Donnerstag, Januar 22, 2009

«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an

Tagesanzeiger Online
«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an
Von Mathias Morgenthaler. Aktualisiert am 21.01.2009

René Zeyer, Vertreter der Schweizer Lehman-Opfer, schiesst in seinem Buch mit schwerem Geschütz auf die Finanzbranche. Die Banker verfügten über ein minimes Fachwissen, hätten aber einen grossen Geltungsdrang.


René Zeyer (53) ist Inhaber der Firma Zeyer Kommunikation und Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer. Als langjähriger Berater in der Finanzbranche kennt er die Banken von innen. Zuvor arbeitete Zeyer als Journalist und Reporter für Publikationen wie «Stern», FAZ und «Schweizer Illustrierte». In den Neunzigerjahren berichtete er als Kuba-Korrespondent für die NZZ. (mmw)

Tagesanzeiger Online
«Gier und Verdummung»: Insider-Buch greift Schweizer Bankenbranche an
Von Mathias Morgenthaler. Aktualisiert am 21.01.2009

René Zeyer, Vertreter der Schweizer Lehman-Opfer, schiesst in seinem Buch mit schwerem Geschütz auf die Finanzbranche. Die Banker verfügten über ein minimes Fachwissen, hätten aber einen grossen Geltungsdrang.
Scharfe Kritik an Bankmanagern: René Zeyer.

René Zeyer (53) ist Inhaber der Firma Zeyer Kommunikation und Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer. Als langjähriger Berater in der Finanzbranche kennt er die Banken von innen. Zuvor arbeitete Zeyer als Journalist und Reporter für Publikationen wie «Stern», FAZ und «Schweizer Illustrierte». In den Neunzigerjahren berichtete er als Kuba-Korrespondent für die NZZ. (mmw)

Herr Zeyer, Sie haben in guten Jahren als Kommunikationsberater für Banken gearbeitet und legen jetzt, wo die Banken stark angeschlagen sind, ein Buch mit «Storys aus der Welt der Abzocker» vor. Haben Sie keine Skrupel?

Da bin ich genauso skrupellos wie die Banker selber und habe genauso wenig Mitleid mit den Banken wie diese mit ihren Opfern. Ich hielt es für wichtig, die Dunkelkammer hinter den schönen Holztüren etwas auszuleuchten. Bis heute sind viele mehr oder weniger gescheite Erklärungen für die Finanzkrise publiziert worden. Wie das berühmte Schweizer Private Banking in der Praxis aber konkret funktioniert, ist bisher meines Wissens nicht dargestellt worden.

Bei Ihrem Buch handelt es sich doch nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um eine böse Karikatur. Die Protagonisten feiern Trinkorgien mit russischen Anlegern, Sie mogeln Geld an den Steuerbehörden vorbei und beschäftigen sich tagelang mit der Frage, ob sie einen BMW oder Mercedes kaufen sollen.

Ich habe nicht genug Fantasie, um solche Geschichten zu erfinden. Alle Storys stammen aus dem wahren Leben der hiesigen Finanzdienstleister. Ich habe bloss Namen und Örtlichkeiten verfremdet. Das mag für viele überraschend sein, aber die Hauptaufgabe eines Private-Bankers in der Schweiz ist nicht, irgendwelche Anlagemodelle für seine Kunden zu berechnen oder tolle Strategien zu entwerfen. In erster Linie ist er ein PR-Mensch, der an noblen Anlässen gut betuchte Kundschaft umgarnt. Die entscheidende Kompetenz ist Eindrucksmanagement, nicht Sachverstand.

Von Finanzmärkten und -produkten verstehen die Private-Banker in der Regel nicht viel?

