Donnerstag, Dezember 16, 2010

Gift im Spielzeug

Gift im Spielzeug

In der EU und der Schweiz soll eine neue Richtlinie mit strengeren Regelungen eingeführt werden


Meldungen über giftige Spielwaren schrecken immer wieder auf. Dabei sind viele der Produkte aufgrund von fehlenden gesetzlichen Regelungen erlaubt. Dies soll sich ändern.

Stephanie Lahrtz
Blei im Kinderschmuck, Formaldehyd im Puzzle oder Nickel in Metallkappen – immer wieder tauchen beunruhigende Nachrichten über Gifte im Kinderspielzeug auf. Dabei ist die Erkenntnis, dass solche Waren belastet sein können, keineswegs neu. Spätestens seit im Sommer 2007 der Spielzeughersteller Mattel weltweit über 18 Millionen Produkte wegen Sicherheitsmängel wie verschluckbarer Kleinteile oder mit Blei belasteter Spielzeugautos zurückrufen musste, erwarten Eltern wie auch Konsumentenschützer, dass die Hersteller «sichere» Waren anbieten.

In Autoreifen nahezu verboten


Doch offenbar ist dies auch heutzutage noch nicht immer der Fall, wie eine Untersuchung der deutschen Stiftung Warentest vom November ergab. Sie untersuchte 50 Spielzeuge für Kleinkinder und stufte 80 Prozent davon als belastet mit Chemikalien oder gefährlich wegen verschluckbarer Kleinteile ein. So wurden etwa in vielen Holzspielsachen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in unterschiedlichen Konzentrationen gefunden, aber auch zinnorganische Verbindungen oder Nickel waren enthalten (vgl. Kasten).

Doch das Problem ist nicht nur Unwissenheit, Uneinsichtigkeit oder Profitstreben von Herstellern, Zulieferern und Händlern. Vielmehr ist der Verkauf auch vieler der nun von der Stiftung Warentest beanstandeten Produkte legal. Denn für viele der gesundheitsgefährdenden Substanzen existieren weder in der Schweiz noch in der EU verbindliche Grenzwerte oder Verbote.

Für Konsumentenschützer geradezu grotesk ist die Tatsache, dass zwar aufgrund einer EU-Verordnung in Weichmacherölen für Autoreifen nicht mehr als 1 Milligramm pro Kilogramm polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthalten sein darf. Hingegen existiert keine Vorschrift für diese Stoffgruppe für Spielzeug oder andere «Verbraucherprodukte» wie Velolenkergriffe oder....
Sportartikel. Es gilt demnach das Chemikalienrecht, das eine Konzentration von 100 Milligramm pro Kilogramm eines PAK gestattet. Um diesen Missstand zu beseitigen, hat die EU-Kommission 2009 eine neue Spielzeugrichtlinie beschlossen. Darin werden die mechanischen oder elektrischen Eigenschaften, die Entzündbarkeit ebenso geregelt wie der erlaubte Gehalt von mehr als 100 Substanzen. Die nun vorgeschriebenen Werte basieren auf medizinischen und epidemiologischen Untersuchungen der letzten Jahre. Damit wurden als tolerabel geltende Mengen an Chemikalien festgelegt. Doch noch sind die Diskussionen um die detaillierte Ausgestaltung nicht abgeschlossen. Ab Sommer 2011 soll jedoch die neue Richtlinie in der EU angewendet werden. Laut Kurt Lüthi, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Verbraucherschutz beim Bundesamt für Gesundheit, wird auch die Schweiz diese Richtlinie übernehmen, vermutlich in der zweiten Hälfte 2011 .

Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat für PAK, welche im Spielzeug in Kunststoff- oder Gummiteilen ebenso enthalten sein können wie in Lacken oder Farben, gefordert, dass diese nicht nachweisbar sein dürfen. Die derzeitige Nachweisgrenze liegt bei 0,2 Milligramm pro Kilogramm. Denn Experten gehen davon aus, dass es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge an PAK gibt. Es sei zudem technisch kein Problem, den PAK-Gehalt derart abzusenken. Nur für bestimmte Druckfarben in Büchern oder dunkle Farben für Aufdrucke auf Kunststoffteile sei es noch fast unmöglich, PAK-freie Produkte zu bekommen, sagt Matthias Löhnert, der bei der deutschen Spielzeugfirma Habermaass für die Qualitätssicherung zuständig ist.

Verstecktes Blei im Schmuck


Neu wurden in der Richtlinie auch für giftige Schwermetalle wie Blei oder Cadmium Konzentrationen definiert, die ein Spielzeugmaterial maximal freisetzen darf, sogenannte Migrationswerte. Diese Substanzen sind oft in Farben oder Lackierungen enthalten. So dürfen etwa künftig aus abschabbarem Material nicht mehr als 160 Milligramm Blei bzw. 23 Milligramm Cadmium pro Kilogramm Spielzeug freigesetzt werden. Laut BfR soll dies sicherstellen, dass, wenn ein Kind an dem Spielzeug lutscht, es daraus täglich nicht mehr als 1,3 Mikrogramm Blei bzw. 0,2 Mikrogramm Cadmium aufnimmt. Diese Werte wurden so gewählt, dass bei täglichem Spielen die Blei- und Cadmiumaufnahme zwischen 20 und 50 Prozent der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als tolerabel festgelegten wöchentlichen Dosis betragen würde.
Da Kinder jedoch bereits über Lebensmittel und Trinkwasser Blei und Cadmium aufnehmen, halten die Experten des BfR die neuen Migrationswerte immer noch für zu hoch. Übereinstimmend mit der WHO fordern sie, dass überhaupt kein Blei oder Cadmium in Spielzeug enthalten sein sollte. Denn Experten seien sich einig, dass jede Bleimenge im Körper gesundheitsschädlich sei. Es gebe zudem schon Farben und Lacke ohne diese Schwermetalle.

