NZZ-Online
«Der grosse Verlierer heisst Mahmud Abbas»
Position des Palästinenserpräsidenten nach Gazakrieg geschwächt
Der grosse Verlierer im Gazakrieg ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Dieser Ansicht ist der Kenner der arabischen Welt, Abdel Mutttaleb El Husseini. Der Journalist und Autor, der in Deutschland lebt, erläutert im Gespräch mit NZZ Online, warum die EU eine Mitschuld an der Misere im Gazastreifen hat.
hoh. Abdel Mottaleb El Husseini ist 1952 in Libanon geboren und lebt als freier Journalist und Autor in Deutschland. Er beschäftigt sich mit den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen der arabischen Welt. Husseini wird regelmässig vom deutschen Staatsfernehen als Experte beigezogen.
NZZ-Online
«Der grosse Verlierer heisst Mahmud Abbas»
Position des Palästinenserpräsidenten nach Gazakrieg geschwächt
Der grosse Verlierer im Gazakrieg ist Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Dieser Ansicht ist der Kenner der arabischen Welt, Abdel Mutttaleb El Husseini. Der Journalist und Autor, der in Deutschland lebt, erläutert im Gespräch mit NZZ Online, warum die EU eine Mitschuld an der Misere im Gazastreifen hat.
Bisher hat Ägypten die diplomatischen Fäden in diesem Konflikt zusammengesponnen. Wer dürfte Ihrer Ansicht in der vorläufigen Waffenruhe im Gazastreifen mit den Israeli verhandeln?
Wir können davon ausgehen, dass Präsident Abbas mit den Israeli wieder Verhandlungen aufnehmen wird. Er gehört aber zweifellos zu den grössten Verlierer in diesem Krieg. Abbas hat mit seinem Handeln reichlich an Legitimität eingebüsst. Die Hamas geht letztlich als Gewinnerin aus diesem Konflikt hervor, wenn man dann überhaupt von einem Sieger sprechen will. Die islamitische Organisation hat während des Verlaufs der Offensive bei vielen Palästinensern aber auch bei Arabern im Allgemeinen eine stärkere Rückendeckung erhalten. Man muss sich auch vor Augen führen, dass die Hamas vor Ausbruch des Krieges weitgehend isoliert war. Die zahlreichen internationalen Demonstrationen gegen den Krieg haben dem Ansehen der Organisation mehr genützt denn geschadet. Die Hamas wird inzwischen vielerorts als Widerstandskraft gegen die Besetzung Israels verstanden. Dem Kräfteverhältnis nach zu urteilen, kommt man um Verhandlungen mit der Hamas nicht mehr herum. Dies stellt für Israel eine riesige Herausforderung dar.
Demnach müssten die Europäer und die Amerikaner die Hamas von der Liste der terroristischen Organisationen streichen.
Das ist im Moment eher unwahrscheinlich. Die EU hat diesbezüglich einen grossen Fehler begannen, indem sie die Hamas isoliert haben und sie als terroristische Bewegung betracht. Ich glaube, dass sich die Europäer im Umgang mit der Hamas nicht einig sind. Es ist durchaus denkbar, dass Frankreich direkte Kontakte zur Führung der Hamas in Erwägung zieht. Deutschland hingegen wird eine Annäherung an die islamitische Organisation nicht riskieren wollen, steht doch das freundschaftliche Verhältnis mit Israel auf dem Spiel. Die deutsche Regierung versucht ihrerseits, die Berliner Position in der EU zu verankern. Wenn die Europäer im Nahen Osten wirksame Politik betreiben wollen, müssen sie ihre Strategie überdenken. Die arabische Welt ist gespalten. Durch den Krieg haben Staaten wie Syrien, der libanesische Hizbullah und die Hamas im Gazastreifen an Ansehen gewonnen. Deshalb ist es falsch, bloss auf eine Karte zu setzen und lediglich Länder wie Ägypten und Saudi Arabien zu unterstützen.
Welche Strömungen beobachten Sie bei der Hamas-Führung im Gazastreifen und in Damaskus?
Über einen Unterschied zur politischen Führung in Damaskus in der Regierung der Hamas im Gazastreifen wurde viel diskutiert. Eine Kluft zwischen den beiden Lagern ist trotz der Heftigkeit des Krieges nicht auszumachen. Im Grossen und Ganzen lässt sich festhalten, dass die Hamas in der verbalen Frage der Einheit der Palästinenser Einigkeit verströmt und auch willens ist, Verhandlungen zu führen und Politik zu betreiben. Schliesslich wurde die Waffenruhe der Hamas in Damaskus und nicht in Gaza-Stadt ausgerufen. Das zeigt, dass zwischen Khaled Mashaal, dem Leiter des Hamas-Politbüros und dem Ministerpräsidenten Ismail Hanyia im Gazastreifen, Einigkeit herrscht. Der Krieg hat die beiden Funktionäre noch stärker zusammengeführt.
