollars for no immediate purpose. Today, they are more likely to keep them only if they need them to send their children abroad for school, travel or to do business in another country. Over all, the government is becoming more worried about the safety of its investments in the United States, which are largely in Treasury bonds and quasi-sovereign securities issued by Fannie Mae and Freddie Mac.

Beijing recently called for a greater role in international trade for the special drawing rights currency of the International Monetary Fund. But China is also fully aware that the United States can veto an I.M.F. decision. China’s call was more meant to sound an alarm to the United States.

Many Chinese people increasingly fear the rapid erosion of the American dollar. The United States may want to consider offering inflation-protection measures for China’s existing investments in America, and offer additional security or collateral for its continued investments. America should also provide its largest creditor with greater transparency and information.

We still call the dollar American gold. But the United States should not assume that this will never change.

Victor Zhikai Gao is an executive director of the Beijing Private Equity Association and a director of the China National Association of International Studies.

Freitag, Mai 15, 2009

In Memoriam Sandra Tschuba Vikartovska













Montag, Mai 11, 2009

Sonntag, Mai 10, 2009

TA Magazin: Gerhard Roth - Im Kopf des Gehirns

Tages Anzeiger Magazin 09.05.2009
Im Kopf des Gehirns

Der Hirnforscher Gerhard Roth über die Veranlagung zum Glück und den Sinn des Lebens
08.05.2009 von Anuschka Roshani , 1 Kommentar

Er nannte das Gehirn «eine Quelle des Bösen» und den freien Willen «eine Illusion» — weshalb er eine Revision des Strafrechts forderte. Verbrecher seien nicht individuell schuldig, sondern als psychisch Kranke zu betrachten. Die Debatte, die er damit auslöste, ist in vollem Gange. Grund genug, nachzufragen. Bei dem, der den geistes- mit dem naturwissenschaftlichen Blick vereint: Gerhard Roth ist Philosoph und Neurobiologe und leitet das Institut für Hirnforschung der Universität Bremen.


Tages Anzeiger Magazin 09.05.2009
Im Kopf des Gehirns

Der Hirnforscher Gerhard Roth über die Veranlagung zum Glück und den Sinn des Lebens
08.05.2009 von Anuschka Roshani , 1 Kommentar

Er nannte das Gehirn «eine Quelle des Bösen» und den freien Willen «eine Illusion» — weshalb er eine Revision des Strafrechts forderte. Verbrecher seien nicht individuell schuldig, sondern als psychisch Kranke zu betrachten. Die Debatte, die er damit auslöste, ist in vollem Gange. Grund genug, nachzufragen. Bei dem, der den geistes- mit dem naturwissenschaftlichen Blick vereint: Gerhard Roth ist Philosoph und Neurobiologe und leitet das Institut für Hirnforschung der Universität Bremen.

Professor Roth, ist der Mensch sein Gehirn?
Im trivialen Sinne ist er sein Gehirn. Alles, was wir sind und tun, denken und fühlen, läuft über das Gehirn. Es ist der Schnittpunkt; deshalb ist es trivial zu sagen, das Gehirn leitet mich. Wer oder was sonst? Diese Aussage sagt nichts darüber aus, welches die Ursachen für unser Denken, Fühlen und Handeln sind.

Und welche sind das?
Psychologie und Hirnforschung nehmen an, dass alle Motive im Rahmen der Entwicklung der Persönlichkeit festgelegt werden: durch Gene, Hirnentwicklung, frühkindliche Erfahrung und spätere Sozialisierung.

Gefühle entstünden ausschliesslich im Gehirn, sagen Sie. Schmerzen seien ein Konstrukt des Gehirns, Gefühle die Kurzberichte des emotionalen Gedächtnisses. Ist Leben nur eine Abfolge von Wiederholungen, die Rekapitulation eines Gefühls?
Der Mensch muss sich Erfahrungen merken. Er hat Affekte, die er nicht lernen muss, wie elementare Furcht, Wegrennen, Totstellen, mütterliche Instinkte. Daneben gibts die emotionale Konditionierung, das heisst, er muss lernen, wie er mit der Welt umgeht. Und die phylogenetisch ursprüngliche Kodierungsform sind Gefühle, das heisst, das Gehirn merkt sich, das war gut, das sollst du wieder tun, oder das war schlecht, das sollst du vermeiden. Damit das verhaltensrelevant wird, werden daran bestimmte Gefühlszustände gekoppelt. Die Emotion — Lust, Schmerz, Angst, Freude, Hoffnung — ist ein sehr effektives Gedächtnis, das unser Verhalten steuert. Das Problem ist, dass die zuständigen Zentren dieses limbischen Systems keine Details verarbeiten können, sie neigen deshalb sehr zu Generalisierungen. Wenn ich einmal vom Hund gebissen wurde, dann habe ich meist vor allen Hunden Angst. Es kommt das Hippocampus-Cortex-System dazu, das unemotional ist, aber die genauen Geschehnisse beisteuert — das ist unser zweites, unser elaboriertes, kognitives Gedächtnis. Beide interagieren stark und lenken das Verhalten.

Wie sieht die emotionale Konditionierung im ersten Lebensjahr aus?
Beim einen Kind genügt es, einmal auf die heisse Herdplatte zu langen, die Regel ist, es muss dies zwei-, dreimal erfahren, bis sich die Erfahrung eingeprägt hat. Ganz, ganz wichtig ist die averbale und später verbale Instruktion durch die Mutter. Die Mutter legt über ihre eigenen Gefühle zum grossen Teil die Gefühle des Kindes für sein Leben fest. Deshalb ist es tragisch, wenn eine Mutter teilnahmslos, etwa depressiv ist und nicht dazu fähig.

Produzieren glückliche Mütter glückliche Kinder und so fort?
Nicht hundertprozentig, aber man spricht von einem transgenerationellen Transfer. Der geschieht aber intuitiv. Die psychisch normale Mutter fällt in die Ammensprache, sie ist geduldig beim Füttern und so weiter, das läuft halbbewusst ab. Das prägt sich dem Kind ein, und es wird mit seinen eigenen Kindern das Gleiche tun. Aber auch Traumatisierung erzeugt Traumatisierung. Ich habe das in meiner Familie dramatisch erlebt, wo in der vierten Generation Depression weitergegeben wurde.

Sie wenden sich gegen den Erziehungsoptimismus. Warum?
Kreativität und Intelligenz zum Beispiel sind nicht wirklich anzuerziehen, sie sind hochgradig angeboren. Misst man den IQ eines Fünfjährigen, dann ist der mehr oder weniger identisch mit dem IQ, den die Person mit sechzig haben wird. Durch Förderung oder das Gegenteil, durch Vernachlässigung, lässt sich der IQ um etwa 15 bis 20 Prozentintelligenzpunkte verändern, mehr nicht. Bei psychischen Eigenschaften ist dagegen die frühe Bindungserfahrung zur Hälfte bestimmend.

Ich kann als Erwachsener gegen meine genetische oder früh festgelegte Grundausstattung nichts tun?
Ein Mensch kann ein Leben lang verändert werden, aber je älter man wird, desto geringer werden solche Möglichkeiten. Kinder dagegen sind in den ersten Lebensmonaten stark veränderbar, im Schulalter und in der Pubertät schon weniger, und als Erwachsener ändert man sich meist nur schwer und oft nur durch langanhaltende Einwirkung. Man muss gewünschte Veränderungen immer professioneller angehen, die psychischen Personalstrukturen immer raffinierter bearbeiten, über Belohnung oder mit einem Psychotherapeuten. Aber auch da gibt es grosse individuelle Unterschiede. Bei dem einen beissen sich alle die Zähne aus, ein anderer ist therapiefähiger.

