1. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Rauchen schädigt auch das Ohr
Eine Untersuchung zu einer wenig bekannten Auswirkung der Nikotinsucht
Rauchen ist nicht nur der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs, sondern führt neben anderem auch im Ohr zu unerwünschten Veränderungen. Dies zeigt eine Studie, bei der Ohr-Operationen untersucht wurden. Raucher schnitten dabei schlechter ab als Nichtraucher.
Ronald D. Gerste
Der Einfluss von Zigarettenrauch auf die Schleimhaut...
1. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Rauchen schädigt auch das Ohr
Eine Untersuchung zu einer wenig bekannten Auswirkung der Nikotinsucht
Rauchen ist nicht nur der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs, sondern führt neben anderem auch im Ohr zu unerwünschten Veränderungen. Dies zeigt eine Studie, bei der Ohr-Operationen untersucht wurden. Raucher schnitten dabei schlechter ab als Nichtraucher.
Ronald D. Gerste
Der Einfluss von Zigarettenrauch auf die Schleimhaut des Mittel- und Innenohrs ist ähnlich dem an den Bronchien, wie mehrere Untersuchungen gezeigt haben. Tabakrauch kann an beiden Orten die Zellen zur Absonderung von verändertem, schwer abtransportierbarem Sekret bringen, was zu einer Verstopfung der «Tuba Eustachii» führen kann. Diese rund 35 Millimeter lange feine Röhre stellt die Verbindung zwischen dem Hörorgan und dem Rachenraum dar, durch den der Rauch inhaliert wird. Die im Zigarettenrauch enthaltenen Substanzen wie Formaldehyd, Blausäure, Acrolein, Acetaldehyd und Phenole beeinträchtigen zudem die kleinen Flimmerhärchen auf den Schleimhautzellen. Dies behindert den für die Säuberung wichtigen Materialtransport zwischen Ohr und Rachen zusätzlich. Darüber hinaus schädigt der Zigarettenrauch noch eine weitere Funktion gesunder Zellen: ihre Fähigkeit, eingedrungene Mikroorganismen durch Einverleibung unschädlich zu machen. Dies fördert das Bakterienwachstum und damit die Entstehung von Infektionen im Ohr.
Hypothese bestätigt
Es erstaunt daher nicht, dass in Fachkreisen schon länger die Hypothese kursiert, wonach Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern schwerwiegendere Krankheiten im Hörorgan aufweisen und operative Eingriffe am Ohr bei ihnen zu schlechteren Ergebnissen führen. Eine Arbeitsgruppe aus mehreren amerikanischen Hals-Nasen-Ohren-Kliniken hat diese Annahme nun in einer grossen retrospektiven Untersuchung bestätigt.¹ Wie die Wissenschafter unter der Leitung von David M. Kaylie von der Duke University in North Carolina schreiben, handelt es sich dabei um den ersten derartigen Vergleich zwischen Rauchern, Nichtrauchern und ehemaligen Rauchern. Ausgewertet haben die Forscher 1531 Mittelohr-Operationen an 1183 Patienten, die über einen Zeitraum von fast 15 Jahren an den beteiligten Kliniken durchgeführt worden waren; 12 Monate war dabei das Minimum an Nachbeobachtungszeit.
Die Probanden – annähernd gleich viele Männer wie Frauen – waren im Schnitt 34 Jahre alt. Das Krankheitsbild, das zur Operation am Ohr geführt hatte, war durch alle Gruppen hindurch mit rund 70 Prozent am häufigsten eine Perforation des Trommelfells. Sogenannte Cholesteatome jedoch, eine Horngeschwulst im Mittelohr, die häufig chronisch-eitrige Entzündungen nach sich ziehen und operativ schwierig zu behandeln sind, waren bei den Rauchern mit 23 Prozent und ehemaligen Rauchern mit 21 Prozent signifikant häufiger als bei den Nichtrauchern (16 Prozent). Ausfluss aus dem Ohr war ebenfalls bei Rauchern und Ex-Rauchern mit 29 beziehungsweise 30 Prozent häufiger als bei Nichtrauchern (24 Prozent).
Das oft schwerere Krankheitsbild bei Rauchern führte dazu, dass diese nicht selten einen umfassenderen chirurgischen Eingriff benötigten. So war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit für eine Rekonstruktion der Gehörknöchelchen erhöht, wie Kaylie und seine Kollegen schreiben. Dies sei unabhängig davon gewesen, ob eine operative Ausräumung des Warzenfortsatzes am Schläfenbein (Mastoidektomie) oder nur eine Rekonstruktion des Trommelfells (Tympanoplastik) habe vorgenommen werden müssen. Ausserdem sei in der Studie die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Eingriffs bei den Rauchern deutlich höher gewesen als bei den Nichtrauchern.
Auch bei den postoperativ durchgeführten Hörtests – von der Reintonaudiometrie in Luft- und Knochenleitung bis zur Hörweitenprüfung und zum Sprachverstehen – schnitten die Raucher schlechter ab. Ferner erlitten sie auch häufiger Komplikationen wie die Bildung von Fisteln oder die Abstossung des Transplantats nach einer Trommelfellrekonstruktion. Dies wird im Zusammenhang mit Wundheilungsstörungen gesehen, die durch die im Zigarettenrauch enthaltenen Schadstoffe begünstigt werden.
Erholung nach dem Rauchstopp
Was die Studie ebenfalls zeigt: Auch für das Hörorgan bringt ein Rauchstopp relativ rasch Verbesserungen. So hatten diejenigen Studienteilnehmer, deren letzte Zigarette mindestens fünf Jahre zurücklag, keine schwereren Erkrankungen im Mittel- oder Innenohr als Nichtraucher. Auch die Erfolgsaussichten bei einer Operation am Ohr waren bei ihnen nicht schlechter. Ähnliche prognostische Verbesserungen bringt der langfristige Verzicht auf das Rauchen auch für andere Organe. So sinkt etwa das Sterberisiko infolge eines Herzinfarkts in den ersten zwei Jahren nach dem Aufhören um 50 Prozent. Weniger schnell geht es beim Lungenkrebs. Bei einem jahrelangen starken Raucher verharrt das Erkrankungsrisiko auch nach dem Aufhören noch während vier Jahren auf einem knapp 20-fach erhöhten Niveau, bevor es langsam zu sinken beginnt. Nach zwanzig Jahren Abstinenz ist das Lungenkrebsrisiko noch doppelt so hoch wie bei jemandem, der nie geraucht hat.
¹ Laryngoscope 119, 1384–1390 (2009).
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