Sonntag, Dezember 28, 2008

George Soros: Den Launen des Markts sind Grenzen zu setzen

Tages Anzeiger 24.12.2008
Den Launen des Markts sind Grenzen zu setzen
Von George Soros. A

«Natürlich ist es unmöglich, die Bildung von Blasen zu verhindern, aber es sollte möglich sein, sie in erträglichen Grenzen zu halten. Die Suche nach dem optimalen Marktgleichgewicht ist letztlich ein endloser Prozess des Ausprobierens.»
George Soros ist einer der führenden Investmentbanker der USA.


Tages Anzeiger 24.12.2008
Den Launen des Markts sind Grenzen zu setzen
Von George Soros. A

«Natürlich ist es unmöglich, die Bildung von Blasen zu verhindern, aber es sollte möglich sein, sie in erträglichen Grenzen zu halten. Die Suche nach dem optimalen Marktgleichgewicht ist letztlich ein endloser Prozess des Ausprobierens.»
George Soros ist einer der führenden Investmentbanker der USA.

Wir befinden uns in der schlimmsten Finanzkrise seit den 30er-Jahren. Bemerkenswert ist, dass sie nicht durch einen externen Schock wie eine Anhebung der Ölpreise durch die Opec ausgelöst wurde. Die aktuelle Krise wurde durch das Finanzsystem selbst provoziert.

Dieses Faktum - die Existenz eines Systemfehlers - steht in Widerspruch zur geläufigen Theorie, wonach Finanzmärkte ein Gleichgewicht anstreben und Abweichungen entweder zufällig oder durch ein plötzliches externes Ereignis entstehen, an das sich die Märkte nur schwer anpassen können. Der derzeit praktizierte Ansatz der Marktregulierung basiert auf dieser Theorie, aber die Intensität und das Ausmass der Krise zeigen, dass mit ihr grundsätzlich etwas nicht stimmt.

Ich habe eine alternative Theorie entwickelt, wonach die Finanzmärkte die grundlegenden Bedingungen nicht exakt abbilden. Vielmehr präsentieren sie ein auf die eine oder andere Weise einseitiges oder verzerrtes Bild. Noch bedeutsamer ist, dass die verzerrten Ansichten der Marktteilnehmer unter gewissen Umständen die sogenannten Fundamentaldaten in Mitleidenschaft ziehen, die eigentlich die Marktpreise abbilden sollten.

Eine geplatzte Superblase

Diese Rückkoppelung zwischen Preisen und Realität bezeichne ich als «Reflexivität». Ich glaube, dass Finanzmärkte immer reflexiv sind und gelegentlich weit vom Gleichgewicht abweichen. Mit andern Worten: Finanzmärkte neigen dazu, Blasen zu bilden.

Die aktuelle Krise entstand auf dem Subprime-Hypothekenmarkt. Das Platzen der US-Immobilienblase war der zündende Funke, der eine riesige Superblase sprengte, die sich ab den 80er- Jahren gebildet hatte, als der Marktfundamentalismus zum vorherrschenden Dogma wurde. Dieses führte - ausgehend von der falschen Annahme, dass Märkte ein Gleichgewicht anstreben - zu Deregulierung, Globalisierung und Finanzinnovationen.

Nun ist das Kartenhaus eingestürzt. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 geschah das Unvorstellbare: Das Finanzsystem erlitt einen Herzstillstand. Mit der künstlichen Beatmung wurde umgehend begonnen. Die Behörden in den Industrieländern garantierten, dass sie keine anderen wichtigen Institutionen in die Pleite schlittern lassen würden.

Länder an der Peripherie des internationalen Finanzsystems konnten jedoch keine gleich wirksamen Garantien abgeben. Das führte zu Kapitalflucht aus den Ländern Osteuropas, Asiens und Lateinamerikas. Die Währungen fielen gegenüber dem Dollar und dem Yen. Die Rohstoffpreise stürzten ab, und die Zinssätze in den Schwellenländern schnellten hoch.

