Frankfurter Allgemeine Zeitung
23.03.2008
Vorbereitung eines Angriffskrieges. Jeder Schüler kennt diesen Anklagepunkt des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals. Jeder Fernsehzuschauer weiß, dass der Krieg gegen den Irak ein Angriffskrieg war. Dennoch gibt es kein Tribunal, keine Angeklagten, kein Verfahren. Lese den Artikel unter "read more" ; guck den Film unter Leading to War
Sind wir die Terroristen?
Von Nils Minkmar
Ein Selbstentwickler: Jürgen Todenhöfer
24. März 2008 Vorbereitung eines Angriffskrieges. Jeder Schüler kennt diesen Anklagepunkt des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals. Jeder Fernsehzuschauer weiß, dass der Krieg gegen den Irak ein Angriffskrieg war. Dennoch gibt es kein Tribunal, keine Angeklagten, kein Verfahren.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, weiß jeder. Dennoch ist es schon in der Berichterstattung ein Unterschied, ob ein Deutscher, ein Europäer, ein Amerikaner ums Leben kommt oder ein Araber - im letzten Fall erfahren wir nicht mal den Namen des Opfers. Schließlich ist der Mehrheit längst klar, was von den Argumenten für den Irakkrieg zu halten ist, der erschütternde Film „Leading to War“, kostenlos einsehbar auf der gleichnamigen Website, kommt daher völlig ohne Kommentar aus. Der Krieg tobt ohne Berechtigung, aber nicht weniger heftig.
Wahnsinn oder Widerstand?
Seit fünf Jahren müssen wir mit diesen Diskrepanzen auskommen, und es gelingt ganz gut, die Abspaltung, die Hoffnung auf bessere Zeiten. Was ist aber, wenn solche psychischen Verarbeitungsmechanismen, auch die simple Faulheit, die Gewöhnung an die normative Kraft des Faktischen ausbleiben? Wird man dann verrückt? Ist es Wahnsinn oder Widerstand, wenn einer in drei großen Tageszeitungen, in der „New York Times“, in „Al Quds“ und in der F.A.Z., seitenweise Anzeigen kauft, um bekanntzumachen, was doch eigentlich jeder weiß? Ist es noch Engagement, wenn sich ein Privatmann mit Buch, Website, Kinotrailern und Plakatwerbung an die Weltöffentlichkeit wendet, oder ist das ein Spleen? Ist der ein Pionier einer Weltbürgergesellschaft oder schon in der Liga der Erleuchteten, der D-Mark-Partei-Gründer und Supervitaminprediger? Vermutlich beides.
Doch außer islamhassenden Internetbewohnern mit zu viel Tagesfreizeit, die sich auf der Website „Politically Incorrect“ austoben, dürfte es jedem vernunftbegabten Leser schwerfallen, Jürgen Todenhöfers Appell an unsere eigenen westlichen Werte zu ignorieren. Todenhöfers Buch „Warum tötest du, Zaid?“ enthält drei Teile: Es erzählt die Geschichte einer klandestinen Reise Todenhöfers nach Ramadi; und die Geschichte von Zaid, der vom Studenten zum Kämpfer wurde, als er den Tod seiner Brüder mitansehen musste. Im Bildteil werden teils aktuelle, teils historische Fotos von der Grausamkeit westlicher Herrschaft in muslimischen Ländern präsentiert; schließlich formuliert Todenhöfer zehn Thesen zur Überwindung des muslimisch-christlichen Gegensatzes. Alles zusammen legt einen sehr unmodernen Schluss nahe: Wir, der Westen, wir sind nicht die Guten, waren es vielleicht nie.
Hardliner am rechten Rand
Für solche Schlechtelaunebotschaften ist niemand mehr zuständig. Was mag ein Plakatwandleser als geistiges Umfeld des Autors vermuten? Klingt nach der Linken, nach Bernt Engelmann, dem mittleren Wolf Biermann oder Gerhard Zwerenz. Falsche Antwort.
