Sonntag, November 28, 2010

Vom Weltbürger zum Wutbürger

Tages Anzeiger Online 27.11.2010
Vom Weltbürger zum Wutbürger
Von Guido Kalberer

Ein neuer Begriff macht die Runde: Der Wutbürger. Was hat es damit auf sich? Betrachtungen zur Stimmungslage der Bürger in unserer beschleunigten Gesellschaft.

Verbreitete sich in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts Optimismus und Zukunftsfreude, so prägt kollektive Wut und Empörung die gegenwärtige Stimmung. Vieles macht viele wütend: die hohen Löhne und Boni in einzelnen renditeträchtigen Branchen, die unterschiedliche Steuerbelastung in den Kantonen und die Ausländer, auch wenn sie nicht kriminell sind.

Wenn Wut zum Lebensstil wird

Es handelt sich um ein Amalgam von Negativreizen, die aus dem stolzen Bürger von einst einen nörgelnden Kleinbürger machen. Getrieben von der Angst, unbedeutender und weniger kaufkräftig zu werden, pflegt und kultiviert er seine Wut und seinen Zorn als neue Lebenshaltung.

Die Wut ist nicht das Problem, der Adressat hingegen schon. Das erkannte schon Aristoteles, als er schrieb: «Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Mass, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.» Da es das Schwere im Allgemeinen schwerer hat, sich durchzusetzen, hat die um sich greifende Wut weder ein klares Ziel noch eine klare Richtung. Der Wutbürger, diese jüngste Sprachschöpfung des «Spiegels», fühlt sich benachteiligt, übervorteilt und in die Enge getrieben von einer Macht, die nicht seine ist. Und er sieht sich als einen überflüssigen Bürger, mit dem der Staat nicht mehr rechnet. Wieso sollte er auch staatstragend sein, wenn der Staat ihn nicht mehr tragen will?

Früher war alles besser

Früher, so glaubt er, war alles besser; heute dagegen hat sich alles zu seinen Ungunsten verschoben. Da immer mehr immer wütender werden, ist die Versuchung gross, der wachsenden Schar der Neinsager beizutreten.Der Wutbürger, ob politisch links oder rechts stehend, glaubt sich mit seiner Meinung in der Mehrheit: Er ist wild entschlossen, aber....

Mittwoch, November 24, 2010

"Die Gier treibt das System immer wieder an"

derStandard.at-Interview 14.10.2010
"Die Gier treibt das System immer wieder an"
von Daniela Rom

Warum Geld unser Leben beherrscht und wir alles berechnen müssen, erklärt der Ökonom Brodbeck
KARL-HEINZ BRODBECK ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik, Betriebsstatistik und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt und an der Hochschule für Wirtschaftspolitik in München.

Der Blick auf den Kontostand dominiert unser alltägliches Handeln. Durch das Streben nach immer mehr Geld glauben wir, ein wenig mehr Sicherheit zu erlangen und ein wenig weniger Angst um unser Geld haben zu müssen. Der Ökonom Karl-Heinz Brodbeck erklärt im Gespräch mit derStandard.at, warum Geld ein öffentliches Gut ist, nicht nur "böse Buben" die Herrschaft des Geldes aufrecht erhalten und man besser die "Häuslebauer" in den USA statt der Banken hätte retten sollen.

derStandard.at: Im Moment wird wieder einmal berechnet, wie viel uns die Wirtschafts- und Finanzkrise gekostet hat. Wir kriegen Zahlen mit etlichen Nullen vorgesetzt, bei denen wir nicht einmal mehr wissen, wie sie heißen. Was bringen uns diese Berechnungen eigentlich?

Karl-Heinz-Brodbeck: Die Vorstellung krankt schon daran, dass wir gar nicht wissen, wie viel Geld in welcher Form vorher da war. Geldmenge ist ein sehr schwammiger Begriff. Das ist eine Sache, die die Zentralbanken am eigenen Leib erfahren mussten. Alan Greenspan hat nach 19 Jahren als Fed-Vorstand zugegeben, dass es nicht möglich ist, die Geldmenge korrekt bzw. überhaupt zu erfassen. Damit sagt er, dass die wichtigste Aufgabe des Chefs der größten Notenbank der Welt, nämlich die Geldmengenkontrolle, gar nicht möglich war und ist. Die wirksame Geldmenge einer Volkswirtschaft hängt z.B. von der Umlaufgeschwindigkeit ab. Diese ist keineswegs so konstant, wie von monetaristischen Theorien gerne unterstellt wird. Wenn die Wirtschaft brummt und eine Milliarde schnell umläuft, dann kann da ein Vielfaches an wirksamer Geldmenge entstehen, als wenn die verschiedenen Wirtschaftssubjekte beim Geldausgeben eher zurückhaltend sind. Außerdem gibt es sehr viele geldnahe Titel, wie zum Beispiel Aktien oder Anleihen, bei denen die Übergänge zum Papiergeld gleitend sind. Auch die Finanzprodukte galten vor der Krise als geldnah. Sie waren äußerst leicht verkäuflich am Markt, waren wie Bargeld. Nach der Krise ist der Zweifel....