Der Wettlauf zur Rettung des internationalen Finanzsystems ist noch im Gang. Selbst bei erfolgreichem Ausgang dürften Konsumenten, Anleger und Firmen aber schwere Auswirkungen zu spüren bekommen. Eine tiefe Rezession ist unausweichlich, die Möglichkeit einer Depression kann nicht ausgeschlossen werden.

Was ist zu tun? Weil Finanzmärkte dazu neigen, Vermögenspreisblasen hervorzubringen, müssen Regulierungsbehörden die Verantwortung übernehmen, dass diese Blasen nicht zu gross werden. Bislang haben die Finanzaufsichtsbehörden genau diese Verantwortung weit von sich gewiesen.

Neue Regeln tun not

Natürlich ist es unmöglich, die Bildung von Blasen zu verhindern, aber es sollte möglich sein, sie in erträglichen Grenzen zu halten. Die Kontrolle der Geldmenge vermag das nicht zu leisten. Auch die Kreditbedingungen sind zu berücksichtigen, da sich Geld und Kredite nicht im Gleichschritt bewegen. Die Märkte zeigen Launen und Tendenzen, denen man entgegenwirken muss. Um Kredite und Geld getrennt voneinander zu kontrollieren, müssen zusätzliche Instrumente angewandt oder, genauer gesagt, reaktiviert werden: Mindesteinschusssätze und Mindestkapitalanforderungen für Banken, wie sie in den 50er- und 60er-Jahren gebräuchlich waren.

Aufgrund der ausgeklügelten Finanzsteuerung von heute dürfte sich die Berechnung der Nachschusssätze und der Kapitalanforderung als extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen. Darum müssen neue Finanzprodukte von entsprechenden Stellen registriert und genehmigt werden.

Den Launen des Marktes entgegenzuwirken, erfordert Urteilsvermögen - und weil die Regulatoren auch nur Menschen sind, kann es schief gehen. Doch sie erhalten vom Markt immerhin Rückmeldung, die es ihnen ermöglichen sollte, Fehler zu korrigieren. Die Suche nach dem optimalen Gleichgewicht ist letztlich ein endloser Prozess des Ausprobierens.

Dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen Regulierungsbehörden und Marktteilnehmern ist schon im Gange, wurde aber in seinem Wesen bislang verkannt. Alan Greenspan, der frühere Vorsitzende der US-Notenbank, war mit seinen orakelhaften Äusserungen ein Meister der Manipulation: Statt zu seinen Aktionen zu stehen, gab er den passiven Beobachter. Darum konnten die Blasen während seiner Amtszeit so anwachsen.

Internationales Vorgehen

Weil die Finanzmärkte global sind, müssen dies auch die Regulierungsbestimmungen sein. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat somit eine neue Mission: Die Länder der Peripherie gegen die Auswirkungen von Stürmen zu schützen, die im Zentrum, also in den USA, entstehen.

Die Konsumenten in den USA können nicht länger Motor der Weltwirtschaft sein. Um eine globale Depression abzuwenden, müssen auch andere Länder ihre Volkswirtschaft ankurbeln. Aber Länder an der Peripherie, die keine hohen Exportüberschüsse haben, sind ausserstande, antizyklische Strategien umzusetzen. Es muss Aufgabe des IWF sein, diese zu finanzieren.

Auch wenn wir die internationale Regulierung verstärken, um das Überleben des globalen Finanzsystems zu sichern, dürfen wir dabei nicht zu weit gehen. Die Märkte sind unvollkommen, aber die Regulierungsbehörden sind es vielleicht noch mehr. Sie bestehen nicht nur aus Menschen, die irren können, sondern auch aus Bürokraten, die politischem Druck unterworfen sind. Darum sollte mit den Regulierungsbestimmungen das notwendige Minimum zur Aufrechterhaltung der Stabilität anvisiert werden. Nicht mehr.

Copyright: Project Syndicate, 2008

(Tages-Anzeiger)

Keine Kommentare: