Montag, November 22, 2010

"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"

der Standard.at
ITV Uno-Ökonom Flassbeck
"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"
von Regina Bruckner

Warum nur steigende Löhne die Eurozone retten, die Fed gut daran tut, Geld zu drucken und Defizite nicht das Hauptproblem sind erklärt Uno-Ökonom Heiner Flassbeck

Heiner Flassbeck ist einer der umstrittensten und streitbarsten Ökonomen Deutschlands. Der studierte Volkswirt ging 1986 zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und stellte sich dort mit seinem keynesianischen Ansatz mehr und mehr gegen den Mainstream. Flassbeck etablierte sich als heftiger Kritiker deregulierter Märkte, denen er den Zusammenbruch voraussagte. Der heutige US-Finanzminister Timothy Geithner nannte ihn deshalb einst "Fürst der Dunkelheit". Der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine holte den Ökonomen 1998 als Staatssekretär in sein Ministerium. Im Interview erklärt er warum nur steigende Löhne die Eurozone retten können, die Fed recht daran tut, die Geldpresse anzuwerfen und Haushaltsdefizite nicht Europas Hauptproblem sind.

derStandard.at: Herr Flassbeck, im März 2009 stellte man Ihnen folgende Frage: "Die USA werfen jetzt die Geldpresse an und kaufen Staatsanleihen auf. Ist das eine Verzweiflungstat?" Jetzt kann ich Ihnen dieselbe Frage wieder stellen.

Heiner Flassbeck: Es ist eine erneute Verzweiflungstat. Es ist in den USA offensichtlich notwendig, noch einmal diese Maßnahme anzuwenden, weil die Konjunktur nicht so angesprungen ist, wie man sich das gewünscht hat. Was wir erleben, ist die Auswirkung hoher Arbeitsmarktflexibilität in den USA, die ja immer gelobt wird, vor allem von konservativen Seiten in Europa, die sich aber jetzt in der Krise als äußerst problematisch erweist. Die Krise dauert jetzt schon lange an und wurde selbst mit massiven staatlichen Maßnahmen nicht überwunden. Dadurch tritt ein Problem ein, das man mit Lohndeflation bezeichnen könnte.

derStandard.at: Sie meinen die stagnierenden Löhne?

Flassbeck: Ja, Japan hatte am Ende seiner großen Blase Ende der 1980er-Jahre ein ähnliches Problem. Dauert die Arbeitslosigkeit lange, sinken die Löhne immer weiter. Eine Volkswirtschaft wie die USA, die wenig exportiert und viel eigene Nachfrage braucht, gerät dann in die Lage, dass die Leute ihre Erwartungen systematisch nach unten schrauben, weil sie nicht mehr glauben, dass ihre Einkommen in absehbarer Zukunft steigen. Das ist die gefährlichste Lage, in die man kommen kann, denn diese Erwartungsstagnation kann man nur noch mit gewaltigen Nachfrageprogrammen des Staates überwinden. Das wird aber auch mit dem jetzt gewählten Kongress in den USA überhaupt....
nicht mehr hinzubekommen sein. Insofern finde ich auch jetzt richtig, was die Amerikaner machen.

derStandard.at: Sie wollten damals zwar nicht wetten, dass die EZB folgen und ebenfalls Staatsanleihen kaufen wird, waren sich aber ihrer Sache ziemlich sicher. Und tatsächlich musste man nicht lange warten. Die EZB wurde für diese Entscheidung heftig kritisiert, Ihnen konnte das Programm gar nicht weit genug gehen.