Inwiefern ist man Herr seiner Motive?
Überhaupt nicht, denn Motive können nur durch Gegenmotive ausser Kraft gesetzt werden, über die wir ebenfalls keinen Einfluss haben. Man kann sehr durstig sein, aber sagt jemand, trink das Glas Wasser nicht, es ist Salzwasser: Dann wird es Leute geben, die sagen, ich trinke nichts, sonst wird der Durst schlimmer, andere werden es trinken. Ob man es tut oder nicht, hängt davon ab, wie durstig man tatsächlich ist, welche imaginativen-kognitiven Kompetenzen man im Hirn hat, wie dramatisch man sich vorstellt, was das Trinken bewirkt. Der Wille ist es ja nicht, der die Motive beeinflusst. Umgekehrt, der Wille wird von den Motiven beeinflusst. Wenn ich ohne Sauerstoffmaske auf den Mount Everest klettere, ist es nicht der Wille, der mich antreibt, sondern es sind die Motive, die meinen Willen formen und antreiben. Etwa der brennende Ehrgeiz, etwas zu machen, was vorher noch keiner gemacht hat — man ist besessen von einer Fiktion. Ein besonders willensstarker Mensch ist besonders unfrei, er hat gar keine Wahl, sich gegen seine starken Motive zu wehren.

Was hat ihn unfrei werden lassen?
Ein überehrgeiziger Mensch hat vielleicht eine ausgeprägte Ich-Schwäche, ein schweres Selbstbewusstseinsdefizit, weil er sich etwas beweisen muss. Das ist das Paradoxon bei sehr willensstarken Menschen: Sie sind fanatisch und zugleich ichschwach und müssen ihre Ich-Schwäche kompensieren. Diese kann etwa daher rühren, dass eine willfährige Mutter den Sohn vergöttert hat oder aber ihn ganz kleingemacht hat.

Die Mütter sind immer an allem schuld, spätestens seit Freud.
Wenn eine werdende oder junge Mutter sich normal verhält, und so ist es bei rund 95 Prozent, kann sie nicht viel falsch machen, weil das gesamte Ritual zwischen Kleinkind und Mutter genetisch vorprogrammiert und über die eigene frühere Bindungserfahrung abläuft. Die 5 Prozent der Bevölkerung, die davon abweichen, müssen eine massive genetische Prädisposition und Bindungsstörungen aufweisen, etwa eine schwer depressive Mutter haben, schwer vernachlässigt oder im Mutterleib durch Drogenmissbrauch belastet worden sein. Oder sie müssen extremen psychischen Belastungen während der Schwangerschaft oder ersten Lebensmonate ausgesetzt gewesen sein: drei Wochen im Keller gelebt haben oder unter schwerem Kriegsterror.

Das hiesse, die Kriegskinder, die heute etwa Siebzigjährigen, müssten schwer traumatisiert sein. Sind sies?
Die empirische Forschung sagt, dass genetisch robuste Menschen unglaublich viel aushalten. Nur wenn solche Traumata zu genetischen Polymorphismen dazukommen, hat es einen deutlichen Effekt. Doch es ist eine Tatsche, dass rund 10 bis 20 Prozent in dieser Generation psychisch krank sind: unter Depression oder Angststörungen leiden oder gelitten haben.

Die Generation meiner Grosseltern — wo sind die mit ihren schlimmen Erfahrungen geblieben?
Man müsste annehmen, dass sie alle psychisch kaputt waren; vielleicht waren sie das auch. Aber wie gesagt, der Mensch kannviel aushalten. Man muss auch berücksichtigen: Ein Grossteil der psychisch geschädigten, sehr aggressiven Männer waren exakt jene, die im Krieg als Soldaten sprichwörtlich «ausgemerzt» wurden. Das waren die Kriegshelden — die Todeskandidaten.

Man wird nie wissen, ob sie gestört worden wären, weil sie gefallen sind?
Genau. Andererseits ist psychische Traumatisierung sehr relativ in Bezug auf die Erwartung. Wenn man mit Not, Hunger, Prügel aufwächst, und diese Umstände gelten als völlig normal, dann ist der traumatisierende Effekt viel geringer, als wenn das Elend aus heiterem Himmel kommt.

Führt erst die Bewertung zum Trauma?
Zum Teil. Wenn ich in einem gewalttätigen Milieu aufwachse, und auch all meine Geschwister und so weiter werden geprügelt, ist in der Tat die Traumatisierung viel kleiner. Das Unerwartet-Schreckliche wirkt dagegen absolut traumatisierend.

Ist es allein der Gewohnheit zu verdanken, dass es keine Spuren hinterlässt?
Ja, Belohnung wie Bestrafung sind sehr relative Angelegenheiten. Jeden Tag genug zu essen zu haben, ist für uns heute nichts Besonderes, während es vor 150 Jahren für viele ein Traum gewesen wäre. Belohnung nutzt sich enorm schnell ab, schneller noch als alle negativen Erfahrungen.Belohnung hat die höchste Verfallzeit.

Wird der Mensch böse geboren und bloss durch die Umwelt domestiziert?
Böse ist kein naturwissenschaftlicher Ausdruck, grausam vielleicht. Natürlich tragen wir alle in uns ein Wirbeltier- und Säugetiererbe. Beim Mann bedeutet das diese merkwürdige Verkopplung von Dominanz, Sexualität und Aggression, dagegen gibt es keine verlässliche Moral. Wenn du einen Kampf nicht vermeiden kannst, dann wird bis zum Tod gekämpft — und Nachsicht, Mitleid gibt es nicht.

In Zürich hat man grad herausgefunden, dass Kinder erst ab sieben Empathie entwickeln, nicht wie bisher angenommen mit etwa vier Jahren.
Das hängt davon ab, wie Sie Empathie definieren. Es gibt Untersuchungen des Leipziger Anthropologen Michael Tomasello, der sagt, auch Affen zeigen eine Vorform von Empathie, die vergleichbar ist mit der von Vierjährigen. Komplexere Empathie zeigt sich sicherlich erst später. Einiges davon ist sehr stark sozial vermittelt, einiges angeboren. Aber Tiere sind meist mitleidlos, sie machen höchstens bei den Nächstverwandten eine Ausnahme, quälen und haben noch nicht mal Spass daran, sie tun es einfach. Die frühe Bindungserfahrung baut dagegen beim Kleinkind extreme empathische Hindernisse auf, wir lernen sehr früh, bestimmte Bedürfnisbefriedigungen aufzuschieben. Es wird uns vieles streng verboten.

Wann zeigt der Mensch Empathie?
Männer kennen angeborenes Mitleid nur bei den Genverwandten oder denen, bei denen sie aufgewachsen sind. Frauen sind offensichtlich von ihrer hormonalen Ausprägung her empathischer, aber auch nur im engen sozialen Bereich. Ein Geschlechtsunterschied besteht übrigens auch bei der Gewaltausübung. Im Durchschnitt ist männliche Gewalt körperliche, impulsive Gewalt, während die von Frauen überall auf der Welt überwiegend Beziehungs- oder verbale Gewalt ist. Das lässt sich schon in Diplomatie oder Intrige ablesen. Frauen mit einem starken Antrieb zur Aggression kommen eher mit zerschnittenen Armen in die Psychiatrie, wogegen aggressive Männer in der Regel alles kurz und klein schlagen. Männliche Gewalt wird im Hypothalamus ganz anders gesteuert als weibliche.

Wie sieht es mit der Liebe aus?
Es bleibt ein grosses Fragezeichen, warum Menschen über die Sexualität und die Verliebtheit hinaus Liebe zeigen. Vermutlich dient es irgendwie der längerfristigen Bindung zugunsten der Kinderaufzucht. Ich habe gestern lange mit meiner Frau, die auch Hirnforscherin ist, darüber gesprochen: Bei den Primaten ist Liebe etwas sehr Seltenes, wenn es sie überhaupt gibt. Das, was man Liebe zwischen Erwachsenen nennt, ist sehr wahrscheinlich eine abgewandelte Beziehung der Mutter-Kind-Beziehung. Das geht ja bis in die Wortwahl hinein: «Baby», «Schätzchen» und so weiter, auch das Streicheln leitet sich von der Mutter-Kind-Beziehung ab. Man nimmt an, dass der Mensch ein verkindlichter, ein pädomorpher Affe ist. Die Mutter-Kind-Beziehung hat sich in der Evolution vermutlich unter besonderem Selektionsdruck transformiert in eine mutterkindähnliche Beziehung zwischen Erwachsenen.

