Donnerstag, November 18, 2010

Die Zeit: Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

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Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

Die Banken sollen nicht Herren, sondern Diener der Realwirtschaft sein: HSG-Professor Philippe Mastronardi fordert einen drastischen Umbau der Finanzmärkte.

Philippe Mastronardi ist Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsgebiete sind Staatsrecht, Demokratietheorie und Rechtstheorie.

Von: Peer Teuwsen
Datum: 19.10.2010

DIE ZEIT: Herr Mastronardi, was ist Geld?

Philippe Mastronardi: Geld ist dieses Zahlungsmittel, das wir brauchen, um keine Tauschwirtschaft zu sein. Damit Sie mir nicht Ihre Kleider geben müssen, um von mir Brot zu bekommen. Nur so kann die Arbeitsteilung unter Fremden funktionieren. Geld hat eine enorme Bedeutung bekommen.

ZEIT: Hat es eine Macht über uns entwickelt, die wir nicht mehr kontrollieren können?

Mastronardi: Ja. Die Geldmenge wächst sehr viel stärker als die Realwirtschaft. Und zwar, je nach Vergleichsbasis, um das Vier- bis Achtfache. Geld wird also nicht mehr geschöpft zur Deckung der Bedürfnisse unserer Realwirtschaft, sondern zur Schaffung von maximalverzinslichen Geldanlagen. Es hat sich ein Geldmarkt mit Finanzprodukten entwickelt, der gar nichts Reales produziert. Aber die hohen Zinsen, die man mit diesen Finanzprodukten erzielen kann, wurden zum Maßstab für die Realwirtschaft. Eine Firma, die Schuhe produziert, muss so viel Rendite abwerfen wie eine Bank oder ein Börsenprodukt. Der irreale Finanzmarkt steuert damit die realen Märkte.

ZEIT: Wird sich die Geldmenge nicht verringern durch die verschärften Eigenmittelvorschriften, die Basel III und auch die Expertengruppe des Bundesrates vorsehen?

Mastronardi: Es gibt da zwei Probleme, ein technisches und ein grundsätzliches. Was Basel III und die Expertengruppe vorschlagen, beruht auf einer Risikoeinschätzung, welche die Banken teilweise selber vornehmen. Wir sind also wieder so weit wie vor der Finanzkrise: Wir sind abhängig von der Risikoeinschätzung der Banken und Ratingagenturen. Man erfasst künftig wohl ähnliche Krisen besser, aber unvorhergesehene Risiken sind da nicht abgesichert. Und es werden andere Krisen kommen. Das ist das technische Problem. Nun aber zum Grundsätzlichen: Wir behalten das bisherige Aufsichtsmodell bei, obwohl es versagt hat. Das heißt, wir behandeln den Finanzmarkt immer...
noch wie einen freien Markt unter staatlicher Aufsicht. Die Banken dürfen Geld kreieren mittels der Kredite, die sie erteilen – mit ein paar Einschränkungen. Man hat immer noch nicht begriffen, dass der Finanzmarkt eben ein anderer Markt ist als derjenige für Backwaren. Banken, die Geld schöpfen können, spielen im Wettbewerb und verändern zugleich die Spielregeln. Das ist eine unzulässige Doppelrolle. Die Banken machen Ordnungs- und Interessenspolitik zugleich.

ZEIT: Sie spielen im Casino und sind zugleich Besitzer.

Mastronardi: Schlimmer noch: Sie erlauben sich, die Spielregeln im Spiel zu ändern! Das verletzt alle Grundsätze eines fairen Spiels. Wenn ich Ihnen einen Kredit gebe, muss ich das Geld erst mal haben. Das ist normal. Die Banken müssen das nicht. Sie können Ihnen den Kredit geben, ohne das Geld dafür zu besitzen. Das darf nicht sein. Die Banken müssen gleich behandelt werden wie Sie und ich.

ZEIT: Ein Mittel, dies zu gewährleisten, wäre die Vollgeldreform. Kredite kann dann nur erteilen, wer das dafür nötige Geld besitzt.