Montag, November 22, 2010

"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"

der Standard.at
ITV Uno-Ökonom Flassbeck
"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"
von Regina Bruckner

Warum nur steigende Löhne die Eurozone retten, die Fed gut daran tut, Geld zu drucken und Defizite nicht das Hauptproblem sind erklärt Uno-Ökonom Heiner Flassbeck

Heiner Flassbeck ist einer der umstrittensten und streitbarsten Ökonomen Deutschlands. Der studierte Volkswirt ging 1986 zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und stellte sich dort mit seinem keynesianischen Ansatz mehr und mehr gegen den Mainstream. Flassbeck etablierte sich als heftiger Kritiker deregulierter Märkte, denen er den Zusammenbruch voraussagte. Der heutige US-Finanzminister Timothy Geithner nannte ihn deshalb einst "Fürst der Dunkelheit". Der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine holte den Ökonomen 1998 als Staatssekretär in sein Ministerium. Im Interview erklärt er warum nur steigende Löhne die Eurozone retten können, die Fed recht daran tut, die Geldpresse anzuwerfen und Haushaltsdefizite nicht Europas Hauptproblem sind.

derStandard.at: Herr Flassbeck, im März 2009 stellte man Ihnen folgende Frage: "Die USA werfen jetzt die Geldpresse an und kaufen Staatsanleihen auf. Ist das eine Verzweiflungstat?" Jetzt kann ich Ihnen dieselbe Frage wieder stellen.

Heiner Flassbeck: Es ist eine erneute Verzweiflungstat. Es ist in den USA offensichtlich notwendig, noch einmal diese Maßnahme anzuwenden, weil die Konjunktur nicht so angesprungen ist, wie man sich das gewünscht hat. Was wir erleben, ist die Auswirkung hoher Arbeitsmarktflexibilität in den USA, die ja immer gelobt wird, vor allem von konservativen Seiten in Europa, die sich aber jetzt in der Krise als äußerst problematisch erweist. Die Krise dauert jetzt schon lange an und wurde selbst mit massiven staatlichen Maßnahmen nicht überwunden. Dadurch tritt ein Problem ein, das man mit Lohndeflation bezeichnen könnte.

derStandard.at: Sie meinen die stagnierenden Löhne?

Flassbeck: Ja, Japan hatte am Ende seiner großen Blase Ende der 1980er-Jahre ein ähnliches Problem. Dauert die Arbeitslosigkeit lange, sinken die Löhne immer weiter. Eine Volkswirtschaft wie die USA, die wenig exportiert und viel eigene Nachfrage braucht, gerät dann in die Lage, dass die Leute ihre Erwartungen systematisch nach unten schrauben, weil sie nicht mehr glauben, dass ihre Einkommen in absehbarer Zukunft steigen. Das ist die gefährlichste Lage, in die man kommen kann, denn diese Erwartungsstagnation kann man nur noch mit gewaltigen Nachfrageprogrammen des Staates überwinden. Das wird aber auch mit dem jetzt gewählten Kongress in den USA überhaupt....

