Tages Anzeiger Online 28.09.2010
Fett, das schlank macht
Von Klaus Wilhelm
Die Vision klingt zu schön, um wahr zu sein: Wer zu viel Speck um Bauch oder Hüften angehäuft hat – oder das verhindern will –, aktiviert einfach bestimmte Zellen, die das überschüssige Fett verbrennen. Schon hat man sich des lästigen und vor allem gesundheitsbedrohlichen Problems entledigt – ohne die Qualen auf dem Vitaparcours oder im Fitnessstudio. Bis vor kurzem noch reine Zukunftsvision, hat sich nach jüngsten Forschungsergebnissen zumindest ein Funken Realität in die Fantasie gemischt. Denn mittlerweile steht nicht nur für Stephan Herzig fest: «Diese Zellen gibt es auch im erwachsenen Körper.» Und es sind, paradoxerweise, Fettzellen: sogenannte braune Fettzellen.
Der Stoffwechsel-Experte vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg erkennt inzwischen «einen Hype» um dieses braune Fett. Noch hat zwar niemand bei Menschen einen direkten ursächlichen Effekt der braunen Fettzellen auf das Körpergewicht nachgewiesen. Doch zumindest bei Mäusen ist klar, dass sie, sofern «angeschaltet», das Gewicht drücken.
Energie für Hungerzeiten
Ein Team um Herzig hat beispielsweise gezeigt: Ein erhöhter Spiegel eines bestimmten Stoffs bei Mäusen verwandelt die «bösen» weissen in «gute» braune Fettzellen, worauf die moppeligen Nager schlanker werden. So nähren sich langfristige Hoffnungen auf ein völlig neues medizinisches Konzept, das darauf beruht, den Energieverbrauch anzuheizen, statt den Hunger zu zügeln.
Braunes Fett kennen die Fachleute bereits seit längerem. Unter dem Mikroskop schimmern die Zellen tatsächlich rotbraun – ganz im Gegensatz zum weissen Fett. Dessen Zellen speichern in einem weiss scheinenden Kügelchen das mit der Nahrung aufgenommene Fett. Es ist ein Energiedepot für Zeiten des Hungers und für Zeiten intensiver Bewegung, wie es der Mensch seit jeher gewohnt war. Zeiten, die zumindest in westlichen Industrieländern einstweilen vorbei sind.
Fett freisetzen
Und so warten die weissen Fettzellen vergeblich auf ein molekulares Signal, das sie ermuntert, endlich ihr Depot in den Körper freizusetzen, damit es abgebaut und genutzt wird. Das Ergebnis ist bekannt: Wülste und Ringe an Bauch, Hüften Po und Oberschenkel oder schlimmstenfalls am ganzen Körper. Ganz anders das braune Fett: Neuen Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zufolge sitzen seine Klümpchen beim Erwachsenen oberhalb der Schlüsselbeine, entlang der Wirbelsäule und um die Nieren herum. Und «zwischen den weissen Fettzellen», wie etwa Experte Wouter van Marken Lichtenbelt von der Universität Maastricht nachgewiesen hat.
Ursprünglich hatten Forscher das Gewebe bei Babys entdeckt. Ihr kleiner Körper nutzt die braunen Fettzellen, um Wärme zu produzieren. Immer wenn es den Kleinen fröstelt, werfen sie ihre körpereigenen Mini-Heizwerke an. Braune Fettzellen speichern mithin nicht nur Fett, sondern verbrauchen es. Das tun die Zellen auch mit dem Fett der weissen Zellen, «um die Energie buchstäblich aus dem Schornstein zu feuern», wie Herzig erklärt. Gerade wegen dieser Funktion erscheinen sie im Mikroskop bräunlich, denn sie sind durchsetzt mit sogenannten Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, mit «jeder Menge eisenhaltiger Proteine».
