Montag, Dezember 31, 2007

Gespräch mit Tim Guldimann (Früherer CH-Botschafter im Iran)

Tages Anzeiger
Schweiz
31. Dezember 2007, 10:07
«Man kann nicht verlangen, dass alle Coca-Cola trinken und Krawatte tragen»

Ob in Tschetschenien, im Iran oder in Kosovo: Der Schweizer Spitzendiplomat Tim Guldimann bemüht sich um Verständigung zwischen den Kulturen und fragt nach universellen Werten.


Mit Tim Guldimann sprachen Enver Robelli und Res Strehle in Pristina

Tim Guldimann: Wir sollten einen roten Faden in diesem Gespräch haben.

Gerne. Was schlagen Sie vor?

Ich möchte generell über die Frage der Gültigkeit universeller Werte reden. Nehmen wir Kosovo und Iran und vielleicht noch etwas Drittes...

Nahost?

Ja, zum Beispiel. Wie verhält sich der Westen zu diesen Konflikten und woher nehmen wir die Legitimation für unseren Standpunkt? Das interessiert mich. Oder genauer: Wie definieren wir den Anspruch auf die Universalität unserer Werte bei gleichzeitigem Respekt vor kultureller Vielfalt? Man kann ja nicht verlangen, dass alle Coca-Cola trinken und Krawatte tragen. Man kann aber nach Auschwitz verlangen, dass Völkermord weltweit geahndet wird. Wo liegt damit die Grenze zwischen Multi-Kulti und universell Gültigem?

Das Verbot des Völkermords, die Anerkennung der Menschenrechte, die Wahrung der körperlichen und psychischen Integrität - das scheinen universelle Werte. Aber wie steht es mit Demokratie? Da wird es heikler und interpretationsbedürftig. Schwierig wird es vor allem deswegen, weil die USA, die weltweit ihre Demokratie exportieren wollen, nie frei sind vom Verdacht, eigene Machtinteressen zu verfolgen.

Entscheidend sind für mich die Grundsätze der Aufklärung: Man muss sich über das, was gilt, verständigen. Das heisst in der Wissenschaft Wahrheit, in der Wirtschaft Vertrag, in der Politik «Contrat social». Im Völkerrecht gibt es die Verständigung zwischen den Staaten über gemeinsame Regeln, an die man sich halten muss. Deshalb ist der Begriff der internationalen Gemeinschaft so wichtig, auch wenn sie oft keine polizeiliche Gewalt zur Durchsetzung dieser Regeln hat. Unser zentrales Problem ist, dass der Westen, der ja die Aufklärung erfunden hat, im Innern seiner Gesellschaften diesen Grundsätzen nachlebt, aber im Verhältnis zum Rest der Welt oft die eigenen Grundsätze verletzt. Das gilt vor allem für die USA in den letzten Jahren.

Vorher müsste man klären, welche Werte universell gültig sein müssen.

Ja, man könnte eine Liste machen, aber das geht nicht. Der Theologe Hans Küng hat das versucht mit seinem Weltethos. Das funktioniert nicht, weil viel zu abstrakt, zu statisch. Nein, man muss auf die konkreten Probleme kommen. Und dort geht es dann um die Frage, wie man sich mit anderen Kulturen über die Grenzen des universell Gültigen verständigen kann. Das ist ein kontinuierlicher Prozess.

Seit wann interessieren sich Schweizer Diplomaten für philosophische Fragen?

Das hat mich immer fasziniert. Ich habe mich kürzlich mit dieser Frage an meinen alten Lehrmeister, den Frankfurter Philosophen Jürgen Habermas, gewandt. Er sagte Folgendes: Alle Kulturen sitzen im Modernisierungszug. Alle sind auf dem Übergang von der Tradition zur Moderne oder sind dort angekommen. Damit werden in allen Gesellschaften Rechte und Pflichten zunehmend individuell definiert. Eine wirkliche Verständigung innerhalb von Gesellschaften und zwischen ihnen ist nur möglich, wenn sich alle am demokratischen Prozess beteiligen können. Es geht deshalb nicht darum, universelle Werte zu definieren. Man kann sich leichter über das Verfahren einigen, das universell gültig sein soll. Konkret darüber, dass sich alle an der Festlegung der eigenen Werte beteiligen dürfen.

