Montag, Juni 22, 2009

NZZ Folio: Männer und Frauen - Das Experiment - Eine genetische Vorliebe für Polizeiautos

NZZ Folio 10/08 - Das Experiment - Eine genetische Vorliebe für Polizeiautos

Welche Eigenschaft macht das Spielzeugauto für männliche Affen so anziehend?

1992 testete die Psychologin Melissa Hines die Neigung männlicher und weiblicher Affen, mit Puppen, Bällen und Spielzeugautos zu spielen. Das Resultat: Affen spielen politisch nicht korrekt.

Von Reto U. Schneider

Vor jedem Geburtstag stehen aufgeschlossene Eltern vor demselben Problem: Sollen sie ihrem Sohn....



NZZ Folio 10/08 - Das Experiment - Eine genetische Vorliebe für Polizeiautos

Welche Eigenschaft macht das Spielzeugauto für männliche Affen so anziehend?

1992 testete die Psychologin Melissa Hines die Neigung männlicher und weiblicher Affen, mit Puppen, Bällen und Spielzeugautos zu spielen. Das Resultat: Affen spielen politisch nicht korrekt.

Von Reto U. Schneider


Vor jedem Geburtstag stehen aufgeschlossene Eltern vor demselben Problem: Sollen sie ihrem Sohn den Betonmischer mit Profilreifen, Wassertank und Auslaufblechen kaufen, obwohl er eben erst den Kippsattelzug mit Zwillingsbereifung bekommen hat? Wäre es nicht an der Zeit, seine Fürsorge weg vom Hubstapler in Richtung Puppe zu lenken? Und das Mädchen? Sollte man ihm nicht den «Bob der Baumann»-Werkzeugkasten beliebt machen statt das dritte Fashion-Fever-Abendkleid für Barbie?

Wenig ist in einem Kinderleben so stabil wie die Vorlieben der Geschlechter für bestimmte Spielsachen. Lange Zeit vermutete man dahinter ausschliesslich die Sozialisation. Knaben imitieren Männer, Mädchen Frauen, die Werbung tut den Rest, so dass kein Knabe in der Nähe eines rosaroten Plüschponys gesehen werden will. Doch kann das die ganze Erklärung sein? Die Psychologin Melissa Hines zweifelte daran.

Als sie in den 1990er Jahren an der University of California in Los Angeles tätig war, zeigten Hines Studien, dass Mädchen, die wegen einer Störung vor der Geburt zu viel des männlichen Sexualhormons Testosteron produziert hatten, später eine Vorliebe für Heliko­­pter und Feuerwehrautos entwickelten.

Doch gegen die Idee, Spielzeugvorlieben bei Kindern könnten auch hormonell bedingt sein, erwuchs erheblicher Widerstand. Einerseits war unklar, warum diese Vorlieben hätten angeboren sein sollen, andererseits war die Sache politisch: Viele Frauen unterstrichen die Forderung nach Gleichberechtigung mit dem Argument, typisch männliche oder weibliche Verhaltensweisen seien ausschliesslich das Resultat gesellschaftlicher Einflüsse. Da wäre es politisch äusserst unkorrekt gewesen, wenn sich Frauen schon als kleine Mädchen genetisch zum Kochherd hingezogen gefühlt hätten.

Es war Hines Kollegin Margaret Kemeny, die sie auf die entscheidende Idee brachte, wie sich die Sache klären liesse: Warum die Vorlieben für Spielzeug nicht dort messen, wo jeder Einfluss konservativer Eltern und knalliger Werbung ausgeschlossen werden kann – bei Affen? Also entwarfen Hines und ihre Mitarbeiterin Gerianne M. Alexander ein Experiment, das sie 1992 auf der Affenstation der Universität in Sepulveda durchführten: Sie präsentierten 88 Gelbgrünen Meerkatzen – 44 Weibchen und 44 Männchen – in Gruppen nacheinander sechs verschiedene Spielsachen und beobachteten, mit welchen sie am längsten spielten. Die Beliebtheit der Spielsachen war in früheren Studien bestimmt worden. Es waren zwei typisch männliche – ein Ball und ein Polizeiauto –, zwei typisch weibliche – eine Puppe und ein Kochtopf – und zwei neutrale – ein Bilderbuch und ein Plüschhund.

Die Resultate waren klar: Die männlichen Affen spielten doppelt so lange mit dem Ball und dem Polizeiauto wie die weiblichen, diese wiederum doppelt so lange mit der Puppe und dem Kochtopf wie die männlichen. Bilderbuch und Plüschhund waren ähnlich beliebt. Bis auf kleine Unterschiede zeigten die Affen also ähnliches Verhalten wie Menschenkinder. Wie Knaben spielten männliche Affen grundsätzlich häufiger mit Objekten als Mädchen und Weibchen.

Was das alles zu bedeuten hat, ist noch unklar, zumal die Forscher bei den Affen nicht dieselbe Methode anwenden konnten wie bei Kindern, die bei solchen Tests jeweils alleine sind und denen zwei Spielzeuge gleichzeitig zur Auswahl ange­boten werden. Sicher scheint, dass die Vorliebe der Geschlechter für unterschiedliches Spielzeug nicht nur von Eltern und Fernsehspots bestimmt wird, sondern auch einen biologischen Anteil hat. Wie unpopulär diese Erkenntnis ist, erfuhren Hines und Alexander, als sie das Ergebnis publizieren wollten: Zehn Jahre dauerte es, bis sie eine Fachzeitschrift fanden, die ihren Artikel 2002 druckte. Sechs Jahre später wiesen andere Forscher bei männlichen Rhesusaffen eine Vorliebe für Spielzeug mit Rädern und eine Abneigung gegen Plüschtiere nach.

Die grosse Frage bleibt: Woher kommen diese unterschiedlichen Vorlieben? Wie konnte sich das männliche und das weibliche Gehirn dahin entwickeln, Dinge zu mögen, die es noch gar nicht gab, als dieses Gehirn von den Kräften der Evolution geformt wurde? Welche Eigenschaft eines Tiefladers macht ihn für ein männliches Gehirn attraktiv? Darüber wird im Moment eifrig spekuliert. Sind es die beweglichen Teile? Oder ist es gar nicht das Spielzeug selbst, sondern, was man damit tun kann? Mit einer Puppe kann man nicht am Boden herumfahren.

In der Wissenschaft sind es fast nur Frauen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Ihre früheren Schulkollegen konstruieren derweil wohl Autos oder spielen Fussball.

Reto U. Schneider ist stellvertretender Redaktionsleiter von NZZ Folio.

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