Freitag, Oktober 13, 2006

Der deutsche Theologe Eugen Drewermann über Islamismus und Terrorismus

© Tages-Anzeiger; 13.10.2006; Seite 55

Kultur

«Terror ist die Sprache der Verzweifelten»

Für den deutschen Theologen Eugen Drewermann ist die konsequente Gewaltfreiheit das angemessene Mittel gegen den islamistischen Terror.

Mit Eugen Drewermann sprach Michael Meier

Nicht nur Unglückspropheten künden heute, dass wir auf einen Kampf der Religionen zusteuern. Sie auch, Herr Drewermann?

Der Kampf der Religionen ist in Wirklichkeit ein kaschierter Machtkampf um die Verteilung der Ressourcen und die hegemoniale Rolle der USA. Es gibt Hinweise, dass man nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1989 im Pentagon und im Weissen Haus aktiv darüber nachdachte, wie man einen Ersatzfeind findet, und man hielt den Islam für gut geeignet. Erstens ist das meiste Erdöl bei den Arabern versteckt. Zweitens ist der Islam ein Kulturkreis, der mit 1,2 Milliarden Menschen eine relative religiöse Geschlossenheit hat. Deswegen ist die Destabilisierung der arabischen Kultur von all den chaotischen Zuständen, Fanatismen und Regressionen begleitet, wie wir sie jetzt erleben. Gleichzeitig haben wir es mit einem Typus von Christentum zu tun, der selber fundamentalistisch ist. Im Bibelgürtel der USA dankt man Gott dafür, in diesen Krisenzeiten George W. Bush an der Macht zu haben. Und dieser Mann redet inzwischen von Islamfaschismus. Er gibt vor, dass man den Islamismus mit militärischen Mitteln bekämpfen könnte wie das Nazi-Regime von einst. Das ist absurd.

Was kann angesichts des islamistischen Terrors der viel beschworene Dialog noch bewirken?

Ein ehrlicher Dialog müsste bei der Definition des Terrors anfangen: Wir nennen Terror, wenn man Menschen zum Erreichen eines politischen Zieles tötet. Jemand, der sich einen Sprenggürtel um den Bauch bindet und sich in Tel Aviv in die Luft sprengt, ist ein Terrorist. Ist aber derjenige, der aus der Luft Streubomben in Wohngebiete abfeuert, nicht auch ein Terrorist? Liegt der Unterschied nur in der technischen Überlegenheit? Wir nennen das eine einen legalen Militärschlag und das andere Terrorismus. Das ist so verlogen. Krieg selber ist Terrorismus. Wir müssten uns auch unserer Schuld bewusst werden, den islamischen Kulturraum von den Maghrebstaaten bis nach Indonesien in Form der Kolonialregimes ausgebeutet und kulturell überfremdet zu haben.

Im Terrorismus wirkt die koloniale Vergangenheit nach?

Ja. Was wir heute asymmetrische Kriegsführung nennen, war ein Problem im ganzen 20. Jahrhundert: Die Länder der Dritten Welt, die alle fast ausnahmslos unter Kolonialverwaltung standen, haben den Weg in die Freiheit nie anders gehen können als mit asymmetrischer Kriegsführung. Damals nannte man das Guerillakrieg, heute nennen wir es Terror. Beides ist im Grunde die Kapitulation gegenüber dem Glauben, dass die Machthaber die Sprache von Gerechtigkeit und Menschlichkeit verstehen. Der Einzige, der hier einen Ausweg gefunden hatte, war Mahatma Gandhi. Natürlich wünschte ich mir, es gäbe auf der Westbank und im Gazastreifen eine vergleichbare charismatische Gestalt. Angesichts einer moralischen Autorität, die mit gewaltlosen Mitteln operieren würde, wäre die Besatzungspolitik der Israeli in den palästinensischen Gebieten überhaupt nicht durchführbar. Der Weg gegen den Terrorismus kann nur in einer grundlegenden Gewaltfreiheit bestehen.

Stattdessen potenziert der Antiterrorkrieg den Terror bloss.

Gewalt ist eine Sprache der Verzweifelten auf dem Hintergrund verweigerter Dialoge. Das rechtfertigt die Dinge nicht, aber es kann sie erklären. Wir müssen verstehen, was in den grässlichen Handlungen der Selbstmordattentäter noch als so wertvoll erscheint, dass sie diese ungeheuerlichen Opfer in Kauf nehmen. Begreifen wir das nicht, lässt sich der Terrorismus nicht abschaffen. Führt man Hinrichtungsoperationen durch wie jetzt im Libanon, muss man für jeden getöteten Terroristen die Auferstehung von zwei anderen gewärtigen. So bekämpft man den Terrorismus nicht, so schürt man ihn. Das ist eine bittere Pille, die inzwischen, Gott sei Dank, auch in Amerika erkannt wird. Die Art des Antiterrorkriegs, wie ihn Bush führt, hat den Terrorismus im Irak erst im grossen Stil eingeführt. Gegen jedes bessere Wissen und mit unglaublichen Lügen hatte er bei Kriegsbeginn Saddam Hussein in Verbindung mit der al-Qaida gebracht.