Schön, aber was heisst das in Bezug auf eine islamische Gesellschaft, in der Frauen diskriminiert werden?

Wenn sich dort Frauen demokratisch am politischen Leben beteiligen können, würde ich ihre Benachteiligung im Erbrecht nicht verdammen, weil ich glaube, dass dieses Erbrecht bald geändert wird.

Und was, wenn diese Gesellschaften autoritäre Demokratien sind, die mit unserem westlichen Verständnis von Demokratie nur wenig gemeinsam haben? Die Demokratur hatte 2007 ja durchaus Hochkonjunktur, wenn man an Länder wie Pakistan, Russland oder Venezuela denkt.

Das sind gute Beispiele, gegenüber denen der Westen zu lasch ist, demokratische Freiheiten einzufordern. Aber das müsste unabhängig vom Ergebnis des demokratischen Prozesses erfolgen.

Das heisst, dass es keine ultimativen Forderungen gibt, auch nicht jene nach Einhaltung der Menschenrechte? Was, wenn ein Staat demokratisch die Wiedereinführung der Todesstrafe beschliesst?

Erstaunlich ist, dass die Resultate überall ähnlich sind. Es zeigt sich nämlich, dass im Zuge der weltweiten Demokratisierung der letzten 30 Jahre die Zahl der Staaten ohne Todesstrafe zugenommen hat. Ein Freund aus einem islamischen Land hat mir kürzlich gesagt, er hätte ein hohes religiöses Amt aufgegeben, weil er Todesurteile hätte unterschreiben müssen. Es war für mich schön, wie er, der sonst wenig Kontakt zum Westen hatte, zum selben Schluss kam wie wir. Ich bin überzeugt, dass westliche und nicht-westliche Kulturen im Zuge der Modernisierung in wichtigen Fragen zu denselben Schlüssen kommen werden.

Und wenn die Steinigung von Ehebrecherinnen demokratisch beschlossen würde?

Dagegen muss man Stellung nehmen, klar. Aber ändern wird sich das erst, wenn die Modernisierung demokratisch abgestützt wird. Dann werden die Frauen selbst dafür schauen, dass solche Gesetze geändert werden.

China?

Die Frage ist noch offen, wie lange und ob überhaupt die Modernisierung auf Demokratie verzichten kann.

Die westlichen Gesellschaften sind in der Regel demokratisch. Trotzdem scheint der Westen moralisch nicht viel besser als der Rest der Welt.

Besser ist er allenfalls im Innern seiner Gesellschaften, nicht aber in einer Haltung gegenüber dem Rest der Welt, wenn er von der Arroganz geprägt ist, eine Verständigung zu verweigern und sich über das Völkerrecht hinwegzusetzen.

Es soll auch Schweizer Politiker geben, die sich ganz gerne übers Völkerrecht hinwegsetzen würden.

Ja, aber einer von ihnen wurde ja kürzlich abgewählt.

Die Arroganz des Westens scheint Ihr grosses Thema zu sein. Wann hatten Sie eigentlich die Erkenntnis, dass dieses Thema so wichtig ist? Im Iran?

Schon vor 35 Jahren in Lateinamerika. Iran erlebte ich auch als Beispiel dieser Konfrontation. Der Umsturz von 1979 war vor allem auch eine antikoloniale Revolution gegen die von den Amerikanern unterstützte Schah-Herrschaft. Bill Clinton hat während seiner Präsidentschaft versucht, den Dialog wieder aufzunehmen, aber die Iraner waren damals noch nicht bereit. Als die Iraner bereit waren, verweigerte George W. Bush das Gesprächs. Die Eskalation des Nuklearkonflikts ist eine Folge des verweigerten Dialogs. Die neue Einschätzung der US-Geheimdienste ist für mich eine Bestätigung meiner Behauptung: Der Iran will die nukleare Kapazität, aber er will nicht die Bombe.

Er will die Möglichkeit der Bombe.

Ja, darauf werden sie wohl nicht verzichten. Zumindest waren die Iraner aber bereit, im Gegensatz zu den Atommächten Israel, Indien und Pakistan ihr Atomprogramm offen zu legen. Die positive Wende kam 2003, nicht nur wegen des Endes von Saddam Hussein, von dem sie sich bedroht fühlten, sondern auch wegen der Haltung der Europäer. Die EU brachte ihnen für die Aufnahme von Verhandlungen den notwendigen Respekt entgegen.