Samstag, November 20, 2010

Nichts ist ohne Alternative – auch nicht der Kapitalismus

Tages-Anzeiger Online 18.11.2010

Nichts ist ohne Alternative – auch nicht der Kapitalismus

Von Lukas Bärfuss.
Es stehe kein anderer Weg zur Verfügung als die Marktwirtschaft und die Globalisierung, heisst es. Das ist blosse Ideologie, meint der Schriftsteller Lukas Bärfuss.
Mord und Vertreibung sind nicht kompliziert: Flüchtlinge im Kongo, wo das grösste Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg stattfindet.
Mord und Vertreibung sind nicht kompliziert: Flüchtlinge im Kongo, wo das grösste Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg stattfindet.
Lukas Bärfuss, 38, lebt als Schriftsteller in Zürich. Er schreibt Theaterstücke («Die sexuellen Neurosen unserer Eltern», «Der Bus», «Malaga») und Prosa, zuletzt den Roman «Hundert Tage» über die Verstrickung der Schweiz in den Völkermord in Ruanda. Der vorliegende Text ist eine Rede, die Bärfuss am 15. November, dem «Writers-in-Prison-Day», im Literaturhaus Zürich gehalten hat, im Beisein des Journalisten Déo Namujimbo,der über die Ausbeutung des Kongo berichtete und deshalb mit dem Tode bedroht wird. Der «Writers-in-Prison-Day» erinnert alljährlich an Schriftsteller, die wegen ihrer Ansichten oder Schriften verfolgt werden.

Über den Begriff «Freiheit» nachzudenken, dazu öffentlich und in Gegenwart eines Autors wie Déo Namujimbo, der in seiner Heimat Kongo verfolgt und mit dem Tod bedroht wird, muss einen Schweizer Schriftsteller in Verlegenheit stürzen, und das hat einen bestimmten Grund.
Vor zwanzig Jahren befand sich Friedrich Dürrenmatt in einer vergleichbaren Situation, als er seine berühmteste Rede hielt, die Rede zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises an den tschechischen Schriftsteller und Staatspräsidenten Vaclav Havel. Bei jener Gelegenheit formulierte Dürrenmatt eine Metapher, die die Diskussion über Freiheit...

Donnerstag, November 18, 2010

Die Zeit: Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

ZEIT ONLINE
Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

Die Banken sollen nicht Herren, sondern Diener der Realwirtschaft sein: HSG-Professor Philippe Mastronardi fordert einen drastischen Umbau der Finanzmärkte.

Philippe Mastronardi ist Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsgebiete sind Staatsrecht, Demokratietheorie und Rechtstheorie.

Von: Peer Teuwsen
Datum: 19.10.2010

DIE ZEIT: Herr Mastronardi, was ist Geld?

Philippe Mastronardi: Geld ist dieses Zahlungsmittel, das wir brauchen, um keine Tauschwirtschaft zu sein. Damit Sie mir nicht Ihre Kleider geben müssen, um von mir Brot zu bekommen. Nur so kann die Arbeitsteilung unter Fremden funktionieren. Geld hat eine enorme Bedeutung bekommen.

ZEIT: Hat es eine Macht über uns entwickelt, die wir nicht mehr kontrollieren können?

Mastronardi: Ja. Die Geldmenge wächst sehr viel stärker als die Realwirtschaft. Und zwar, je nach Vergleichsbasis, um das Vier- bis Achtfache. Geld wird also nicht mehr geschöpft zur Deckung der Bedürfnisse unserer Realwirtschaft, sondern zur Schaffung von maximalverzinslichen Geldanlagen. Es hat sich ein Geldmarkt mit Finanzprodukten entwickelt, der gar nichts Reales produziert. Aber die hohen Zinsen, die man mit diesen Finanzprodukten erzielen kann, wurden zum Maßstab für die Realwirtschaft. Eine Firma, die Schuhe produziert, muss so viel Rendite abwerfen wie eine Bank oder ein Börsenprodukt. Der irreale Finanzmarkt steuert damit die realen Märkte.

ZEIT: Wird sich die Geldmenge nicht verringern durch die verschärften Eigenmittelvorschriften, die Basel III und auch die Expertengruppe des Bundesrates vorsehen?

Mastronardi: Es gibt da zwei Probleme, ein technisches und ein grundsätzliches. Was Basel III und die Expertengruppe vorschlagen, beruht auf einer Risikoeinschätzung, welche die Banken teilweise selber vornehmen. Wir sind also wieder so weit wie vor der Finanzkrise: Wir sind abhängig von der Risikoeinschätzung der Banken und Ratingagenturen. Man erfasst künftig wohl ähnliche Krisen besser, aber unvorhergesehene Risiken sind da nicht abgesichert. Und es werden andere Krisen kommen. Das ist das technische Problem. Nun aber zum Grundsätzlichen: Wir behalten das bisherige Aufsichtsmodell bei, obwohl es versagt hat. Das heißt, wir behandeln den Finanzmarkt immer...

Dienstag, November 16, 2010

«Obama hat die Zügel im Nahen Osten schleifen lassen»

10. November 2010, 16:02, NZZ Online
«Obama hat die Zügel im Nahen Osten schleifen lassen»
Jimmy Carter im Gespräch mit der NZZ

Als langjähriger Vermittler im Nahen Osten weilt der ehemalige amerikanische Präsident Carter dieser Tage in der Schweiz. In einem Interview nimmt er pointiert Stellung zu den Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Frieden.

