Freitag, September 18, 2009

Lorenz Hilty: «Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»

Tages Anzeiger 17.09.2009
«Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»
Aktualisiert um 10:51 Uhr

Der Markt reagiert nicht auf die sinkenden Rohstoff-Reserven. So würden Innovationen gebremst, warnt Empa-Forscher Lorenz Hilty. Die Rohstoffpreise seien viel zu tief.

Alu, Cadmium, Cerium, Chrom, Cobald, Kupfer, Europium, Gadolinium, Gallium, Gold, Indium, Eisen, Lanthan, Blei, Magnesium, Mangan, Molybdenum, Neodynium, Nickel, Palladium, Praesodynium, Platin, Rhodium, Rhenium, Silber, Tantal, Tellurium, Zinn, Zink, Zirkonium: Was in einem LCD-Monitor enthalten ist.

Lorenz Hilty ist Leiter der Abteilung Technologie und Gesellschaft der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen. Er ist Mitorganisator des World Resources Forum in Davos, das gestern zu Ende ging.


Tages Anzeiger 17.09.2009
«Auf jeden Fall, Rohstoffe sind viel zu billig»
Aktualisiert um 10:51 Uhr

Der Markt reagiert nicht auf die sinkenden Rohstoff-Reserven. So würden Innovationen gebremst, warnt Empa-Forscher Lorenz Hilty. Die Rohstoffpreise seien viel zu tief.

Alu, Cadmium, Cerium, Chrom, Cobald, Kupfer, Europium, Gadolinium, Gallium, Gold, Indium, Eisen, Lanthan, Blei, Magnesium, Mangan, Molybdenum, Neodynium, Nickel, Palladium, Praesodynium, Platin, Rhodium, Rhenium, Silber, Tantal, Tellurium, Zinn, Zink, Zirkonium: Was in einem LCD-Monitor enthalten ist.

Lorenz Hilty ist Leiter der Abteilung Technologie und Gesellschaft der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen. Er ist Mitorganisator des World Resources Forum in Davos, das gestern zu Ende ging.

Dennis Meadows sagt, es bräuchte mindestens zwei Erden, wenn alle Menschen unseren Lebensstandard leben wollten. Ist das Alarmismus des ewigen Wachstumskritikers?
Überhaupt nicht. Er ist ja nicht allein mit seiner Meinung. Auch der renommierte Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker sagt das. Wir haben 1980 40 Milliarden Tonnen fossile Brennstoffe, Metallerze, Baumaterialien und Biomasse verbraucht. Nach Uno-Schätzungen sind wir auf dem Weg zu einer Verdoppelung dieses jährlichen Materialflusses bis 2020. Wir leben heute schon über unsere Verhältnisse. Das werden die nächsten Generationen spüren.

Vermutlich haben wir bereits den Ölpeak erreicht. Wie steht es mit anderen bedeutenden Rohstoffen wie etwa den Metallen?
Es gibt Metalle, die seltener als zum Beispiel Kupfer vorkommen und deren Bedarf durch den technischen Fortschritt enorm gestiegen ist. Zum Beispiel Tantal. Ohne dieses Metall für die Elektronik gäbe es kein Handy. Indium braucht man, um Flachbildschirme zu produzieren.

Würden diese beiden Metalle ausgehen, hätten wir also ein Problem mit der Telekommunikation?
Nach dem heutigen technischen Stand ja. Es gibt allerdings kein plötzliches Ende solcher Ressourcen, sondern der Abbau wird einfach aufwändiger, wenn man zu weniger günstigen Lagerstätten übergeht. Mit höherem Energieaufwand kann man auch diese abbauen. Das ist aber paradox, weil wir vor dem Hintergrund des Klimaschutzes ja den Energieverbrauch reduzieren sollten. Energie- und Ressourcenmanagement hängen eng zusammen. Aus energetischen Gründen können wir uns auch keinen beliebig grossen Aufwand beim Recycling leisten.

Ist Indium nicht auch ein wichtiges Metall bei der Produktion von Solarzellen?
Ja. Aber die Hälfte der Jahresförderung wird heute für die Produktion von Computer- und Fernsehbildschirmen verwendet. Vielleicht werden wir das eines Tages bedauern, wenn wir viel mehr Indium nutzen wollen, um Strom aus Sonnenlicht zu gewinnen.

Trotz der Verknappung - warum sind die Preise für Indium und andere seltene Metalle nicht höher?
Der Markt nimmt nur wahr, was gehandelt wird. Dass dabei die Reserven kontinuierlich kleiner werden, ist nicht Teil des ökonomischen Systems. In den Kostenberechnungen sind die schlechten Arbeitsbedingungen in den Erzminen, die enorme Umweltverschmutzung und die sozialen Kosten nicht enthalten. Tantal zum Beispiel ist in Verruf geraten, weil man im Kongo mit den Einnahmen aus dem Tantalhandel den Bürgerkrieg finanziert hatte.