Welchen Nutzen – sofern man davon sprechen darf – hat der Gazakrieg der Fatah und der Hamas letztlich gebracht?
Die Hamas hat die Rolle der Fatah bezüglich Widerstandsorganisation in der palästinensischen Frage übernommen. In dieser Hinsicht hat die Hamas deutlich an politischem Terrain gewonnen. Über die gesamte Dauer des Gazakriegs fand keine einzelne Protestaktion der palästinensischen Bevölkerung gegen die Regierung der Hamas statt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Verankerung der Organisation im Volk gestärkt wurde. Die Lage der Fatah-Organisation hingegen ist katastrophal. Präsident Abbas hat sich in diesem Krieg nicht als Führer der Palästinenser verhalten, sondern als Gegner der Hamas-Bewegung. Seine Polizeikräfte haben im Westjordanland sogar antiisraelische Proteste verhindert. Selbst in Fatah-Kreisen hat dies zu Kritik an seinem Krisen-Management geführt. In diesem Krieg geht die Fatah mit ihrem Präsidenten Abbas als die grösste Verliererin hervor.
Es gibt Gerüchte, wonach die Fatah-Führung den Israeli «freie Hand» bei der Militäroperation im Gazastreifen bot.
Ich würde nicht gerade von «freier Hand» sprechen. Schliesslich hat die Fatah bis zur letzten Minute die Gazaoffensive durch Israel abgelehnt. Und der Hamas ging es bei diesem Krieg vor allem um eines: Ums Überleben. Die Israeli haben es nicht geschafft, die Organisation handlungsunfähig zu machen.
Präsident Abbas hat sich während der gesamten Militäroperation der Israeli zurückgehalten. Weshalb?
Das wirft ihm die gesamte arabische Welt vor. Am Gipfeltreffen von Kuwait haben sich rund zwei Dutzend Parlamentarier gegen die Teilnahme von Präsident Abbas ausgesprochen, weil er sich während des Gazakriegs nicht um das Wohl seines Volkes gekümmert hatte. Einige werfen ihm gar vor, er habe mit seiner Zurückhaltung der Kritik gegenüber Israel sein Volk verraten, weil er bloss am Rande des Geschehens gestanden habe. Dies ist eine Folge des Kräfteverhältnisses zwischen den Palästinensern. Die Hamas ist nun mal die stärkere Fraktion, obwohl sie keine unmittelbare politische Lösung für die Palästinenser bereit hält. Und Abbas ist auf der ganzen Linie gescheitert. Was haben beispielsweise seine Bemühungen für Reiseerleichterungen seiner Leute im Westjordanland gebracht? Der Bewegungsfreiheit wird durch die Strassensperren im Westjordanland noch immer verunmöglicht. Selbst der Präsident ist auf eine Bewilligung der israelischen Armee angewiesen, will er Ramallah verlassen. Auch der versprochene Staat für die Palästienser lässt nach wie vor auf sich warten.
Wie will Ägypten den Schmuggel von Waffen verhindern und die Schliessung der Tunnelsysteme vorantreiben?
Auch Ägypten zählt zu den Verlierern in diesem Konflikt. Kairo wurde von den Israeli und den Amerikanern im Stich gelassen. Die israelische Aussenministerin Tzipi Livni und ihre amerikanische Amtskollegin Condolleezza Rice haben in Washington eigenhändig ein Abkommen zur Unterbindung des Waffenschmuggels unterzeichnet, ohne Ägypten mithinzubeziehen. Kairo empfindet dies als grosse Beleidigung und Schwächung seiner eigenen Rolle. Aus diesem Grund werden die Ägypter wohl auch keine internationalen Beobachter an ihrer Grenze zum Gazastreifen zulassen. Und was die Bekämpfung des Waffenschmuggels in den Gazastreifen angeht, wird Kairo dies nur halbherzig zu verhindern versuchen. Ich bin der Ansicht, dass nicht der Schmuggel von Waffen das grösste Problem in der Region darstellt. Das wahre Problem ist das Fehlen einers politischen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir in einigen Wochen zum Courant Normal wieder übergeben werden.
Interview: Andrea Hohendahl
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen