Tages Anzeiger Online 02.11.2010
Hauseigentum formt Spiesser, die an Verlustangst leiden
Von Benedikt Loderer
Alle träumen vom Eigenheim. Doch mit einem Hüsli wird man nicht freier. Eine Polemik von Benedikt Loderer.
Ich schreibe hier über das Wichtigste überhaupt: über das Eigentum. Damit Sie es bequemer haben, wird mein Artikel von einem Gerüst von zehn starken Sätzen gestützt. Meilensteine und Verschnaufpausen im Lesefluss.
Die Hüslipest
Seit der Finanzkrise fühle ich mich glänzend bestätigt. Denn die Wahrheit meines ersten starken Satzes ist durch den Beinahezusammenbruch des internationalen Finanzsystems glänzend bestätigt worden: Das Hüsli ist die Krankheit des Landes. Das Einfamilienhaus steht hier stellvertretend für die auch vom Hauseigentümerverband vertretene Meinung, dass das Mehren der Zahl der Eigentümer die Schweiz verbessere. Je mehr Eigentümer, desto besser funktioniert der Staat, wie in Italien zum Beispiel, wo der Anteil der Eigentümer so viel höher ist als hierzulande.
Doch dachte ich als «petit Suisse» nur an mein eigenes Vaterland, an die Zersiedelung, die wie ein Geschwür das Land überzieht und mit der Hüslipest vergiftet, an die aufgeblasene Infrastruktur, die zu unterhalten uns immer schwerer fällt, an die externen Kosten, kurz, an den schweizerischen Zustand. Doch das war viel zu kurz gedacht.
Denn nicht das Schwyzerhüsli war die bedrohliche Krankheit, sondern sein amerikanisches Schwesterchen hatte die Schwindsucht. Viel ist darüber gestritten worden, wie die Banken dieses Desaster verursacht haben, wenig aber darüber, dass es sich hier um eine besondere Art der Eigentumsförderung gehandelt hat. Auch wer nicht kreditwürdig ist, hat ein Recht auf das Hüsli. Und schon sind wir am entscheidenden Punkt angelangt: Eigentumsförderung ist Ermunterung zum Leben auf Pump. Das ist bereits der zweite starke Satz, und er ist der wahre Kern der Subprime-Krise.
Ein Wellental der Zinskurve
Selbstverständlich ist in der Schweiz alles viel besser, weil wir solid sind. Betrachte ich allerdings die heutigen Zinssätze und das darin stillschweigend enthaltene Versprechen, sie blieben auch in Zukunft so tief, so wird mir unbehaglich zumute. Denn die Tiefzinsphase ist....
ein Wellental der Zinskurve, und alle wissen heute schon: Der nächste Wellenkamm kommt bestimmt. Doch was geschieht, wenn die Hypothekarzinse wieder auf über 5 Prozent steigen?
Hat der Hauseigentümerverband genügend nationalökonomische Vorstellungskraft, das Heulen und Zähneklappern vorauszusagen? Ich übersetze Ihnen das in die Sprache der geistigen Landesverteidigung, und das wäre der dritte starke Satz: Kann ein freier Schweizer sein, wer Hypothekarschulden hat? Wo ist der Unterschied zwischen einem Schuldenbauer und einem Hypothekarschuldner? Ein festes Einkommen haben beide, in bürgerlichen Ehren und Pflichten sind sie beide und dem Auf und Ab des Zinssatzes ausgeliefert sind sie beide auch. Beide verlassen sich auch darauf, dass alles so weitergeht wie bisher, und rechnen mit einer stabilen Gesellschaft. Woher wissen sie und wir das eigentlich?
Die beste Art, das Eigentum zu befestigen, ist, es zu mehren. Wie aber soll das geschehen, wenn ich Schuldenbauer bin? Indem mein Grundstück zunimmt. Nicht an Grösse, aber an Wert. Die Preise steigen. Das freut den Hypothekarschuldenbauer. Doch wenige streichen zu Lebzeiten diesen Gewinn ein. Wir Schweizer leben für die Erben. Andernorts ist es anders. In England zum Beispiel, wo fast 80 Prozent Hausbesitzer, genauer: Hypothekarschuldner sind. Doch die Schulden lohnen sich. Die Hauspreise stiegen rasant. Es gibt Leute, die mit ihrem Haus mehr verdienten als mit ihrer Arbeit. Denn die Engländer realisieren diesen Gewinn. Sie verkaufen ihr Haus und kaufen sofort ein grösseres, teureres.
