20. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft
Was der Finanzsektor mit Umweltproblemen gemeinsam hat
Wenn Verschmutzer verursachergerechte Preise zahlen müssen, kann man wieder auf die Marktkräfte zählen
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Frage nach neuen oder anderen Regulierungen im Finanzsektor in den Vordergrund geschoben. Die Autoren des folgenden Beitrags plädieren für einen Ansatz, den man vor allem auch aus der Umweltökonomie kennt: das Etablieren verursachergerechter Preise für Ressourcen oder externe Effekte. Sie sehen Verschmutzer der Umwelt und des Finanzsektors in ähnlichen Rollen. (Red.)
Von Thomas Cooley, Horst Siebert und Ingo Walter
20. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
Themen und Thesen der Wissenschaft
Was der Finanzsektor mit Umweltproblemen gemeinsam hat
Wenn Verschmutzer verursachergerechte Preise zahlen müssen, kann man wieder auf die Marktkräfte zählen
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Frage nach neuen oder anderen Regulierungen im Finanzsektor in den Vordergrund geschoben. Die Autoren des folgenden Beitrags plädieren für einen Ansatz, den man vor allem auch aus der Umweltökonomie kennt: das Etablieren verursachergerechter Preise für Ressourcen oder externe Effekte. Sie sehen Verschmutzer der Umwelt und des Finanzsektors in ähnlichen Rollen. (Red.)
Von Thomas Cooley, Horst Siebert und Ingo Walter
Viele haben wahrscheinlich schon vergessen, dass es nur etwas mehr als ein Jahr her ist, dass ein junger Wertpapierhändler der französischen Grossbank Société Générale im Bestreben, seinen Anteil am Bonus seiner Abteilung hochzutreiben, sich in verdächtige Geschäfte verwickelt hatte, die die Bank schliesslich dazu zwangen, gewaltige Aktienpakete und Derivate-Positionen zu liquidieren, was an den Aktienmärkten zu abnormalen Volatilitäten führte und vorübergehend sogar die Geldpolitik der Vereinigten Staaten in Atem hielt. Abgesehen vom Verlust der Société Générale von 7,2 Mrd. $ handelte es sich in diesem Zusammenhang um den typischen Fall, in dem eine grosse Anzahl unbeteiligter Anleger erheblichen finanziellen Schaden erlitt oder mit einem erhöhten systemischen Risiko konfrontiert wurde, nur weil ein einziger Aktienhändler in einer von vielen Banken in einem von zahlreichen Ländern der Erde schlecht überwacht war.
Im Bann der systemischen Risiken
Sind solche Vorkommnisse einfach alte Geschichten aus dem Finanzsektor, aus einer Branche, in der der Begriff «langfristig» mehr oder weniger «heute Nachmittag» bedeutet? Keineswegs. Im vergangenen Jahr war die globale Finanzwelt fast ausschliesslich mit Themen des systemischen Risikos und dessen Konsequenzen beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit den zentralen Ursachen des systemischen Risikos muss denn auch im Mittelpunkt jeglicher Bemühung stehen, die auf die Schaffung eines robusteren internationalen Finanzsystems abzielt.
Dabei geht es primär darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen eine Marktwirtschaft funktionieren kann. Solche Regelwerke sind ja auch für die Wettbewerbspolitik unabdingbar, etwa um das Entstehen von Monopolen zu verhindern. Man kann die anvisierten neuen Spielregeln des Finanzsektors auch als einen grossen, umfassenden Principal-Agent-Vertrag interpretieren, bei dem die Politik bzw. Regulatoren als Auftraggeber (Principal) jene Anreize und Restriktionen vorgeben, auf die sich die Finanzinstitute (Agenten bzw. Auftragnehmer) beim Ausführen ihrer Aufträge in Strategie wie auch Geschäftsalltag dann einstellen müssen.
Lehren aus der Umweltpolitik
Wir möchten hier eine Idee zur Lösung des Regulierungsproblems im Finanzsektor präsentieren, die dem Ansatz nach eigentlich aus einem ganz andern Gebiet stammt: Unserer Ansicht nach liegt nämlich der Schluss nah, dass die erfolgreiche Entwicklung der Umweltpolitik bzw. der Massnahmen gegen Umweltverschmutzung im Laufe des zurückliegenden halben Jahrhunderts auch für die Frage nach dem weiteren Vorgehen beim Regulieren des Finanzsektors etliche nützliche Lehren gebracht hat.