Sie haben im Iran schon früh einen Vorschlag zur Deeskalation gemacht, der vernünftig schien, aber nichts gebracht hat.

Sie bringen da zwei Geschichten durcheinander. Es gab 2003 einen iranischen Vorschlag für einen umfassenden Dialog mit den USA, zu dem ich aber nicht Stellung nehmen darf, weil ich damals mit der Wahrung amerikanischer Interessen im Iran beauftragt war. Und 2005 nahm ich während meines Urlaubs an einer Arbeitsgruppe mit amerikanischen Atomphysikern teil. Wir entwickelten mit einem hohen iranischen Vertreter einen Lösungsansatz zur Nuklearfrage. Damit regte ich ein Papier der in Brüssel ansässigen Denkfabrik International Crisis Group an, das ich später mitverfasst habe. Es ging darum, den Iranern eine beschränkte, international überwachte Urananreicherung zuzugestehen, wenn sie mit der Internationalen Atomenergie-Agentur zusammenarbeiten würden.

Das hat wenig bewirkt.

Der Vorschlag hat immerhin dazu beigetragen, dass die USA ihre Haltung gegenüber dem Iran modifiziert haben und bloss noch eine Suspendierung der iranischen Urananreicherung verlangten - aber da war es schon zu spät, weil sich mit Mahmoud Ahmadinejad die iranische Haltung verhärtet hatte. Eigentlich gehts immer um dasselbe: Eine Verständigung ist nur im gegenseitigen Respekt aller Beteiligten möglich. So lange die USA militärische Gewalt androhen, wird es nicht zu einer Verständigung kommen.

Warum eigentlich ist Ihnen die Frage des Respekts in den internationalen Verhandlungen so wichtig? Weil die Schweiz international auch kaum mehr ernst genommen wird?

Das habe ich nie so erlebt. Da müssten Sie mir erst sagen in welchem Zusammenhang.

Die Schweiz spielt aussenpolitisch heute kaum eine Rolle mehr.

Ich weiss nicht, ob das nach Marignano je anders war.

Immerhin spielte Genf nach Gründung des Völkerbunds und während der Phase des Kalten Kriegs eine wichtige Rolle.

Das ist ein grosser Mythos. Genf wurde zur Konferenzstadt, weil dank dem Calvinismus damals gute private Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson bestanden, aber faktisch hat die Schweiz international nie eine wichtige Rolle gespielt. Die Grossmächte haben nichts gegen uns, wir sind nicht relevant. Die Europäische Union bemüht sich aktuell in der Kosovo-Frage um die Meinungen von Zypern und Malta, die Schweiz ist da weniger wichtig. Wenn wir in der EU wären, wäre unsere aussenpolitische Bedeutung ungleich grösser.

Sie persönlich haben heute schon eine wichtige Rolle.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa suchte für ihre Mission in Kosovo einen Nachfolger für meinen deutschen Vorgänger. Die Deutschen stellten niemanden, und da schaute man halt, ob sonst einer da ist, dem man das zutraute. Voilà, das hatte aber nichts zu tun mit der Rolle der Schweiz.

Könnte die Schweiz aussenpolitisch wieder eine spezielle Rolle spielen?

In Ihrer Frage schwingt mit, dass die Schweiz etwas Spezielles ist. Hören wir doch auf mit solchen Illusionen! Das heisst nicht, dass die Schweiz international nicht aktiv sein kann, wie heute in der Uno. Aber so lange wir nicht Mitglied der Europäischen Union sind, wird unser Einfluss absolut gering bleiben, besonders in Europa. Die Meinung, weil wir nicht EU-Mitglied sind, hätten wir spezifische Einflussmöglichkeiten, halte ich jedenfalls für gänzlich unbegründet.

Ist die EU mit 27 Mitgliedern aussenpolitisch überhaupt noch handlungsfähig?

Ja, sicher. Die Rolle, die sie jetzt etwa in Kosovo spielt, ist sehr substanziell. Die Europäische Union wird in dieser Region die Rolle übernehmen, die die Uno bisher spielte. Das ist eine der wichtigsten aussenpolitischen Aktionen in der Geschichte der EU überhaupt.