In einer früheren Zeit stand Jürgen Todenhöfer in der anderen Ecke. Darum quittiert er die Aussage, man habe im Zeitungsarchiv spannende alte Artikel über ihn entdeckt, mit einem süßsauren „Archiv? Das ist aber gemein.“ Es ist nur zur Hälfte ein Witz. In seinen Jahren als entwicklungs- und rüstungskontrollpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre hat sich Todenhöfer einen Namen als Hardliner am rechten Rand gemacht. Er galt als Strauß-Mann in Bonn, er fand harsche Worte gegen die südafrikanische Befreiungsbewegung ANC und besuchte den chilenischen Diktator Augusto Pinochet. Auch im Inneren hat er sich mit allen angelegt, die heute zu den Lieblingen der Nation zählen, mit Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt und Helmut Kohl.
Zur Zeit der sowjetischen Besatzung Afghanistans reiste er zweimal ins Land, trat in afghanischer Tracht auf und hielt im Bundestag die Spielzeugbomben hoch, mit denen die Rote Armee die Moral der Bevölkerung zu untergraben suchte. In einer Zeit, in der sich die Deutschen nach Entspannung sehnten, waren solche Auftritte höchstens noch bei den Fans des ZDF-Magazins von Gerhard Löwenthal beliebt; gestandene Ost-West-Politiker reagierten mit spottenden James-Bond-Vergleichen und veralberten seine Slogans: „der Geschmack von Freiheit und Abenteuer!“. Ende der siebziger Jahre findet sich, natürlich anonym, folgende Einschätzung eines Fraktionskollegen in der Zeitung: „Der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.“ Irgendwann musste er die Konsequenzen aus dem Dauerclinch mit Helmut Kohl ziehen und die Politik aufgeben.
Sehr gepflegter ewiger Student
Heute ist Jürgen Todenhöfer stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Medienhauses Burda. Er trägt lange weiße Haare, ein offenes Hemd und eine ovale Brille, ein sehr gepflegter ewiger Student. Es fällt schwer, diesen Mann mit der milden Stimme mit den Fotos von früher in Einklang zu bringen, auf denen er die wirren, dunklen Haare mit langen Koteletten trägt und mit einem etwas zu intensiven Blick ins Objektiv schaut. Er sagt, dass es stimme, das mit den fehlenden Tassen, damals. „Ich bin unfähig, mich in wesentlichen Fragen, also bei der Beteiligung an einem Krieg oder der Wiedervereinigung, der Mehrheitsmeinung anzuschließen. Damit kommt man in einer Partei nicht weit. Wenn Sie heute Helmut Kohl fragen, ob ich je Politiker gewesen bin, dann kriegt der einen Lachkrampf.“
Der Bescheidenheitsgestus fällt Todenhöfer umso leichter, als die Weltgeschichte ihm in der wichtigsten Frage entgegenkam. Todenhöfer gehörte, so Peter Glotz in seinen Memoiren, „zur halben Handvoll Abgeordneter in Bonn, die auch in den achtziger Jahren noch an die deutsche Wiedervereinigung glaubten“. Auch dann noch, als Kohl den Erich Honecker auf dem roten Teppich empfing und Strauß mit Milliardenkrediten die DDR-Wirtschaft flottmachte. Wenn man als Irrer angesehen wurde, weil man im Bundestag von einer deutsch-russischen Aussöhnung träumte, zu einer Zeit, da in Moskau noch die Kommunisten herrschten (während heute ehemalige Bundeskanzler bei russischen Firmen ihre Brötchen verdienen), scheut man den Vorwurf der Phantasterei nicht mehr.
Ein kleines Vermögen ausgegeben
Er hat, was viele besonders beunruhigt, für das neueste Projekt ein kleines Vermögen ausgegeben. Plakat-, Zeitungs- und Kinowerbung, auch der dreisprachige Internetauftritt: alles privat bezahlt. So viel war es dann gar nicht, sagt er, ungefähr die Größenordnung eines Sportwagens. Er hat es einfach nicht mehr ausgehalten, die Lügen, die falsche Rollenverteilung, dass sich der Westen immer noch als das Opfer sieht und die Muslime als die intrinsisch Aggressiven darstellt, wo es sich doch exakt umgekehrt verhält. In seinem Beruf ist Todenhöfer ein Mann der Zahlen: „Bin Ladin hat 5000 Menschen getötet, Bush mehrere hunderttausend.“
Er hat es sich nicht leichtgemacht. Seine Kenntnis der Verhältnisse im Irak hat er nicht allein aus der Zeitungslektüre. Er hat über den ehemaligen Leiter des „Oil for Food“-Programms, Hans Graf von Sponeck, Kontakt zu irakischen Widerstandsgruppen aufgenommen. Er hat mit dem Roten Halbmond gesprochen und mit den Autoren der Lancet-Studie über die zivilen Opfer des Krieges. Er hat in Jordanien und Syrien mit Flüchtlingen gesprochen und war schließlich im vergangenen Jahr fünf Tage in Ramadi, als Arzt getarnt, eine lebensgefährliche Reise.
