Die Zukunft liegt im Urin
Aus dem Harn des Menschen gewinnen Schweizer Forscher Phosphor
In fünfzig Jahren könnte der Nährstoff Phosphor erschöpft sein.
Patrick Imhasly
Viele Leute denken mit einem Schaudern an den Tag in nicht allzu weiter Ferne, an dem der letzte Tropfen Erdöl gefördert sein wird. Doch möglicherweise geht ein anderer Rohstoff noch schneller zur Neige, der wichtiger ist als Erdöl und zu dem es keine Alternativen gibt: Phosphor.
Phosphor ist ein Nährstoff, auf den Pflanzen nicht verzichten können; auch in der Energieversorgung des menschlichen Körpers spielt er eine zentrale Rolle. Zur Verwendung als Pflanzendünger wird der Stoff in erster Linie im Bergbau aus phosphathaltigen Mineralien gewonnen. China, Marokko und die USA kontrollieren dabei den grössten Teil der weltweit verfügbaren Reserven. Manche Studien besagen, dass der sogenannte «Peak Phosphor» bereits um 2030 erreicht sein wird. Das ist der Zeitpunkt, wo die Fördermenge am grössten ist und dann stetig abnimmt. Zumindest die leicht abbaubaren Phosphorvorräte sollen in 50 bis 100 Jahren vollständig erschöpft sein.
Erste Erfahrungen in Nepal
«Solche Studien sind immer mit grossen Unsicherheiten behaftet», erklärt Kai Udert vom Eawag in Dübendorf, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. «Man wird neue Vorkommen finden, und der
heute schon Gedanken, wie man künftig an den Stoff gelangen könnte. Zusammen mit seinem Team ist Udert an ungewöhnlicher Stelle fündig geworden – im Urin des Menschen.
«Ein Mensch scheidet pro Tag 1,6 bis 1,7 Gramm Phosphor aus, 60 Prozent davon im Urin», sagt Kai Udert. Das tönt nach wenig. Doch gemäss einer Studie von Dana Cordell von der Linköping University in Schweden macht das, auf die gesamte Weltbevölkerung hochgerechnet, schon 3 Millionen Tonnen Phosphor jährlich aus («Global Environmental Change», Bd. 19, S. 292). «Urin könnte mehr als die Hälfte des Phosphors liefern, den es zur Düngung von Getreide braucht», befand Cordell.
Doch wie holt man den Phosphor aus dem Urin und bringt ihn in eine Form, die als Dünger von den Menschen auch akzeptiert wird? Ein Verfahren dazu erprobten die Eawag-Fachleute in einem Pilotprojekt in Siddhipur bei Kathmandu. Das Dorf eignete sich deshalb gut für das Projekt, weil Nepal aus Mangel an Kanalisationen mit einer zentralen Abwasserreinigung den Bau von Trocken-WC fördert und die Menschen in Siddhipur diese Anlagen auch nutzen. Um die Entsorgung zu erleichtern, wird bei diesen Toiletten mit unterteilten WC-Schüsseln der Urin getrennt von den Fäkalien gesammelt (siehe Bild unten). «So ist es möglich, den Urin in einer möglichst konzentrierten Form als Phosphor-Lieferanten zu nutzen», erklärt Kai Udert.
Damit sie den Phosphor aus dem Urin gewinnen konnten, konstruierten die Forscher einen simplen Stahltank. Dort gaben sie dem Harn Magnesium, gebunden in Salzmutterlauge, oder Magnesiumoxid zu, wie sie in einer neuen Studie für das Fachblatt «Water Research» berichten. In der Folge fällte sich Phosphor als Festkörper in Form von Struvit aus dem Urin und liess sich leicht herausfiltern. «Struvit eignet sich sehr gut als Dünger», sagt Udert. «Zudem ist in Nepal die Akzeptanz für Phosphordünger aus Urin hoch.»
Noch steckt die Phosphorgewinnung aus Urin in den Anfängen und ist weit davon entfernt, ein rentables Geschäft zu sein. Doch davon lassen sich Kai Udert und sein Eawag-Kollege Michael Wächter nicht abhalten. «Der Urin ist zu wertvoll, um ihn einfach wegzuspülen», sagt Wächter. Ausser Phosphor enthält er weitere wichtige Nährstoffe, die ebenfalls als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden: Stickstoff, Schwefel oder Kalium.
Millionen von Bill Gates
Die vollständige Rückgewinnung der Nährstoffe aus dem Urin ist das Ziel eines weiteren Projekts der Wissenschafter. Es läuft dieser Tage in Südafrika an und wird von der Stiftung des Computer-Tycoons Bill Gates über einen Zeitraum von 4 Jahren mit insgesamt 3 Millionen Franken unterstützt. Auch in Südafrika – in der Region eThekwini rund um die Millionenstadt Durban – nutzen die Schweizer die Tatsache, dass die lokalen Behörden seit einiger Zeit den Einsatz von Trockentoiletten mit separater Urinableitung propagieren. Bereits sind dort 90 000 solcher WC in Betrieb.
In Laborexperimenten an der Eawag in Dübendorf vermochten Udert und Wächter frischen Urin mit Hilfe von Bakterien chemisch zu stabilisieren. Und durch Verdampfen gelang es ihnen, ein Pulver herzustellen, in dem praktisch alle Nährstoffe noch enthalten sind. «In Pulverform – oder noch besser als Granulat – lassen sich die Nährstoffe leichter transportieren und ausbringen, zudem ist der Geruch nach Urin verschwunden», erklärt Michael Wächter. In den Vororten von Durban geht es nun darum, dieses Verfahren vom Labor in die Realität zu transferieren und im Massstab 1:1 anzuwenden.
Nährstoffrecycling aus dem Urin in dezentralen Systemen ohne Schwemmkanalisation könnte Dünger für den lokalen Markt liefern. Gleichzeitig liesse sich so die Belastung von Flüssen und Seen mit Abwässern vermindern, was die Kosten für die Siedlungshygiene senken würde. «Solche Systeme stellen eine neue Art des Denkens dar», sagt Kai Udert. «Und es könnte durchaus sein, dass diese Technologien eines Tages den umgekehrten Weg nehmen und vom Süden zurück zu uns gelangen.» Denn hierzulande stossen die zentralen Kläranlagen immer häufiger an die Grenzen ihrer Kapazität.
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