Demzufolge müsste die Frau in Liebesbeziehungen immer den mütterlichen Part innehaben.
Hormonale Zusammenhänge, aber auch das Bindungssystem, deuten darauf hin, dass es eine abgeleitete Beziehung ist. Das Neuropeptid Oxytocin zum Beispiel wird nach der Geburt beim Saugen des Kindes ausgeschüttet, um eine emotionale Bindung von der Mutter zum Kind herzustellen — aber auch nach dem Sex.

Was folgert man daraus?
Sigmund Freud und Konrad Lorenz, sie alle würden sagen, die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau dient ganz direkt der längerfristigen Brutfürsorge.

Der Arterhaltung also. Dann müssten sich kinderlose Paare weniger lieben.
Was statistisch auch so ist: Kinderlose Paare haben grössere Schwierigkeiten. Während Kinder Paare zusammenkitten können.

Aber ebenso trennen können.
Natürlich. Man muss es ja nicht mechanistisch sehen. Da rettet sich eine primär vorhandene Liebesfähigkeit in das Erwachsenenalter hinüber, mit einem fördernden Einfluss auf die Brutfürsorge, doch es kommt ebenso vor, dass es danebengeht — der Mittelwert muss stimmen.

Lässt sich Liebesfähigkeit im Gehirn nachweisen?
Berühmte Kollegen von mir wie der Brite Semirr Zeki und der Schweizer Andreas Bartels glauben, dass sie das können. Der Ausstoss von endogenen Opiaten, Oxytocin, Phenylethylalanin und natürlich Testosteron, ist erhöht, man ist im berühmten siebten Himmel. Wobei die beiden natürlich nicht Liebe, sondern Verliebtsein gemessen haben. Liebe — die ist ja auch ohne Sex möglich — ist noch ziemlich unverstanden. Liebe ist leider schwer zu untersuchen. Sie benötigen starke Gehirnsignale, damit Sie überhaupt etwas auf dem Kernspintomografen sehen können. Und finden Sie erst mal genug Paare, die «madly in love» sind, über einen sehr langen Zeitraum. Man kann im Kernspintomografen nur die Extreme messen und muss daher eher sozialpsychologisch arbeiten als am Gehirn.

Wenn der Charakter im Hirn lokalisierbar ist, wird es eines Tages so etwas Ähnliches geben wie einen neurologischen Fingerabdruck?
Viele Kollegen arbeiten wie wir an Studien, wo Vulnerabilitäten gemessen werden, zum Beispiel die Gefährdung für bestimmte psychische Erkrankungen. Wir versuchen Frühindikatoren zu finden. Damit man etwa bei einem Fünfzehnjährigen schon sagen kann, der ist gefährdet, irgendwann zum Gewaltstraftäter zu werden.

Wie beängstigend, wenn ich das einem so früh vorhersagen kann.
Das können Sie sogar oft schon bei einem Fünfjährigen vorhersagen. Studien über Gewaltstraftäter zeigen, dass nahezu alle von ihnen in früher Jugend, das heisst im Kindergarten, auffällig wurden und eine hohe Übereinstimmung in einigen wenigen biologischen, individual- und sozialpsychologischen Merkmalen besitzen.

Welche sind das?
Erstens ähneln sie sich hinsichtlich der individuellen genetischen Prädisposition für Gewaltbereitschaft, einer Hirnschädigung und neurophysiologischen Defiziten, dies ist aber schwach ausgeprägt. Gendefekte brauchen den Anstoss durch Umweltereignisse, um zu Fehlsteuerungen im Gehirn zu führen. Solche schädigenden Ereignisse sind die erwähnte vorgeburtliche oder frühe nachgeburtliche psychische Traumatisierung. Dieser zweite Faktor ist stark und widerspricht somit dem biologischen Determinismus. Drittens haben sie Gewalt im engeren Lebensbereich erlebt, insbesondere in den ersten drei Lebensjahren. Wenn diese drei Faktoren zusammenkommen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der junge Mensch zum Gewalttäter wird. Dies lässt sich leicht bei Tests und bei Besuchen in den Familien feststellen.

Darf man einen Fünfjährigen, Jahre bevor er vielleicht zum Gewalttäter wird, als solchen abstempeln?
Ist es nicht unmoralischer, ihn seinem Schicksal zu überlassen? Bei psychischen Erkrankungen ist es doch moralisch geboten, früh gegenzusteuern. Moralisch unsittlich ist es bloss, wenn ich erkläre, aus dem wird eh nichts. Wenn ich ihn aufgebe. Und ist es etwas anderes, wenn ich feststelle, das Kind hat ein Loch im Herzen und es wird darunter später leiden? Man muss sich abgewöhnen, die Psyche als etwas anderes als den Körper zu betrachten. Bei einer ansteckenden Krankheit machen Sie sich strafbar, wenn Sie diese nicht melden — bei der Psyche ist es ein Tabu, darüber auch nur zu sprechen.

Sie gehen weiter und plädieren dafür, das Strafrecht ganz neu zu denken, weil das bisherige Verständnis von Schuld nicht aufrechtzuerhalten sei.
Das ist im Strafrecht gar kein neuer Gedanke! Da die persönlichkeitsprägenden Faktoren in einem Alter bestimmt werden, in dem niemand schuldfähig ist, können die Täter bei ihrem späteren Tun auch nicht im traditionellen Sinne schuldig werden. Will man dennoch am Begriff der Schuld festhalten, was viele, auch fortschrittliche Strafrechtler, als unverzichtbar ansehen, so kann dies nur im Sinne der Verletzung staatlich-gesellschaftlicher Normen geschehen: Der Staat nimmt sich das Recht, Normen aufzustellen und deren Übertretung zu ahnden. Da bei uns Schuld eng mit dem Rache- und Sühnegedanken verbunden ist, wird es dauern, bis Prävention und Therapie im Umgang mit Straftätern im Vordergrund stehen werden.

Wie sind Phänomene wie das Dritte Reich, ein Volk aus Folterknechten, aus Ihrer Sicht zu erklären?
Die Hirnforschung kann das sicher nicht hinreichend erklären, aber es gibt ausreichend sozialpsychologische Untersuchungen, dass unbeteiligte Leute, die nichts davon hatten, noch zu den Opfern hingingen und nachtraten. Die Erklärung, die ich mit Kollegen gerade dafür entwickle, nennen wir «Freisetzungshypothese». Wir unterscheiden drei Gruppen von Menschen: erstens die einen, die den Anlass zur Grausamkeit suchen. Die Sadisten oder Psychopathen. Diese waren unter den Nazis übrigens nicht beliebt, das wollten die nicht. Die zweite Gruppe sind die, die mit keinem Druck dazu zu bringen sind. Ein winziger Teil hat damals widerstanden, weniger als tausend Leute im ganzen Dritten Reich. Die grösste und dritte Gruppe waren die, die sich am Anfang geweigert haben — die Ärzte im KZ, die Aufseher, die Wehrmacht —,sie alle haben eine Zeitlang gebraucht, bis sie Dinge taten, die an Grässlichkeit nicht zu überbieten waren. Das bedeutet, dass Gewalt erst aus Opportunismus, aus Eigensucht, dann aber aus der Lust an Grausamkeit und aus Allmachtsgefühlen heraus, die in uns allen stecken, aber extrem tabuisiert werden, freigesetzt wird. Die meisten Kinder sind ab und zu grausam, kleine Tierquäler. Das aber wird bei den meisten von ihnen später gesellschaftlich überformt, zivilisiert.

