Der erbitterte Streit um den 11. September
In den USA, aber auch in der Schweiz werden immer wieder bohrende Fragen gestellt zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (9/11) und den dadurch ausgelösten Kriegen in Afghanistan und im Irak.
Von Daniele Ganser*
Im Irak-Krieg gehe es nicht um Terrorbekämpfung, sondern in erster Linie um die Kontrolle der weltweit abnehmenden Vorräte an Erdöl und Erdgas, ist der Amerikaner Fadel Gheit, ehemals Manager beim Erdölkonzern ExxonMobil, überzeugt. «Unsere Lebensweise in den USA setzt täglich 20 Millionen Barrel voraus, von denen die Hälfte importiert werden muss. Wir gleichen einem Patienten auf Erdöldialyse», so Gheit. «Hier geht es um Leben und Tod.»
Saddam Hussein, der gestürzte Diktator des Irak, trage entgegen den Behauptungen von Vizepräsident Dick Cheney keine Verantwortung für 9/11 und habe auch keine Atombombe angestrebt, protestiert Scott Ritter, ehemals Uno-Inspektor im Irak. «Uns werden eine Menge Lügen erzählt, und die Medien folgen blind und wiederholen diese Lügen. Die Bush-Regierung hat die Daten manipuliert, um die Invasion des Irak zu begründen.»
Afghanistan diene als Durchgangsland für Erdöl- und Erdgaspipelines vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean sowie als Militärbasis, um den Nahen Osten «unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung» zu umzingeln, so Michael Ruppert, ehemals Polizist beim Los Angeles Police Departement.
Drei Theorien
Die These vom grossen geostrategischen Kampf der Supermächte USA, Russland und China um die schwindenden Erdöl- und Erdgasreserven ist auf den ersten Blick einleuchtend, und nicht zuletzt wegen des steigenden Erdölpreises auch in Europa weit verbreitet. Problematisch ist sie trotzdem. Denn sie wirft die fundamentale Frage auf, ob die US-Administration in erster Linie Terroristen oder Erdöl jagt.
Es erstaunt daher nicht, dass der erbitterte Streit in den USA nicht auf die laufenden Kriege im Irak und in Afghanistan beschränkt blieb, sondern auch 9/11 erfasst hat, den mit 2973 Toten grössten Terroranschlag der Geschichte. In den vergangenen fünf Jahren wurden in den USA verschiedene Filme, Internetseiten und Bücher zu 9/11 veröffentlicht. Diese bilden heute eine nur schwer überschaubare Masse von Behauptungen und Gegenbehauptungen.
Drei sich gegenseitig ausschliessende 9/11-Theorien stehen sich gegenüber. Alle drei Theorien sind Verschwörungstheorien, obschon ihre Vertreter das gerne negieren. Dies heisst, sie gehen alle von einer geheimen Absprache von zwei oder mehr Akteuren vor dem 11. September als gegeben aus.
Die erste Theorie, die so genannte «Überraschungs-Theorie» (Surprise), stammt von der US-Regierung und wird von der offiziellen amerikanischen Untersuchung - dem «9/11 Commission Report» von Thomas Kean, der im Sommer 2004 erschien - unterstützt. Sie ist die offizielle 9/11-Erzählung: Osama Bin Laden habe zusammen mit Khalid Sheikh Mohammed die Anschläge zuerst in Afghanistan geplant, worauf eine von Mohammed Atta angeführte Gruppe von 19 Muslimen den Terroranschlag in den USA mit vier Flugzeugen ausführte. Bin Laden und sein Netzwerk seien der kriminellen Handlung schuldig.
Die zweite Theorie, die so genannte «Let-It-Happen-on-Purpose-Theorie» («Lass es absichtlich passieren», Lihop), behauptet, Bin Laden und das Al-Qaida-Netzwerk hätten den Anschlag geplant und ausführen lassen. Teile der US-Regierung hätten dies herausgefunden, den Anschlag aber trotzdem absichtlich nicht abgewehrt und fast 3000 Menschen geopfert, um eine Serie von Kriegen zu legitimieren, von denen jene in Afghanistan und im Irak nur die ersten zwei seien. Sowohl Bin Laden als auch Teile der US-Regierung seien der kriminellen Handlung schuldig.
