NZZ Online: 16.06.2009
«Die Iraner brauchen einen Führer»
Arnold Hottinger über die äusserst fragile Lage in Iran
Für eine Öffnung in Iran ist es noch zu früh, sagt der frühere Nahostkorrespondent der NZZ. Im Gespräch erläutert er, weshalb die Iraner einen Führer brauchen und weshalb der unterlegene Kandidat Moussavi nicht das Zeug dafür hat.
Der Wächterrat hat den Wahlsieg Ahmadinejads nur wenige Stunden nach Urnenschluss veröffentlicht. Ist das in einem Staat mit über 60 Millionen Einwohnern überhaupt möglich?
16. Juni 2009, 16:36, NZZ Online
«Die Iraner brauchen einen Führer»
Arnold Hottinger über die äusserst fragile Lage in Iran
Für eine Öffnung in Iran ist es noch zu früh, sagt der frühere Nahostkorrespondent der NZZ. Im Gespräch erläutert er, weshalb die Iraner einen Führer brauchen und weshalb der unterlegene Kandidat Moussavi nicht das Zeug dafür hat.
Der Wächterrat hat den Wahlsieg Ahmadinejads nur wenige Stunden nach Urnenschluss veröffentlicht. Ist das in einem Staat mit über 60 Millionen Einwohnern überhaupt möglich?
Die ganze Auszählung war höchst verdächtig. Man hat auch den Eindruck, es ist etwas geregelt worden. Nicht nur, dass es so schnell ging, sondern auch, dass die Resultate überall gleich sind. Ich kann mir beispielsweise nicht erklären, wie Kandidat Rezai bloss ein Prozent der Stimmen erhalten konnte. Der gleiche Kandidat kam bei früheren Wahlen immerhin auf 17 Prozent.
Warum sind bis heute keine Wahlresultate aus den Bezirken und Städten veröffentlicht worden?
Eben, die ganze Geschichte ist zweifellos überhastet gemacht worden. Und das muss einen Grund haben. Offenbar wurde ein Befehl gegeben, ein bestimmtes Resultat zu erreichen.
Was könnte denn dieser Grund gewesen sein?
Die Revolutionswächter hören auf Khamenei. Und Khamenei wollte offensichtlich Ahmadinejad noch einmal haben. Das ist keine Frage. Er hat sich schon im Vorfeld der Wahlen deutlich für Ahmadinejad geäussert. Warum er ihn nochmals wollte, ist wahrscheinlich innenpolitischer Natur. Er hat Angst vor Lockerungen des politischen Systems. Moussavi ist zwar kein eigentlicher Reformer. Aber er wäre eben doch eine Art Alternative zu Ahamdinejad gewesen. Und all diese Leute, die eine Alternative wollten, haben sich hinter Moussavi gestellt. Das genügte schon, um Khamenei Angst einzujagen. Man muss bedenken, dass die Studentenunruhen von 1999 ein schwerer Schlag gegen das Regime waren. Da hat es mal richtig gewackelt. Und zwar viel mehr, als es im Ausland wahrgenommen wurde. Das Regime hat danach beschlossen, dass es nie mehr soweit kommen dürfe. Denn jede Öffnung würde gleich weiter ausgehöhlt.
Es ist ja kein Geheimnis, dass Moussavi kein richtiger Reformer ist. Er hatte während seiner Zeit als Ministerpräsident mehrere umstrittene Gesetze verabschiedet.
Es gibt aber sehr viele Politiker des zweiten und dritten Rangs, die damals noch ungeheuer gläubige Revolutionäre waren. Doch haben sie in der Zwischenzeit ihre Haltung revidiert. Der bekannteste unter ihnen ist zweifellos Ayatollah
Muntazeri, einst Stellvertreter Khomeinis, der heute ein klarer Opponent des Systems ist und daher völlig isoliert lebt. Auch er war damals ein Mitläufer, der das tat, was Khamenei wollte. Moussavi hatte aber stets eine Linkstendenz, auch als Ministerpräsident. Er wird auch erkannt haben, dass es ein Mitspracherechts des Volks braucht.
