NZZ-13.09.2009
Weltweiter Wettlauf um Agrarland
in Drittweltländern
Am G-8-Gipfel soll die Landnahme durch Drittstaaten zum Thema werden
Reich werden oder allfälligen Hungerkrisen vorbeugen, das sind die Motive, die staatliche und private Investoren dazu treiben, sich Land in der Dritten Welt zu sichern. Fragwürdige Geschäftspraktiken haben den Ruf nach Regulierungen laut werden lassen. Am G-8-Gipfel, der im Juli in Italien stattfindet, soll das Thema zur Sprache kommen.
bau. Genf, im Juni
Saudiarabien kauft Farmen in Äthiopien und pachtet Land in Tansania, um Weizen anzubauen. China und Korea schielen nach Plantagen in Afrika, wo sie Reis und Soja produzieren können. Investoren aus den Golfstaaten sichern sich Agrarland in Thailand und Pakistan. Die einen spekulieren auf steigende Preise landwirtschaftlicher Produkte, die andern wollen die Ernährung ganzer Völker sicherstellen. Unübersehbar ist indessen, dass die Nahrungsmittelkrise...
NZZ-13.09.2009
Weltweiter Wettlauf um Agrarland
in Drittweltländern
Am G-8-Gipfel soll die Landnahme durch Drittstaaten zum Thema werden
Reich werden oder allfälligen Hungerkrisen vorbeugen, das sind die Motive, die staatliche und private Investoren dazu treiben, sich Land in der Dritten Welt zu sichern. Fragwürdige Geschäftspraktiken
haben den Ruf nach Regulierungen laut werden lassen. Am G-8-Gipfel, der im Juli in Italien stattfindet, soll das Thema zur Sprache kommen.
bau. Genf, im Juni
Saudiarabien kauft Farmen in Äthiopien und pachtet Land in Tansania, um Weizen anzubauen. China und Korea schielen nach Plantagen in Afrika, wo sie Reis und Soja produzieren können. Investoren aus den Golfstaaten sichern sich Agrarland in Thailand und Pakistan. Die einen spekulieren auf steigende Preise landwirtschaftlicher Produkte, die andern wollen die Ernährung ganzer Völker sicherstellen. Unübersehbar ist indessen, dass die Nahrungsmittelkrise und die Volatilität der Notierungen für Agrarerzeugnisse die Nachfrage nach landwirtschaftlich nutzbaren Böden weltweit angeheizt haben.
Wer kann, greift zu
Das Phänomen massiver friedlicher Landnahme, die kapitalistischen Regeln gehorcht, soll am kommenden Gipfeltreffen der G-8 in Italien zur Debatte stehen. Dem Wildwuchs zweifelhafter Geschäftspraktiken will man mit einer internationalen Übereinkunft Paroli bieten. Weltweit dürften ausländische Investoren in den letzten drei Jahren 15 Mio. bis 20 Mio. ha Ackerland in Entwicklungs- und Schwellenländern unter ihre Kontrolle gebracht haben, eine Fläche, die etwa der gesamten Produktionsfläche Frankreichs entspricht. Dafür seien 20 Mrd. bis 30 Mrd. $ bezahlt oder verpflichtet worden, schätzt das International Food Policy Research Institute (IFPRI), ein unabhängiges Forschungsinstitut in Washington. Zu den wichtigsten Akteuren zählen solvente, häufig durch Petrodollars reich gewordene Regierungen oder Staatsfonds aus Asien und den Golfstaaten, die der Beschaffung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen strategische Bedeutung beimessen. Man misstraut dem globalen Handelssystem mit den zuweilen abrupten Exportverboten in Notzeiten und will sich den ununterbrochenen direkten Zugang zu Nahrungsmitteln oder Bioenergie sichern. Begehrt sind vorab Ländereien im südlichen Afrika und in Asien, in kleinerem Umfang in Lateinamerika. Experten warnen vor der Gefahr der «Enklaven-Wirtschaft» im Stil der früher für Zentralamerika typischen «Bananenrepubliken». Politiker sprechen von «Agrar-Neokolonialismus», und Nichtregierungsorganisationen verteufeln das Phänomen als «land grab», als Landraub, mit desaströsen sozialen und politischen Auswirkungen.
Ordnung muss her
Allein in fünf Ländern Afrikas – Äthiopien, Ghana, Mali, Madagaskar und Sudan – sind laut einer unter der Ägide der Uno-Landwirtschaftsorganisation FAO publizierten Studie in den letzten fünf Jahren 2,4 Mio. ha Land an ausländische Investoren abgetreten worden, Land, das bis vor kurzem keinerlei Marktwert hatte. Allerdings, so die Verfasser der Studie, seien die jährlichen Pachtzinsen auch im internationalen Vergleich äusserst niedrig; in Äthiopien etwa werden pro Hektare 3$ bis 10$ bezahlt. Ausländisches Kapital dominiert den Markt für grossflächige Agrar- Investitionen, aber vielerorts beteiligen sich bereits die lokalen Eliten am neuen Geschäft. Laut der Studie sind private Kauf- oder Pachtverträge häufiger als bilaterale Regierungsabkommen. Wo ausländische Regierungen intervenieren, werden nicht selten private Investoren vorgeschoben oder unterstützt. Mit ihrer Fallstudie will die FAO mit-helfen, einen Verhaltenskodex für grenzübergreifende Investitionen im Landwirtschaftsbereich und Richtlinien für den Landbesitz aufzustellen. Ähnliches hat diese Woche auch der Sonderberichterstatter der Uno für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, gefordert.
Er plädiert für multilaterale Regeln, wie sie auch das IFPRI vorschlägt (siehe Kasten).