Klein genug, um zu scheitern
Ich mag den Leuten das arbeitslose Einkommen gerne gönnen, allein fürchte ich, wovor auch sie Angst haben: Das ganze Schuldensystem funktioniert nur, wenn die Preise steigen. Bereits wenn sie stagnieren, ächzt der Markt, und wenn sie sinken, bricht er zusammen. In England sind die Preise zwischen 2007 und 2009 um 20 Prozent gesunken. Das böse Wort Zwangsvollstreckung ist unterdessen bis in unseren Wortschatz vorgedrungen, unser Bewusstsein allerdings hat es noch nicht erreicht. Die Kleinspekulanten haben das Risiko verdrängt, und sie sind alle «small enough to fail» – klein genug, um zu scheitern. Der vierte starke Satz lautet: Wer das Eigentum fördert, züchtet Kleinspekulanten.
Bei uns ist alles ganz anders. Wir sind stabil, weil wir seriös sind. Doch richtig seriös sind erst die Eigentümer. Denn eines ist sicher: Der Eigentümer ist der bürgerlich bessere Mensch, genauer, erst der Eigentümer ist ein Mensch. Alle Schweizer sollen Eigentümer werden, das ist ein stillschweigendes Staatsziel. Der Staat wäre dann endlich die Gemeinschaft der besseren Menschen. Anders herum: Erst der Eigentümer ist ein wahrer Schweizer.
Eigentum ist nicht bloss Besitz, es ist auch eine moralische Anstalt. Es scheidet die Eigentümer von den Habenichtsen, es zieht die Grenze zwischen den anständigen Leuten und den nicht richtig anständigen. Denn Eigentum macht anständig, was mit standesgemäss zu übersetzen ist. Der Stand der Eigentümer ist die staatstragende Schicht. Ein Kind, das in einer Mietwohnung aufwächst, ist behindert, erst im Eigentum wächst es zum Vollbürger heran. Der fünfte starke Satz fasst das bündig zusammen: Nur im Hüsli kann beginnen, was leuchten soll im Vaterland.
Der Eigentum entwickelt nichts
Der Eigentümer ist nicht nur der anständige Mensch, er ist auch der rechthaberische. Ich erinnere Sie bloss an die ach so kluge juristische Konstruktion des Stockwerkeigentums, die den Rechthabern und den Anwälten so viel Freude macht. Die Eigentümer blockieren die Eigentümer. Und wer behindert das Bauen am erfolgreichsten? Der VCS? Falsch geraten, es ist der Nachbar, immer ein Eigentümer. Wer ist der grösste Feind der Verdichtung nach innen? Richtig geraten, der Nachbar, immer ein Eigentümer. Noch mehr Eigentümer führen zu noch mehr Einsprachen. Es folgt der sechste starke Satz: Das Eigentum entwickelt nichts, es verteidigt.
Doch wir wissen es unterdessen alle: Es gibt keine Alternative. Alle Versuche, das Eigentum abzuschaffen, sind gescheitert. Das Eigentum ist eine ungeheure Erfolgsgeschichte. Wie sie funktioniert, kann ich Ihnen am Beispiel des Prokuristen Genügsam erklären. Es war einmal ein Stück Erdoberfläche in der Gemeinde Hintergiglen. Das diente jahrhundertelang brav der Landwirtschaft. Seinen Wert bestimmte der Ertrag, beide waren niedrig. Dann aber geschah die wunderbare Wertvermehrung, denn aus dem Bauernland wurde Bauland.