Als problematisch stufen die Experten zudem ein, dass in der neuen Richtlinie keine Regelungen für Modeschmuck vorgesehen sind. Dabei waren gerade in den letzten Jahren immer wieder bis zu 30 Prozent der von Behörden in der Schweiz oder Deutschland bei Kontrolluntersuchungen getesteten Schmuckobjekte erheblich mit Blei oder Cadmium belastet. Gerade billige Anhänger für Kinderketten bestehen oft zu einem grossen Teil aus Blei, das durch eine glänzende Chromschicht verdeckt wird. Wird diese partiell zerstört, wird Blei freigesetzt. Und da kleinere Kinder solche Objekte oft in den Mund nehmen, besteht laut Experten die Gefahr nicht nur einer Bleiansammlung im Körper, sondern manchmal sogar einer akuten Bleivergiftung.
Zumindest in der Schweiz existiert seit 1. November ein Migrationswert für Cadmium aus Schmuck. Nun darf dieser für Erwachsene nur noch 100 Mikrogramm Cadmium und solcher für Kinder nur noch 25 Mikrogramm pro Woche abgeben. Die neue Regelung ist laut Lüthi die Reaktion auf 2007 erstmals in Kloten aufgefallene, meist aus Südasien stammende billige Schmuckobjekte. Analysen ergaben, dass manche der Schmuckstücke zu fast der Hälfte aus Cadmium bestanden. Möglicherweise sei dieses beim Rezyklieren von Silber aus Elektronikschrott nicht sauber abgetrennt worden, vermutet Martin Brunner, stellvertretender Zürcher Kantonschemiker. Und man gehe davon aus, dass das Problem weiterbestehe. Deshalb wolle man 2011 neue Untersuchungen durchführen.

Weitere Verbote gefordert


In der neuen Richtlinie wurden ausserdem Grenzwerte für die Freisetzung zinnorganischer Verbindungen aus Spielzeug festgelegt. Eine Gruppe dieser Stoffe, die als Biozide in Schiffsanstrichen verwendet wurden, ist weltweit seit 2003 verboten. Doch ähnliche Substanzen dürfen weiterhin als Stabilisatoren in PVC oder gewissen Klebstoffen auch in Spielzeugen eingesetzt werden. Derzeit teste man aber Kleber ohne solche Substanzen, erzählt Löhnert.

Für ein wachsendes Problem hält Andreas Hensel, Präsident des BfR, die Verwendung von allergieauslösenden Duftstoffen oder Nickel in Spielzeugen oder metallischen Legierungen an Kleidungsstücken. Schon heute seien 10 Prozent der Kinder gegen Nickel und 2 Prozent gegen Duftstoffe sensibilisiert. Trotzdem enthält die neue EU-Richtlinie keine Regelungen zur Begrenzung des Hautkontakts mit Nickel.

Zudem sollen in Zukunft 55 chemisch unterschiedliche Duftstoffe verboten sein; trotzdem bleiben aber sogenannte Spurengehalte bis 100 Milligramm pro Kilogramm zulässig. Für kosmetische Produkte gelten strengere Grenzwerte. Da noch keine Konzentrationen bekannt sind, die für Allergiker unbedenklich seien, sollten Nickel und allergene Duftstoffe nicht in Spielzeug enthalten sein, fordern Experten.


Verbreitete Giftstoffe und ihre Wirkung
 slz. ⋅ Kinder sind besonders gefährdet gegenüber giftigen Substanzen, da sie diese oft schlechter verstoffwechseln als Erwachsene. Zudem leben Kinder noch länger; Chemikalien, die sich im Körper anreichern und erst später Krankheiten auslösen, sind für sie deshalb bedeutender als für Erwachsene. Allerdings sollte man laut Experten nicht vergessen, dass Zigarettenrauch in der Wohnung oder bleihaltige Wasserrohre schädlicher sind als belastetes Spielzeug.
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) entstehen durch unvollständige Verbrennung von organischem Material. Acht Substanzen aus dieser Gruppe gelten als krebserzeugend. Manche schädigten in Tierversuchen zudem das Erbgut und/oder beeinträchtigten die Fortpflanzung. PAK werden gut über die Haut aufgenommen.
Blei ist krebserregend und schädigt das Hormon- und das Nervensystem. Bereits geringe Mengen können bei Kindern neurologische Störungen auslösen und die Intelligenz verringern. Blei verbleibt im Körper für bis zu 30 Jahre und lagert sich vor allem in den Knochen ab.
Cadmium schädigt vor allem die Nieren und das Hormonsystem, es gilt aber auch als krebserregend. Der Cadmiumgehalt in Lebensmitteln ist oftmals so hoch, dass allein durch diese Quelle mehr als die als tolerabel angesehene Wochendosis aufgenommen wird.
Nickel kann bei Hautkontakt ein allergisches Ekzem auslösen. Dieses äussert sich in einer geröteten und juckenden Haut mit Schwellung und Bläschen. Bei häufigem Nickelkontakt kann sich ein chronisches Ekzem ausbilden.
Organozinnverbindungen umfassen wie die PAK eine Gruppe von chemisch ähnlichen Substanzen. Manche sind immuntoxisch, andere beeinträchtigen die Fortpflanzung oder schädigen den Fötus.
Duftstoffe können wie Nickel eine Allergie auslösen. In der Kosmetik dürfen manche Substanzen nur in Produkten mit kurzzeitigem Hautkontakt, andere auch in sogenannten «leave on»-Produkten enthalten sein.

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