Ali Khamenei hat die Überprüfung des Wahlresultats angeordnet. Was bedeutet die konkret?
Ich fürchte, das ist bloss ein taktisches Manöver. Denn der Wächterrat, der die Überprüfung nun durchführen muss, wird von Khamenei an der kurzen Leine geführt. Das ganze dient bloss zur Beruhigung der Leute, nach dem Motto: «Wenn ihr alle reklamiert, dann leiten wir eine Untersuchung ein.» Mit dem Resultat, dass es dann heisst, alles sei in Ordnung gewesen. Das ist aber eine persönliche Einschätzung. Ob es tatsächlich so herauskommt, weiss ich nicht.
Wird es den geistlichen Führern gelingen, die Proteste gegen das Regime einzudämmen?
Das halte ich für wahrscheinlich, weil die Revolutionswächter alles daran setzen werden, dass Ruhe einkehrt. Ihre Macht im Staate kommt einem Imperium gleich. Sie bilden eine aufsteigende Linie im politischen System. Sie sind nicht bloss eine militärisch-politische Macht, sondern bauen auch an einem wirtschaftlichen Sonderimperium. Die Front heisst Khamenei plus Revolutionswächter gegen die politischen Ayatollahs, die einsehen, dass es mit Ahmedinejad kein Weiterkommen gibt. Es wird aber eine gewaltsame Ruhe sein, die den Leuten aufgedrängt wird.
Gibt es Parallelen zur Islamischen Revolution von 1979?
Der grosse Unterschied zu 1979 besteht darin, dass es heute keinen Führer gibt. Moussavi ist ein Anlass gewesen, sich Gehör zu verschaffen. Aber er ist zweifellos nicht der begeisternde Führer, wie es damals Khomeini gewesen ist. Die Revolutionswächter und Khamenei wissen sehr genau, dass sie einen potenziellen Führer vermeiden müssen. Wo immer sich einer zeigt, der zum Führer oder zum Sprecher einer ganzen Bevölkerungsgruppe werden könnte, wird er sofort eingesperrt.
Haben die jungen Iranerinnen und Iraner nicht genug von diesem totalitären Regime?
Man hat zweifellos gesehen, dass die junge Generation genug davon hat. Jene Leute, die das nicht mehr wollen, sind diese, die sich hinter Moussavi gestellt haben. Aber ob sie damit durchkommen, ist die grosse Frage. Sie brauchen einen Chef, einen Führer, der sie begeistert und hinter den sie sich aufreihen können. Als Khomeini frisch an der Macht war, fragte ich einen persischen Archäologen: «Jetzt habt ihr doch gerade erst den Schah vertrieben, und schon schafft ihr euch mit Khomeini einen neuen Führer.» So seien die Perser halt, lautete seine Antwort kurz und knapp. Das ist in der Tradition des Landes. Aber bei Moussavi sind solche Führertendenzen nicht auszumachen. Diesen Gefahren möchte er sich kaum aussetzen.
Dann ist das erst der Beginn eines Wandels, der Zeit braucht...
Manche sagen, es gebe immer noch viele Leute, die den Wandel von 1979 erlebt haben zu Skeptikern wurden. Sie sagen, sie wollen nicht noch eine weitere Revolution. Erst wenn die junge Generation zu jener wird, die in der Mehrzahl ist und die die Revolution Geschichte ist, dann kann ein neuer Schub eintreten. Zentral dabei bleibt, wie schnell sich ein neuer Führer findet. Anders ist es, wenn Khamenei stirbt. Er ist auf Lebzeiten Irans Oberhaupt. Der Kampf um seine Nachfolge könnte dannmal eine Öffnung mit sich bringen. Doch wir müssen uns auf einen langen und sehr komplexen Prozess einstellen.
Das Gespräch mit Arnold Hottinger führte Andrea Hohendahl.
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