Mastronardi: Die Vollgeldreform ist nur ein Mittel von mehreren, um die Idee des service public im Finanzmarkt zu etablieren. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Die Banken sollen nicht mehr Geld kreieren dürfen gemäß ihren Bedürfnissen als Marktteilnehmer, sondern das Geld soll wieder ein Monopol des Staates sein. Künftig würde also das gesamte Geld ausschließlich von der Nationalbank ausgegeben.

ZEIT: Das wäre eine Revolution, da 95 Prozent des Geldes von privaten Banken geschöpft wird.

Mastronardi: Es wäre eine gewaltige Veränderung der Geldwirtschaft, ja.

ZEIT: Und es würde, wenn man den Systemwechsel falsch anginge, die Existenz der Geschäftsbanken gefährden.

Mastronardi: Wir würden die Banken nur auf eine reale Basis zurückführen. Es würde ihnen bloß verunmöglicht, durch Geldschöpfung auf Kosten der Allgemeinheit und ohne Eigenleistung Gewinn zu machen. Sie müssten sich dann ernsthaft überlegen, wie sie ihr Geld verwenden. Wie jeder Kleinunternehmer, aber auch wie Nestlé oder Novartis. Heute können sie ein System ausnützen, das nicht legitim ist, auch ökonomisch nicht.

ZEIT: Warum nicht?

Mastronardi: Weil sie bei der Geldschöpfung keine Leistung erbringen, sondern nur eine Lücke nutzen. Man hat, vor allem in den neunziger Jahren, eine Privatisierung und Deregulierung der Geldschöpfung vorgenommen, die nicht mit einem Leistungsauftrag verbunden wurde. Die Post, die Bahn, die Telekom, die ebenfalls systemrelevant sind, hat man alle mit einer begleitenden Gesetzgebung und mit Leistungsaufträgen versehen. Die Banken nicht. Man hat den Banken nur den Nutzen, aber nicht die Verpflichtung übertragen.

ZEIT: Wollen Sie eine Verstaatlichung des Finanzmarktes?

Mastronardi: Um Gottes willen! Wir wollen nichts verstaatlichen, wir wollen ein Gewährleistungsmodell. Der Staat hat die Gesamtverantwortung, dass es geschieht. Wie es geschieht, das ist Sache der Privaten. Es gäbe eine Arbeitsteilung: Die Zentralbank würde die Geldmenge bestimmen, die Banken würden deren Verteilung vornehmen. Alle volkswirtschaftlich wichtigen Tätigkeiten könnten weitergeführt werden. Reduziert würde vor allem das Investmentbanking.

ZEIT: Das wird kurzfristig zu Arbeitsplatzverlusten führen.

Mastronardi: Es ginge höchstens um ein Prozent aller Arbeitsplätze in der Schweiz. Dieser Strukturwandel würde natürlich sozial verträglich umgesetzt.

ZEIT: Welche schlechten Auswirkungen auf die Schweiz hatte denn das bisherige Modell?

Mastronardi: Die Schweiz hat sehr profitiert von ihrem Finanzplatz, vom Bankgeheimnis – wie auch von der Neutralität. Deshalb wird es auch sehr schwierig sein, diesen Paradigmenwechsel durchzuführen. Aber die Schweiz kann auch ohne diese Privilegien überleben. Die Banken würden nicht zerstört. Man könnte sich noch überlegen, ob man Trennbanken einrichtet, also Investment- und Private Banking trennt. Heute besteht ja ein latenter Interessenskonflikt: Banken haben beratende Funktion und können andererseits gegen die gleichen Anlagestrategien wetten, die sie den Kunden anpreisen. Und dies im eigenen Haus. So etwas untergräbt das Vertrauen.

ZEIT: Wie war das überhaupt möglich, in anderen Branchen sind diese Probleme längst erkannt?

Mastronardi: An den Banken besteht besonderes Interesse, und sie sind sehr rentabel. Aber solange man für die Geldversorgung das Marktmodell beibehält, wird es immer neue Wege geben, auf denen die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft schadet.

