Mittwoch, September 22, 2010

Spiesser sind stets die anderen

Tages Anzeiger Online 21.09.2010

Spiesser sind stets die anderen

Von Güzin Kar.
Wieso soll Spannteppich peinlich sein, Parkettboden hingegen cool? Weil es Leute gibt, die ihren Stil zur Norm erheben, meint die Filmregisseurin Güzin Kar.

Es ist schon einige Jahre her, aber die Szene ist mir in lebhafter Erinnerung. Kai Pflaume war zu Gast in der «Harald-SchmidtShow» und erzählte von dem Haus, das er gerade für sich und seine Frau bauen liess.
Die Männer fachsimpelten über Handwerker und Baumaterialien, bis Schmidt Pflaume nach dessen bevorzugten Bodenbelägen fragte und gleich zur Auswahl anbot: «Parkett? Stein?» Pflaume sagte: «Teppichboden.»
Schmidt erging es so wie mir: Eine Sekunde lang hielt ich die Antwort für einen Witz. Doch Kai Pflaume fuhr unbeirrt weiter: «Wir finden Teppich ganz gemütlich.» In diesem Moment sah ich mein Bild von ihm mehr als bestätigt. Er war und blieb der weichgespülte Kuschel-Kai, der Gemütlichkeitsfanatiker, der Emporkömmling des Deutschen Fernsehens .......




ohne Stil und ohne Geschmack. Vor allem aber sah ich in ihm den Spiesser. Wie konnte sich einer, der so viel Geld hat, freiwillig Spannteppich in die Wohnung legen, den Inbegriff von verstaubt und altbacken?
Das Bild hat sich zwar bis heute nicht verändert, nur drängten sich mir irgendwann neue Fragen auf. Warum ist Spannteppich eigentlich spiessiger als Parkett? Wieso gibt es selbst bei Bodenbelägen die «guten» und die «schlechten»? Und warum sind Spiesser immer die anderen?
Konventionen und Normen haben die Eigenheit, dass man sie bei sich selbst nicht als solche wahrnimmt, sondern als persönlichen Geschmack, Stil oder gar Charakterzug. Dabei ist keiner immun gegenüber dem Verhaltenskodex seiner sozialen Gruppe(n).

Spiessertum auf hohem Niveau?
So kommt es, dass wir bei neuen Bekanntschaften absonderliche Sexpraktiken tolerierbarer fänden, als dass sie Rondò Veneziano hörten oder Lady-Diana-Devotionalien sammelten. Wir belächeln süffisant das kleinbürgerliche Wohnambiente mit typischer Schrankwand und der 3-2-1-Sofakombination, erkennen aber keine Uniformiertheit darin, dass in beinahe jedem Haushalt unserer Freunde Designklassiker wie Stühle von Jacobsen oder Panton oder der unvermeidliche Eames-Lounge-Chair stehen.
Könnte es sich um Spiessertum auf hohem Niveau handeln? Bei den Gutverdienern unter meinen Freunden herrscht ein ambivalentes Verhältnis zur M-Budget-Linie der Migros. Zwar wird sie von allen als cool und trendy bezeichnet, trotzdem schämt man sich immer ein wenig für den Kauf, da sie einen als Geizhals entlarvt. Ein befreundeter Schauspieler, ansonsten bei jeder Gelegenheit seine unkonforme Lebensweise rühmend, entfernte bei meinem Besuch peinlich berührt die M-Budget-Zahnpasta aus dem Bad und faselte etwas von «habe eine Kiste davon als Geschenk für einen Auftritt gekriegt». Lustigerweise ist bei einem anderen Teil meiner Freunde dieselbe Billiglinie sehr gern gesehen, und zwar bei jenem Teil, der damit kokettiert, mit wenig Geld auszukommen.

Mit der Flamme zur Miss-Schweiz-Wahl
Daneben gibt es etliche Dinge, deren Genuss entweder mit ironischer Distanz oder einem hohen Alkoholpegel zugegeben und toleriert wird, so zum Beispiel die Miss-Schweiz-Wahl. Man darf sie am Fernsehen mitverfolgen, aber es wäre undenkbar, dass man seine neue Flamme zur Wahlgala einladen würde – es sei denn, man wollte die Beziehung schnell beenden. Ebenso verhält es sich mit Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, zu deren Genuss man in Filmerkreisen inzwischen auch ohne entschuldigende Einleitung stehen darf, weil hier die ironische Distanz mitgedacht wird. Man geht ganz einfach davon aus, dass man das Zeug sowieso nicht ernst nimmt.
Stimmt auch. Was aber, wenn wir auf jemanden treffen, der es ernst nimmt? Ich sage ums Himmels willen nicht, dass von nun an alle Rondò Veneziano hören sollen (und wenn, dann bitte nur, wenn ich nicht zu Besuch bin). Und selbstverständlich werde ich mich weiter über Miss-Wahlen lustig machen. Aber es ist wirklich interessant, über die Konventionen im eigenen Umfeld nachzudenken. Man braucht sie noch nicht einmal brechen. Das Erkennen allein ist schon aufschlussreich genug, wenn auch beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. (Tages-Anzeiger)

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