Präsident Carter, Sie waren kürzlich erneut auf einer ausgedehnten Reise durch den Nahen Osten, die palästinensischen Gebiete inbegriffen. Wie lautet die Bilanz dieser Reise?
Wir konzentrierten uns auf die Situation der Palästinenser, und diese kann man nur als bedenklich bezeichnen. Dies gilt sogar für jene, die in Israel selbst leben und einen israelischen Pass haben. Wir haben insgesamt 35 Gesetze gefunden, die sich diskriminierend auf sie auswirken. Sie umschliessen fast alle Lebensbereiche bis hin zu Heiratsbestimmungen. Wesentlich stärker unter Druck sind jene Palästinenser, die im israelisch besetzten Ost-Jerusalem wohnen. Sie habe praktisch keine Möglichkeit mehr, an einer normalen sozialen Entwicklung teilzunehmen. Sie erhalten nur gerade einen Bruchteil jener Mittel, die den jüdischen Einwohnern zur Verfügung gestellt werden. Man diskriminiert sie systematisch. Dies gilt in ähnlichem Ausmass auch für die Bewohner Cisjordaniens, auf deren Land sich mittlerweile über 300 000 jüdische Siedler festgesetzt haben.
Am schlimmsten aber ist die Lage im Gazastreifen, wo rund anderthalb Millionen Menschen wie in einem Käfig leben. Da die Israeli eine fast totale Blockade aufrechterhalten, ist eine nachhaltige Linderung der Not praktisch unmöglich. An einen Wiederaufbau oder gar eine wirtschaftliche Entwicklung ist unter diesen Umständen nicht zu denken. Man muss sich vor Augen halten, dass rund die Hälfte der Bevölkerung minderjährig ist.

Am Dienstag kündigte die israelische Regierung den Bau weiterer 1300 Wohnungen in Ost-Jerusalem an. Präsident Obama reagierte mit der Bemerkung, dies sei nicht hilfreich. Wie schätzen Sie die Haltung der amerikanischen Regierung ein?
Nun, mit seiner Kairoer Rede nach seiner Wahl hatte Obama sehr grosse Hoffnungen im gesamten Nahen Osten geweckt. Er bezeichnete damals die jüdische Siedlungstätigkeit als illegal und als Haupthindernis für einen Frieden. Das war eine deutliche Sprache. Aber seither hat er die Zügel fahren lassen und nicht einmal mehr versucht, die direkten Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern zu beeinflussen. Die israelische Weigerung, den befristeten Siedlungsstopp zu verlängern, hat zum Stillstand des Prozesses geführt. Wir haben bei unseren Gesprächen im Nahen Osten die fast einhellige Meinung getroffen, dass eine Fortsetzung der Gespräche unter diesen Bedingungen sinnlos sei.

Woran liegt es, dass sich die amerikanische Nahostpolitik so stark an den israelischen Bedürfnissen orientiert? Könnten die USA nicht mehr Druck ausüben?
Da ist zunächst einmal die ausserordentlich starke Israel-Lobby in den USA. Ihr Einfluss ist gross. Es besteht unter den Amerikanern aber auch der Glaube, Israel sei eine echte Demokratie, die einzige im Nahen Osten. Kommt hinzu die militärische Bedeutung Israels für die USA. Diese nimmt ständig zu. Die Araber hingegen werden noch immer mit Misstrauen beobachtet, obwohl einige der saubersten Wahlen der letzten Jahre gerade bei den Palästinensern stattgefunden haben.
Interview: Jürg Dedial

Montag, November 15, 2010

Die Zukunft liegt im Urin

7. November 2010, NZZ am Sonntag
Die Zukunft liegt im Urin

Aus dem Harn des Menschen gewinnen Schweizer Forscher Phosphor
In fünfzig Jahren könnte der Nährstoff Phosphor erschöpft sein.
Patrick Imhasly

Viele Leute denken mit einem Schaudern an den Tag in nicht allzu weiter Ferne, an dem der letzte Tropfen Erdöl gefördert sein wird. Doch möglicherweise geht ein anderer Rohstoff noch schneller zur Neige, der wichtiger ist als Erdöl und zu dem es keine Alternativen gibt: Phosphor.