Wie kommt es zu Schäden an der Umwelt? In der Regel hängen Umweltverschmutzungen mit Marktversagen zusammen, und zwar in dem Sinn, dass der Preis einer sehr wichtigen Ressource, nämlich der natürlichen Umwelt, einfach vernachlässigt wird. Menschen und Industrie konsumieren und produzieren in diesem Rahmen auf eine Art und Weise, wie es für sie optimal ist; genau das hat jedoch Verschmutzung und Schäden für andere zur Folge. Giftige Abwässer schädigen die Nutzer von Wasservorkommen; Emissionen der Schwerindustrie belästigen Bewohner von Ortschaften, denen der Wind die Verschmutzung zuträgt; Schwermetalle kontaminieren das Grundwasser und den Boden in lokalem Umkreis; die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Wenn Menschen etwas unternehmen, verursachen sie oft Externalitäten gegenüber anderen Personen, ihr Tun hat also Auswirkungen, die die andern hinnehmen müssen, ohne dass man sie nach ihrer Zustimmung oder Haltung dazu fragt. Man kann diesen Mangel dadurch beheben, dass die externen Effekte internalisiert werden, dass also beispielsweise die wichtigen Ressourcen für die Nutzer mit einem Preis versehen werden, der den unerwünschten Nebenwirkungen Rechnung trägt. Wenn man Umweltverschmutzung ernsthaft bekämpfen will, kann man also einerseits die Aktivitäten, die die Verschmutzung verursachen, stärker unter Kontrolle bringen, oder aber man kann Gebühren erheben, die den Verschmutzern den Anreiz bieten, ihre Tätigkeiten umweltfreundlicher zu gestalten.
«Der Verschmutzer zahlt»
Die beste Lösung folgt meist einem einfachen Grundsatz, nämlich dem Prinzip «Der Verschmutzer zahlt», da in diesem Rahmen die Marktkräfte ihr Wirkung entfalten können und so das Problem so effizient als möglich beheben. Gesellschaft und Politik setzen durch einen politischen und regulatorischen Prozess sowie durch Richtlinien bestimmte Umweltstandards fest. Der Verschmutzer sucht anschliessend selber nach der besten Lösung, um den Standards entsprechen zu können. Die externen Umweltkosten, sozusagen die auf Dritte abgewälzten Belastungen, werden so an den Verschmutzer zurückgeleitet, der die Belastungen seinerseits in Form erhöhter Absatzpreise an den Konsumenten oder in Form niedrigerer Gewinne an den Aktionär weitergibt.
Welcher Weg auch gewählt wird – die unsichtbare Hand des Marktes verleiht der Umweltpolitik Kraft. Je stärker ein Produkt oder eine Dienstleistung die Umwelt verschmutzt, desto teurer werden der Erwerb und die Produktion des Gutes gemäss dem Prinzip «Der Verschmutzer zahlt». Die Gesellschaft setzt die umweltpolitischen Ziele fest, und die Marktwirtschaft hilft, diese so effizient wie möglich umzusetzen, indem sie die knappen Umweltressourcen angemessen verteilt und darüber hinaus deutlich macht, dass nichts umsonst zu haben ist – für eine saubere Umwelt wird immer irgendwer etwas zahlen müssen.
Was ist «Finanzverschmutzung»?
Marktversagen in der globalen Finanzwelt ist gar nicht so verschieden vom Marktversagen in der Umweltpolitik. Aus dieser Sicht hat man es im Wesentlichen mit einer «Finanzverschmutzung» zu tun – in dem Sinn, dass dem Finanzsystem durch einzelne Firmen und Personen, die auf der Jagd nach privatem Gewinn sind, gewaltige Kosten aufgebürdet werden.
Um einige Beispiele zu nennen: Finanzmathematiker entwerfen hochprofitable Produkte, die niemand versteht. Es werden zweifelhafte Kredite aus einem bestimmten Teil der Welt gebündelt, anschliessend neu zusammengesetzt und wieder gebündelt und dann weltweit an Institutionen und Einzelinvestoren verkauft. Risikomanager an der Basis beteuern gegenüber den Managern und Direktoren an der Unternehmensspitze, die Produkte seien eine sichere Sache, dabei beruhen die Konstrukte auf Modellen, die nicht in der Lage sind, die reale Welt widerzuspiegeln. Zahlreiche Bankmanager und andere Finanzintermediäre leben im Glauben, ihre Banken seien zu bedeutend, als dass sie Bankrott machen könnten; und sie arbeiten mit exzessiven Schuldenhebeln, garantiert durch Gläubiger, die ihrerseits darauf vertrauen, dass es im Fall des Scheiterns schon einen Rettungsplan gebe und die Steuerzahler sicher zu dessen Finanzierung einspringen würden.