Nein, die meisten sind keine Wirtschaftsspezialisten, eher Juristen, Chemiker, Autoverkäufer, die Private-Banker geworden sind, weil sie einen anderen Beruf verfehlt haben und reich werden wollten. Entscheidend ist, dass jemand einen verbindlichen Umgangston hat und gerne an allen möglichen Partys rumsteht. So kommt der Private-Banker zu seiner Kundschaft. Es ist ja nicht so, dass die Kunden sich melden würden, weil einer besonders gute Beratung bietet, sondern der Banker organisiert teure Anlässe, wo er bestehende Kunden und deren Netzwerk einlädt, oder er besucht Events, wo sich die Reichen tummeln. Dort steckt er jenen, die 10 oder besser 50 Millionen Franken mitbringen, am Schluss seine Visitenkarte zu.

Damit sagen Sie auch: Nicht nur die Kunden haben oft keine Ahnung, was für Finanzprodukte in ihrem Depot liegen, sondern auch die Berater auf der Bank tappen da im Dunkeln?

Das Standardziel des Private-Bankers ist, die Vermögensverwaltungsvollmacht zu erhalten. Er teilt seine Kunden nach banalen Grundrastern in eine Risikotyp-Kategorie ein und verwaltet das Vermögen dann eigenmächtig. Solange es an den Börsen aufwärtsgeht, sind alle happy, der Banker kassiert seine Kommissionen, Kickbacks, Courtagen, Fees und wie diese Formen der Bereicherung auf Kosten des Kunden alle heissen, der Kunde erhält selber auch einen schönen Anteil am Kursgewinn. Wenns wirtschaftlich enger wird, verschlechtert sich das Verhältnis. Der Banker will nach wie vor Umsatz generieren, weil sein Bonus davon abhängt, der Kunde fährt nun happige Verluste ein und fragt sich, wofür der Berater eigentlich seine Kommissionen kassiert.

Im Verlagstext zu Ihrem Buch steht, die Vorurteile gegenüber der Branche würden von der Realität noch übertroffen. Inwiefern sind die Banker schlimmer als ihr Ruf?

Schockierend ist nebst dem minimen Fachwissen der Realitätsverlust. Private-Banker kommen inklusive Bonus in der Regel auf ein Einkommen von 400'000 bis 600'000 Franken; da sie zusätzlich auf Kosten der Bank mit Geld um sich werfen können, führen sie das Leben eines Multimillionärs. Sie beschäftigen Fashion-Consultants, Innenarchitekten, Haushälterinnen, Wellness-Berater und Personal Trainer, fahren zum «White Turf» nach St. Moritz und fliegen auf die Seychellen in den Urlaub. Und manche bringen Tage damit zu, im März, nach Bekanntgabe der Boni, den Kauf des neuen Autos sorgfältig zu evaluieren.

Jetzt übertreiben Sie wieder.

Keineswegs, das ist durchaus matchentscheidend für die Karriere eines Private-Bankers. Wichtig ist, die Gratwanderung zwischen Statusansprüchen und innenpolitischer Korrektheit zu meistern. Wenn Ihr Chef etwas altmodisch ist und noch Mercedes fährt, kaufen Sie besser nicht einen Aston Martin oder Bentley. Lamborghini oder Maserati sind ohnehin tabu. Meistens liegen nur Mercedes und BMW drin, farblich irgendwo zwischen grau, dunkelgrau und schwarz.

Spielt da Neid mit, oder was war Ihr Antrieb, dieses Buch zu schreiben und damit lukrative Beratungsmandate aufs Spiel zu setzen?

Ich wollte das Buch ursprünglich unter einem Pseudonym veröffentlichen. Dann zog die Geschichte mit Schweizer Lehman-Opfern immer weitere Kreise; es zeigte sich, dass viele Kleinkunden einen Grossteil ihres Vermögens oder ihrer Altersvorsorge verloren hatten, weil ihr Bankberater sie dazu verleitet hatte, alles auf eine Karte zu setzen und hoch spekulative Produkte zu erwerben. Nachdem ich mich entschieden hatte, mich als Sprecher der Schutzgemeinschaft der Lehman-Anlageopfer zur Verfügung zu stellen, war mir klar, dass ich auch als Buchautor meinen Kopf hinhalten musste.

Stimmt es, dass manche Banken ihren Angestellten verboten haben, in den USA Urlaub zu machen?