Die dritte Theorie schliesslich, die so genannte «Make-It-Happen-on-Purpose-Theorie» («Führe es absichtlich selbst aus», Mihop), behauptet, die Anschläge seien vom Pentagon und/oder den US-Geheimdiensten ausgeführt worden, die Videos von Bin Laden seien gefälscht. Fast 3000 Menschen seien kaltblütig geopfert und das eigene Volk und die Welt getäuscht worden, um eine Serie von Kriegen zu legitimieren. Teile der US-Regierung seien der kriminellen Handlung schuldig.
Kevin Barrett, der ein Seminar zum Islam an der University of Wisconsin-Madison unterrichtet, ist ein Mihop-Vertreter, wie er im Juni 2006 öffentlich erklärte. Andere Amerikaner entsetzten sich. Barrett «sei peinlich für die Universität und die Menschen in Wisconsin», so der republikanische Kongressabgeordnete Steve Nass, der zusammen mit anderen Republikanern die Universität aufforderte, Barret sofort zu entlassen.
Der Verwaltungschef der Universität, Patrick Farrell, wehrte sich und betonte die Freiheit in Lehre und Forschung. «Wir können nicht zulassen, dass politischer Druck von Kritikern unpopulärer Ideen den freien Austausch von Meinungen verhindert», so Farrell. «Das würde die Tür für noch schwerere und umfassende Einschränkungen öffnen.» Die Studenten seien durchaus in der Lage, abweichende Theorien zu analysieren und sich ihre eigene Meinung zu bilden. «Wissen wächst, wenn man über Meinungen streitet», so Farrell.
Auch James Fetzer, emeritierter Philosophieprofessor der Universität Minnesota, hält die Surprise-Theorie für Unsinn. Er denkt Lihop oder Mihop beschreiben die Wahrheit besser. Dafür wurde er wiederholt angegriffen, was ihn und andere Amerikaner aber nicht abschreckt. «Wir werden das weitermachen», so Fetzer gegenüber CNN. «Unsere Rolle ist es herauszufinden, was am 11. September wirklich passiert ist.»
Debatte in der Schweiz
«Es erstaunt mich nicht, dass nach den Schwierigkeiten im Irak und in Afghanistan nun auch um 9/11 gestritten wird», so Kurt Spillmann, emeritierter ETH-Professor für Sicherheitspolitik. «Man muss aber vorsichtig untersuchen, denn die Lihop- und Mihop-Theorien hätten eine unglaubliche politische Sprengkraft.»
Welche Theorien die Schweizer Bevölkerung bevorzugt, ist noch unbekannt. «Eine breite Debatte zu diesen drei Theorien ist meines Wissens in der Schweiz noch nie öffentlich und im grossen Stil geführt worden. Aber da und dort sind sie immer wieder aufgeflackert», so Professor Karl Haltiner, Leiter der jährlich erscheinenden Erhebungsstudie «Sicherheit» der Militärakademie der ETH.
Dass der amerikanische Geheimdienst bei 9/11 die Finger im Spiel hatte, hält «Weltwoche»-Journalist Hanspeter Born für einen «ungeheuerlichen Verdacht», wie er in einem Beitrag zum auch in der Schweiz weit verbreiteten Antiamerikanismus schreibt. «Wenn dem so wäre, dann wäre Amerika tatsächlich ein bis ins Innerste verrottetes, krankes Land.»
Philipp Sarasin, Professor für Geschichte an der Universität Zürich, hat zu den Anthrax-Anschlägen, die auf 9/11 folgten, ein Buch vorgelegt, in dem er die Politik der Angst kritisch hinterfragt und die These vertritt, dass diese Brief-Anschläge möglicherweise ein «Inside-Job» waren. 9/11 sei noch völlig ungeklärt: «Welche der drei 9/11-Theorien stimmt, muss durch Historiker weiter untersucht werden», so Sarasin. «Doch schon heute lässt sich sagen, dass die offizielle Version - ‹Wir hätten uns nie denken können, dass wir durch Zivilflugzeuge angegriffen werden› - zumindest in einem Punkt nachweislich falsch ist: Solche Angriffe wurden seit Jahren als Möglichkeit in Betracht gezogen; im November 2000 wurde gar ein Angriff mit Zivilflugzeugen auf das Pentagon an einem grossen Gebäudemodell geübt.»
Unter den vielen komplizierten Sachfragen, über die sich die drei Theorien streiten, ist auch World Trade Center 7 (WTC 7). Es ist wenig bekannt, dass am 11. September in New York nicht zwei Wolkenkratzer einstürzten - WTC 1 und WTC 2, die bekannten Twin Towers -, sondern drei. Beim dritten Gebäude handelt es sich um das 170 Meter hohe WTC 7, das um 17.20 Uhr in sieben Sekunden vollkommen zusammenstürzte.
