Sonntag, Januar 11, 2009

NZZ: Es gibt keine richtigen Anreize - Zehn Überlegungen zur Entlöhnung der Manager

10. Januar 2009, Neue Zürcher Zeitung
Es gibt keine richtigen Anreize
Zehn Überlegungen zur Entlöhnung der Manager

Während vor dem Hintergrund enttäuschender Managementleistungen die Bonussysteme um Malussysteme ergänzt werden, plädiert der Autor des folgenden Textes für eine Stärkung der Fixlöhne. Sein Hauptargument lautet, dass Unternehmen nicht versuchen sollten, innerhalb des Betriebs Märkte abzubilden. (Red.)

Von Reinhard K. Sprenger*



10. Januar 2009, Neue Zürcher Zeitung
Es gibt keine richtigen Anreize
Zehn Überlegungen zur Entlöhnung der Manager

Während vor dem Hintergrund enttäuschender Managementleistungen die Bonussysteme um Malussysteme ergänzt werden, plädiert der Autor des folgenden Textes für eine Stärkung der Fixlöhne. Sein Hauptargument lautet, dass Unternehmen nicht versuchen sollten, innerhalb des Betriebs Märkte abzubilden. (Red.)

Von Reinhard K. Sprenger*


Die Entlöhnung der Manager ist durch die Finanzkrise erneut zum Thema geworden. Im Gegensatz zu früher steht aber weniger die Höhe der Entlöhnung im Vordergrund als vielmehr die Frage, welche Verhaltensanreize von den jeweiligen Belohnungssystemen ausgehen. Überall bastelt man an neuen Systemen, die «falsche» Anreize durch «richtige» ersetzen sollen. Will man aber nicht in technokratischen Aktionismus verfallen und zu sehr nur innerhalb der Belohnungslogik denken, ist an einige fundamentale Prinzipien der Unternehmensführung zu erinnern.

1. Unternehmen sind keine Märkte

Märkte sind Koordinations-Arenen, Unternehmen sind dagegen Kooperations-Arenen. Das heisst, ein Unternehmen ist um die Idee der Zusammenarbeit herumgebaut. Damit ist ausdrücklich nicht die Addition von Einzelleistungen gemeint, sondern ein Ergebnis, das im Idealfall nur gemeinsam erzielt werden kann. Individuelle Leistung ist daher im Unternehmen schwer zu isolieren, Resultate sind kaum persönlich zurechenbar. Und je höher jemand hierarchisch steht, desto indirekter ist seine Wirkung.

Als Motto kann daher gelten: «Wenn wir gut gearbeitet haben, haben wir alle gut gearbeitet.» Dann sollte aber jeder, der am Spiel teilnimmt, partizipieren. Daher ist das Entlöhnungssystem so zu strukturieren, dass es vorrangig die Zusammenarbeit stützt, dass es also eher beteiligt als individuell verhaltenssteuernd wirkt. Das heisst nicht, dass nicht auch individuelle Leistung finanziell gewürdigt werden sollte, aber man darf Mitglieder einer Kooperations-Arena nicht über das Bezahlungssystem zu Konkurrenten machen. Wir finden in den Unternehmen oft fragwürdige Regelungen, die von den Mitarbeitern als widersprüchlich und lähmend empfunden werden.

2. Für einfache Salärsysteme

Zentrale Aufgabe von Unternehmen ist es, Transaktionskosten zu senken, also Märkte auszuschalten. Deshalb müssen alle unternehmensintern eröffneten Märkte (Zielvereinbarungen, Budgetplanungen) die erhöhten Transaktionskosten rechtfertigen. Gegen dieses Prinzip der Ausschaltung des Marktes verstösst, wer in turbulenten Zeiten und auf volatilen Absatzmärkten laufend die variablen Einkommensanteile nachverhandeln muss. Es ist erstaunlich, wie unbeirrt vielerorts an den Planungsprozessen festgehalten wird, die in ruhigen Märkten funktioniert haben. Die Energie konzentriert sich dann weiterhin «innen», sie fliesst zum Gehalt und beschäftigt sich mit allen möglichen Strategien der Manipulation. Das ist Energie, die das Unternehmen beim Kunden keinen Meter weiter bringt. Wer möchte, dass sich Mitarbeiter auf ihre Arbeit, den Kunden und sachgerechte (nicht notwendigerweise planungsgerechte) Entscheidungen konzentrieren, wird ein möglichst einfaches Entlöhnungssystem mit relativer Marktferne vorziehen. Will man zudem Aktionären mehr Kontrollrechte in der Salärpolitik einräumen, dürfen schon aus Gründen des Wettbewerbs keine detaillierten, strategiegebundenen Vergütungsformen veröffentlicht werden.