Phosphor ist ein Nährstoff, auf den Pflanzen nicht verzichten können; auch in der Energieversorgung des menschlichen Körpers spielt er eine zentrale Rolle. Zur Verwendung als Pflanzendünger wird der Stoff in erster Linie im Bergbau aus phosphathaltigen Mineralien gewonnen. China, Marokko und die USA kontrollieren dabei den grössten Teil der weltweit verfügbaren Reserven. Manche Studien besagen, dass der sogenannte «Peak Phosphor» bereits um 2030 erreicht sein wird. Das ist der Zeitpunkt, wo die Fördermenge am grössten ist und dann stetig abnimmt. Zumindest die leicht abbaubaren Phosphorvorräte sollen in 50 bis 100 Jahren vollständig erschöpft sein.

Erste Erfahrungen in Nepal

«Solche Studien sind immer mit grossen Unsicherheiten behaftet», erklärt Kai Udert vom Eawag in Dübendorf, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. «Man wird neue Vorkommen finden, und der wird sich nach hinten verschieben.» Trotzdem: Irgendwann ist Schluss. Und weil Phosphor unersetzlich ist, macht sich der Verfahrenstechniker

Freitag, November 12, 2010

Peak Oil liegt hinter uns

TELEPOLIS


Peak Oil liegt hinter uns

Craig Morris 11.11.2010

Jetzt ist es wohl offiziell - die Internationale Energieagentur (IEA) hat selbst zugegeben, dass die Förderung höchstens für einige Jahre stabil bleiben kann, bevor sie endgültig abrutscht

Vor wenigen Jahren war Peak Oil ein Thema für Skeptiker und Außenseiter. Auch wenn einige wenige prominente Insider die Alarmglocken mit geläutet haben (z.B. Matthew Simmons, s. Peak oil: Steigende Preise, sinkende Förderung (1)) , behaupteten BP, die IEA, und andere Industrieorganisationen immer brav und beruhigend, der Peak komme wohl erst in ein paar Jahrzehnten. Zum Beispiel meinte (2) die IEA erst 2009, dass Peak Oil frühestens 2020 erreicht werde.

Am Dienstag schlug die IEA im World Energy Outlook 2010 (3) jedoch überraschend einen neuen Ton an. Nun spricht die Organisation nicht nur offen von Peak Oil (die IEA nahm bisher den Begriff ungern in den Mund), sondern liefert gleich eine Grafik mit, die es in sich hat.

Peak-Oil. Grafik: IEA
Man sieht deutlich, dass das Fördervolumen leicht gesunken ist; die Ökonomen würden wohl auf den gesunkenen Verbrauch während der Wirtschaftskrise verweisen. Die Grafik zeigt aber etwas Beunruhigendes: Die Förderung wird offenbar nicht mehr leicht über das Niveau von 2003-2007 steigen, sondern sogar bald steil absinken. Nur wenn "noch nicht entwickelte Felder" bereits jetzt die Arbeit aufnehmen, können wir grob das heutige, leicht abgesunkene Niveau stabil halten - und das nur bis etwa 2015. Dann müssen "noch nicht gefundene Felder" hinzukommen. Sonst haben wir circa eine Generation später vielleicht nur die Hälfte der heutigen Produktion.
Für die Energy Watch Group aus Berlin, die auch seit Jahren vor Peak Oil warnt (4), gehen klare Handlungsempfehlungen aus der IEA-Studie hervor:
Sogar eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ist innerhalb weniger Jahrzehnte möglich und insgesamt kostengünstiger als der weitere Verbrauch von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran.
Recht haben sie – allerdings lehnen sich manche Befürworter der erneuerbaren Energien zu weit aus dem Fenster, wenn sie (wie die EWG) andeuten, die Erneuerbaren könnten das Erdöl ersetzen. Richtig ist, dass alle erneuerbaren Strom erzeugen, keinen flüssigen Treibstoff, bis auf die Biomasse, und es darf bezweifelt werden, dass so viel Biotreibstoff nachhaltig produziert werden kann, wie wir jetzt Erdöl verbrauchen. Auch die Atomkraft stellt deswegen keinen Ersatz dar. Es gab einfach keinen Ersatz für Öl als Treibstoff.
Das heißt, dass wir bald mit weniger Heizöl auskommen müssen, aber das geht ja - besser isolierte Gebäude, passive Wärme, Pelletöfen u.ä., und schließlich zur Not Elektroheizungen. Wärme ist nicht das Problem. Aber die Elektromobilität wird anders aussehen als unsere heutigen Autos, die quasi eine unbegrenzte Reichweite haben und innerhalb weniger Minuten vollgetankt werden können. Eine Fahrt von Berlin aus an die Atlantikküste bei Bordeaux mit Zelt und Familie im Kombi wird zunehmend schwierig.
Noch schwieriger wird die Schifffahrt. Und fast unmöglich der Luftverkehr. Dort sind keine Alternativen zum flüssigen, fossilen Treibstoff in Sicht. Machen Sie sich also auf stark steigende Ölpreise zu Ihren Lebzeiten gefasst.