Misstrauen wegen WTC 7
In einer Zogby-Umfrage vom Mai 2006 erklärten 43% der Amerikaner, sie hätten noch nie etwas von WTC 7 gehört. Dies vor allem deshalb, weil nur die Twin Towers wiederholt am Fernsehen gezeigt wurden. Verunsicherte 42% erklärten, sie glaubten, die US-Regierung und die 9/11-Untersuchung würden etwas verheimlichen.
«Die Amerikaner sind schlecht und einseitig über 9/11 informiert worden, in erster Linie wurde die Surprise-Theorie auf allen Kanälen verbreitet», so Professor Albert Stahel von der Universität Zürich. «Das rächt sich nun. Alternative Medien haben zum Gegenschlag ausgeholt und verbreiten die Lihop- und die Mihop-Theorie. Wer gewinnt, wird sich erst in Zukunft zeigen. Das Misstrauen gegenüber der Regierung ist gross.»
«Es gibt ein Problem mit WTC 7», erklärte der Schauspieler Charly Sheen, bekannt aus seinen Rollen in «Platoon» und «Wall Street». «Und wenn es ein Problem mit WTC 7 gibt, dann gibts ein Problem mit der ganzen 9/11-Geschichte», so Sheen im März 2006 am Radio. WTC 7 könne nicht durch ein Flugzeug zum Einsturz gebracht worden sein, da es gar nie von einem Flugzeug getroffen wurde. Es könne auch nicht durch ein Erdbeben oder den Einsturz der Twin Towers eingerissen worden sein, da zwischen dem Einsturz der Twin Towers und WTC 7 fast sieben Stunden liegen. Mögliche Ursachen seien nur Feuer oder Sprengung.
In der Tat gab es ein kleines Feuer in WTC 7. Sheen zweifelt aber, dass dieses Feuer das WTC 7 zum Einsturz brachte. Wer das glaubt, «brauche psychiatrische Behandlung», so Sheen. Eine Sprengung brauche mehrere Tage Vorbereitung. Osama Bin Laden und seine Helfer seien es wohl nicht gewesen, denn dafür wurden sie nie angeklagt. Also bleibe nur Mihop.
Sheens Aussagen führten zu einem heftigen Streit. «Wie kann irgendeine vernünftige Person glauben, dass unsere Regierung unser eigenes Volk angegriffen hat?», fragte ein Zuschauer auf CNN per E Mail. Ein anderer meinte: «Das ist eine ganz wichtige Sache, die in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden muss. Es ist unsere patriotische Pflicht herauszufinden, warum und wie 9/11 passieren konnte.»
Sheen, unterstützt von Hollywoodstar Sharon Stone, blieb bei seiner Frage: «Ich bin einfach nur ein aufrechter amerikanischer Bürger, der seine Steuern bezahlt, sein Land liebt und der sich dagegen wehrt, dass solch grosser Unsinn über so offensichtliche Wahrheiten ausgebreitet wird.»
Wer im 566 Seiten langen Kean-Report nach WTC 7 und der Ursache für dessen Einsturz sucht, wird enttäuscht. WTC 7 wird im offiziellen Bericht zu 9/11 mit keinem Wort erwähnt. Theologieprofessor David Ray Griffin kritisierte dieses «Weglassen und Verdrehen» scharf und publizierte ein viel beachtetes Buch zu den vielen Unzulänglichkeiten des Kean-Reports in dem er schreibt: «Die 9/11-Kommission umgeht ein anderes peinliches Problem - die Erklärung, wie WTC 7 in praktisch freiem Fall einstürzen konnte -, indem sie den Einsturz des Gebäudes einfach gar nicht erwähnt.»
«Wenn die offizielle und abschliessende Untersuchung des 11. September nur vom Einsturz von zwei Wolkenkratzern berichtet, während in Tat und Wahrheit drei Wolkenkratzer in Manhattan einstürzten, dann fällt es schwer, den Kean-Report als solide historische Quelle für das Monumentalereignis 9/11 einzustufen», so Geschichtsprofessor Georg Kreis von der Universität Basel. «Von diesen Details wissen die wenigsten, aber sie sind Besorgnis erregend.»
Feuer oder Sprengung?