Durch Erziehung zur Moral?
Durch Einsicht, Gewohnheit, Erziehung — keine Ahnung. Aber leider wird es nicht ganz beseitigt, sondern schlummert in den Tiefen unserer Psyche. Die grösste Versuchung ist das Allmachtsgefühl: dass man plötzlich ungestraft Dinge tun darf, die bisher absolut verboten waren. Nicht nur als Mann Männer zu töten, sondern auch Frauen und Kinder. Dieses Verlangen muss so tief in uns sitzen, dass wir unter ganz besonderen Umständen alle zivilisatorischen, moralischen Hemmnisse überwinden. Das nutzen militaristische und diktatorische Systeme schonungslos aus.

Der Mensch ist doch von Natur aus böse.
Nein, von Natur aus hat er bestimmte Antriebe, die einmal biologisch sinnvoll waren und heute gegen andere Antriebe als Hemmnis wirken. Auch junge Tiere kriegen beigebracht, dass man seine Geschwister nicht umbringt. Angeboren ist die Balance; wenn aber ein Faktor wegfällt, bleibt der andere übrig. Man könnte umgekehrt auch lammfromm werden.

Wodurch kippt das Gleichgewicht?
Indem andere Motive durch Erfahrung oder Erziehung sehr stark werden, etwa Eigennutz.

Sie betonten eben, dass viele Täter im Dritten Reich nichts davon hatten.
Die hatten meist keinen finanziellen Vorteil, aber natürlich den Lustgewinn. Machtausübung ist ein indirekter, aber sehr starker Lustgewinn. Doch das ist alles noch hypothetisch, auch wenn diese «Freisetzungshypothese» erklären könnte, wie man fast jeden zum Gewalttäter machen kann, wenn man es geschickt anstellt. Die Fakten allerdings sprechen für sie.

Dafür weiss man heute, glückliche Menschen sind nicht glücklicher, weil sie mehr Glück haben. Hängt mein Glück demnach nicht von objektivierbaren Erfahrungen ab?
Es gibt dazu hochinteressante Untersuchungsergebnisse: Es gibt schwache und starke Optimisten und schwach und stark Ängstliche, und das sind sie in aller Regel mit sechs Jahren genau wie mit sechzig. Das gehört zum Temperament eines Menschen, das sehr konstant bleibt. Sie werden ein sehr ängstliches Kind nicht zum Optimisten machen, selbst wenn es viel Glück und Erfolg hat. Während ein optimistischer Mensch erleben kann, was er will, er wird immer sagen, anderen stösst das vielleicht zu, mir doch nicht. Dem unverwüstlichen Optimisten stirbt die Frau weg, er ist echt traurig, und nach einiger Zeit erholt er sich davon, hat vielleicht einen neuen Partner. Wogegen der Pessimist sein Leben lang Trauer trägt. Dieser Cocktail im Hinblick darauf, wie ich auf die Welt schaue, wird früh gemischt. Diese Eigenschaft, dem Schicksal zu trotzen oder an ihm zu zerbrechen, nennt sich Resilienz.

Sollte man sich die Sehnsucht nach Glück besser abschminken?
Zum Teil. Ein Mensch, der gesund ist, einigen Erfolg hat und ein gutes Familienleben, der wird glücklicher sein als ein Mensch mit gleicher genetischer Ausrüstung, der das nicht hat. Aber es gibt auch die Milliardäre, die todunglücklich sind, weil sie nur drei statt zwanzig Milliarden haben. Erfolg und Glück hängen nicht fest zusammen. Es gibt eine starke genetische Temperamentvorgabe. Doch es ist nachweislich so, Menschen in Diktaturen sind unglücklicher als in Demokratien. Aber auch in Demokratien können sie unglücklich sein.

Schweizer zählen zu den glücklichsten Menschen weltweit. Liegt das am guten Genpool?
Es könnte auch die sozial vermittelte Erwartung im Leben dafür verantwortlich sein. Menschen, die sich realistische Ziele stecken und sie verfolgen, allerdings nicht verbissen, das sind die glücklichsten. Dass sie so sind, ist weithin Schicksal. Aber wenn sie in einer Gesellschaft aufwachsen, wo die Natur schön ist und sie im richtigen Mass gefordert werden, sind sie schon mal auf der sicheren Seite. In der Gesellschaft dagegen, in der es immer heisst, du musst reich und berühmt werden oder du musst möglichst viel Sex haben, sonst hast du dein Leben verfehlt, wirst du nicht glücklich. Es ist der grosse Kontext, der modulierend auf Temperament und Persönlichkeit wirkt, in bestimmten Grenzen.

Gibt es tatsächlich einen Suchtcharakter? Könnte ich mir theoretisch dreimal Heroin spritzen und würde nicht süchtig, wenn ich keine Sucht-Prädisposition habe?
Nicht nur theoretisch, auch praktisch. Es hängt vom körpereigenen Belohnungs-, vom Dopaminsystem ab. Man kann nicht jeden drogenabhängig machen; die Droge muss in einem prägenden Augenblick als starke Belohnung empfunden werden, es muss eine psychische Bedürfnissituation geben. Sie brauchen ein starkes Erlebnis — das tut mir jetzt gut, und dann werden Sie konditioniert im Suchtgedächtnis.

Man sagt, das Gehirn unterliege einem Deutungszwang, es müsse etwa in Wolken Muster erkennen. Ist die Suche nach dem Sinn des Lebens absurd, weil wir eh nur unserem biologischen Programm folgen? Gibt es gar keinen Sinn, müssen wir ihn aber suchen, weil unser Gehirn uns so konditioniert?
Wir haben ein elementares Bedürfnis nach Sinn. Auch einige Tiere haben das offenbar, zum Beispiel Schimpansen und Elefanten. Alles andere liegt im Unklaren. Dass die meisten Menschen an ein höheres Wesen glauben, also die Sehnsucht nach Gott, beweist weder seine Existenz noch seine Nichtexistenz. Wenn es Gott gäbe, könnte er uns die Sehnsucht eingegeben haben, das glauben religiöse Menschen, aber es könnte auch eine biologisch sinnvolle Einbildung sein. Für all die religiösen Erfahrungen hat man recht plausible naturwissenschaftliche Erklärungen. Man kann religiöse Zustände, plötzliche Erleuchtungen etwa, sogar experimentell induzieren. Es folgt nur nicht zwingend logisch daraus, dass es ein höheres Wesen nicht gibt, aber das werden wir Zeit unseres Lebens nicht erfahren. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass ein Leben nach dem Tod der konventionellen Paradiesvorstellung gleicht. Aber ich kann es nicht wie den Regen beweisen.

Bitte noch mal zurück zum Leben vor dem Leben, in die Embryonalphase: Warum kann sich mein Gehirn an diese Phase nicht erinnern?
Zumindest nicht bewusst. Damit bewusste Erinnerung möglich ist, müssen Hippocampus und Grosshirnrinde einen bestimmten Ausreifungszustand erreicht haben, den sie da noch nicht haben.

Aber welcher biologische Zweck steckt hinter dem Vergessen?
Es könnte ein Schutz sein oder einfach daran liegen, dass das Gehirn diese Verknüpfungen nicht schneller leisten kann. Der Mensch kommt unfertig auf die Welt. Er wächst extrem langsam, was den Vorteil hat, dass er lange Zeit plastisch ist. Lernfähig, weil sich sein Gehirn so langsam entwickelt. Man kann kein grosses, voll verdrahtetes Gehirn mit einem Jahr haben, das geht physiologisch nicht. Wir werden schlicht deshalb so früh geboren, weil unser Kopf mit unserem Gehirn noch durchs weibliche Becken gehen muss.

Freitag, Mai 08, 2009

Tages Anzeiger: Die braunen Lehrer des Papstes

Tages Anzeiger Online: 07.05.2009

Die braunen Lehrer des Papstes
Von Michael Meier. Aktualisiert um 22:34 Uhr

Während Benedikt XVI. nach Israel reist, ist in Deutschland ein Streit um die Judenmission entbrannt. In den Medien nach wie vor tabu sind Ratzingers antisemitische Förderer.