3. Entlöhnung als Teil der Führung

«Economy of Speed» gilt als die ökonomische Signatur der Gegenwart. Geschwindigkeit wird immer wichtiger für Innovation, Produktionszeiten, Logistik und Angebotserstellung. Im «time to market» ist das Problem angesprochen: Die Schnellen fressen die Langsamen. Die vorherrschende Managementpraxis hat aber mit der erhöhten Umgebungsgeschwindigkeit nicht Schritt gehalten. So wurde das Führungsinstrument der Zielvereinbarung zwar schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfunden, es gilt aber immer noch als zeitgemäss – obwohl seine Behäbigkeit unübersehbar ist. Denn schnell agiert ein Mitarbeiter nicht, wenn er vor dem Handeln zuerst durch seine Zielvereinbarungen blättert. Das wirft die grundsätzliche Frage auf: Wessen Verantwortung ist es, Prozesse der Leistungsentstehung zu steuern? Traditionellerweise wird der «automatischen» Einkommensdifferenzierung die Funktion der Leistungssteuerung – zumindest partiell – zugewiesen. Gerade die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass diese Steuerung nicht Aufgabe selbstregulierender Anreizsysteme sein kann. Hier sind Führungskräfte in der Verantwortung. Nur sie können auf Marktveränderungen schnell und situationsgerecht reagieren und den ursprünglichen Sinn von Zielvereinbarungen – Energien zu bündeln – wieder etablieren sowie den neuesten Erfordernissen anpassen. Es geht in einer Hochgeschwindigkeitswirtschaft mithin um die Wiedereinführung menschlicher Führung in die Organisation. Das Entlöhnungssystem muss das reflektieren.

4. Erfolgs- statt Leistungsorientierung

Die Rede von den «leistungsorientierten» Lohnsystemen soll Sachlichkeit, Planbarkeit und Wünschbarkeit einflüstern. Aber der Leistungsbegriff ist mehrdeutig. Ein Manager wird daher im Regelfall nicht für Leistung bezahlt, sondern für Erfolg, also für ein digitales «Erreicht / Nicht erreicht». In diesem Erfolg kann sich durchaus Leistung verbergen, aber jeder Realist weiss, dass Glück und Pech eine mindestens ebenso grosse Rolle spielen. Der Erfolg eines Unternehmens hängt jedenfalls von einer Reihe von Faktoren ab, die kaum – und auf keinen Fall vollständig – vom Management zu kontrollieren sind. Das ist nicht unwichtig, wird doch in naiven Kausalitätsschlüssen die direkte persönliche Zurechenbarkeit von Erfolg und Leistung unterstellt. Aber Managementleistung lässt sich weder empirisch messen noch sonstwie objektiv ermitteln. Damit lässt sich auch die Angemessenheit eines Gehalts nicht schlüssig belegen. Konsequent sollten wir nicht von «leistungsorientierten», sondern von «erfolgsorientierten» Lohnsystemen sprechen.

5. Bewerten statt messen

Die Bündelung operativer Indizes, die Suche nach Vergleichsmassstäben und Referenzrahmen führt oft zu bizarren Konstruktionen, die nur einem Ziel dienen: Sie sollen von Verantwortung entlasten. Genaugenommen dienen sie der Flucht aus einer zu verantwortenden Subjektivität in die Scheinobjektivität eines Systems. Je schärfer Zielvereinbarungen formuliert werden, desto stärker atmen sie lediglich den Geist des Belohnens und Bestrafens, statt den Prozess der Leistungsentstehung zu organisieren. Will man den Leistungsbegriff nicht wirklichkeitsfremd verengen und soll ein Gehaltssystem nicht nur Erfolg, sondern auch Leistung reflektieren, muss neben dem Messen das Bewerten stehen. Mit Blick auf die Zukunft ist das entscheidend: Je relevanter ein Kriterium für die Zukunftssicherung eines Unternehmens ist, desto weniger messbar ist es. So sind die Geschwindigkeitsvorteile, die sich aus einer Kultur des Vertrauens ergeben, zwar nicht messbar, aber bewertbar. Und wer die Zukunft sichert, indem er in die Entwicklung von Talenten investiert, reduziert zunächst die Profitabilität. Für das Bewerten aber braucht es wiederum Menschen, keine selbstregelnden Systeme.

6. Wer für Geld kommt, geht für Geld

Noch immer wird das Entlöhnungssystem kurzschlüssig Motivierungszwecken unterworfen. Doch die Stimme der Wissenschaft ist hier eindeutig: Es gibt keine einzige Studie weltweit, die eine dauerhafte Leistungssteigerung durch Anreizsysteme nachgewiesen hätte. Zudem gibt es keine einzige Untersuchung, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Bezahlung des Managements und der Performance des Unternehmens nahelegt. Das kann für den Praktiker nur bedeuten, die Gestaltungsbereiche «Geld» und «Motivation» möglichst zu entkoppeln.