Flassbeck: Die EZB hat nur einmal - sozusagen in einer Notlage - Staatsanleihen gekauft. Europa hätte aber viel mehr tun müssen, um die Zinsen vor allem für die Problemländer runter zu schleusen. Wir sehen ja jetzt, dass die von den Kapitalmärkten "geforderten" Renditen schon wieder unglaublich hoch und für die Problemländer gar nicht zu bewältigen sind. Insofern bin ich weiterhin der Meinung, dass die EZB unorthodoxe Maßnahmen ergreifen sollte, um einen weiteren Absturz zu verhindern, aber auch, um generell Europas Konjunktur zu stützen. Was wir derzeit sehen, ist kein europäischer Aufschwung. Deutschland ist mit seinen Exporten in einem chinesischen Aufschwung, einer Sonderkonjunktur, weil es massiv Glück gehabt hat, dass in Asien die Anregung sehr schnell gegriffen hat und die Leute dort hungrig nach deutschen Autos sind. Ich finde auch, dass das europäische Rettungspaket als absolutes Notfallpaket falsch konstruiert ist, weil die Länder unter normalen Umständen darauf überhaupt nicht zurückgreifen und deswegen auch keine normalen Zinsen bekommen können. Man hätte dafür sorgen müssen, dass die Länder sich zum Beispiel über eine Euro-Anleihe zu vernünftigen Zinsen verschulden können. Dann hätte man eine viel größere Chance gehabt, dass die Restriktionspolitik, die ja in ganz Südeuropa in brutaler Weise eingeschlagen wird, eine Erfolgschance hat.

derStandard.at: Die Länder sind ja in recht unterschiedlichen Situationen. Griechenland, Irland, Portugal schnüren immer schärfere Sparpakete. Gerade wieder hat OECD-Generalsekretär Angel Gurria die Industriestaaten zum Abbau ihrer Schuldenberge aufgerufen. Kommen Länder wie Griechenland wieder auf die Beine angesichts dieser rigiden Programme?

Flassbeck: Nein, wenn alle nur noch Restriktionen einführen, kommt überhaupt keiner mehr auf die Beine. Deswegen halte ich für fundamental falsch, was der OECD-Generalsekretär sagt. Es gibt in den G-20 - wo die OECD ja Beobachter ist - sehr ernsthafte und vernünftige Diskussionen darüber. Es kann niemals funktionieren, wenn man fordert, alle müssen ihre Haushalte konsolidieren, solange wir keinen privatwirtschaftlichen Boom haben. Und den haben wir nirgendwo außer in China. Insofern ist das eine Harakirimethode, wenn jetzt alle sozusagen den englischen Weg gehen und ihre Haushalte zusammenprügeln. Dann werden wir am Ende erleben, dass die Defizite immer höher werden. Das ist genau die Erfahrung, die Japan nach dem Ende seiner Blase gemacht hat.

derStandard.at: Ihrer Ansicht nach können einzig Lohnsteigerungen die Euro-Zone retten. Was ist mit der vielbeschworenen Konkurrenzfähigkeit mit China und Co.?

Flassbeck: Das ist eben nicht das Problem. Man kann nicht dauernd auf die Konkurrenzfähigkeit starren und versuchen, über ein Gürtel-Enger-Schnallen bei den eigenen Löhnen die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China zu erhöhen. Das schafft man sowieso nicht. Die chinesischen Löhne machen ein Zwanzigstel der deutschen und österreichischen Löhne aus. In China insgesamt ist aber auch die Produktivität nur ein Zwanzigstel so hoch. Die Chinesen richten sich nach ihrer Produktivität und wir müssen uns nach unserer Produktivität richten. Die einzige Ausnahme sind unsere eigenen Unternehmen, die in China produzieren, die haben hohe Produktivität und niedrige Löhne. Außerdem gibt es noch einen Wechselkurs dazwischen, und wenn wir versuchen würden mit Gewalt die Chinesen nieder zu konkurrieren, dann würden die ihre Währung abwerten und was dann?

derStandard.at: Wir konkurrieren also mit den Chinesen überhaupt nicht direkt?