Alle sprechen von einer historischen Reise: Mit Benedikt XVI. wird ein deutscher Papst Israel besuchen und am Montag an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eine Vergebungsbitte sprechen. Auch wenn der Papst im Heiligen Land die Juden «unsere älteren Brüder» nennen wird, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet. Der Grund liegt nicht so sehr in der Begnadigung des Holocaust-Leugners Richard Williamson. Schwerer wiegt, dass Benedikt mit der Zulassung der Lateinischen Messe am Karfreitag wieder für die Bekehrung der Juden zu Christus, dem «Retter aller Menschen», beten lässt. Damit ist just vor seiner Israel-Reise in Deutschland eine Debatte über die Judenmission entbrannt.


Tagesanzeiger Online 07.05.2009

Die braunen Lehrer des Papstes
Von Michael Meier. Aktualisiert um 22:34 Uhr

Während Benedikt XVI. nach Israel reist, ist in Deutschland ein Streit um die Judenmission entbrannt. In den Medien nach wie vor tabu sind Ratzingers antisemitische Förderer.

Alle sprechen von einer historischen Reise: Mit Benedikt XVI. wird ein deutscher Papst Israel besuchen und am Montag an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eine Vergebungsbitte sprechen. Auch wenn der Papst im Heiligen Land die Juden «unsere älteren Brüder» nennen wird, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet. Der Grund liegt nicht so sehr in der Begnadigung des Holocaust-Leugners Richard Williamson. Schwerer wiegt, dass Benedikt mit der Zulassung der Lateinischen Messe am Karfreitag wieder für die Bekehrung der Juden zu Christus, dem «Retter aller Menschen», beten lässt. Damit ist just vor seiner Israel-Reise in Deutschland eine Debatte über die Judenmission entbrannt.

Ratzingers nazifreundliche Förderer

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken fürchtet, dass der Papst mit der Karfreitagsbitte die Judenmission wieder belebt, die einst so viel Schaden angerichtet hat. Gerade hat sich das Komitee mit der Broschüre «Dialog ohne Mission» klar von der Judenmission distanziert. Im Gegenzug hält die Deutsche Bischofskonferenz daran fest, dass die Kirche Christus bezeugen muss – auch gegenüber den Juden. Von Bischof Kurt Koch bis Philosoph Robert Spaemann, sie alle erläutern, Benedikt zu Hilfe eilend, den wahren Glauben der Kirche, wonach der Messias Christus in der Endzeit auch die Juden bekehren werde.

So reisst der deutsche Papst Gräben auf, die dank der Haltung «Dialog statt Mission» überwunden schienen. Indem Benedikt den Juden einen eigenen Heilsweg abspricht, bleibt er dem traditionellen Antijudaismus verhaftet. Ohne Antisemit zu sein. Doch als Deutscher, dem die Gnade der späten Geburt versagt blieb, ist seine Vita viel stärker vom Nationalsozialismus überschattet, als es öffentlich bekannt ist. Als nach der Papstwahl die englische Presse an die Mitgliedschaft des 17-jährigen Ratzingers in der Hitler-Jugend erinnerte, sprachen die deutschen Medien von schlechtem Stil. Für sie ist bis heute auch tabu, dass Ratzinger seine Karriere nazifreundlichen Förderern verdankt.

Bischof Graber, ein Antisemit

Allen voran dem Regensburger Bischof Rudolf Graber, dem einstigen Rechtsaussen der Deutschen Bischofskonferenz. Der glühende Marienverehrer und Antisemit hatte dem aufstrebenden Professor die Türen zum Hause Habsburg, aber auch zu Franz Josef Strauss aufgestossen. Als Joseph Ratzinger, traumatisiert von der 68er-Revolte, von der Universität Tübingen in den «unaufgeklärten Herrgottswinkel Regensburg» floh (Hans Küng), war es Graber, der für seinen Zögling den geplanten Judaistik-Lehrstuhl in einen Lehrstuhl für Dogmatik umwandeln liess.

Graber hatte 1933 geschrieben: «Die nationalsozialistische Bewegung hat einen unverkennbar messianischen Schwung, in der der Führer als Retter, Vater und irdischer Heiland erscheint.» Und: «Die germanische Rasse trat als gesunde, unverbrauchte Rasse ein in die Geschichte. Sie ist nicht angekränkelt von der sittlichen Fäulnis der ausgehenden Antike, sondern tritt froh und freudig mit ihren blauen Augen und blonden Haaren hinein in die Welt, die ihr gehört».

In Ratzingers Buch «Aus meinem Leben» kommt Rudolf Graber nicht vor. Bei anderen Mentoren verschweigt er deren Kollaboration mit den Nazis. Michael Schmaus, Ratzingers Münchner Professor und Zweitzensor seiner Habilitation von 1955, hatte nach Hitlers Machtergreifung mit einer Propagandaschrift für «Begegnungen zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung» geworben. 1951 war Schmaus Rektor der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität geworden.

Kardinal Faulhaber, ein Monarchist


Auch die höchste Autorität im Leben der Familie Ratzinger, Kardinal Michael Faulhaber, von 1917 bis 1952 Erzbischof von München, hatte sich nach der Machtergreifung mit den Nazis arrangiert. Er lehnte es ab, die Judenboykotte zu verurteilen, weil die Juden sich selber helfen könnten. Stattdessen sicherte der Monarchist Hitler 1936 zu, die Bischöfe würden ihn «in seinem weltgeschichtlichen Abwehrkampf gegen den Bolschewismus» unterstützen. Kaum jedoch war der Krieg zu Ende, liess Faulhaber per Hirtenbrief dekretieren, die deutschen Bischöfe hätten von Anfang an vor den Irrlehren und Irrwegen der Nazis gewarnt. Ein Jahr später beglückwünschte ihn Papst Pius XII. für seinen «ausdauernden Kampf gegen das Naziregime». Gut möglich, dass Ratzinger, der bei Kriegsende ins Priesterseminar von Faulhaber eingetreten war, den Kriegspapst seligsprechen will, weil dieser dem Idol seiner Jugend einen Persilschein ausstellte. Unbekümmert darum, dass sich die Freunde Faulhaber und Pius XII. nie zu einem lautstarken Protest gegen die Vernichtung der Juden durchringen konnten.

Der Grossonkel wird nicht erwähnt

In seinem Buch «Papst ohne Heiligenschein» macht ein deutsches Autorenkollektiv deutlich, wie Ratzinger die «Strategie des kollektiven Vergessens» mitträgt. In seiner Autobiografie schreibt er, wie sehr sein Vater, ein Gendarm, darunter litt, «einer Staatsgewalt dienen zu müssen, deren Träger er als Verbrecher ansah». Er verschweigt, dass sein Grossonkel Georg Ratzinger, der als erster Theologe der Familie bei dieser in höchster Ehre stand, in Bayern den Antisemitismus zum Programm erhoben hatte.

Die noch bis September laufende Ausstellung «Stadt ohne Juden» im Jüdischen Museum München widmet Georg Ratzinger eine ganze Station unter dem Titel «Katholischer Antisemitismus». Dort liegt sein Pamphlet «Jüdisches Erwerbsleben» von 1893 auf, in dem er die Juden, «die Wucherer», für sämtliche sozialen Missstände verantwortlich macht. Unter dem Pseudonym Dr. Robert Waldhausen forderte Georg Ratzinger, auch Abgeordneter im Bayerischen Landtag, eine Kennzeichnung der Juden und ihren Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben.

In dem um die Jahrhundertwende veröffentlichten Werk «Das Judentum in Bayern» verschärfte Ratzinger, damals die grosse bayrische Autorität der katholischen Soziallehre, seine antisemitische Polemik. «Zu dieser Zeit ist der Antisemitismus zu so etwas wie zu einem politischen Totalprogramm auf der katholischen Seite geworden», erklärt der Politikwissenschaftler Kurt Greussing. Ja er spricht von einem 11. Gebot: «Du sollst Antisemit sein». (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 07.05.2009, 21:53 Uhr

Donnerstag, Mai 07, 2009

TA: Angeschlagene US-Banken gaben 370 Millionen für Lobbying und Parteispenden aus

Tagesanzeiger Online 06.05.2009
Angeschlagene US-Banken gaben 370 Millionen für Lobbying und Parteispenden aus
Von Ralf Kaminski, New York.