Links

(1) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19966/1.html
(2) http://www.heise.de/tp/blogs/2/146734
(3) http://www.iea.org/w/bookshop/add.aspx?id=422
(4) http://www.energywatchgroup.org/Mitteilungen.26.0.html

Dienstag, November 09, 2010

Chinas skrupellose Jagd auf die Seltenen Erden

Tages Anzeiger Online
Chinas skrupellose Jagd auf die Seltenen Erden
Von Henrik Bork, Guotian.

Wie in China ganze Dörfer und Täler vergiftet werden, damit die Welt an Seltene Erden kommt – die Rohstoffe für iPhones und iPods.

In Südamerika gibt es Kokain, in China gibt es Seltene Erden. Wer nun meint, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, der sollte Guotian besuchen. Das Dorf liegt versteckt in den grünen Bergen der Provinz Guangdong. Mehr als dreihundert Kilometer und eine Reise mit der Zeitmaschine trennen es von der Provinzhauptstadt Guangzhou. Eben noch ein futuristischer Flughafen, Geschäftsleute in massgeschneiderten Anzügen. Hier Bauern mit nackten Beinen im Schlamm ihrer Reisfelder.

Illegale Mine

Doch in Guotian wird nicht nur Reis angebaut. Hier geht es auch ähnlich zu wie in der Hochburg eines kolumbianischen Drogenbarons. Nachts werden Säcke mit Chemikalien angeliefert, die zum Auswaschen des «Stoffs» gebraucht werden. Das fertige Produkt wird von Schmugglern abgeholt und zur Tarnung in harmlose Düngersäcke gestopft. Oberhalb des Dorfes steht ein gut bewachtes Anwesen. Auf seinem blauen Wellblechdach sind Videokameras montiert. Wachhunde schlagen an, finstere Typen sind zu sehen, die nicht aus Guotian stammen, und der Boss steigt in einen Mitsubishi-Jeep und rast davon.

Der Boss betreibt eine illegale Mine für Seltene Erden. Ein Hügel oberhalb des Dorfes, direkt über einem kleinen Stausee gelegen, wird im Tagebau abgetragen. Ohne Genehmigung, ohne Lizenz. Auf rund 20'000 Yuan werden die Produktionskosten für eine Tonne Seltene Erden geschätzt. Verkauft wird die Tonne für mehr als 1 Million Yuan. «Eine einzige solche Mine bringt einen Profit von 3 Millionen Yuan im Monat», schrieb die Zeitung «Nanfang Ribao», rund 400'000 Franken.

Chemikalien im Trinkwasser

Die Weltwirtschaft ist süchtig nach diesen 17 Metallen, deren Namen nur Spezialisten kennen. Dysprosium-Oxid wird fürs iPhone gebraucht. Lanthanum für Hybridmotoren. Thulium für Röntgengeräte. Satelliten, Raketenleitsysteme, Petroleumraffinerien – für alles werden Seltene Erden gebraucht. Seit China, das 97 Prozent des Weltbedarfs fördert, die Ausfuhr eingeschränkt hat, schiessen hier in den Bergen von Guangdong die Preise in die Höhe. Die grösste Mine für Seltene Erden, Bayan Obo, steht in Nordchina, wo mehr als ein Drittel des

Sonntag, November 07, 2010

The last of the Mohicans - Final scene

Samstag, November 06, 2010

Wann sind wir tot?

31. Oktober 2010, NZZ am Sonntag
Wann sind wir tot?
Neue Erkenntnisse bringen alte Fragen neu aufs Tapet

Der Hirntod galt als fest definiert. Neue Erkenntnisse zwingen Mediziner, die Frage wieder zu stellen, wann ein Mensch wirklich tot ist. Dies könnte den Umgang mit Organspenden verändern.

