26. Juli 2008, Neue Zürcher Zeitung
Wie gefährlich wäre ein Militärschlag gegen Iran?
Israelisches Vormachtstreben als Hindernis bei der Suche nach Gleichgewicht
Die Spekulationen über einen möglichen israelischen oder amerikanischen Militärschlag gegen Iran reissen nicht ab. Im folgenden Beitrag hinterfragt der Autor die Gründe für eine Strategie gegenüber Teheran, die auf Ausgrenzung und Konfrontation aus ist. Er plädiert für eine moderierende Politik, die ein Gleichgewicht zwischen den regionalen Kräften anstrebt.
Von Johannes Reissner*
26. Juli 2008, Neue Zürcher Zeitung
Wie gefährlich wäre ein Militärschlag gegen Iran?
Israelisches Vormachtstreben als Hindernis bei der Suche nach Gleichgewicht
Die Spekulationen über einen möglichen israelischen oder amerikanischen Militärschlag gegen Iran reissen nicht ab. Im folgenden Beitrag hinterfragt der Autor die Gründe für eine Strategie gegenüber Teheran, die auf Ausgrenzung und Konfrontation aus ist. Er plädiert für eine moderierende Politik, die ein Gleichgewicht zwischen den regionalen Kräften anstrebt.
Von Johannes Reissner*
Israelische Drohungen, mit einem Militärschlag gegen Irans Atomanlagen die «iranische Bombe» zu verhindern, häufen sich, und international reissen die Spekulationen nicht ab, ob damit nur der Druck auf Iran erhöht werden soll oder ob tatsächlich vor Ende der Amtszeit Präsident Bushs mit einem Angriff zu rechnen sei. Da Israeli auch einräumen, dass sich mit einem Militärschlag die «iranische Bombe» möglicherweise ohnehin nur um etwa vier Jahre verzögern liesse, fragt man sich allerdings, wozu er dann dienen soll und welche Folgen er haben könnte.
Die iranische Bedrohung
Die Israeli haben gute Gründe, in Iran eine Bedrohung zu sehen. Eine Welt ohne den Staat Israel wäre der iranischen Führung am liebsten. Lange bevor Ahmadinejad im Oktober 2005 Khomeiny mit der Äusserung zitierte, dass das Jerusalem besetzende Regime aus den Seiten der Geschichte verschwinden müsse, hatte der Revolutionsführer Khamenei im Mai 1999 Widerstand und Kampf als einzige Mittel genannt, um das «Krebsgeschwür Israel» auszurotten. Angesichts dessen ist die schiefe Übersetzung westlicher Medien des Khomeiny-Zitats von Ahmadinejad irrelevant. Eher bemerkenswert ist, dass die iranische Führung den Untergang Israels in aller Regel unpersönlich, quasi als geschichtliche Notwendigkeit, darstellt, nicht aber sagt, dass man es selbst besorgen werde. Doch dies kann Israel natürlich nicht beruhigen.
Zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran bestand nicht immer unüberbrückbare Feindschaft. Khomeiny lehnte Israel zwar aus ideologischen Gründen grundsätzlich ab, aber das politische Verhältnis der iranischen Revolutionäre zu Israel war zunächst eher ambivalent und kalkuliert. Während des Krieges mit dem Irak (1980–1988) akzeptierte Iran die Lieferung amerikanischer Waffen über Israel im Rahmen der später als Iran-Contra bekanntgewordenen Affäre. Erst in den neunziger Jahren verschärfte sich die geostrategische Konkurrenz zwischen Israel und Iran, wie Trita Parsi in seinem Buch «The Treacherous Alliance. The Secret Dealings of Israel, Iran, and the U.S.» dokumentiert.
Nachdem sich Iran im ersten Krieg der USA gegen Saddam Hussein 1991 neutral verhalten hatte, schien eine Annäherung zwischen Iran und den USA möglich. Dies weckte in Israel Befürchtungen, es könnte seine Vorzugsstellung als wichtigster strategischer Partner der USA in der Region einbüssen. Um dem entgegenzuwirken, propagierte die israelische Arbeitspartei unter Rabin und Peres die Vorstellung, dass das nichtarabische Iran für Israel seine potenzielle Funktion als strategische Balance gegen die Araber verloren habe und nach der faktischen Ausschaltung des Iraks zur entscheidenden Bedrohung in der Peripherie Israels geworden sei. Diese Sicht beeinflusste auch Präsident Clinton, der im Frühjahr 1993 gegen den «kritischen Dialog» der Europäer mit Iran die «doppelte Eindämmung» des Iraks und Irans auf die Agenda amerikanischer Mittelostpolitik setzte. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 avancierte Iran zum Schurkenstaat, zum weltweit «grössten Sponsor von Terrorismus», und kam auf die «Achse des Bösen».
Veraltete Strategien
Dieser auf Marginalisierung und Exklusion nicht prowestlicher Akteure zielende Politikansatz mochte während des Kalten Kriegs zur Verhinderung prosowjetischer Satelliten noch möglich gewesen sein. Heute aber wirkt er mit seinem kruden Freund-Feind-Schema nur noch konfliktverschärfend. Denn der Globalisierungsschub der neunziger Jahre hat den regionalen Akteuren des Nahen und Mittleren Ostens enorme neue Möglichkeiten für ihr altes Spiel eröffnet, die Konkurrenz externer Mächte für den eigenen, regionalen Konkurrenzkampf zu nutzen. Diese seit dem 19. Jahrhundert geübte Praxis bestimmt die politische Dynamik der Region. Sie ist von ethnischen und konfessionellen Animositäten und Feindschaften geprägt, aber nicht von Exklusionsphantasien. Saudiarabien und die kleineren arabischen Nachbarn Irans am Persischen Golf bemühen sich um eine Eindämmung Irans durch selektive Inklusion und Engagement.
