Freitag, Dezember 26, 2008

Tages-Anzeiger.ch : Die Moral ist den Wirtschaftsführern egal

Tages-Anzeiger.ch 24.12.2008
Die Moral ist den Wirtschaftsführern egal

Jetzt haben wir die Bescherung: Konjunktureinbruch, Arbeitslosigkeit, dahinschmelzende Altersvorsorge. Nein, Weihnachten ist nicht nur das Fest der süssen Engelein. Ein Kommentar von «Tages-Anzeiger»-Redaktor Bruno Schletti.


«Alles schon dagewesen», sagt der Esel im Stall.

«So?», fragt der Ochse.

«Harte Arbeit, kärgliche Nahrung und kaum Stroh auf dem nackten Boden. Und nebenan verteilen die Weisen aus dem Morgenland Boni im grossen Stil. Gold, Weihrauch, Myrrhe - es kann nicht genug kosten.»

«Und wir gehen leer aus», pflichtet der Ochse bei. «Wir sind doch immer die Esel.»


Tages-Anzeiger.ch 24.12.2008
Die Moral ist den Wirtschaftsführern egal

Jetzt haben wir die Bescherung: Konjunktureinbruch, Arbeitslosigkeit, dahinschmelzende Altersvorsorge. Nein, Weihnachten ist nicht nur das Fest der süssen Engelein. Ein Kommentar von «Tages-Anzeiger»-Redaktor Bruno Schletti.


«Alles schon dagewesen», sagt der Esel im Stall.

«So?», fragt der Ochse.

«Harte Arbeit, kärgliche Nahrung und kaum Stroh auf dem nackten Boden. Und nebenan verteilen die Weisen aus dem Morgenland Boni im grossen Stil. Gold, Weihrauch, Myrrhe - es kann nicht genug kosten.»

«Und wir gehen leer aus», pflichtet der Ochse bei. «Wir sind doch immer die Esel.»

Boni? Nichts Neues unter der Sonne. Wo also ist das Problem? Die Herrschaften mögen nicht über Moral reden. Alles nur Neid, Emotionen, Populismus, belehren uns die Kritisierten. Und der emeritierte Wirtschaftsprofessor Hans Geiger fragte unlängst in dieser Zeitung: «Ist Moral eine Frage der Einkommenshöhe?»

Nein, ist es nicht. Die Antwort ist klar, die Frage auch nur rhetorisch gestellt. Denn ein paar Zeilen zuvor schon gab Geiger die Antwort: «Ist es nicht gut, wenn man viel verdient? Wem es gutgeht, der kann auch Gutes tun, kann Steuern bezahlen, Kunst fördern, trägt mit seinen Ausgaben zur Wirtschaftsbelebung bei.» Die Gedankenfolge erinnert fatal an den moralischen Ansatz Robin Hoods: Klauen ist erlaubt, sofern man die Armen am Diebesgut teilhaben lässt. Der Zweck heiligt die Mittel.

Moral verkommt zur alten Mode

Doch, wir stellen die Frage nach der Moral. Obwohl sie nicht zeitgemäss scheint. «Heute», klagt Alice Schwarzer, «gilt man ja geradezu als altmodisch, wenn man eine Moral hat.» Unsere Gesellschaft hat sogar sie - die Moral - privatisiert. Und so ist sie einigen abhanden gekommen, wie Hans-Georg Kaiser in Versform zu berichten weiss:

Ochsen sind, das muss man wissen,
nicht verbildet, nicht gerissen.
Und die höhere Moral
ist den Ochsen auch egal.

Aus moralischer Sicht muss es eigentlich niemanden kümmern, wer welch hohe Boni ins Trockene scheffelt. Ob die gestrauchelten Banker mit mehr oder weniger Millionen unglücklich sind, ist einerlei. Denn machen wir uns nichts vor: Sie leiden an denselben Gebresten wie alle andern - im besseren Fall an Hämorrhoiden, im schlechteren an Depressionen.

Nicht die Boni sind das Problem. An ihnen lässt sich aber trefflich beobachten, wo das moralische Defizit eines Teils der Wirtschaftsführer verwurzelt ist: im Unvermögen, politisch denken zu können. Als vor Jahren die Kritik an den überzogenen Entschädigungen einsetzte, versuchten sich die Angesprochenen zunächst zu erklären und die Bezüge zu rechtfertigen. Als die Argumente nicht verfingen, gingen sie zum Gegenangriff über und bezichtigten ihre Kritiker des Neides. Als auch dies die Debatte nicht zum Verstummen brachte, gingen die Grossverdiener auf Tauchstation. Motto: kassieren und abwarten, bis die Angriffe verpuffen.

Nicht im Sinne des Gemeinwohls

Die Rechnung ging nicht auf. Im Gegenteil, die Kritik nahm an Schärfe zu und erfasste immer breitere Kreise. Nicht nur diese Debatte schätzte die Bonusklasse falsch ein. Ob Umgang mit den Holocaust-Opfern, ob Steuerfluchthilfe in den USA, ob artifizielle Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug - Mal für Mal schätzen Banker politische Entwicklungen falsch ein.

Nicht politisch denken heisst im Grunde genommen nichts anderes, als nicht im Sinne der Polis, nicht im Sinne des Gemeinwohls zu denken und zu handeln. Das ist das moralisch Verwerfliche an dem, was uns ein Teil der Wirtschaftselite vorlebt.

Übrigens: Vergessen Sie Esel und Ochse. Die beiden sind reine Fiktion. Lesen Sie, wenn Sie es nicht glauben, die Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium.

Aber halt, vielleicht hat uns der Evangelist einfach etwas Wichtiges unterschlagen. Da ging doch - erzählt die Fabel - ein mit Salz beladener Esel den Bach entlang. Er stolperte und fiel ins Wasser. Er rappelte sich wieder auf und stellte überrascht fest, dass seine Last viel leichter geworden war. Ein Teil des Salzes hatte sich im Wasser aufgelöst. Am nächsten Tag kam er mit Schwämmen beladen des Weges. Dieses Mal liess er sich - gewieft durch die Erfahrung - absichtlich ins Wasser fallen. Statt sich aufzulösen, sogen sich die Schwämme aber mit Wasser voll. Die Last wurde so schwer, dass der Esel nicht mehr aufstehen konnte und schliesslich jämmerlich ertrank.

Und die Moral der Geschichte: Es mag auf dieser Welt an Moral fehlen. An Eseln und Ochsen mangelt es nicht.

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