Natürlich muss ein Gehaltssystem die Attraktivität eines Investitionsstandortes berücksichtigen. Wer unterhalb des Marktdurchschnitts zahlt, kann nicht ausschliessen, dass Mitarbeiter deswegen abwandern. Wer jedoch glaubt, Geld allein schiesse schon Tore, und daher mit hohen Entgelten winkt, wird vorrangig attraktiv für Einkommensmaximierer auf den Personalmärkten. Aber die Freude über deren Ankunft wird nicht lange währen: Wer für Geld kommt, geht für Geld.

7. Konsequenzen für die Brieftasche

Bekanntlich wird im Management das Entlöhnungssystem primär dafür eingesetzt, die Interessen der Eigentümer mit den Interessen der Manager zu verschränken. Das Motto dazu: «Tue dies, dann bekommst du das.» Das hat unbeabsichtigte Nebenwirkungen, denn der Mensch ist ein Freiheitswesen. Erscheint ihm eine Handlung vernünftig, wird er sie ausführen; erscheint sie ihm unvernünftig, unterlässt er sie. Finanzielle Anreize unterlaufen das an der Sache orientierte Nutzenkalkül und ersetzen es durch die Orientierung am fremd gesetzten Vorteil. Sie «verbiegen» das Handeln und drängen zu einem «unnatürlichen» Verhalten (moral hazard). Langfristig haben sie einen konditionierenden Effekt: Bei jeder Handlung werden die Konsequenzen in der eigenen Brieftasche kalkuliert. Schon bald konzentriert man sich nicht mehr auf «dies», sondern nur noch auf «das». Die psychologischen Folgen sind fatal: immer höhere Reizniveaus, Belohnungssucht, ein schlechtes Kooperationsklima sowie die Vernachlässigung langfristiger und qualitativer Dimensionen der Unternehmensführung. Insofern gibt es eben keine «richtigen» Anreize. Jeder Anreiz unterläuft die natürliche Rationalität des Handelnden und erzeugt Umgehungs- bzw. Ausbeutungsenergien. Das ist nicht zuletzt beobachtbar nach direkten staatlichen Eingriffen in die Entlöhnungspraxis der Unternehmen.

8. Lohnsysteme als intellektuelle Sünde

Ein allein auf Verhandlungen beruhendes Gehalt, das zumindest den Vorteil, in völliger Freiwilligkeit zustande gekommen zu sein, für sich veranschlagen könnte, ist im korporatistischen Klima unserer gesellschaftlichen Taxonomie selten. Jedes System aber – und damit auch jedes Entlöhnungssystem – ist eine intellektuelle Sünde. Man läuft einem unerreichbaren Ideal hinterher, wenn man Objektivität, Gerechtigkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit im Wortsinne und zu je gleichen Teilen systemisch realisieren will. Das heisst, es gibt kein System, das allem Erstrebenswerten gerecht würde und alle Kritikpunkte vermeidet. Wir haben es immer mit mehr oder weniger «schmutzigen» Mischsystemen zu tun, bei denen man sich je nach Wertmassstab lediglich fragen kann, ob die wichtigsten Wünschbarkeiten mehrheitlich abgebildet werden. Im Grunde geht es immer um eine Legierung aus methodischer Brauchbarkeit und Interessenausgleich.

9. Zeitgeistige Bonus-Malus-Modelle

Nachdem man allerorten die Kurzfristigkeit der Renditeerwartungen als eine Ursache der Finanzkrise identifiziert hat, bietet die Beratungsbranche nun «verbesserte», d. h. modisch der Krise angepasste Versionen an – mit langfristigen Anreizen, Plus- und Minuspunkten für bestimmte Leistungsaspekte bis hin zu Bonus-Malus-Modellen, bei denen der Bonus auf ein Bonuskonto eingezahlt und zum Teil erst erheblich später ausgezahlt wird. Diese Modelle sind wohl mehr dem inquisitorischen Zeitgeist verpflichtet als sachdienlich. Viele Vorschläge ignorieren nicht nur die Tatsache, dass Unternehmen eben keine Märkte sind (vgl. oben Punkt 1), sondern sie basieren mit der Drohung, dass negative Ergebnisse in den Folgejahren zur Nichtauszahlung der Boni führen, auf unterkomplexen Kausalitätsannahmen. Es handelt sich hier allenfalls um Arbeitsbeschaffungsprogramme für Rechtsanwälte und Gerichte. Die Bindung variabler Lohnteile an Konkurrenzvergleiche wird ebenfalls zu erheblichen Legitimitätsproblemen führen. Und grundsätzlich steht der institutionelle Zwang zur Quartalsberichterstattung in eigentümlicher Spannung zur allseits erhobenen Forderung nach Nachhaltigkeit. Alle Versuche aber, die variablen Einkommensbestandteile an die längerfristige Ertragslage des Unternehmens zu binden, um die Interessen des Managements mit jenen der Aktionäre zu synchronisieren, verkennen die Interessen der meisten Aktionäre: Auch sie wollen möglichst schnell hohe Renditen einstreichen.