Erst halfen die US-Banken mit ihrem Lobbying in Washington mit, die Krise auszulösen. Nun lassen sie sich von der Politik retten. Eine Studie zeigt die Zusammenhänge auf.


Tagesanzeiger Online 06.05.2009
Angeschlagene US-Banken gaben 370 Millionen für Lobbying und Parteispenden aus
Von Ralf Kaminski, New York.

Erst halfen die US-Banken mit ihrem Lobbying in Washington mit, die Krise auszulösen. Nun lassen sie sich von der Politik retten. Eine Studie zeigt die Zusammenhänge auf. (www.publicintegrity.org)

Auslöser der aktuellen Wirtschaftskrise, man erinnere sich, waren die sogenannten Subprime-Hypotheken in den USA, Hypothekarkredite an Amerikaner, die sich sehnlichst ein Eigenheim wünschten, sich das aber nicht leisten konnten. Das Kartenhaus brach zusammen, als die Immobilienblase platzte und die Häuser rapide an Wert verloren. Die Exzesse im US-Immobilienmarkt waren nur möglich, weil die Politik sie zuliess und auf strengere Regulierung verzichtete. Die Banken sorgten mit viel Geld dafür, dass das so blieb.

In den letzten zehn Jahren haben die 25 grössten Subprime-Hypothekarkreditverleiher in Washington 370 Millionen Dollar für Lobbying und Wahlkampfspenden ausgegeben. Dies zeigt eine Studie des Centers for Public Integrity (CPI) in Washington, die gestern veröffentlicht wurde. Die meisten der Verleiher – viele von ihnen sind heute bankrott – gehörten den grössten Banken der Nation oder wurden massgeblich von diesen finanziert. Ganz vorne mit dabei: Citigroup, Goldman Sachs, Wells Fargo, JP Morgan Chase und Bank of America. Gemeinsam waren sie von 2005 bis 2007 für 1000 Milliarden Dollar an Subprime-Hypotheken verantwortlich – fast 75 Prozent der Gesamtmenge.

Milliardenschwere Unterstützung vom Staat

Dieselben Banken, die mit unermüdlicher und teurer Lobbyarbeit in Washington gleich doppelt dazu beitrugen, die Krise auszulösen, sind seither mit Milliarden vom Staat über Wasser gehalten worden, weil sie «too big to fail» sind, zu gross, um sie untergehen zu lassen. «Vielleicht sollte man es anders ansehen», sagt Bill Buzenberg, Leiter der Studie. «Diese Megabanken sind politisch zu gut verbandelt, um sie untergehen zu lassen.»

In der Studie zeigt das CPI auch, dass es Warner gegeben hat, Leute wie William Brennan, Anwalt bei der Atlanta Legal Aid Society. Schon 1998 zeigte er vor einem Senatskomitee die Zusammenhänge auf und sagte: «Ich denke, dieses Kartenhaus wird eines Tages einstürzen, und das wird zu hohen Verlusten führen für die Investoren, die Aktien bei diesen Unternehmen besitzen.» Brennan war nicht der einzige Warner, aber die Lobbymillionen der Banken machten offenbar mehr Eindruck.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 06.05.2009, 21:20 Uhr

Mittwoch, Mai 06, 2009

Sonntagszeitung: «Hochkomplexe Systeme sind instabil»

Sonntagszeitung 03.05.2009
«Hochkomplexe Systeme sind instabil»

ETH-Systemtheoretiker Stefano Battiston über die wissenschaftlichen Hintergründe der Weltfinanzkrise

Von Daniel Meierhans

Die Wirtschaft werde stabiler und allfällige Risiken durch Verteilung auf mehr Schultern minimiert. Mit solchen Versprechungen wurde die Globalisierung der Kapitalmärkte vorangetrieben. Doch die Annahmen sind falsch, wie Systemtheoretiker Stefano Battiston von der ETH Zürich mit Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz nachgewiesen hat. Vielmehr wird das System von einem bestimmten Verknüpfungsgrad an mit jeder weiteren Wirtschaftsbeziehung immer instabiler. Wie ein stabiles hochkomplexes System aufgebaut sein müsste, zeigt laut Battiston die Natur.



Sonntagszeitung 03.05.2009
«Hochkomplexe Systeme sind instabil»

ETH-Systemtheoretiker Stefano Battiston über die wissenschaftlichen Hintergründe der Weltfinanzkrise

Von Daniel Meierhans

Die Wirtschaft werde stabiler und allfällige Risiken durch Verteilung auf mehr Schultern minimiert. Mit solchen Versprechungen wurde die Globalisierung der Kapitalmärkte vorangetrieben. Doch die Annahmen sind falsch, wie Systemtheoretiker Stefano Battiston von der ETH Zürich mit Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz nachgewiesen hat. Vielmehr wird das System von einem bestimmten Verknüpfungsgrad an mit jeder weiteren Wirtschaftsbeziehung immer instabiler. Wie ein stabiles hochkomplexes System aufgebaut sein müsste, zeigt laut Battiston die Natur.

Herr Battiston, hat Sie der kaskadenartige Zusammenbruch des Finanzsystems in Folge der Subprime-Krise überrascht?

Nein, die immer häufiger und schwerer werdenden Krisen bestätigen unsere Berechnungen zu hochkomplexen Systemen. Überschreitet ein hochgekoppeltes Netzwerk eine gewisse Dichte an Verknüpfungen, wird es immer instabiler. Danach steigt das Risiko, dass der Ausfall eines einzelnen Knotenpunkts eine Zusammenbruchslawine auslöst, praktisch exponentiell an. Das globale Finanzsystem hat diesen Wendepunkt offenbar überschritten.

Welche Grundmechanismen sind dafür verantwortlich?

Es ist die Anzahl der Verknüpfungen, kombiniert mit einem verstärkenden Rückkopplungsmechanismus. Überschreitet der Verknüpfungsgrad einen gewissen Schwellenwert, nehmen durch die Rückkopplung die Risiken aus dem Netzwerk überhand. Der Verstärkungsmechanismus ist im Finanzsystem und auch in allen Kunden-Lieferanten-Beziehungen das Kreditwesen. Wenn es einem Unternehmen gut geht, werden ihm bessere Kredit- oder Zahlungskonditionen zugestanden, was seinen finanziellen Zustand weiter verbessert.

Und wenn das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät - verschlechtern die strengeren Kredit- und Zahlungskonditionen seinen Zustand zusätzlich?

Genau. Und es verschlechtert durch seine Schwierigkeiten auch die Konditionen der Kunden und Lieferanten, mit denen es verknüpft ist. So pflanzen sich die Probleme im Netzwerk fort. Vergleichbare Verstärkungsmechanismen gibt es auch in vielen natürlichen Systemen vom Klima über den menschlichen Körper bis zu Ökosystemen. Alle diese Netzwerke gehorchen den gleichen Grundgesetzen. In den Naturwissenschaften spricht man von einem kooperativen Verhalten.

Sie sprechen von Grundgesetzen. Sind diese das Ergebnis von Simulationsrechnungen?

Nein. Die Erkenntnis, dass ein hochkomplexes System ab einer gewissen Verknüpfungsdichte instabil wird, beruht nicht nur auf Simulationen. Die Modelle sind auch analytisch mathematisch bewiesen.

Aber Kooperativität ist die Grundlage unserer Wirtschaft. Ohne industrielle Arbeitsteilung wäre zum Beispiel unsere wirtschaftliche Entwicklung gar nicht denkbar.