Flassbeck: Direkt schon, aber ohne Problem. Alle Überschussländer haben gefälligst dafür zu sorgen, dass auch andere Länder einmal ihre Defizite in den Außenhandelsbilanzen abbauen können. Das gilt für Deutschland, für China und für Österreich. Daran führt kein Weg vorbei. Die Defizitländer haben recht, wenn sie sagen, wir können nicht immer mehr Schulden machen und ihr könnt nicht immer weiter Forderungen gegenüber uns aufbauen. Das muss wieder einmal ausbalanciert werden. Das ist das, was die Amerikaner fordern und das ist vollkommen richtig. Die Neigung der Überschussländer zu sagen "Wir müssen Überschüsse haben, selbst wenn alle paar Jahre die Defizitländer pleite sind" ist eine absurde Position. Vor allem Deutschland spricht die ganze Zeit von den bösen Defizitsündern. Wenn wir diese Attitüde beibehalten, werden wir erleben, dass die Sünder ihre Grenzen dicht machen und die Güter der Nichtsünder nicht mehr hineinlassen. Und was machen wir dann? Freihandel ist kein Naturgesetz. Das funktioniert nur, wenn es ein Geben und Nehmen ist.

derStandard.at: Das heißt, Sie haben jetzt die Diskussionen am EU-Gipfel genau verfolgt. Dem Faktum, dass Deutschland hartnäckige Schuldensünder stärker in die Pflicht nehmen will, können Sie dann wohl wenig abgewinnen?

Flassbeck: Dem kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Weil die Diskussion noch nicht einmal ehrlich ist. In Brüssel wurden beide Aspekte, die öffentlichen Defizite und gleichberechtigt die Makro-Ungleichgewichte thematisiert. Es gibt zu beidem ein Papier der Kommission. Aber die makroökonomische Diskussion ist überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden, weil man das nicht wahrhaben will. Jean-Claude Juncker hat vorletzte Woche ganz klar gesagt, dass das Haushaltsproblem auch ein Problem ist. Aber das wichtige Problem ist das der makroökonomischen Ungleichgewichte. Die deutsche Politik war bislang nicht einmal bereit, das zu diskutieren. Deswegen wird man sich in Brüssel dazu einer Lösung verweigern, und das wird dazu führen, dass die anderen Länder sagen: Dann verweigern wir uns jeder anderen Lösung auch. Dann ist Europa schon zerbrochen, bevor überhaupt die Eurozone noch einmal in große Gefahr geraten ist. Das ist eine absurde Strategie.

derStandard.at: Sie geben dieser Währungsunion und dem Euro ohnehin nur noch ein paar Jahre.

Flassbeck: Ja, wenn wir dieses außenwirtschaftliche Problem in der Währungsunion nicht angehen, hat die Eurozone keine Zukunft.

derStandard.at: Ihre Kritik richtet sich recht spezifisch an Deutschland als Krisenverursacher. Welche Länder spielen noch in dieser Liga?

Flassbeck: Ja, da gibt es nur ein einziges, das ein bisschen in dieser Liga ist, das heißt Österreich. Nicht so ganz, weil Österreich sich in der Mitte gehalten hat. Deutschland hat die Lohnstückkosten - also die Löhne im Verhältnis zur Produktivität - praktisch überhaupt nicht erhöht in den letzten zehn Jahren, Frankreich hat sie um zwei Prozent erhöht. Das ist das europäische Inflationsziel, und daran muss man sich orientieren. Aber Österreich hat auch die zwei Prozent nicht ausgenützt.

derStandard.at: Wann wäre der richtige Zeitpunkt für staatliche Sparbemühungen gekommen?

Flassbeck: Wenn die privaten Haushalte und Unternehmen so viel Geld ausgeben, dass die Konjunktur läuft, ohne dass man den Staat dazu braucht. In Europa haben wir derzeit keine Indikatoren dafür.

derStandard.at: Abseits davon: Die immer wieder beschworene Inflationsgefahr sehen Sie überhaupt nicht. Wieso liegen die Einschätzungen - hie heftige Inflation, da dramatische Deflation - so weit auseinander?