Schutzmechanismen
Man müsse verhindern, dass Entwicklungsländer sich gegenseitig mit Angeboten zu übertreffen versuchten, um zu unvorteilhaften Bedingungen Direktinvestitionen im Agrarbereich anzuziehen, schreibt De Schutter. Klare Regeln erhöhten gleichzeitig die Rechtssicherheit für den Investor und schützten diesen vor möglichen Reputationsschäden.
Ein besonderes Anliegen ist dem Uno-Berichterstatter die Ernährungssicherheit für die einheimische Bevölkerung. Investitionsabkommen sollen Klauseln enthalten, wonach ein Teil der Ernten auf den lokalen Märkten verkauft werden muss, und dies unter besonderen Bedingungen, falls die Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten bestimmte Limiten überschreiten. Es gilt Konflikten vorzubeugen, die dann entstehen, wenn vor der Nase der hungernden Bevölkerung tonnenweise Lebensmittel ins Ausland abtransportiert werden. Die von der FAO vorgelegten Beispiele aus Afrika lassen erahnen, dass bei Vertragsverhandlungen mit mächtigen Investoren die betroffenen Landbesitzer eins ums andere Mal über den Tisch gezogen werden. Auch wird Korruption in grossem Stil vermutet, dann etwa, wenn Beamte in Äthiopien grosse Landflächen als «unfruchtbar» einstufen, um es so einfacher an Ausländer verschachern zu können. Laut den Experten des IFPRI besitzt die Mehrzahl afrikanischer Kleinbauern keine Landtitel. Respektiere man die überkommenen Rechte nicht, so sei die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen bedroht.
Mehr produzieren
Investoren, die in grossem Stil Ländereien in der Dritten Welt aufkaufen oder unter Pacht nehmen, stellen sich gerne als Wohltäter dar. Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, muss dringend mehr produziert werden. Dazu sind enorme Kapitalinvestitionen in den Agrarsektor notwendig, die weder die meist armen Länder selber noch die internationale Entwicklungshilfe zu erbringen imstande sind. Gerade in Afrika wurde die Förderung der Landwirtschaft in der jüngsten Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Vielerorts erhoffen sich jetzt Regierungen von ausländischen Grossinvestitionen einen eigentlichen Entwicklungsschub. Schon kursiert die Vision des dunklen Kontinents als «Brotkorb der Welt». Mit neuen Technologien sollen Saatgut und Anbaumethoden verbessert und so die Ernteerträge gesteigert werden. Als Nebeneffekt erhofft man sich dank Investitionen in Schulen, Spitälern und Strassen bessere Lebensverhältnisse für die Landbevölkerung. Der neueste Bericht der Uno- Wirtschaftskommission für Afrika liest sich wie ein grosses Lamento über die Rückständigkeit der Landwirtschaft auf dem Schwarzen Kontinent. Hier stehen insgesamt 733 Mio. ha Ackerland zur Verfügung, mehr als in Asien (628 Mio. ha) oder Lateinamerika (570 Mio. ha). Aber lange nicht alles Farmland wird auch tatsächlich bebaut. Die Auswertung von Satellitenaufnahmen hat ergeben, dass in Afrika lediglich ein Drittel für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wird. Vor allem in den Ländern südlich der Sahara ist die Produktivität im Vergleich mit anderen Entwicklungsgebieten auf der Welt sehr bescheiden. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind unterkapitalisiert, werfen wenig Ertrag ab und sind in keine Wertschöpfungsketten eingebunden. Bewässert werden im Subsahara- Gebiet lediglich 3,6% der bebaubaren Fläche, Kunstdünger wird nur spärlich verwendet. Deprimierendes Fazit der Uno-Wirtschaftskommission ist: Afrikas Kleinbauern sind seit Jahrzehnten gefangen in einem Zyklus von Armut und Ernährungsunsicherheit.
Ein Kodex für faires Verhalten
bau. Die Experten des Washingtoner Think-Tank IFPRI wünschen sich dringend klare Regeln für Landkäufe in Entwicklungsländern.
Sie schlagen einen Verhaltenskodex vor, an den sich Regierungen in den Zielländern und Investoren aus dem Ausland zu halten haben:
• Verhandlungen sollen transparent sein. Lokale Landbesitzer sind zu informieren und in die Verhandlungen einzubeziehen.
Besondere Anstrengungen sind erforderlich, um indigene Gruppen zu schützen.
• Bestehende Landrechte sind zu respektieren. Dieses Postulat betrifft vor allem Ansprüche, die auf Gewohnheitsrecht oder Gemeinschaftsbesitz
fussen. Wer Land verliert, soll entsprechend entschädigt werden. Ihm ist eine gleichwertige Lebensgrundlage zu erstatten.
• Gewinne sind zu teilen. Die lokale Bevölkerung soll profitieren, nicht Verluste erleiden. Das Verpachten von Land ist dem Verkauf
mit einer einmaligen Abgeltung vorzuziehen, da Pachtzinsen ein regelmässiges Einkommen garantieren. Besser noch sind
Verträge, bei denen Kleinbauern im Auftragsverhältnis auf ihren eigenen Feldern produzieren. Verstösse gegen eingegangene
Verpflichtungen müssen geahndet werden.
• Landbau soll nachhaltig sein. Dazu gehören Massnahmen gegen Übernutzung von Böden, Verlust der Biodiversität, gesteigerten Ausstoss von Treibhausgasen und Vergeudung von Wasser auf Kosten anderer Verwendungszwecke.
• Bestimmungen mit Biss. Der Kodex muss international verankert sein und Recht schaffen, das überall, auch in den Herkunftsländern der Investoren, eingefordert werden kann. Dies betrifft im Besonderen Fälle von Korruption.
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