Kooperativität ist tatsächlich eine sehr mächtige und grundlegende Eigenschaft. Sie ermöglicht Leistungen, zu denen die Einzelnen nicht fähig wären. Sie kann aber genauso destruktiv wirken, wenn keine Grenzen eingebaut sind, um problematische Abläufe zu isolieren. Nehmen sie zum Beispiel Krebs. Eine Krebszelle in einem menschlichen Gewebe kann den gesamten Organismus zerstören. Eine Grenze zwischen den Individuen verhindert aber, dass der Krebs sich über die ganze Population ausbreiten kann. Genauso sind Viren auf bestimmte Arten und Regionen beschränkt. Die Natur hat ihr hochkomplexes System in viele kleine Systeme unterteilt, die nur einen begrenzten Austausch miteinander pflegen. So kann sie das Risiko von globalen Zusammenbrüchen verringern. Was passieren kann, wenn diese Restriktionen künstlich aufgehoben werden, zeigt sich jetzt in der Pandemiegefahr durch die Schweinegrippe.

Ist denn die Globalisierung nach Ihren Erkenntnissen eine Fehlkonstruktion?

So wie die Globalisierung bisher vorangetrieben wurde, beinhaltet sie systemische Fehler. Krisen sind an sich etwas Normales. Die heutigen Probleme entstehen durch die durchgängigen Verknüpfungen in einem einzigen, zusammenhängenden Netzwerk. Dadurch werden die Krisen schwerer, und sie verbreiten sich schnell über die ganze Welt.

Was heisst das konkret?

Wir haben zum Beispiel die Inhaberverhältnisse der 600 000 grössten international tätigen Unternehmen der Welt untersucht. Dabei fanden wir, dass 400 000 von ihnen in einem geschlossenen System von gegenseitigen Besitzverhältnissen stehen. Die Detailanalyse ergibt aber ein noch viel beunruhigenderes Bild: Es sind nur 127 Konzerne, zumeist aus
dem Finanzbereich, die insgesamt 50 Prozent des produktiven Umsatzes aller transnationalen Unternehmen kontrollieren und diese 127 sind zudem noch gegenseitig über direkte Beteiligungen miteinander verknüpft. Diese Vernetzung macht es praktisch unmöglich, schwerwiegendere Probleme zu isolieren.

Das klingt alles sehr einleuchtend. Wieso haben die Wirtschaftswissenschaften diese Probleme nicht schon länger erkannt und etwas dagegen unternommen?

Für einen Naturwissenschaftler entsprechen unsere Berechnungen tatsächlich seinem intuitiven Verständnis. Er ist überall in seiner Arbeit mit hochkomplexen Systemen konfrontiert. Die Wirtschaftswissenschaftler haben sich demgegenüber bis anhin auf statische Modelle abgestützt, welche die einzelnen Risiken als voneinander isoliert betrachten. Das systemische Verständnis ist noch wenig entwickelt. Tatsächlich ist unser Forschungsgebiet aber auch noch sehr jung. Das erste mathematische Modell eines dynamischen, hochkomplexen Netzwerks wurde erst kurz vor dem Jahrtausendwechsel formuliert. Der mathematische Beweis der Destabilisierung als Folge einer zu starken Kopplung ist vor zwei Jahren gelungen.

Wird es lange dauern, bis sich der systemische Ansatz durchsetzt?

Ich bin der Überzeugung, dass unsere Modelle das Finanz- und Wirtschaftssystem sehr gut repräsentieren. Darum glaube ich auch, dass die systemische Betrachtung in Zukunft zum wissenschaftlichen Konsens wird. Dies zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass die ETH im vergangenen Herbst das Kompetenzzentrum zur Bewältigung von Krisen in komplexen sozio-ökonomischen Systemen (www.ccss.ethz.ch) gegründet hat. Dieses erforscht nicht nur den Ablauf von Krisen in der Wirtschaft, sondern auch in sozialen, politischen und Verkehrs-Netzwerken.

Publiziert am 03.05.2009

Dienstag, Mai 05, 2009

NZZ: «Gorbatschew hat die Dynamik nicht erkannt» Der Eiserne Vorhang reisst – Andreas Oplatka über Ereignis und Folgen

2. Mai 2009, 10:25, NZZ Online
«Gorbatschew hat die Dynamik nicht erkannt»
Der Eiserne Vorhang reisst – Andreas Oplatka über Ereignis und Folgen

Am 2. Mai 1989 wurde in Ungarn der Eiserne Vorhang erstmals durchschnitten. Durch die Grenzöffnung kam der Zusammenbruch des Sowjetimperiums in Schwung. Die Kreml-Führung in Moskau unterschätzte die Dynamik des Geschehens völlig – das sagt Andreas Oplatka, damals Ostblock-Spezialist der NZZ.


2. Mai 2009, 10:25, NZZ Online
«Gorbatschew hat die Dynamik nicht erkannt»
Der Eiserne Vorhang reisst – Andreas Oplatka über Ereignis und Folgen

Am 2. Mai 1989 wurde in Ungarn der Eiserne Vorhang erstmals durchschnitten. Durch die Grenzöffnung kam der Zusammenbruch des Sowjetimperiums in Schwung. Die Kreml-Führung in Moskau unterschätzte die Dynamik des Geschehens völlig – das sagt Andreas Oplatka, damals Ostblock-Spezialist der NZZ.

NZZ Online: Das Jahr 1989 gilt als Zeitenwende. Was hat sich gewendet?

Andreas Oplatka: Von Zeitenwende kann man schon sprechen. 1989 brachte die Öffnung des Eisernen Vorhangs, den Fall der Mauer. Damit begann der Kollaps der Sowjetunion und des Ostblocks, auch das Ende eines Friedenssystems, das in Europa fast 50 Jahre lang gehalten hatte.

Was war die Hauptursache dieses Zusammenbruchs?

Die innere Schwäche des Ostblocks und dazu der äussere Druck des Westens, vor allem mit der Hochrüstung der USA unter Ronald Reagan. Die Wirtschaftsleistung der Ostblockländer war völlig ungenügend. Dazu kamen innere politische Probleme: Im Sommer 1989 gab es Streiks im Baltikum, Unruhen im Kaukasus, Proteste in Polen und dazu noch die Massenflucht aus der DDR nach Ungarn.

Warum verhinderten die Sowjets nicht die Grenzöffnung?

Die Führung unter Michail Gorbatschew liess es geschehen. Sie war an allen Ecken und Enden gefordert; sie mochte sich nicht darum auch noch kümmern. Gorbatschew selber sagte mir, im Politbüro habe man nie erwogen, Panzer loszuschicken. Ob man andere Optionen erwog, und welche, wollte er mir nicht sagen. Die Sowjetunion strebte damals ein Arrangement mit dem Westen an; sie brauchte eine Pause im Wettrüsten – da kamen Panzer nicht in Frage. Zudem suchte Gorbatschew Unterstützung für seine Perestroika; die erhoffte er sich von den Reformkommunisten in Polen und Ungarn.

Aber es kam anders.

Gorbatschew sah nicht voraus, dass diese Länder wesentlich weiter gehen würden, als er es sich ausgedacht hatte. Die Ungarn und Polen wollten nicht Reformkommunismus, sondern Liberalismus – eine liberale Ordnung hatten sie ja früher schon gehabt, die wollten sie wieder.

Was sagt Gorbatschew heute dazu?

Ich habe mit ihm gesprochen, er hatte 30 oder 40 Minuten Zeit. Viel hat er nicht gesagt; er meisselt vor allem an seinem eigenen Denkmal. Er möchte der Nachwelt als Friedensfürst und Vereiniger Europas in Erinnerung bleiben. Aber offenkundig haben Gorbatschew und seine Umgebung lange Zeit gar nicht erkannt, welche Dynamik mit der Öffnung der Grenzen freigesetzt wurde.

Wann hat die Kremlführung gemerkt, dass die deutsche Wiedervereinig sich nicht mehr aufhalten liess?

Erst im Januar 1990 realisierten sie die Tragweite des Geschehens. Da stellten sie fest, dass der Ostblock in der bisherigen Form und namentlich die DDR nicht mehr zu halten war. Das sagen westliche Diplomaten und auch Insider aus dem Kreml von damals, etwa Alexander Jakowlew als ehemaliges Mitglied des Politbüros.