Flassbeck: Ich habe gerade eine Wette gewonnen gegen einen anderen Ökonomen, der gewettet hat, dass man schon diesen Sommer eine deutliche Inflationsbeschleunigung sehen wird. Immerhin hat mir das sechs Flaschen Wein gebracht. Es gibt überhaupt keine Inflationsgefahr, wo soll die denn herkommen?

derStandard.at: Von dem Geld, das in die Kreisläufe gepumpt wird?

Flassbeck: Das ist der entscheidende Irrtum. Selbst diejenigen, die an die Geldinflationstheorie glauben, sollten sich die Geldmengen anschauen. Die europäische Geldmenge, die man die letzten zwanzig, dreißig Jahre für die relevante gehalten hat - nämlich M3 - stagniert. Was aufgebläht worden ist, ist die Geldmenge in den Händen der Banken. Die halten wir aber überhaupt nicht für relevant für die Inflation, weil die Banken das Geld ja nicht für Güter ausgeben. Selbst die Monetaristen müssten sagen, es besteht eine Deflationsgefahr, wenn sie noch an ihre eigenen Indikatoren glauben.

derStandard.at: Stichwort Banken. Sie haben sich in Alpbach recht pessimistisch geäußert und sinngemäß gemeint, dass in der Branche alles beim Alten ist. Immerhin wurde Basel III ins Leben gerufen, mancherorts die Bankensteuer auf den Weg gebracht, Hedgefonds wurden an die Kandare genommen. Was wollen Sie denn noch?

Flassbeck: Die Hedgefonds müssen jetzt einen Ausweis vorzeigen, wenn sie ins Casino gehen, an die Kandare nehmen ist etwas anderes. Zu Basel III: Die Financial Times hat das gut beschrieben mit: "Die Maus, die nicht gebrüllt hat. "Basel III hat mit einer wirklichen Lösung der Finanzmarktprobleme nicht viel zu tun. Man bleibt in dem alten Schema, einfach ein bisschen mehr Eigenkapital zu fordern anstatt zu fragen, was sind eigentlich wirklich die Geschäfte, die für die Gesellschaft einen Ertrag bringen, und was sind reine Casinoaktivitäten? Für reine Casinoaktivitäten darf es überhaupt keinen Kredit geben. Da ist eine Eigenkapitalquote von zehn Prozent nicht richtig, da gibt es nur eine einzig richtige Quote, und die heißt 100 Prozent. Jeder der spielen will, soll ins Casino gehen und spielen, aber mit seinem eigenen Kapital.

derStandard.at: Wir wissen ja jetzt nach der Krise, dass nicht nur die "bösen Banken" sondern durchaus auch der kleine Anleger ganz gerne ein bisschen spielt.

Flassbeck: Natürlich, das sind alle, die glauben, dass sie durch Spielen reich werden. Was fehlt, ist ein Politiker, der den Leuten klar sagt, das geht nicht, das funktioniert nicht.

derStandard.at: Es hat aber recht lange funktioniert.

Flassbeck: Es funktioniert immer ein paar Jahre, genau solange, wie es gelingt, ein paar Preise und die Aktienkurse nach oben zu treiben. Irgendwann bricht das Ganze wieder ein und dann sollen Leute wie ich, die nicht spekulieren, für diese dummen Spekulanten bezahlen. Das ist nicht einzusehen. Spekulation bringt nicht nur der Gesellschaft nichts, es verzerrt die Preise, es schadet massiv der Realwirtschaft. Warum sollten wir das zulassen? Nur weil ein paar Leute auf der Welt glauben, sie können mit Spielen reich werden? Ich bin ein liberaler Mensch. Aber nicht, wenn ich hinterher bezahlen muss. (Regina Bruckner)

Heiner Flassbeck (60) ist derzeit Chefökonom der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung Unctad in Genf. Sein neues Buch: "Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts" ist im September (bei Piper-Westend) erschienen. Seine Homepage: www.flassbeck.de

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