10. Die Lohnpolitik ist nicht übertragbar

Die Wahl eines Entlöhnungssystems ist nicht zu entkoppeln von der gesamten Führungskultur im Unternehmen. Traditionen, bereits vorhandene Personalsysteme und der Reifegrad der Führungskräfte spielen eine grosse Rolle. Deshalb ist ein Entlöhnungssystem auch nicht einfach von einem Unternehmen auf das andere übertragbar. Ein Unternehmen mit einem stark Fixlohn-orientierten System wird zudem andere Menschen anziehen (und abstossen) als eines mit starken Anreizen. Das gilt ebenso für Aktionäre: Auch sie können mit ihrer Investitionsentscheidung ihre Sympathien ausdrücken. Wer als Aktionär sein Geld in Unternehmen mit einer stark anreizorientierten Lohnpolitik investiert, hat allerdings sein Recht auf Empörung verspielt, wenn es zu den zu erwartenden Korruptionseffekten kommt.

Die Leute fair zahlen und alles tun, damit sie das Geld vergessen

Grundsätzlich kann man also einfach den Markt spielen lassen. Eine Gehaltspolitik, die die obigen Überlegungen aufgreift und die grössten Kollateralschäden vermeiden will, sollte sich jedoch an dem Grundsatz ausrichten «Zahlen Sie Ihre Leute gut und fair – und dann tun Sie alles, damit sie das Geld vergessen». Die entsprechende Praxis könnte umrisshaft so aussehen: Ein hohes Fixgehalt, in das der Arbeitsplatz-Wert, der Arbeitsmarkt-Wert und die Seniorität einfliessen. Es ist vorteilhaft, auch die individuelle Leistung als viertes Element der Einkommensgerechtigkeit dem Fixgehalt zuzuschlagen. Die entsprechende Vergütung sollte aber einen breitgefächerten Leistungsbegriff abbilden und auf Bewertung, nicht (nur) Messung beruhen; sie ist daher an das Interpretationsmonopol der Führungskraft zu binden. Der individuelle Leistungslohn sollte insgesamt nicht höher als die anderen drei Teile sein. Dabei kann das totale Fixgehalt durchaus auch in schlechten Zeiten hoch sein. Grundsätzlich sollte es höher als die heutigen Grundlöhne sein, aber tiefer als die aktuellen Gesamteinkommen.

Zurückhaltung bei Boni

Zum Fixgehalt kann ein variabler Einkommensbestandteil (Bonus) kommen, der das Unternehmen als Leistungs- und Solidargemeinschaft reflektiert. Er ist in den meisten Unternehmen mit durchschnittlicher hierarchischer Einkommensspreizung entsprechend dem Fixgehalt zu staffeln. Insgesamt sollte er aber eher zurückhaltend gestaltet sein. Dieser variable Bonus-Bestandteil kann auch als Ventil für Krisenzeiten funktionieren. Damit wäre eine Partnerschaft im Plus und im Minus definiert, ohne dass das Unternehmerrisiko unangemessen auf die Mitarbeiter verlagert würde. Der Verrentung der Boni kann man mit einem einfachen Informationssystem entgegenwirken, das die Geschäftsentwicklung für jedermann nachvollziehbar macht.

Wenn Fehler zur Regel werden

In Abwandlung eines Satzes von Malraux kann man sagen: «Im Management ist es wie in der Grammatik – ein Fehler, den alle machen, wird schliesslich zur Regel.» Wer an der Regel der individualisierten Anreizsysteme festhält, ignoriert, worum es im Unternehmen eigentlich geht, nämlich um Zusammenarbeit zu niedrigen Transaktionskosten. Wem Anreize wichtig sind, der sollte sie da suchen, wo sie hingehören, auf den Märkten. Wer sein aussergewöhnliches Talent in verschiedenen Unternehmen und wiederholt bewiesen hat, wird sicher auch mit einem aussergewöhnlichen Einkommen rechnen können.

* Reinhard K. Sprenger ist Unternehmensberater und Autor von Management-Bestsellern. Zuletzt erschien «Gut aufgestellt – Fussballstrategien für Manager». Als Zeitarbeiter verantwortet er zudem die Management-Entwicklung des Personaldienstleisters Adecco.

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