Anfänglich lag die politische und militärische Initiative in Kosovo bei den USA. Was hat dazu geführt, dass die EU das Heft in die Hand nahm?

Das Bewusstsein der EU-Staaten, besonders der vier Grossen in der internationalen Balkan-Kontaktgruppe, dass es sich in Kosovo um einen Konflikt in Europa handelt, für den sich Europa engagieren muss. Gleichzeitig bestand der Druck der Uno, dass die Europäer selber für Konflikte in Europa zuständig sind.

Es war geplant, dass Sie Botschafter in Tel Aviv würden. Hätte Sie dieser Posten interessiert?

Ja.

Warum haben Sie ihn nicht bekommen?

Dazu will ich mich nicht äussern. Ihre Zeitung hat darüber geschrieben, ich habe schon damals keine Stellung genommen.

Wie könnte aus Ihrer Sicht eine mögliche Lösung für Nahost aussehen? Sehen Sie den Friedensprozess von Annapolis als tauglichen Versuch, ein Bündnis zu schmieden zwischen Israel, dem Westen und gemässigten Sunniten gegen die Schiiten?

Nein, es ist gefährlich. Iran und die Schiiten isolieren zu wollen. Vergessen Sie nicht, dass der islamische Terrorismus in erster Linie sunnitisch geprägt ist und nicht schiitisch. Bei der Hierarchie im schiitischen Klerus kann nicht jeder kommen und sagen, wie der Koran interpretiert werden muss. Die Gewalt auf Seiten von Hizbollah oder Hamas lässt sich in keiner Weise vergleichen mit dem Terror von al-Qaida, der sich von den regionalen Konflikten und der betroffenen Bevölkerung vollkommen losgelöst hat. Hizbollah entstand im Kampf gegen die widerrechtliche Besetzung Libanons Süden durch Israel. Mich interessiert in Nahost die Frage, wie überhaupt noch eine Verständigung gefunden werden kann. Die einseitige Parteinahme des Westens, vor allem der USA, für Israel hat dem Ansehen unserer Werte seitens der islamischen Eliten sehr geschadet.

Kann der Friedensprozess von Annapolis zum Ziel führen?

Wenn das Ziel ist, die Chancen der Republikaner bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zu erhöhen, vielleicht. Ich glaube nicht an einen Erfolg, der die Bilanz von Präsident George W. Bush im Verhältnis zur islamischen Welt verbessern würde. Er hätte es zwar nötig, denn er ist mit verantwortlich dafür, dass zwischen dem Mittelmeer und Afghanistan eine grosse Konfliktregion entstanden ist, in der heute alles miteinander zusammenhängt. Aber die USA sind nach wie vor nicht bereit, eine Verständigung mit den eigentlichen Konfliktparteien zu suchen. Hizbollah, Hamas, Iran und die Taliban sind von den Gesprächen ausgeschlossen. Mit dieser Seite redet man nicht, weil sie böse Terroristen sind. Und hofft gleichzeitig, dass Gespräche etwas bringen mit anderen, die nicht beteiligt sind. Bin Laden ist ein anderes Kapitel, dort bringen Gespräche nichts.

Wird ein Präsidentenwechsel in den USA aussenpolitisch viel verändern?

Barack Obama hat angekündigt, dass er mit den Iranern bedingungslos reden will. Das wäre sicher etwas Neues, umgekehrt wird die Hürde der Zustimmung des Kongresses aber bestehen bleiben.

Wie ist das eigentlich, lebenslang als Diplomat tätig zu sein? Gibts da Berufskrankheiten?

Meinen Sie Alkohol? Dieses Problem habe ich nicht, ich habe andere.

Sie müssen stets versuchen, Unvereinbarkeiten zwischen Parteien aufzuweichen - das wird wohl auch abfärben auf das private Verhalten.

Nein, ich bin privat nicht sehr diplomatisch. Viel prägender fürs Privatleben ist die Tatsache, dass einem als Diplomat mit den ständigen Ortswechseln die Biografie wie in einem Film geschnitten wird. Diese Schnitte sind schmerzhaft, weil sie soziale Beziehungen zerstören. Ist der nächste Posten nun Hanoi, Stockholm oder Dakar? In letzter Konsequenz droht grosse Beliebigkeit. Das wäre für mich inakzeptabel, darum wäre ich gerne nach Israel gegangen. Von dieser Region verstehe ich etwas. Auf einem Posten wie Paris sind hingegen andere besser.