ZEIT: Aber so ein neues System kann doch nicht die Schweiz allein etablieren.

Mastronardi: Das können wir nicht alleine, nein. Wenn wir hier an Lösungsmodellen arbeiten, ist das vielleicht Arbeit auf Halde. Denn es sieht so aus, als ob diese Krise noch nicht stark genug war, um ein wirkliches Umdenken einzuleiten. Wir Menschen lernen oft nur, wenn wir leiden. Die Schweiz leidet nicht, und weltweit ist es nicht sehr anders: Zumindest jene Menschen, die handeln könnten, leiden nicht. Vielleicht ist die nächste Krise so groß, dass auch jene Leute leiden, die handeln können. Aber dann müssen wir die Modelle für Reformen bereit haben. Wir denken vor. Gleichzeitig wollen wir natürlich ein Bewusstsein schaffen. Politisch könnte nur auf dem Weg über eine Volksinitiative etwas geschehen, die aber wohl nicht im ersten Anlauf Erfolg hätte. Das wäre aber nicht tragisch.

ZEIT: Müsste der Antrieb nicht eher aus den USA oder von der EU kommen? Wenn die großen Wirtschaftsmächte nicht mitziehen, können Sie jeden Systemwechsel vergessen.

Mastronardi: Am besten wäre es, wenn die G20 zu solchen Schlüssen käme. Aber da ist die Schweiz ja nicht einmal dabei.

ZEIT: Wo wird Ähnliches diskutiert?

Mastronardi: Deutschland hat mit dem Wirtschaftssoziologen Joseph Huber, der Professor in Halle ist, einen prominenten Verfechter der Vollgeldreform. In den USA forderten Leute wie Irving Fisher ähnliche Reformen schon in den dreißiger Jahren. Wir erfinden das Rad also nicht neu. Warum heute gerade die Schweiz? Nirgendwo sonst sind die direktdemokratischen Mittel so stark, hier können wir die Forderung wirklich einbringen und thematisieren. Und stellen Sie sich vor, wenn in der Schweiz, in der Hochburg des Kapitals, eine Volksinitiative zu einem solchen Thema zustande käme!

ZEIT: Sie haben aber ein Problem: Durch diese Neuordnung des Geldmarktes würde sich das Wachstum der Volkswirtschaft verringern.

Mastronardi: Das stimmt, weil ein Teil unseres Wachstums vom Finanzmarkt stammt. Aber der rekrutiert sein Wachstum zum guten Teil aus den Blasen, aus dem Irrealen. Langfristig wäre es also von Nutzen, wenn dieses Wachstum wegfallen würde, weil wir heute unter diesen Schwankungen leiden. Die Gesamtwirtschaft profitiert mehr von einem konstanten Wachstum.

ZEIT: Entspricht Ihre Idee dem Menschen?

Mastronardi: Heute dominiert eine einseitige Konzeption: der Mensch als egoistischer Konkurrent des anderen. Jeder ist des anderen Feind. Wir sind gierige Wölfe. Aber wie sind Sie groß geworden? Man hat Ihnen geholfen, hat sie gestützt und getragen. Sie sind das Produkt einer Kooperation. Und: Wer will den Wettbewerb? Niemand. Jeder, der im Wettbewerb steht, versucht sofort, den Wettbewerb auszuschalten. Wir haben also eine Seite in unserem Wesen, die heute unterdrückt wird: die Kooperation, die Solidarität. Wenn wir Konkurrenz und Kooperation miteinander verbinden können, schaffen wir eine lebenswerte Gesellschaft. Und wenn wir das Geld zu einem Hilfsmittel machen könnten, die Welt lebenswerter zu machen, dann wäre uns allen geholfen.

Das Gespräch führte Peer Teuwsen

Quelle: DIE ZEIT, 14.10.2010 Nr. 42
http://www.zeit.de/2010/42/CH-Vollgeldreform

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