Rechtlich ist die Sache klar: «Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind», hält Artikel 9 des Schweizer Transplantationsgesetzes fest. So gesehen sind Tod und Hirntod das Gleiche. Auf diesem Grundsatz – dass der Mensch tatsächlich tot ist, wenn man ihm für eine Organspende seine Organe entnimmt – beruht die Transplantationsmedizin.

Ob aber die Gleichung Hirntod = Tod tatsächlich richtig ist, wird in jüngerer Zeit wieder kontrovers diskutiert. «Neue Erkenntnisse erfordern eine neue Auseinandersetzung mit diesen Fragen», meint die Psychiaterin Sabine Müller von der Charité in Berlin. Zahlreiche Studien hätten ein längeres Überleben und die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen von hirntoten Patienten nachgewiesen.

Um solche Studien macht Franz Immer lieber einen grossen Bogen. Dem Direktor der nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation (Swisstransplant) geht es um andere Themen. Vor kurzem hat er eine Debatte über die....

Donnerstag, November 04, 2010

Hauseigentum formt Spiesser, die an Verlustangst leiden

Tages Anzeiger Online 02.11.2010
Hauseigentum formt Spiesser, die an Verlustangst leiden
Von Benedikt Loderer

Alle träumen vom Eigenheim. Doch mit einem Hüsli wird man nicht freier. Eine Polemik von Benedikt Loderer.

Ich schreibe hier über das Wichtigste überhaupt: über das Eigentum. Damit Sie es bequemer haben, wird mein Artikel von einem Gerüst von zehn starken Sätzen gestützt. Meilensteine und Verschnaufpausen im Lesefluss.

Die Hüslipest

Seit der Finanzkrise fühle ich mich glänzend bestätigt. Denn die Wahrheit meines ersten starken Satzes ist durch den Beinahezusammenbruch des internationalen Finanzsystems glänzend bestätigt worden: Das Hüsli ist die Krankheit des Landes. Das Einfamilienhaus steht hier stellvertretend für die auch vom Hauseigentümerverband vertretene Meinung, dass das Mehren der Zahl der Eigentümer die Schweiz verbessere. Je mehr Eigentümer, desto besser funktioniert der Staat, wie in Italien zum Beispiel, wo der Anteil der Eigentümer so viel höher ist als hierzulande.

Doch dachte ich als «petit Suisse» nur an mein eigenes Vaterland, an die Zersiedelung, die wie ein Geschwür das Land überzieht und mit der Hüslipest vergiftet, an die aufgeblasene Infrastruktur, die zu unterhalten uns immer schwerer fällt, an die externen Kosten, kurz, an den schweizerischen Zustand. Doch das war viel zu kurz gedacht.

Denn nicht das Schwyzerhüsli war die bedrohliche Krankheit, sondern sein amerikanisches Schwesterchen hatte die Schwindsucht. Viel ist darüber gestritten worden, wie die Banken dieses Desaster verursacht haben, wenig aber darüber, dass es sich hier um eine besondere Art der Eigentumsförderung gehandelt hat. Auch wer nicht kreditwürdig ist, hat ein Recht auf das Hüsli. Und schon sind wir am entscheidenden Punkt angelangt: Eigentumsförderung ist Ermunterung zum Leben auf Pump. Das ist bereits der zweite starke Satz, und er ist der wahre Kern der Subprime-Krise.

Ein Wellental der Zinskurve

Selbstverständlich ist in der Schweiz alles viel besser, weil wir solid sind. Betrachte ich allerdings die heutigen Zinssätze und das darin stillschweigend enthaltene Versprechen, sie blieben auch in Zukunft so tief, so wird mir unbehaglich zumute. Denn die Tiefzinsphase ist....

Dienstag, November 02, 2010

«Es wird noch mehr Ehrenmorde geben»

Tages Anzeiger Online 27.10.2010
«Es wird noch mehr Ehrenmorde geben»
Von Bettina Weber

Die Autorin und Journalistin Güner Balci über Zwangsheiraten mitten in Deutschland, Thilo Sarazzin und die Feigheit von Politikern.

Unerschrockene Kämpferin

Güner Balci, 35, ist als Tochter alevitischer Türken in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Sie hat sich als ZDF-Journalistin mit islamkritischen Beiträgen einen Namen gemacht und auch Bücher zum Thema verfasst. Ihr aktueller Roman heisst «Arabqueen» (S. Fischer, Frankfurt a. M. 2010, 319 S., ca. 26 Fr.) und schildert aufgrund wahrer Begebenheiten das Schicksal zweier arabischer Schwestern, die 2010 mitten in Deutschland von ihrer Familie sämtlicher Freiheiten beraubt werden. Das Buch wirft ein Schlaglicht auf die viel zitierte Parallelgesellschaft, weshalb Balci von der FAZ als «eine Aufklärerin im besten Sinn» bezeichnet wurde.