Fünf Kilo weniger – einfach so
Dass das braune Fett im Laufe des Lebens abnimmt, bedauert nicht nur Herzig. Interessanterweise hängt der Verlust aber mit Statur und Geschlecht zusammen: Am wenigsten geht es bei schlanken Frauen verloren, am stärksten bei älteren, übergewichtigen Männern. Das ist für die Fachleute ein Hinweis auf seine günstigen Eigenschaften. Doch noch, sagt Lichtenbelt, sei nicht ganz klar, wie viel braunes Fett Erwachsene letztlich besitzen. Und seine blosse Existenz allein genügt wohl nicht, um einen Abspeck-Effekt zu erzielen. Zwar würden «50 Gramm braunes Fettgewebe reichen, um jährlich fünf Kilo Fett loszuwerden», wie Experte Alexander Pfeiffer von der Universität Bonn schreibt. Aber nur, wenn es auch aktiviert ist. Entsprechend arbeiten Forscherteams weltweit daran, zunächst weisses Fettgewebe in braunes zu verwandeln und die körpereigenen Mini-Heizkraftwerke dann auch anzuwerfen. Um das zu erreichen, setzt Lichtenbelts Team auf den natürlichen Stimulus: Kälte.
In einer Studie mit normal- und übergewichtigen Männern zeigte sich bei Normaltemperatur keine Aktivität des braunen Fetts. Doch zwei Stunden in einem Raum bei 16 Grad genügten, und schon liefen braune Fettzellen auf Hochtouren, wenn auch bei den Dickleibigen in geringerem Masse. «Doch auch bei Übergewichtigen lässt sich braunes Fett mit Kälte aktivieren», ist sich der Holländer sicher. «Braune Fettzellen können helfen, das Problem der weltweiten Dickleibigkeits-Epidemie zu lösen.»
In einer laufenden Studie setzt ein Team um US-Forscher Leslie Kozak normalgewichtige Männer eine Woche lang täglich einem 15-minütigen Kälteschock aus. «Einige von ihnen zeigen danach auch bei Raumtemperatur eine erhöhte Wärmeproduktion», sagt er – vermutlich aufgrund des braunen Fetts, auch wenn das nicht bewiesen ist.
Kälte und Medikamente
Eine Art Kälte-Spa für Übergewichtige hält Lichtenbelt für nicht realistisch. Er setzt auf intelligenter geheizte beziehungsweise gekühlte Wohnungen und Büros, abhängig von Jahreszeit und Aussentemperatur. Derlei Reize würden seiner Ansicht nach genügen: «Kühl ist kalt genug, um die braunen Fettzellen zu aktivieren.»
Seine Kollegen wie Stephan Herzig setzen eher auf langfristige medikamentöse Lösungen, die trotz angenehmer Temperaturen einen Kälte-Stimulus sozusagen molekular vortäuschen. So haben er und seine Kollegen Versuchsmäuse derart genetisch verändert, dass sie das Gewebshormon Prostaglandin vermehrt herstellen. «Daraufhin entstanden inmitten des weissen Fetts Inseln aus braunem Fett», beschreibt Herzig das Ergebnis.
«Böses» in «gutes» Fett umwandeln
Mit Versuchen wie diesen wollen Forscher weltweit herausfinden, was molekular abläuft, wenn sich «böses» in «gutes» Fett wandelt oder wenn man vorhandenes braunes Fett aktivieren will, um Angriffspunkte für entsprechende Medikamente zu finden. Oder sie wollen aus Stammzellen im Labor braunes Fett erzeugen, das anschliessend unter die Haut gespritzt wird. Bei Mäusen ist das bereits gelungen. Doch die neuen Strategien am Menschen anzuwenden, «wird noch eine lange und schwierige Angelegenheit», weiss Herzig.
Die Gefahr ist jedoch, dass dank der schönen neuen braunen Fett-Welt womöglich die Menschen einfach noch mehr essen. Somit bleibt einstweilen der gute Rat gültig: sich ausgewogen zu ernähren und viel zu bewegen hilft noch immer dabei, schlank zu bleiben oder schlank zu werden. (Tages-Anzeiger)
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