Ein wütender junger Mann
Dort traf Todenhöfer den Protagonisten des Buches: „Sie müssen ihn sich als einen jungen James Dean vorstellen, einen wütenden jungen Mann, der nicht eben drauf brennt, Fremden seine Geschichte zu erzählen.“ Er musste die Daten und Umstände ein wenig verfremden: Einer, der auf amerikanische Soldaten schießt, kriegt im Irak keine Lebensversicherung mehr. Besonderen Stolz entwickeln die Familie und die Freunde Zaids aus dem Umstand, dass er eine Bombe nicht gezündet hat, weil sich ein alter Mann in der Nähe des geplanten Anschlagsorts niedergelassen hatte. „Das“, resümiert Todenhöfer, „ist für mich der entscheidende Punkt: Ablehnung von Gewalt gegen Zivilisten und die Bereitschaft zu Verhandlungen. Im irakischen Widerstand ist beides vorhanden.“
Die Erfahrung, amerikanischen Bomben und Panzern ausgeliefert zu sein, kennt er, Jahrgang 1940, aus seiner Kindheit. Er entkam manchmal seiner Mutter und sammelte Granatsplitter auf, am besten solche, die noch warm waren. Die französische Besatzung erlebte die Familie als hart und bisweilen grausam. Und doch nahm Todenhöfer an den Versöhnungsoffensiven nach Westen teil. „Meine Vorurteile gegen die Franzosen dauerten exakt so lange, bis ich zu einem Schüleraustausch eingeladen wurde.“ Er heiratete eine Französin, ist Ehrenoberst der amerikanischen Armee und sogar Ehrengirlscout, die personifizierte Westbindung. Ihm Antiamerikanismus nachweisen zu wollen wäre sinnlos. Er hat die Telefonnummern einflussreicher Republikaner. Vor dem Irakkrieg hat er sie angerufen. „Sicher war es größenwahnsinnig und aussichtslos. Aber was wäre die Alternative gewesen? Nichts zu tun?“ Er unterstützt auch eine israelisch-palästinensische Begegnungsstätte, damit sich beide Seiten einfach mal kennenlernen. „Diese Teenager schütteln nur den Kopf über die offizielle Politik. Versöhnung ist möglich. Sie wird kommen.“ Er empfiehlt eine Art KSZE für den Nahen Osten.
Kein Schaden
Gerade, als es staatstragend wird, hellt sich Todenhöfers Gesicht auf. „Wissen Sie, hier in Bayern haben wir einen Brauch: Alle vierzehn Tage erheben sich samstags fast sechzigtausend Menschen aller Religionen und verneigen sich vor einem Muslim.“ Kurzfristig erwägt man die Möglichkeit, dass der Mann doch viel verrückter ist, als man mit bloßem Auge erkennt. „Wie?“ „Na vor Franck Ribéry“, einem berühmten Fußballer.
Im Sommer 1979 erschien im „Spiegel“ ein Porträt über Todenhöfer, der Autor war Jürgen Leinemann. Es war eine Vernichtung. Die Überschrift war ein Zitat aus einem alten Kindergedicht von Friedrich Güll: „Das Büblein stampfet und hacket.“ Und zwar, wie töricht, auf einer Eisfläche. Im Gedicht wird es dann ungemütlich - der Bub bricht ein und wird vom Vater versohlt. Leinemann nannte ihn den „Selbstentwickler“. Es war gemein und doch treffender, als der Autor wissen konnte: Todenhöfer hat sich entwickelt, brechende Eisdecken beziehungsweise die fallende Mauer und ein Reinfall samt strafendem politischem Übervater spielten dabei eine große Rolle. Kein Schaden: Unser verpenntes Land verträgt noch mehr solcher Irrer.
Jürgen Todenhöfer: „Warum tötest du, Zaid?“ C. Bertelsmann 2008, 335 Seiten
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