NZZ
5. August 2008, Neue Zürcher Zeitung
«Peak oil» – die grosse Herausforderung
Die Endlichkeit der fossilen Energien
Die Preise für fossile Energien steigen. Das ist derzeit wesentlich eine Folge des markant wachsenden Verbrauchs. Die Nachfrageproblematik wird verschärft, weil das weltweite Fördermaximum beim Erdöl bald einmal erreicht sein wird. Der Autor des folgenden Artikels weist darauf hin, dass Ersatz-Energieträger kaum zur Verfügung stehen, was gravierende Folgen für die menschliche Zivilisation haben dürfte.
Von Alex von Zelewsky*
5. August 2008, Neue Zürcher Zeitung
«Peak oil» – die grosse Herausforderung
Die Endlichkeit der fossilen Energien
Die Preise für fossile Energien steigen. Das ist derzeit wesentlich eine Folge des markant wachsenden Verbrauchs. Die Nachfrageproblematik wird verschärft, weil das weltweite Fördermaximum beim Erdöl bald einmal erreicht sein wird. Der Autor des folgenden Artikels weist darauf hin, dass Ersatz-Energieträger kaum zur Verfügung stehen, was gravierende Folgen für die menschliche Zivilisation haben dürfte.
Von Alex von Zelewsky*
Vor gut einem halben Jahrhundert, im Jahr 1956, präsentierte ein amerikanischer Geophysiker, M. King Hubbert (1903–1989), erstmals die Hypothese des «peak oil» (PO), wonach jedes Ölfeld betreffend seine Fördermenge von seiner Erschliessung bis zur Erschöpfung eine sogenannte Glockenkurve durchläuft. Seine Prognose, dass der Peak für die kontinentalen Ölfelder der USA Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erreicht sein werde, wurde bestätigt. Seither sind die Erdölimporte der USA auf über 70 Prozent ihres Gesamtbedarfs gestiegen, während das Land noch Anfang der sechziger Jahre nahezu selbstversorgend war. Ähnliche Entwicklungen waren bis jetzt in allen Ölfeldern der Welt zu beobachten, und es gibt bis anhin keine Anzeichen dafür, dass Hubberts Annahmen nicht zutreffen würden.
Fördermaximum im nächsten Jahrzehnt
Die am leichtesten zugänglichen Ölvorkommen sind längst entdeckt und zu einem grossen Teil auch bereits ausgebeutet. Daraus ergibt sich eine Kurve für die weltweite Ölförderungsmenge, welche ebenfalls durch einen Maximalwert gekennzeichnet ist. Experten wie der sehr erfahrene und angesehene Erdölgeologe Colin Campbell setzen den Zeitpunkt des PO auf etwa 2011 an, bei einer Fördermenge von weniger als 100 Millionen Barrel pro Tag (heute etwa 87 Millionen). Natürlich sind solche Angaben mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, es besteht aber unter unabhängigen Fachleuten kaum mehr ein Zweifel darüber, dass der PO im nächsten Jahrzehnt eintreten wird.
Nur gewisse Interessenvertreter beharren auf der Behauptung, die Erdölproduktion werde weltweit in ein Plateau einmünden. Allerdings reift auch in diesen Kreisen die Einsicht, dass der PO bald erreicht sein wird. So hat in einem Interview Christophe de Margerie, der CEO des französischen Konzerns Total, kürzlich die Ansicht geäussert, dass die weltweite Erdölproduktion bald ihr Maximum erreichen wird und die Nachfrage nicht mehr gedeckt werden kann. Er äussert sich auch über die Chefs der anderen Ölgesellschaften, indem er sagt: «Wir denken alle dasselbe, es ist nur eine Frage, ob man es auch zu sagen wagt.»¹
Thema endlich zur Kenntnis nehmen
Zwar hat zum Beispiel Colin Campbell immer wieder von sich reden gemacht, etwa mit der Gründung der ASPO (Association for the Study of Peak Oil), und die NZZ hat ihm im «Folio» 9/04 einen Beitrag gewidmet. Andere, wie die ASPO Schweiz,² versuchen, ebenfalls zu informieren. Und doch ist es erstaunlich, wie die allermeisten Zeitgenossen dieses wohl schwerwiegendste und bedrohlichste Problem unserer Zeit immer wieder verdrängen. In der Öffentlichkeit werden zu Recht seit Jahren Umweltprobleme verschiedenster Art breit diskutiert. In vorderster Linie stehen dabei Sorgen über den Klimawandel. Viel zu reden gibt auch das wichtige Problem der Sicherheit der Versorgung mit elektrischer Energie. Obwohl wir in der Schweiz nahezu doppelt so viel Energie in Form von Erdöl konsumieren wie in Form von Elektrizität und dazu im Gegensatz zu Letzterer null Prozent im eigenen Land erzeugen, kümmert man sich bis heute kaum um die Frage, was geschehen wird, wenn die Einfuhr des flüssigen Energieträgers ins Stocken geraten oder wenn dessen Preis exorbitant steigen sollte.