Peter Forster, Präsident der eidgenössischen Konsultativkommission für innere Sicherheit, betont, dass es auch für die Schweiz sehr wichtig ist zu wissen, ob der «Krieg gegen den Terrorismus» ein Vorwand ist, um Energieressourcen zu erbeuten. «Die Debatte um WTC 7 muss man im Auge behalten, unbedingt. Aber die Lihop- und Mihop-Theorien sind sehr explosiv, das wäre ungeheuerlich.»
In den USA hat die Federal Emergency Management Agency (Fema) im Mai 2002 einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem sie erklärt, WTC 7 sei ein ganz spezielles Gebäude gewesen. Das Pentagon, die CIA und der US Secret Service hätten Teile des Hauses gemietet. Im Keller standen grosse Dieselgeneratoren, um das Haus während Notfällen mit Energie zu versorgen. Es sei «zurzeit noch unbekannt», so das Fazit der Fema, «wie das Feuer das Haus zum Einsturz bringen konnte». Die «New York Times» kommentierte, das WTC 7 sei das «grosse Geheimnis» der Anschläge, weil bis zu diesem Tag in den USA noch nie ein Gebäude aus Stahl und Beton nur wegen Feuer eingestürzt war.
«Wir wissen einfach nicht, was im WTC 7 genau passiert ist», so Mario Fontana, amtierender Professor am ETH-Institut für Baustatik und Konstruktion (IBK). An Konferenzen von Baustatik-Experten habe man in den vergangenen fünf Jahren nur sehr wenig zum Einsturz von WTC 7 erfahren. Es sei zumindest denkbar, dass ein lange anhaltender Brand das Gebäude zum Einsturz gebracht habe.
Die Fema gab das WTC-7-Dossier an das National Institute of Standards and Technology (Nist) der Regierung weiter. Worauf verunsicherte Amerikaner und Journalisten anriefen und vom Nist wissen wollten, warum das WTC 7 einstürzte. «Ich verstehe diese Faszination der Menschen für WTC 7 nicht», erwiderte Nist-Sprecher Michael Newman im März 2006.
«Nach meiner Meinung ist das Gebäude WTC 7 mit grosser Wahrscheinlichkeit fachgerecht gesprengt worden», sagt Hugo Bachmann, emeritierter ETH-Professor für Baustatik und Konstruktion. Und auch Jörg Schneider, ebenfalls emeritierter ETH-Professor für Baustatik und Konstruktion, deutet die wenigen vorhandenen Videoaufnahmen als Hinweise, dass «das Gebäude WTC 7 mit grosser Wahrscheinlichkeit gesprengt wurde».
Der Eigentümer von WTC 1, WTC 2 und WTC 7, Larry Silverstein, erinnerte sich ein Jahr nach den Anschlägen im September 2002 im US-Fernsehen an den Einsturz von WTC 7. Die Feuerwehr habe ihn informiert, dass es im Haus brenne. Darauf sagte Silverstein gemäss seinen eigenen Angaben: «Vielleicht ist es am besten, wenn wir es sprengen» («to pull it»). «Und so haben sie entschieden, es zu sprengen, und wir schauten zu, wie das Gebäude runterkam.» Später verteidigte sich Silverstein, er habe mit «pull it» die «Feuerwehrmänner evakuieren» gemeint. Worauf 9/11-Kritiker wie US-Millionär Jimmy Walter betonten, das sei Unsinn, «it» müsse sich auf eine Sache beziehen.
Stahlträger in Asien
Ob Feuer oder Sprengung zum Einsturz von WTC 7 führte, müsste man an den Stahlträgern untersuchen. Aber die sind weg. «Über 80% des Stahls des WTC ist schon verkauft worden, das meiste, wenn nicht sogar alles, bevor die Wissenschafter und Kriminologen es untersuchen konnten», protestierte Anthony Weiner, Parlamentarier aus New York, im März 2002 im US-Parlament. Der Stahl wurde in Asien recycelt. Professor Frederick Mowrer vom Fire Protection Engineering Department der University of Maryland, der zusammen mit anderen US-Experten den Zusammensturz der WTC-Gebäude untersuchen musste, kritisierte dieses Vorgehen scharf: «Ich finde die Geschwindigkeit, mit der wichtige Beweise weggeschafft und recycelt wurden, erschreckend.»
* Daniele Ganser ist Historiker an der Universität Zürich. Sein Buch «NATO’s Secret Armies» untersucht inszenierten Terrorismus im Kalten Krieg. Zum neuen Sammelband von David Ray Griffin («911 and American Empire: Academics Speak Out») hat er ein Kapitel beigetragen.www.danieleganser.ch
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