Ja, eine der beiden Schweizer Grossbanken hat den Befehl herausgegeben, dass alle Dienstreisen ihrer Mitarbeiter vorgängig genehmigt werden müssen und dass Privatreisen in die USA einstweilen untersagt sind. Wer schon Ferien gebucht hatte, musste stornieren.

Sie schiessen mit schwerem Geschütz auf die Bankbranche. Was war eigentlich Ihre Motivation, just in dieser Branche Kommunikationsmandate zu übernehmen?

Es gibt ja nicht nur die Abzocker, sondern auch eine Reihe ehrenwerter Privatbankiers. Viele junge Banker tragen Grundwerte wie Vertrauen, Seriosität und Tradition aber nur noch als Köder vor sich her. Das primäre Ziel ist, den Bonus von Jahr zu Jahr zu verdoppeln. Natürlich trifft man diese Gier auch bei der Kundschaft an. Speziell Neureiche sind oft masslos; erzielen sie in einem Jahr 15 Prozent Rendite, müssen es im nächsten Jahr 20 Prozent sein. Diese Leute vergessen, dass ein Profit von 5 Prozent ziemlich gut ist – diese Faustregel ist seit Menschengedenken gültig. Wer mehr anpeilt, bewegt sich irgendwo zwischen Casino und Lotterie.

Und die Banken haben diese Erwartungshaltung gefördert?

Sie suggerierten , dass man risikolos 10, 15 oder 20 Prozent erzielen kann. Schauen wir den Fall des Betrügers Madoff an: Da fielen Tausende von seriösen Analysten auf ein primitives Schneeball-System herein. Fachidioten wissen so viel, dass sie vergessen, banale Fragen zu stellen wie: «11 Prozent jedes Jahr – wie macht der das eigentlich?» Wenn wir vor 20 Jahren einen Anruf von den Cayman-Inseln mit einem solchen Angebot erhalten hätten, hätten wir lachend aufgelegt. Heute ist die Finanzwelt derart vernetzt, dass uns unsere angeblich seriöse 250-jährige Traditionsbank solche Produkte anbietet.

Aus Naivität oder mit böser Absicht?

Es ist eine Mischung aus Gier und Branchenverdummung. Das unsägliche «Financial Engineering» hat die Produkte so kompliziert gemacht, dass selbst die Finanzanalysten nicht mehr durchblicken. Fragen Sie mal Ihren Berater, wie ein Hedge-Fonds genau funktioniert. Er wird Ihnen erklären, dass man unabhängig von der Entwicklung an den Börsen immer Gewinn macht, weil man gleichzeitig auf fallende und steigende Kurse setzt. Leuchtet Ihnen das ein? Mir nicht. Und wir sollten nicht glauben, die Banken hätten aus Gedankenlosigkeit so komplizierte Modelle entworfen, da steckt klar kriminelle Absicht der Investment-Banker dahinter. Je komplexer ein Produkt ist, desto mehr verdient die Bank damit, so einfach ist das. Wenn man die allein im US-Hypothekarsektor angefallenen Kommissionen, Spesen, Kickbacks und Boni zusammenrechnet, kommt man auf einen Diebstahl von rund 1000 Milliarden Dollar. Die Zeiten, als in den Banken die Gangster vor den Schaltern standen, sind vorbei.

Wie haben Sie Ihr Geld angelegt?

Ich habe von Warren Buffett gelernt, dass man nur in Geschäftsmodelle investieren sollte, die man selber versteht. Darum habe ich mein Geld auf Sparbüchern und in Kassenobligationen angelegt. Auch das war in den letzten Jahren kein Vergnügen. Die tiefen Leitzinsen waren für die Banken ein schlagendes Argument. Jeder Berater konnte seinem Kunden aufzeigen, dass er mit dem Sparbuch unter dem Strich rückwärtsmacht. Auf diesem Nährboden konnten all die zweifelhaften Finanzinstrumente gedeihen.

