Mittwoch, Dezember 31, 2008

Tages-Anzeiger: «Der Hass der Araber ist enorm gewachsen»

Tages-Anzeiger.ch 30.12.2008
«Der Hass der Araber ist enorm gewachsen»
Von Claudia Kühner

Helga Baumgarten, Politologin in Jerusalem, glaubt nicht, dass Israel die Hamas entscheidend schwächen kann. Im Gegenteil.


Tages-Anzeiger.ch 30.12.2008
«Der Hass der Araber ist enorm gewachsen»
Von Claudia Kühner

Helga Baumgarten, Politologin in Jerusalem, glaubt nicht, dass Israel die Hamas entscheidend schwächen kann. Im Gegenteil.


Kann die Hamas militärisch niedergerungen werden?
Nein. Denn sie ist nicht fassbar. Sie ist keine Terrorgruppe, keine Armee, sondern eine religiös-nationale Partei, verankert in der Bevölkerung. Mit ihr kann man nur politisch umgehen.

Was kann Israel dann also erreichen?
Nur die absolute Zerstörung, alles in Schutt und Asche bomben. Der Hass in der palästinensischen Gesellschaft, aber auch in der restlichen arabischen Welt ist enorm gewachsen.

Umgekehrt gefragt, wie gross ist der Rückhalt der Hamas in der Bevölkerung, verglichen vor dem Angriff und seither?
Schwer zu beantworten. Umfragen hatten Verluste für die Hamas gezeigt, die Anhängerschaft bei knapp 30 Prozent und 40 für die Fatah. Dasselbe Bild bot sich aber vor den Wahlen 2006, und das Ergebnis war dann ein Sieg für die Hamas. Sicher ist, dass die Bevölkerung gespalten ist zwischen Hamas- und Fatah-Anhängern, im Westjordanland, in Jerusalem, in Gaza. Viele sind frustriert, dass man nach der Wahl die Hamas ausschaltete und andererseits die Hamas nicht optimal mit dem Boykott umging. Allerdings sagen viele in Gaza, dass es dort zum ersten Mal persönliche Sicherheit gab, seit die Hamas regierte. Andere wünschen die Hamas in die Hölle, das gibt es auch.

«Nützt» die Bombardierung der Hamas?
Sehr schwer zu sagen. Weil es zwei Tendenzen gibt. Die eine sagt, es gibt nur den Weg der nationalen Einheit. Andererseits wird fast noch mehr Kritik laut an Mahmoud Abbas Kurs. Viele sind schockiert, dass die Regierung jetzt verlauten liess, die Hamas sei allein schuld an der jüngsten Entwicklung. Das ist für die Fatah absolut negativ. Die Stimmung überall geht in die Richtung, dass Israel keine Alternative lasse als den Widerstand.

Nun sagen ja Aussenministerin Livni oder Verteidigungsminister Barak, der Gegner sei die Hamas, nicht die Bevölkerung.
Alle wissen, und das wird auch in der israelischen Presse geschrieben, dass es um die gesamte Bevölkerung geht. Überall werden die Siedlungen ausgebaut, in Ostjerusalem werden Leute aus ihren Häusern vertrieben, es gibt keine Baubewilligungen für Araber. Summa summarum erleben es die Palästinenser so, dass sie unabhängig von ihrem Kurs unterdrückt werden. Vorsichtig formuliert, wirken sich die jüngsten Ereignisse negativ aus für Abbas und seinen Premier Fayyad von der Fatah, und eher positiv für die Hamas.

Ist die Hamas, gerade in Gaza, eine geschlossene Gruppierung oder gibt es dort nicht auch innere Konflikte über den richtigen Kurs?
Ich sehe die Hamas als eine geschlossenen Organisation, in der aber viel diskutiert und gestritten wird. Wenn aber ein Entscheid gefallen ist, wird er von allen mitgetragen. Ich sehe auch keine Aufspaltung zwischen der Diaspora in Damaskus oder Beirut und Gaza, auch nicht die Spaltung zwischen militärischem und politischem Flügel.

Es soll Hinweise geben, dass radikalere Kräfte abwandern in Richtung al-Qaida. Ist das richtig?
Innerhalb der Hamas sind extremistischere Tendenzen stärker geworden. Ausserhalb der Hamas sind es vor allem religiöse Radikale, die ihre Gewalt aber eher gegen die eigene Gesellschaft richten, etwa in Schulen, gegen das Internet, nicht gegen Israel.

Es haben aber nicht nur Hamas-Leute Raketen abgeschossen.
Richtig, das sind auch Islamischer Jihad und Fatah-Anhänger, die selbstständig operieren. Es waren gerade sie, die während der Waffenruhe weiterschossen. Hamas wollte das unterbinden, was aber offenkundig nicht gelang.

Ist al-Qaida in Gaza aktiv?
Eher nein. Die Frage ist, wie definiert man hier al-Qaida. Es wurde sicher niemand von Osama Bin Laden hingeschickt.

Welche Wirkung haben die Ereignisse auf die Araber in Israel?
Das Verhältnis wird sich weiter zuspitzen zwischen jüdischen und arabischen Israeli, weil die Araber und ihre Parteien im Parlament die Gewalt nicht unterstützen.

Wie wird es in der Westbank weitergehen?
Dort ist das Problem, dass Abbas den Dialog will, die Hamas nicht, solange ihre Abgeordneten mehrheitlich im Gefängnis sitzen. In der Tendenz wird die Hamas gestärkt werden.

Und in der arabischen Welt?
Sie wird sich wieder radikalisieren. Die Regimes sind bei vielen verhasst, aber auch flexibel. Sie werden nachgeben, bis die Kundgebungen wieder abnehmen.

Was also kann Israel dann erreichen angesichts solcher Szenarien?
Leider spielt der Wahlkampf eine wichtige Rolle. Jetzt müsste Israel so schnell als möglich wieder zu einem Waffenstillstand kommen und das Problem politisch angehen. Das Grundübel ist die Besetzung, die auch noch ständig expandiert.

Helga Baumgarten lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bir Zeit in der Westbank. Zuletzt ist von ihr das Buch «Hamas. Der politische Islam in Palästina» erschienen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 30.12.2008, 22:28 Uhr

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