Vermutlich liegt aber der Zeithorizont für die exponentiell zunehmende Verknappung des Erdöls näher als derjenige für den Versorgungsengpass mit Elektrizität. Man ist sich oft nicht bewusst, in welch ungeheurem Masse wir von der Versorgung mit Erdöl abhängig sind. Und dies nicht nur im Verkehr, in der Energieversorgung der Siedlungen und in grossen Bereichen der Rohstofferzeugung. Auch in der Nahrungsmittelerzeugung sind wir vollständig vom Erdöl abhängig. Ohne einen massiven Einsatz von Erdöl wäre die Ernährung von nun bald 7 Milliarden Menschen ausgeschlossen.
In der Schweiz wie auch in den anderen westlichen Industrieländern erzeugen nur ganz wenige Prozente der Bevölkerung die Nahrungsmittel für diejenigen, die nicht im Agrarsektor tätig sind. Dazu verbrauchen wir pro Kopf und Tag etwa 4 Kilogramm Erdöl. Fehlte diese Energiequelle, so träten grosse Hungersnöte auf, und die Theorien von Malthus³ würden vermutlich bestätigt. Am WEF 2008 in Davos wurde darüber diskutiert, ob nun die Armut, das Wasser oder das Klima das schwerwiegendste Problem der näheren Zukunft darstelle, der PO wurde nicht in diese Liste aufgenommen. Auch im schweizerischen Sorgenbarometer blieb der «peak oil» bisher unbeachtet.
Lässt sich die Katastrophe vermeiden?
Die Frage ist, ob wir überhaupt noch Möglichkeiten haben, die ganz grosse Katastrophe zu verhindern. Gewiss werden Anstrengungen unternommen, die Energieaufwendungen in einigen Bereichen zu vermindern, aber alle Massnahmen zur Förderung sogenannt erneuerbarer Energien haben bis heute kaum zu einer Substitution von fossiler Energie geführt. Spektakuläre Aktionen wie zum Beispiel die geplante Erdumrundung mit einem Solarflugzeug werden auch von Politikern als Meilensteine in der Anwendung der Solarenergie gefeiert.
Im Grunde genommen führen uns aber diese Produkte technischer Innovation nur vor Augen, wie hoffnungslos unterlegen die Solarenergie gegenüber dem Erdöl ist. Weder wird jemals ein Containerschiff mit Sonnenenergie betrieben werden können, noch werden Passagierflugzeuge sich mit dieser Energiequelle in die Luft erheben. Grosse Skepsis ist auch gegenüber anderen Versprechungen angebracht. So ist nach einer anfänglichen Euphorie rasch klar geworden, dass Biofuels kein Ausweg aus der Energiekrise sein können. Kann uns die Kernenergie retten? Kernspaltung, auf der heute alle kommerziellen Anlagen zur Gewinnung von Kernenergie beruhen, liefert bereits einen signifikanten Anteil am gesamten Energieaufkommen. Ohne auf die Problematik der Kernenergie näher einzugehen, kann aber gesagt werden, dass sie im Elektrizitätssektor sicherlich weiter eingesetzt werden wird. Ausser der Möglichkeit, die Abwärme für Heizzwecke zu nutzen, kann aber weder im Verkehrswesen noch in der Landwirtschaft und auch in vielen anderen Bereichen die Kernenergie nicht als Substituent für das Erdöl dienen. Die Kernfusion, die Energiequelle der Sonne, ist heute noch weit von einer kontrollierten Anwendung entfernt.
Von einem übergeordneten Standpunkte aus kann man die Entwicklung, die die menschliche Gesellschaft gegenwärtig durchläuft, als einen evolutionären Prozess betrachten. Die Menschheit hat in den vergangenen 150 Jahren dank der Erschliessung der fossilen Energiequellen eine spektakuläre Entwicklung durchgemacht, die nun vermutlich bald zu einem Endpunkt gelangen wird. Es wird dann wieder ein Evolutionsschub anstehen, wobei das Darwinsche Prinzip des «survival of the fittest» zum Zuge kommen wird. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird zu Ende dieses Jahrhunderts von der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht mehr viel übrig bleiben. Die nächste grosse Krise wird sich von vorherigen, wie zum Beispiel dem Zweiten Weltkrieg, grundlegend dadurch unterscheiden, dass keine billige Energie zu ihrer Überwindung zur Verfügung stehen wird. Die Art und Weise, wie die Menschheit auf den PO reagieren wird, wird entscheidend sein.
¹ The Economist, January 12th 2008. ² http://www.peakoil.ch/index.html ³ Thomas Robert Malthus (1736–1834), britischer Ökonom und Sozialphilosoph.* Alex von Zelewsky ist emeritierter Professor für Chemie der Universität Freiburg (Schweiz).
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