Jede einzelne Handlung wirkt durchaus sinnvoll aus Sicht der direkt involvierten Personen, aber jede solche Handlung bedeutet eine potenzielle Schwächung der Integrität des Finanzsystems als ganzes – man hat es sozusagen mit der «Finanz-Allmende» zu tun, dem öffentlichen Gut, das von allen gerne übernutzt wird, weil dies gratis ist. Wenn das System aber aus dem Ruder läuft, betrifft der Schaden, wie bei der Umweltverschmutzung, weit mehr Menschen als die direkt Verantwortlichen. Die Risiken werden kumuliert, gebündelt und vervielfältigt.
Und viele Unschuldige, die sich gerade in der Nähe des Geschehens aufhalten, werden von diesem Sog mit erfasst. Investoren, die finanziell gelitten haben und Liquidität benötigen, finden nur mit Mühe Käufer für ihre Titel und verkaufen deshalb alles, was irgendwie geht. So verursachen sie Marktturbulenzen selbst in Sektoren, die weit vom ursprünglichen Problem entfernt sind. Die darauffolgende Panik an den Finanzmärkten kontaminiert die gesamte Wirtschaft, und deren Abschwung verstärkt im mittlerweile bekannten Teufelskreis wiederum die Finanzkrise.
In der Zwischenzeit versuchen überforderte Politiker verzweifelt die blutenden Wunden zu stillen und die «gesünderen» Banken zum Kauf der «lebensgefährlich verletzten» Institute zu drängen. Dies wiederum führt zu einer beschleunigten Konsolidierung in der Finanzbranche, und damit rückt ein regelrechtes Albtraum-Szenario in den Vordergrund – ein Szenario mit einer kleinen Gruppe riesiger Global Player, die zu gross, zu stark gegenseitig vernetzt, zu konfliktträchtig, zu komplex, zu schwierig zu managen sind – und wahrscheinlich zu schwierig zu regulieren sind. Damit würde eine Art neue Generation von Mega-Verschmutzern der Finanzbranche entstehen. Eine Gruppierung derart dominanter «Finanz-Goliaths», die fast nach Belieben riesige Schäden anrichten können und gleichzeitig immun sind gegen Konkurs, kann aber doch nicht im Sinn des Finanzsystems und des öffentlichen Interesses liegen.
Verursachergerechte Preise
Unserer Ansicht nach liegt der Schlüssel zur Wiederherstellung von Stabilität und Robustheit im Erkennen, Messen und Berechnen des systemischen Risikos, das sich aus privaten Finanzaktivitäten ergibt, sowie einer verursachergerechten Kostenzuordnung: Wer Risiken ins System bringt, soll verpflichtet werden, die Kosten für die Versicherung gegen diese Risiken zu tragen. Dies wäre der Weg, um im Finanzsektor das aus der Umweltpolitik bekannte Prinzip «Der Verschmutzer zahlt» anzuwenden.
– Erstens müssen Preise für die staatlichen Einlagensicherungen und all die Garantien für den Fall eines Scheiterns von «Too big to fail»-Instituten neu gerechnet werden. Bei der Ermittlung des neuen Preises müssen die zu verrechnenden Kosten und damit die Belastungen für diejenigen, die direkt von den Garantien profitieren – also Banken und Anleger –, höher angesetzt werden als bisher.
– Zweitens muss die angemessene Kapitalausstattung neu definiert werden in einer Welt, die schon sehr bald wieder Finanzkasinos in grosser Anzahl hervorbringen dürfte. Für die Firmen, die an den Markt treten, muss es so sein, dass ihre Finanzkosten ungefähr im Gleichschritt mit den Risiken zunehmen, die sie eingehen. Dadurch wird es für Banken teurer, höhere Risiken einzugehen, und diese zusätzliche Belastung werden sie in den Märkten an Aktionäre oder Kunden weitergeben.
– Drittens muss die Liquidität erhöht und den Marktbedingungen angepasst werden – auch wenn dies bedeutet, dass man sich grosse Chancen auf profitable Geschäfte vergibt, weil man hohe Barmittel in der Kasse halten muss, statt sie zu investieren.
– Viertens erscheint es wegen der strukturellen Komplexität und der gegenseitigen Vernetzung von Finanzintermediären geboten, eine Art speziellen systemischen Aufpreis zu verlangen. Dies um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass einige interne Transfers von Risiken durch eine herkömmliche regulatorische Aufsicht nicht erfasst werden können.