Die Rohstoffe sind also viel zu billig?
Auf jeden Fall. Wenn der Markt die physikalische Knappheit wahrnehmen würde, dann würde der Preis für die Rohstoffe deutlicher ansteigen, und der Anreiz für neue Innovationen, zum Beispiel für effizientere Technologien mit weniger Materialeinsatz, wäre bedeutend grösser.

Mit Recycling könnte man doch einen grossen Teil des Rohstoffes zurückgewinnen.
Recycling ist eine gute Option. Wir arbeiten im Elektronikschrottrecycling mit Schwellenländern in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen, um gute Lösungen zu entwickeln. Allerdings werden derzeit die sogenannten Gewürzmetalle, die nur in kleinen Mengen benötigt werden wie Indium, nicht rezykliert.

Der deutsche Umweltchemiker Michael Braungart sagt, die Industrie sei für Produkte verantwortlich, die 1:1 rezyklierbar sind. Dann hätten wir kein Ressourcenproblem.
In der Tat sollten wir keinen Unterschied machen zwischen Rohstoff und Abfall. Das Material eines Produkts hätte am Ende des Produktlebens einen bedeutend geringeren Wertverlust, wenn es leichter rezyklierbar wäre und so wieder zum Rohstoff würde. Wenn der Produzent die alten Geräte direkt wieder zurücknehmen müsste, dann wäre er interessiert an der Werterhaltung des Materials.

Ist Braungarts Forderung vom vollständig rezyklierbaren Design nicht eine Utopie?
Das Problem hat physikalische Gründe. Je mehr verschiedene Materialien der Hersteller vermischt, desto mehr Energie muss man aufwenden, um die Bestandteile des Produkts wieder zu trennen. Das ist ein Naturgesetz. Das heisst, man muss künftig die Materialvielfalt reduzieren und die einzelnen Bestandteile so verbinden, dass sie mit wenig energetischem Aufwand wieder getrennt werden können. Aber ich möchte nicht nur über Recycling sprechen, intelligente Kommunikationssysteme sind genau so effektiv, um Ressourcen zu sparen.

Zum Beispiel?
Die klassische Werbung ist doch ein Energieverschleiss. Unmengen von Plakaten und Massenversand braucht es, damit ein Produkt in der Fülle der Informationen auffällt. Google zum Beispiel macht gezieltere, energetisch günstigere Werbung. Wenn etwa ein User nach dem Stichwort «Versicherung» sucht, werben auf der Ergebnisseite einzelne Versicherungen. Der Punkt ist, dass mich Google nur dann mit Werbung eindeckt, wenn ich spezifisch daran interessiert bin. Ein anderes Beispiel: Hörsäle sind geheizt, auch wenn wochenlang keine Vorlesung stattfindet. Wieso wird nicht die elektronische Agenda für die Raumbelegung mit dem Informationssystem der Heizung gekoppelt? Wir haben viel zu viele Inselsysteme, die keine Informationen austauschen, obwohl man auf diese Weise viel Energie sparen könnte. Die Ressourcen, die man für besser integrierte Informations- und Kommunikationssysteme braucht, wären gut investiert.

Bleibt noch der Konsument, der sich ändern kann und Produkte länger behält.
Wir sind Vorbilder, gerade für den armen Teil der Weltbevölkerung. Wir sollten sparsamer und genügsamer leben. Ich fahre kein Auto und lebe in dieser Hinsicht bewusst. Leider nützt das aber nicht viel. Denn wer Rohstoffe abbaut, der will sie loswerden. Wenn die Nachfrage zurückgeht, drückt das auf die Preise. Ein gutes Beispiel ist das Papierrecycling. Mit dem Aufkommen des Recyclings fiel bei den Frischfaserlieferanten der Umsatz. Die Konsequenz: Die Preise sind heute tief, und Frischfasern werden insgesamt mehr verbraucht als vor dem flächendeckenden Recycling.

Das klingt nicht sehr vielversprechend für die Zukunft.

Eine mögliche Lösung wäre ein anderes Steuersystem. Es braucht keine Ökosteuer. Heute zahlen wir Mehrwertsteuer für die Wertschöpfung, die bei der Umwandlung eines Rohstoffes in ein Produkt stattfindet. Das ist der falsche Ansatz. Statt der Wertschöpfung am Ende der Produktionskette sollte man den Abbau von Rohstoffen am Anfang der Kette besteuern. Dann würde sich die Welt schlagartig ändern, es würden Innovationen gefördert, die viel weniger Material verschleissen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 17.09.2009, 10:24 Uhr

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