Der Westen kann der Region keine Ordnung von aussen bringen und bestimmen, wer in ihr mitspielen darf. An die Stelle der kontraproduktiven auf Exklusion ausgerichteten Strategien muss eine moderierende Balance zwischen allen Kräften der Region treten. Afghanistan und der Irak haben gezeigt, dass die Probleme erst nach der Eroberung und der Beseitigung der Regime beginnen.
Sanktionen sind keine Diplomatie
Irans Antwort auf das Anreizpaket der fünf Vetomächte des Uno-Sicherheitsrats und Deutschlands lässt neue Verhandlungen möglich erscheinen. Diese Entwicklung erfordert die volle Unterstützung der USA. Sanktionen allein sind entgegen der ständigen Behauptung Washingtons noch keine Diplomatie, sondern sind ohne Einbindung in eine politische Strategie nichts anderes als eine nichtmilitärische Strafaktion, deren inhärente Gefahr der Eskalation offensichtlich ist.
Die amerikanische Behauptung, ein Militärschlag gegen iranische Atomanlagen sei nur als «letzte Zuflucht» (last resort) zur Verhinderung der «iranischen Bombe» geplant, ist ohne den ernsthaften Versuch Washingtons, mit Teheran zu verhandeln, eine Irreführung der internationalen öffentlichen Meinung. Nur in Verhandlungen lässt sich die prinzipielle Anerkennung Irans zeigen. Zwar sieht man in Washington, dass die Lösung der Irakfrage ohne eine Einbeziehung Irans schwer möglich ist. Doch auf den Irak beschränkte Verhandlungen, die das Moment der grundsätzlichen Anerkennung Irans missen lassen, reichen Iran nicht, wie die Irak-Verhandlungen von 2007 zeigten. Dass Iran an einem grundlegenden Arrangement mit den USA interessiert ist, dafür gibt es trotz massiver antiamerikanischer Rhetorik deutliche Signale.
In Israel wird der zeitliche Abstand zum «point of no return», an dem Iran aufgrund seiner Anreicherungsaktivitäten zum Bau der Bombe fähig wäre, auf etwa ein Jahr eingeschätzt und das Ende der Amtszeit Präsident Bushs als letztmögliches Datum für einen Militärschlag genannt. Dies wirkt sehr kalkuliert. Hätten die vielen israelischen Schätzungen seit Beginn der neunziger Jahre gestimmt, müsste Iran längst die Bombe haben. Es ist Zeit, einmal in die andere Richtung zu denken, ob dem israelischen Sicherheitsbedürfnis nicht weit mehr mit einer ernsthaften Verbesserung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses gedient wäre als mit einem Militärschlag. Doch Israel will für die eigene Sicherheit in letzter Instanz auch nicht auf die Amerikaner angewiesen sein. Eine «iranische Bombe plus amerikanische Botschaft in Teheran» widerspräche der Doktrin von Israels regionaler Vormachtstellung.
In Israel wird argumentiert, dass ein Militärschlag die nukleare Rüstung Irans zumindest verzögern würde. Die internationale Gemeinschaft könnte dann die Zeit nutzen, nach einer dauerhafteren Lösung zu suchen. Doch die Frage ist, ob es nach einem Militärschlag überhaupt eine kontrollierbare und verhandlungsoffene Situation gibt. Seit einem Jahr herrscht in Israel die Meinung vor, dass sich die unmittelbaren Reaktionen «managen» liessen. Ob Iran es tatsächlich wagen würde, Israel mit Raketen anzugreifen und einen Krieg zu entfesseln, ob der libanesische Hizbullah und Syrien zur Entlastung Irans Israel angreifen würden, all dies sei ungewiss. So schwierig dergleichen auch zu bewältigen sei, so sei es doch immerhin noch eher zu verkraften als ein nuklear gerüstetes Iran. Israels grundsätzliche strategische Überlegenheit in der Region bliebe erhalten.
Keine Hoffnung auf regionale Stabilität
Abgesehen davon, dass sich Iran im Falle eines israelischen oder amerikanischen Militärschlags erst recht zur nuklearen Rüstung entschliessen könnte, übersieht die israelische Kalkulation die möglichen mittelfristigen Folgen. Eine Schwächung des iranischen Regimes oder gar ein Regimewechsel, worauf unter anderem die Studie «The Last Resort» von Patrick Clawson und Michael Eisenstadt vom Washington Institute for Near East Policy spekuliert, würde eine Destabilisierung Irans bedeuten und im Extremfall, dass man es mit einem weiteren fragilen oder gar «failed state» zwischen dem Irak und Afghanistan zu tun hätte. Amerikanische Versuche, Minderheiten wie die Belutschen, die Kurden und die Araber in Ahwaz gegen Teheran aufzustacheln, können nur einem Chaos den Weg ebnen, das die regionale Stabilität vernichten würde.
Das aufgeheizte Klima der Drohungen und Gegendrohungen ist beängstigend genug. Doch die Beschränkung der meisten Spekulationen auf das Ob und Wie eines Militärschlags und die Vernachlässigung der Frage nach den Folgen lassen sich nur aus der von Selbstüberschätzung geprägten Überzeugung erklären, das Danach schon irgendwie regeln zu können. Bekanntlich ist Hybris ein schlechter Ratgeber.
* Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin.
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