Wie es aber auch immer ausgestaltet wird – wichtig ist, dass jede neue Bestimmung, die Banken und anderen Finanzintermediären auferlegt wird, die Anteilseigner der Firmen und ihre Kunden mit beträchtlichen Kosten belastet, um so dem systemischen Risiko sozusagen die richtige Preisetikette anzuheften. Es bestehen gute Chancen, dass sie in ihrem eigenen Interesse den kostengünstigsten und effizientesten Weg suchen werden, den Bestimmungen nachzukommen.
Die Märkte arbeiten lassen
Der Markt wird wieder seine magische Wirkung entfalten können: Finanzprodukte und Institutionen, die hohe Risiken in das Finanzsystem bringen, werden durch erhöhte Preise belastet, ihre Rentabilität im Vergleich mit anderen Akteuren wird gedrückt, und in den Finanzströmen werden die systemischen Risiken besser berücksichtigt sein als in jüngerer Zeit. Verursacher systemischer Risiken werden dafür zahlen müssen, und dies wird durch das ganze System hindurch entsprechende Auswirkungen haben. Neue Spielregeln, die auf eine angemessene Preisstruktur für systemische Risiken hinwirken, werden der Sache sehr förderlich sein, wenn es um die Wiederherstellung des Finanzsystems zu möglichst geringen Kosten geht, und zwar hinsichtlich Wachstum wie auch Effizienz.
Die Autoren
Gy. Nimmt man den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Karrieren der drei Autoren zum Massstab, kann der nebenstehende, aus dem Englischen übersetzte Artikel als eine Art transatlantische Zusammenarbeit gesehen werden. Horst Siebert ist Professor für europäische Integration und Wirtschaftspolitik der Johns-Hopkins-Universität in Bologna und emeritierter Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Die Kieler Zeit (1989 bis 2003) als Präsident des Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für theoretische Volkswirtschaftslehre war es vor allem, die Siebert auch im breiteren Publikum bekanntgemacht hat, nicht zuletzt dank seiner Mitarbeit in bedeutenden Expertengremien. So war Siebert längere Zeit Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland; seit 2005 ist er Mitglied der Group of Economic Policy Analysis, die die Diskussion wirtschaftspolitischer Themen zwischen der EU-Kommission and europäischen Spitzenökonomen fördern soll.
Thomas Cooley ist Dekan und Ökonomieprofessor der Stern School of Business der New York University. Seine wissenschaftlichen Interessen beziehen sich vor allem auf makroökonomische Theorie, Geldtheorie und Geldpolitik sowie die Finanzwirtschaft in Firmen. Vor seiner New Yorker Zeit war Cooley Ökonomieprofessor in Rochester, und vor dem akademischen Teil seiner Karriere war er als Systemingenieur im IBM-Konzern tätig gewesen. Er ist mit einer wöchentlichen Kolumne auf forbes.com präsent, die geldpolitischen, wirtschaftspolitischen und ökonomischen Themen im weiteren Sinn gilt.
Ingo Walter ist Fakultätsdekan der Stern School und Professor für Finance, Corporate Governance und Ethik. Seine Interessen in Wissenschaft und Beratung gelten vor allem der internationalen Handelspolitik, internationaler Umweltpolitik und der Ökonomik multinationaler Unternehmen. Forschungsaufenthalte führten ihn auch nach Europa, unter anderem nach Berlin, Basel und Zürich. Walter ist für mehrere Unternehmen, Banken und öffentliche Gremien beratend tätig, daneben ist er auch in Aufsichtsgremien von Firmen engagiert.
Weiterführende Literatur
Die drei Autoren des obenstehenden Textes haben an folgendem Sammelband mitgewirkt: Viral Acharya und Matthew Richardson (eds.): Restoring Financial Stability – How to Repair a Failed System. New York University Stern School of Business, John Wiley & Sons, New York 2009.
Thomas Cooley nimmt mit seinen zwei jüngsten Kolumnen auf www.forbes.com mit den Titeln «The Federal Reserve Needs to Be Boring Again» und «Are There any Rules in the Bailout Game?» direkt Bezug auf die Finanzkrise, andere Artikel sind allgemeineren ökonomischen Zusammenhängen gewidmet.
Horst Siebert: The World Economy. 2. Auflage, Routledge, London und New York 2002.
Markus M. Schmid and Ingo Walter: Do Financial Conglomerates Create or Destroy Economic Value? Working Paper 2008.
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