Für die Eigentümer rentiert das Eigentum
Der Prokurist Genügsam kaufte es, was eine Kettenreaktion auslöste. Architekt Findig plante, Baumeister Hartstein betonierte, Sanitär, Gipser, Maler, Schreiner und alle anderen Handwerker wirkten, kurz, ein Jahr später war das Haus fertig. Alle Beteiligten hatten davon profitiert: der Notar, die Bank, die Handwerker, die Gemeinde und nicht zuletzt der Prokurist Genügsam, der nun Eigentümer war; ein persönlicher Aufstieg und eine allgemeine Verbesserung des Volkes. Niemand von den Beteiligten machte sich Gedanken über die Zersiedelung. Zusammenfassend, ein höchst befriedigender Vorgang.
Warum sollte der Prokurist Genügsam nicht Eigentümer werden? Sein Haus stört nicht. Es wiederholt die Ortsbauweise perfekt. Es entspricht den persönlichen Bedürfnissen Genügsams, ist aber trotzdem gewöhnlich. In den Quartierplan passt es auch. Zum Bruttosozialprodukt trägt es sein Scherflein bei, zum Steuersubstrat leistet der Prokurist Genügsam seinen Beitrag. Der Wandel vom Getreide zum Abstandsgrün wird mit Wertschöpfung bezeichnet. Es ist der siebente starke Satz fällig: Für die Eigentümer rentiert das Eigentum.
Da das Eigentum ein moralischer Gewinn ist, ist die Zersiedelung ein Heil bringender Segen. Jedes Einfamilienhaus im Rechtsstaat ist ein Beitrag an das Wohlergehen des Landes, denn die Zahl der Eigentümer hat sich vermehrt, mindestens ein Mensch ist besser geworden.
Die Förderung des Eigentums
Jedes neue Hüsli ist ein Samenkorn des wirklich Guten, Wahren und Schönen: des Eigentums. Wer eine geordnete Besiedelung will, ist gegen die Baufreiheit. Wer eine wirksame Raumplanung will, schränkt die Eigentümer ein. Folge-richtig komme ich zum achten starken Satz: Wer gegen die Zersiedelung ist, ist gegen das Eigentum.
Stellen Sie sich einmal vor, was man am Genfersee zum Beispiel so viel Ertragreicheres machen könnte, als die putzigen Reben zu pflegen, die kaum Wertschöpfung generieren. Was, zeigt der Zürichsee, der von einem grünen Band eingefasst ist, in dem die Häuser wie Perlen an der Schnur funkeln.
Hier hat das Eigentum sich entwickelt. Nicht die winzigkleine Zahl der Winzer erfreut sich des Eigentums, nein, die übergrosse Menge der vielen Eigentümer hat nun Seeblick. Hier ist die Förderung des Eigentums überzeugend gelungen. Das Rebland hat neue Eigentümer, die in der Lage sind, die Lage zu bezahlen. Der Markt hat gearbeitet. Das Land dient nun der Nutzung mit dem höchsten Ertrag. Das endet mit dem neunten starken Satz: Die Förderung des Eigentums ist eine Erneuerungsbewegung.
Die Verlustangst kommt
Für den Hauseigentümerverband ist das Hüsli ein Menschenrecht. Ob aber all die positiven Folgen eintreten, die er sich verspricht, daran zweifle ich. Jeder Eigentümer sperrt sich selbst in den goldenen Käfig. Er wird zum Bankmitarbeiter, er leistet ein Leben lang Hypothekenarbeit. Dafür bekommt er ein Wohnrecht im eigenen Haus. Darin sitzt er nun und leidet an Verlustangst.
Ein Trost bleibt ihm: Er streicht den Inflationsgewinn ein und profitiert von den steigenden Hauspreisen. So lebt er zwischen verdrängter Angst und zäh erdauertem Triumph, ein freier Mensch allerdings ist er nicht. Solche Leute werden kaum den Staat verbessern. Aus dem Versprechen, mehr Eigentümer führten zur besseren Gesellschaft, wird wohl nichts. Die Kleinspekulanten werden nichts riskieren. Ihr Bedürfnis nach Sicherheit lähmt ihre Vorstellungskraft. Sie haben sich in ihr Schicksal ergeben, sie leisten ohne Murren ihren Zinsendienst und mehren das Erbe. So zerrinnt ihr Leben. Ich schaue zu und komme zum letzten und zehnten starken Satz: Eigentum formt Spiesser.
(Tages-Anzeiger)
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