Auch die Kreml-Gucker im Westen waren überrascht.

Das stimmt. Praktisch niemand hat den plötzlichen Zusammenbruch der Sowjetmacht vorausgesehen, so schnell und so umfassend. Im Lauf von 1989 wurde aber klar, dass die Dinge sich in diese Richtung bewegten, und dass die Entwicklung unumkehrbar war. Aber eine deutsche Wiedervereinigung schien auch Ende 1989 noch fast undenkbar.

Warum kam der Anfang vom Ende gerade in Ungarn?

Ungarn war freier als andere Länder im Ostblock. Das Regime liess die Leute einigermassen in Ruhe; sie hatten private Geschäfte, sie konnten reisen. In dieser Atmosphäre entstand in den achtziger Jahren eine ziemlich starke Oppositionsbewegung.

Woher kam die relative Freiheit?

Die Ungarn hatten 1956 ihren Aufstand gewagt. Es gab Kämpfe und ein paar tausend Tote. Diese Sprache wurde in Moskau verstanden, das machte Eindruck. Der gewaltlose Widerstand in der Tschechoslowakei 1968 dagegen erschien, so bewundernswürdig er war, den Sowjets nur als Zeichen der Schwäche. In der DDR oder in Rumänien war an Freiheit oder auch nur an kleine Freiheiten schon gar nicht zu denken.

Und was führte dann zum Schnitt im Zaun?

Die ungarische Regierung wollte den Eisernen Vorhang einrollen. Es war eine ziemlich einfache Anlage, ohne Starkstrom und Minen und Selbstschussanlagen, aber sie war ziemlich kaputt, und der Unterhalt wurde der Regierung zu teuer. Und die Wachtmannschaften waren überfordert wegen der vielen Pannen und Fehlalarme – sie waren die ersten, die den Abbau wünschten.

Also ein finanzielles Motiv?

Ja, aber nicht nur. Der Zaun wurde eigentlich gar nicht mehr gebraucht, jedenfalls nicht für die Ungarn. Die erhielten seit Anfang 1988 Pässe und konnten legal ausreisen, auch in den Westen. Der Zaun war nur noch zur Bewachung von Bürgern aus andern Ostblockstaaten gut, und das hielt die ungarische Führung nicht für ihre Aufgabe.

Wurde Moskau denn vorgängig informiert?

Ja, die ungarische Führung sondierte intensiv in Moskau; sie waren vorsichtig. Gorbatschew selbst sagte zum ungarischen Regierungschef Miklos Nemeth, er sehe im Abbau der Grenzanlagen kein Problem. Und er versicherte ihm, solange er auf seinem Stuhl sitze, werde es kein neues 1956 geben – obwohl einige genau das möchten, fügte er hinzu.

Wie ging man dann vor?

Der erste Schnitt durch den Zaun erfolgte am 2. Mai 1989. Die Anordnung dazu liess man einen kleinen Beamten im Innenministerium unterschreiben – so sicher war sich die Führung in Budapest denn doch nicht. Der offizielle Regierungsbeschluss zum Abbau des Zauns folgte erst am 18. Mai, und der Abbau ging dann sehr schnell voran. Die Grenzbewachung wurde aber zuerst noch weitergeführt; erst am 22. August beschloss das Kabinett, sie einzustellen. Das war nach dem sogenannten Grenzpicknick mit Flüchtlingen aus der DDR vom 19. August.

Aber der offizielle Zaunschnitt erfolgte doch erst am 27. Juni?

Das war eine Public-Relations-Inszenierung des ungarischen Aussenministers Gyula Horn, mit dem österreichischen Aussenminister Alois Mock zusammen. Zu dem Zeitpunkt war der Grenzzaun aber grösstenteils schon demontiert. Die Politiker hatten Mühe, überhaupt noch ein intaktes Stück Zaun von hundert Meter Länge zu finden, das sie vor den Kameras durchschneiden konnten. Horn wollte als Grenzöffner in die Geschichte eingehen; doch sprach er sich noch Mitte August im Ministerrat gegen die Einstellung der Grenzbewachung aus.

Trotzdem, der Auftritt hatte Wirkung.

Ja, die psychologische Wirkung war da. Das westdeutsche Fernsehen berichtete darüber. Das sahen die Leute in der DDR. So kam es zur grossen Abwanderungswelle: 50 000 Ostdeutsche reisten bis Anfang November über Ungarn durch den offenen Zaun in den Westen. Mit der Demontage des Zaunes und der Freigabe der Grenze Anfang September wurde das gesamteuropäische Geschehen beschleunigt.

Welche Rolle spielten die deutschen Politiker, in Ost-Berlin und in Bonn?

Der ostdeutsche Parteichef Erich Honecker wollte bei einem Ostblock-Gipfeltreffen Anfang Juli noch heftig gegen das Vorgehen der Ungarn protestieren. Aber er hatte eine Nierenkolik und konnte die Brandrede nicht halten, die er vorbereitet hatte -- das war ein günstiger Zufall der Geschichte. In Bonn ist die eine oder andere Einzelheit in der Rolle des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl nicht ganz klar. Er wollte mir keine Auskunft geben. Er hatte eine wichtige, mehrstündige Unterredung mit den Ungarn, mit Ministerpräsident Nemeth und Aussenminister Horn, am 25. August auf Schloss Gymnich bei Bonn; in seinen Memoiren spricht er darüber, aber Dokumente über diese Unterredung durfte ich nicht sehen; das Protokoll wird bis heute geheim gehalten. Auch vom damaligen Aussenminister Hans-Dietrich Genscher konnte ich es nicht erhalten, obwohl er sich in unserer Unterredung auf diese Aufzeichnungen berief.

Was ist jetzt die Bilanz, zwanzig Jahre nach diesen Ereignissen?

Es gab eine starke Umgestaltung der Gesellschaft, mit Gewinnern und Verlierern. Gewinner waren die Angehörigen des Mittelstands, Leute mit einer Berufsbildung. Sie erlebten einen unerhörten Aufschwung. In den letzten zwanzig Jahren wurde mehr aufgebaut und modernisiert als in den fünfzig Jahren zuvor. Und Gewinner insbesondere ist die jüngere Generation.

«Man konnte sich plötzlich Verbesserungen vorstellen»

Und die Verlierer?

Ich verkenne nicht, dass es auch Verlierer gegeben hat. Vor allem ältere Leute, die in den neuen Verhältnisse nicht mehr Fuss fassen konnten. Und auch die Roma: Viele hatten als ungelernte Hilfsarbeiter in wenig produktiven Industriekombinaten eine Stelle; solche Stellen fielen weg, als die Betriebe modernisiert oder geschlossen wurden.

Was hat sich in den Köpfen verändert?

Das Leben in manchen ehemaligen Ostblockländern erhielt eine ganz neue Qualität: persönliche Freiheit, Bürgerrechte, Menschenwürde – daran hat man sich inzwischen gewöhnt, man erwähnt es schon kaum mehr. Und man konnte sich plötzlich Veränderungen, Verbesserungen vorstellen. Unter dem alten Regime wusste man: Es ist so, wie es ist, wir haben, was wir haben, mehr wird es nie sein. Jetzt hat man Chancen, die man packenkann; es kann aufwärts gehen. Allerdings kann es auch abwärts gehen, wie man jetzt sieht; die Wirtschaftskrise trifft die ehemaligen Ostblockländer besonders hart. Aber es ist jetzt ein dynamischer Zustand, nicht mehr ein statischer wie vorher.

Interview: awy.

Von Andreas Oplatka ist soeben das Buch «Der erste Riss in der Mauer» erschienen, bei Zsolnay in Wien. Er untersucht darin den Abbruch des Eisernen Vorhangs in Ungarn und das Handeln der Akteure, gestützt auf Interviews mit direkt beteiligten Personen und auf ausgedehnte Archivrecherchen. – Andreas Oplatka war Redaktor und Korrespondent der NZZ. Heute lehrt er an der deutschsprachigen Andrassy Universität in Budapest und an der Universität Wien.