Ihr Roman «Arabqueen» basiert auf wahren Begebenheiten. Das Happy End indes ist fiktiv – in Wirklichkeit wurden die beiden arabischen Frauen zwangsverheiratet. Gibt es das wirklich 2010 mitten in Deutschland?
Ja, das ist die gängige Praxis. Ich habe zwölf Jahre lang in einem Mädchentreff in Berlin-Neukölln gearbeitet und in dieser Zeit alles mitbekommen, was es so gibt. Ich wusste, dass es Zwangsehen gibt, aber ich kannte das Ausmass in dieser Härte nicht.

Es ist in der Tat schockierend: Die Mädchen werden eingesperrt, dürfen sich in der Öffentlichkeit nur mit einem Aufpasser bewegen, und der Besuch bei der Gynäkologin wird ihnen verboten, weil das Jungfernhäutchen verletzt werden könnte.
Es ist in diesen Kreisen eine Selbstverständlichkeit, dass muslimische Mädchen keine Freiheit haben und auch nicht über ihren Körper verfügen können. Zurzeit recherchiere ich für einen....

Montag, November 01, 2010

Aus den sibirischen Weiten zurück ins enge Deutschland

30. Oktober 2010, Neue Zürcher Zeitung
Aus den sibirischen Weiten zurück ins enge Deutschland
Warum die Russlanddeutschen sich hervorragend integrieren


Deutschland spricht obsessiv über seine Muslime. Dabei hat das Land in den letzten Jahren weit mehr sogenannte Aussiedler integrieren müssen. Die Eingliederung der «Russlanddeutschen» ist eine Erfolgsstory.

Ulrich Schmid, Wünsdorf

«Die Russen? Nee. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben». Schaler Argwohn verhärtet die Gesichter der Rentnerinnen Brigitte Riegmann und Margarete Sikorski. Nein, sie können sich nicht erinnern, dass es je Probleme mit den «Russen» gegeben habe. Aber denen geht es zu gut, das wissen sie genau. Da schuftet man ein Leben lang, dazu noch in der DDR, zieht Kinder hoch, und was kriegt man dafür? 1211 und 1002 Euro monatlich, Witwenrente inklusive. Die «Russen» aber, sagt Riegmann, die kriegen mehr. «Und alles nur, weil irgendeiner ihrer Schäferhunde einmal etwas Deutsches gebellt hat.»

Die Stadt der Russen

Die Waldstadt bei Wünsdorf, südlich von Berlin, in der Riegmann und Sikorski wohnen, ist ein wunderliches Fleckchen Erde. Unter rötlich leuchtenden Kiefern verstecken sich adrett renovierte Reihenhäuser im sandigen Boden, unschwer als ehemalige Kasernen zu erkennen. Da und dort ragen sperrige Bunkeranlagen aus dem Boden; vor dem Restaurant «Peking-Garten», einst die «Kommandanten-Villa», steht Gagarin in Pop-Star-Pose. Militär hat Tradition in Wünsdorf. Hier befand sich in der Nazizeit ein grosses Spionagezentrum, hier wurden Panzer und V-Waffen («Vergeltungswaffen») getestet, und hier liess sich nach dem Krieg das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland nieder. Fast 60 000 Russen lebten neben den rund 2700 Wünsdorfern ihr vollkommen eigenes Leben. Für DDR-Bürger war das Areal Sperrgebiet.

Die «Russen», die heute hier leben, haben nichts Martialisches mehr an sich. Alle sind sie sogenannte Spätaussiedler, Menschen mit deutschen Wurzeln, die aus kommunistischen Ländern, meist denen der ehemaligen Sowjetunion, hierhergezogen sind. Dmitri Schwab ist einer von ihnen. Zusammen mit seinem Freund Alexander Lich zieht er, umwirbelt von rotgoldenem Buchenlaub, die Winterreifen auf. Beide sind als Abkömmlinge von Wolgadeutschen aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, Dima aus Schymkent im Süden, Sascha aus Pawlodar im sibirischen Norden.

Zwei Herzen, ach!

Dmitri und Alexander wissen, dass «Russen» hier nicht beliebt sind. Aber das lässt sie kalt, und zudem, sagen sie, werde es ja immer besser. Von älteren Deutschen würden....