Dienstag, Juni 30, 2009

TA: Rudolf Strahm - Die Schmiergeldkultur der Banken

Die Schmiergeldkultur der Banken
Von Rudolf Strahm.
www.rudolfstrahm.ch
Rudolf Strahm war vier Jahre lang Preisüberwacher.

Den Geschäftsleuten ist es klar, Bürgerinnen und Bürgern auch. In Bern gehen den Verantwortlichen mit der üblichen Verzögerung allmählich auch die Augen auf: Im Geschäftsleben herrschen zwei ganz unterschiedliche Kulturen, nämlich eine Garantiekultur in der Realwirtschaft und eine Täuschungskultur im Finanzmarkt.

In der Realwirtschaft sind die Geschäftsregeln streng geworden: Wenn ein verkaufter Artikel mangelhaft ist, wird er ausgetauscht oder als Garantieleistung repariert. Viele Anbieter haben die Garantiedauer von 1 auf 2 Jahre ausgedehnt und sichern dem Kunden eine mehrjährige Ersatzteilgarantie zu. Im Detailhandel ist....


Die Schmiergeldkultur der Banken
Von Rudolf Strahm.
www.rudolfstrahm.ch
Rudolf Strahm war vier Jahre lang Preisüberwacher.

Den Geschäftsleuten ist es klar, Bürgerinnen und Bürgern auch. In Bern gehen den Verantwortlichen mit der üblichen Verzögerung allmählich auch die Augen auf: Im Geschäftsleben herrschen zwei ganz unterschiedliche Kulturen, nämlich eine Garantiekultur in der Realwirtschaft und eine Täuschungskultur im Finanzmarkt.

In der Realwirtschaft sind die Geschäftsregeln streng geworden: Wenn ein verkaufter Artikel mangelhaft ist, wird er ausgetauscht oder als Garantieleistung repariert. Viele Anbieter haben die Garantiedauer von 1 auf 2 Jahre ausgedehnt und sichern dem Kunden eine mehrjährige Ersatzteilgarantie zu. Im Detailhandel ist eine transparente Deklaration der Herkunft, der Zusatzstoffe, der Ablauffristen vorgeschrieben. Wenn in den Gestellen von Migros oder Coop ein Paket Haferflocken mit Maden oder eine Packung mit zerquetschten Hörnli auftauchen, ist dies bereits ein Reputationsrisiko. Wenn ein Kunde reklamiert, wird ihm anstandslos Ersatz geleistet.

Wenn Maschinen exportiert werden, garantiert der Exporteur die Installation vor Ort. Wenn Schäden entstehen, übernimmt er die Haftung. Bei Pannen schickt er den Monteur ins Ausland. Der Wettbewerb zwingt ihn zur Kundenorientierung und zur Pflege seiner Reputation. Selbst Schmiergeldzahlungen stehen dank Transparency International immer stärker unter Beobachtung.

Die Finanzmärkte sind anders. Seit den Neunzigerjahren haben sie eine Täuschungskultur entwickelt, die darauf abzielt, die Risiken und die Haftung voll auf den Kunden zu überwälzen. Man analysiere einmal die Begriffe in der Banken- und Finanzszene: Die «innovativen Finanzinstrumente» haben keinen andern Zweck, als die Anleger zu täuschen. Die Grossbanken köderten die Kunden mit «Capital Return Funds», mit «Kapitalschutzprodukten» also, die versprachen, man würde schlimmstenfalls den Zins aber nie das Kapital verlieren. Jetzt wissen wir, dass solche Anlagen bei den inzwischen geschlossenen Fonds den Kunden und Pensionskassen Verluste von 30 bis 40 Prozent brachten. Oder man sprach von «Securitization» («Sichermachen», Verbriefen), aber der Kunde erhielt nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Kursrisiken. Oder man editierte «innovative Produkte» mit dem klingenden Namen «Collateralized Debt Obligation», was übersetzt so viel wie «Verbund-Schuld-Obligation» heisst und eine Risikostreuung und eine höhere Sicherheit vortäuscht. Diese Obligationen waren mit Ramsch-Aktien unterlegt, deren Herkunft und Zusammensetzung verschleiert werden sollten. Die Liste der Verschleierungstricks liesse sich beliebig verlängern.

Die absolute Fehlentwicklung erleben wir bei den Kickbacks, Retrozessionen und Provisionen, welche die Anlageberater und die Vermögensverwalter von den Banken und Fonds heimlich erhalten. Kickbacks verführen zu höherem Risiko bei Vermögensanlagen, und der Anleger weiss oft nichts davon. Während im normalen Geschäftsleben Artikel 400 des Obligationenrechts gilt, wonach der Beauftragte jederzeit seine Einnahmen aus dem Mandat offenlegen und dem Kunden gutschreiben muss, werden bei den Banken und Vermögensverwaltern weiterhin Kickbacks ohne Offenlegung ausbezahlt. Die Finma hat mit ihrer Richtlinie vom Januar 2009 diese OR-Bestimmung ausgehebelt, indem sie gleich fünf Ausnahmemöglichkeiten einbaute.

Die gesamte Summe wird auf 5 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. Die Finma beziffert sie auf 3,5 Milliarden Franken, was auch so enorm hoch ist und jedenfalls alle auf dem Finanzplatz Schweiz gesamthaft bezahlten Boni an Kader und Manager übertrifft. Bei einem Test von 18 Banken in der Schweiz durch das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» haben praktisch alle getesteten Banken die Transparenzanforderungen bezüglich der Kickbacks nicht erfüllt. Sechs Banken haben dem beauftragten Anlageprofi sogar eine Beteiligung oder die diskrete Teilung der Retrozessionen angeboten. (Der Schreibende ist Mitglied der Jury dieses Anlagetests.) Man kann solche Praktiken nicht anders als eine «Schmiergeld»-Kultur bezeichnen, abgesegnet von der Finanzmarktaufsicht, deren Präsident in seinem Verständnis von Geschäftskultur kein Unrechtsbewusstsein plagt. Für ihn sind solche Provisionen Dienstleistungsentgelte.

Manche Akteure möchten nach dem Ende der Finanzkrise möglichst rasch die «Reset»-Taste drücken und dorthin zurückkehren, wo man vor dem Absturz gestanden ist. Doch es darf kein «Reset» geben. Bei der Kickback-Praxis sind Regeln des Gesetzgebers nötig, da die in Bankinteressen befangene Finma nicht Ordnung ins Geschäftsleben zu bringen vermag. Es braucht mehr anonyme Bankentests, ähnlich wie die Warentests beim Detailhandel. Es braucht Spielregeln zu den Boni als Damm gegen die psychopathologischen Verirrungen in Gier und Macht. Und es braucht mehr Mut der Wirtschaftspresse, gegenüber der Finanzwelt jene Kundenkultur durchzusetzen, die in der Realwirtschaft gilt, nämlich Redlichkeit, Garantiepflicht und Realitätsbezug. Ohne die Berichterstattung dieser Zeitung über die Lehman-Anlageopfer und deren schnöde Behandlung hätte sich die CS nie zu einer Teilentschädigung der Geschädigten herabgelassen.

Markus Hutter, der neu gewählte FDP-Vizepräsident, ein Unternehmer aus der Realwirtschaft, hat vor drei Tagen in dieser Zeitung die Misere recht mutig offen beim Namen genannt: «Das Verhältnis zwischen Werk- und Finanzplatz stimmt nicht mehr, da braucht es Korrekturen.» Wir warten gerne auf die Korrekturen aus Bern. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 29.06.2009, 23:08 Uhr

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