Der rote Faden Ihrer Biografie scheint eine Art Gegenprogramm zu Samuel Huntington zu sein - nicht Kampf, sondern Versöhnung der Kulturen?

Nicht Versöhnung, sondern Verständigung, das ist nicht dasselbe. Was passiert an den Kulturgrenzen, wo ja die meisten Konflikte entstehen? Wie kommt man zu universalen Regeln der Verständigung? Ich habe selber keine Lösung, sondern nur Hinweise, in welche Richtung ein solcher Austausch führen sollte.

Sie scheinen Ihren Optimismus noch nicht verloren zu haben. Dabei führte Sie eine Ihrer ersten Missionen an einen der hoffnungslosesten Konfliktherde dieser Welt: nach Tschetschenien. Wie prägend war eigentlich dieser Einsatz für Ihre spätere diplomatische Laufbahn?

Das war das Schlüsselerlebnis meiner professionellen Biografie. Es war damals geradezu eine ideal effiziente diplomatischen Aktion: Ein Minimum an Aufwand, der uns mit viel Glück ein Maximum an Wirkung erlaubte. Wir haben heute in Kosovo fast 1000 Leute bei der OSZE-Mission und einen Jahresetat von 100 Millionen. Damit wird zwar viel geholfen, aber wir müssen schauen, dass dieser riesige Apparat punkto Administration überschaubar und rational bleibt. In Tschetschenien waren wir acht Leute, und es hat gereicht, um Wahlen zu organisieren.

Haben Sie Mühe mit grossen diplomatischen Missionen?

Ich habe dann Mühe, wenn eine grosse Bürokratie entsteht. Das kostet viel Geld, und die Erfolgskriterien sind weit weniger klar messbar als bei einem Unternehmen, das am Markt bestehen muss. Wer nicht am Markt bestehen muss, kann lange weiterwursteln, Probleme beschreiben, da und dort ein bisschen helfen, eine Dienstreise organisieren, ein Seminar veranstalten, vielleicht brauchts dann noch ein paar Assistenten mehr, ein paar Autos mehr - wenn das Budget mal bewilligt ist, schaut niemand mehr genau hin. Ich setze mich dafür ein, dass der Aufwand stets in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag steht.

Was war der gefährlichste Ort, an dem Sie je waren?

Auf irgendeiner Autostrasse - Autofahren ist das gefährlichste im Leben.

Tschetschenien?

Auch das war zeitweise sehr gefährlich.

In jener Zeit, als Sie dort waren, wurde eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes entführt und umgebracht. Hatten Sie Angst?

Nein, wir waren im Gegensatz zum IKRK bewacht. Der politische Zweck des Anschlags bestand wohl darin, die Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Die Tschetschenen haben immer gesagt, dass freie Wahlen erst möglich sind, wenn der letzte russische Soldat abgezogen wäre. Als die Russen dann tatsächlich abzogen, war dieses Argument vom Tisch.

Tim Guldimann

Tim Guldimann, 56, ist der bekannteste Schweizer Diplomat. Nach OSZE-Missionen in Tschetschenien (bis 1996) und Kroatien 1997-99 sowie als Botschafter in Iran (1999-2004), wo er auch die US-Interessen vertrat, leitet der Schweizer aktuell die OSZE-Mission in Kosovo. Er steht in dieser Funktion einer Mission von rund 900 internationalen und lokalen Mitarbeitern vor, die Wahlen organisiert, Polizisten und Journalisten ausbildet und demokratische Institutionen aufbauen hilft. Zwischendurch lehrte er als Dozent für Politologie an der Universität Frankfurt.

Das Gespräch fand in der Vorweihnachtszeit während eines Nachtessens in einem Hotel in Pristina statt. Den periodischen Stromausfall nahm der Krisendiplomat routiniert, unterbrach das Gespräch deswegen nicht. Das Aufnahmegerät funktionierte schliesslich mit Batterien, das Cheminée nebenan gab das Notlicht. Guldimann war eben zurückgekehrt aus Belgrad, wo er die serbische Regierung vom Veto gegen eine Verlängerung der OSZE-Mission in Kosovo abzubringen versucht hatte. (rs)

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