Wird die Bankbranche nach der Zäsur vernünftiger geschäften?

Nein. Wenn die Weltwirtschaft diesen Schock überlebt – was ich keineswegs für sicher halte –, dann wird es spätestens in fünf Jahren, nach einer angemessenen Schampause, weitergehen wie vorher.

Was müsste sich ändern?

Ich sehe mich eher als Diagnostiker denn als Therapeuten. Klar ist, dass es für Privatpersonen sinnvoll ist, nur in Sachen zu investieren, die sie thematisch oder geografisch überblicken können. Wenn man nicht aufpasst, wird man heute im Handumdrehen Mitbesitzer einer dubiosen Anlagefirma auf den Cayman-Inseln. Dass die persönliche Geldgier die treibende Kraft in der Bankenwelt ist, daran wird sich nichts ändern. Man könnte die Auswirkungen eindämmen, wenn man aufhören würde, Manager an Quartalszahlen zu messen. Einen solchen Blödsinn hätte man noch vor 20 Jahren für unmöglich gehalten.

Wie hat sich das Klima in den Banken im letzten Jahr verändert?

Die Stimmung ist unterirdisch. Stellen Sie sich vor: Sie haben als Berater 30 Prozent des Vermögens Ihrer schwerreichen Kunden in den Sand gesetzt und sollten nun diesen Leuten neue Produkte verkaufen, um auf ihren Bonus zu kommen. Da wundert man sich nicht, dass manche Banker nur noch mit Kokain, Antidepressiva und Ritalin über die Runden kommen. Und dass eine der Grossbanken der Krise damit zu begegnen versucht, dass sie ihre Angestellten anweist, nicht zu oft mit dem Handy zu telefonieren und keine Farbkopien mehr zu machen, sagt alles über die Ratlosigkeit. Einzelne Riesen, die jetzt noch als tönerne Kolosse dastehen, werden zu Zwergen werden. Ich halte das für eine gesunde Entwicklung. Dass der bonusgetriebene Kleinberater sich demnächst auf der Strasse wiederfinden wird, hat er sich redlich verdient.

Bei der UBS wurde ein Grossteil des Schadens von einem kleinen Team im Investmentgeschäft in den USA erzielt. Dann kann der Kundenberater in Bern wenig dafür.

Ja, er ist in gewisser Weise ein Systemopfer, weil er sich brav an seine Umsatzvorgaben gehalten und Produkte verkauft hat. Man darf das aber nicht als Ausrede gelten lassen. Jeder Staubsaugerverkäufer, der einem Kunden drei Jahre Garantie verspricht, kriegt ein Problem, wenn der Staubsauger nach einem Jahr kaputt geht und er sich nicht an das Garantieversprechen erinnert. Warum soll das für die Berater nicht gelten, welche ihren Kunden sogenannt sichere Produkte empfahlen, die sich im Nachhinein als Schrott erwiesen? Da sind wir wieder bei den Wissenslücken. 90 Prozent der Bankberater sind PR-Menschen, die vom Backoffice mit schönen Broschüren ausgestattet werden.

Die UBS hat in den letzten Wochen ihr Image aufzupolieren versucht, indem sie Kunden in halbseitigen Inseraten Gutes über die Bank hat sagen lassen. Was halten Sie davon?

Das ist ein Desaster. Wenn eine Schweizer Grossbank eine Kampagne machen muss, um zu betonen, was absolut selbstverständlich sein sollte, ist der Tiefpunkt erreicht. Das ist ungefähr so, wie wenn die Migros plötzlich damit werben würde, dass sie ihren Kunden in der Regel keine verdorbenen Produkte verkauft. Der UBS muss man zugutehalten, dass sie sich immerhin bei ihren Kunden auf dem Postweg entschuldigt hat. Selbstkritik ist in der Branche noch nicht sehr stark entwickelt – sie wäre aber durchaus angezeigt, wenn man sich vor Augen führt, dass die Kollateralschäden der Finanzkrise einen Umfang von mehr als 10 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts angenommen haben.

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