Nochmals: Kann in dieser Situation der Dialog der Religionen überhaupt etwas ausrichten?

Die Wahrheit des Dialogs bestünde darin, zuerst die Andersartigkeit des anderen kennen zu lernen. Das heisst im Fall des Islam, den Zauber des Orients, die Schönheit der islamischen Kultur wahrzunehmen. Der Islam ist ein grossartiges Angebot einer internationalen Glaubensgemeinschaft: Nur Gott ist Gott, und die Menschen finden im Gegenüber zu Gott zur Einheit der Person. Ob der Islam eine Schamkultur hat, in der die Frau verschleiert ist - was geht das uns an? Muslime haben das Recht, unsere Kultur für obszön zu halten. Über solche Unterschiede müsste man verhandeln dürfen, statt sie hochzustilisieren. Wir aber meinen, den Muslimen beibringen zu müssen, was Menschenrechte sind, was Trennung von Staat und Kirche und Gleichberechtigung bedeutet. Das ist eine Propagandasprache der Rechthaberei. Die Muslime müssen sich selbst entwickeln dürfen.

Sie scheinen den Islam zu idealisieren. Ist in Islam und Koran das Gewaltpotenzial nicht doch grösser als in Bibel und Christentum?

Wir sollten nicht mit der Bibel in der Hand den Koran bessern wollen. Punkto Gewalt ist das Alte Testament noch viel schlimmer als der Koran. Und der Islam hat in vielen Jahrhunderten bewiesen, dass er ungleich friedfertiger ist als das Christentum. Beispielsweise im 8. Jahrhundert, als die Mauren in Spanien regierten: Sie waren den Christen in allen Sektoren wie Medizin, Astronomie, Mathematik und Naturwissenschaften hoch überlegen. Anders als die Christen schworen sie damals der Gewaltmission ab. Oder: Als die christlichen Kreuzfahrer 1099 Jerusalem eroberten, metzelten sie alle Ungläubigen nieder. Der spätere Eroberer Sultan Saladin indessen ging ganz anders vor: Er öffnete die Heilige Stadt für die Wallfahrer. Wohl kassierte er Geld dafür, aber er unterdrückte die Religionen nicht.

Speziell Christen von rechts argumentieren, der Islam werde auch im Westen als so stark wahrgenommen, weil das Christentum so schwach sei. Muss der Westen religiös aufrüsten?

Leider wird religiös aufgerüstet. Und die Debatte um das Kopftuch wird zum Integrationsfaktor für die neue konservative Phalanx. Ich finde das ganz entsetzlich, weil man damit Elemente der Aufklärung verleugnet, die uns wirklich weiterbringen. Wir müssen religiös nicht aufrüsten, wir müssen abrüsten. Wir müssten sehen, dass die Ernstnahme der Religion nicht einfach bedeutet, konservative Dogmen zu stabilisieren oder sich der Papstautorität zu unterwerfen. Seine Heiligkeit Benedikt XVI. sagte in Polen: «Glauben ist akzeptieren, was die Kirche sagt.» Die Kirche aber sagt lauter Dinge, die der Islam nicht brauchen kann, weil sie nicht mystisch und innerlich sind.

Sie setzen auf den Dialog nicht der Institutionen, sondern der mystisch verinnerlichten Gläubigen?

Ja. Und auf das gegenseitige Zuhören. Bei Benedikt heisst Dialog immer, den Anderen monolithisch etwas vorzulesen, ohne mit ihnen ins Gespräch zu kommen - so auch neulich in Castel Gandolfo, als er im Nachgang zur Regensburger Vorlesung muslimische Diplomaten empfing. Noch ein Aperçu: In Regensburg erklärte der Papst im Rückgriff auf den byzantinischen Kaiser Manuel, der Islam habe nichts Neues gebracht. Offensichtlich empfindet Benedikt darin etwas Defizitäres. Mohammed aber wollte niemals etwas Neues bringen. Der ganze Islam besteht im Kern darin, die Religion zu bringen, an welche schon Noah, Moses und Abraham glaubten. Es ist die Religion, die Allah für alle Menschen zu allen Zeiten vermittelt, nur jetzt mal auf Arabisch. Da könnte man sich die Hände reichen.

BILD DORIS FANCONI

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