Dienstag, Februar 13, 2007

Der iranische Chefunterhändler für das Atomprogramm, Ali Larijani, im Interview

13. Februar 2007, Neue Zürcher Zeitung
«Man kann nicht bestrafen, bevor ein Verbrechen begangen wurde»
Der iranische Chefunterhändler für das Atomprogramm, Ali Larijani, über Teherans nukleare Ziele und die Lage im Irak

Ali Larijani ist einer der einflussreichsten Politiker in Iran mit einem direkten Draht zu Revolutionsführer Khamenei. Er ist Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates und führt die Verhandlungen, die das iranische Atomprogramm betreffen. Vor seinem Treffen mit Bundespräsidentin Calmy-Rey in Bern am Montag befragten ihn der NZZ-Redaktor Jürg Bischoff und Christoph Plate, Auslandredaktor der «NZZ am Sonntag».



Herr Larijani, an der Münchner Sicherheitskonferenz haben Sie sich beklagt, dass Irans Bemühungen, den Terror im Irak einzudämmen, nicht anerkannt würden. Welche Bemühungen sind das?

Ali Larijani: Ich habe in München darüber gesprochen, dass wir einen gemeinsamen Zugang zu Fragen der Friedenssicherung auf regionaler und internationaler Ebene brauchen. Unser Vorschlag ist es, neue Paradigmen zu finden, innerhalb deren die grossen Mächte und die regionalen Mächte miteinander kommunizieren können. Eines davon sollte die Demokratie sein, ohne die es keine dauerhafte Ordnung und Sicherheit geben kann. Wir können aber nicht erkennen, dass die Amerikaner Ziele verfolgen, die zu Demokratie führen. Das andere ist der Respekt für andere Kulturen; man kann nicht den Lebensstil einer ganzen Gesellschaft einfach verändern.
Kein Interesse an Instabilität im Irak

Wir haben von Anfang an die demokratisch gewählte Regierung des Iraks unterstützt. Natürlich waren wir gegen die Besetzung, weil wir meinten, eine solche Invasion sei nicht angebracht im Mittleren Osten. Die Amerikaner wissen, woher diese Terroristen stammen: Die meisten sind junge Leute aus jenen Staaten des Nahen Ostens, die eng mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Keiner der Verbündeten der USA in der Region hat ein demokratisches System.

Die Amerikaner haben Iran beschuldigt, den Terroristen im Irak Waffen und Material zum Bau von panzerbrechenden Bomben zu liefern.

Ich habe das in München nicht gehört. Was aber wäre unser Nutzen, wenn es mehr Anarchie und Instabilität im Irak gäbe? Wir haben eine 1350 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Unsicherheit im Irak treibt irakische Flüchtlinge zu uns. Die Unsicherheit im Irak ist ausserdem nicht flächendeckend, nur ein Teil des Iraks, Bagdad und der Westen, sind davon betroffen. Der Norden und der Süden sind sicher, und beide Gegenden grenzen an Iran. Die Amerikaner suchen doch nach einem Feindbild! Man muss herausfinden, woher diese Terroristen kommen: Ihre Regierungen sollen verhindern, dass diese Leute kommen.

Was wären die Konsequenzen für Iran, wenn die Amerikaner aus dem Irak abzögen?

Der Irak steckt in einem Teufelskreis: Die Amerikaner sagen, sie müssten dort sein, um den Terror zu bekämpfen. Die Terroristen sagen, sie müssten die amerikanischen Besetzer bekämpfen. Die Amerikaner müssen verstehen, dass, solange sie dort sind, die Lage so bleibt, wie sie heute ist. Eine Truppenreduktion wäre vernünftig. Ausserdem muss Premierminister Maliki die nötige Autorität übertragen bekommen, um das Land zu führen, dann wird sich die Lage schon beruhigen. Soweit wir wissen, mischen die Amerikaner sich ständig in irakische Angelegenheiten ein, nicht nur in Sicherheitsbelangen. Das schwächt die irakische Regierung. Ausserdem müssen die Amerikaner einen Modus finden, wie sie mit den Staaten in der Region umgehen. Wenn sie effektiv sein wollen, müssen sie eine konstruktive Zusammenarbeit entwickeln und sich nicht nur Feinde machen. Natürlich wollen wir auf keinen Fall Anarchie, wenn die Amerikaner einmal die Region verlassen. Mit einem ordentlichen Zeitplan liesse sich das arrangieren.

Konsortium - gute Idee ohne Folgen

Kommende Woche läuft ein Uno-Ultimatum ab, bis zu dem Sie auf die Anreicherung von Uran verzichten sollen. Wären Sie vorbereitet auf noch härtere Uno-Sanktionen?

Irans Atompolitik ist nicht kompliziert. Unser Atomprogramm ist offen und transparent. Wir sind bereit, unser Programm im Rahmen der Abkommen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen durchzuführen. Alles, was wir tun, wird von der IAEA beobachtet und inspiziert. Diese sagt, es sei ziemlich klar, dass unsere Aktivitäten kein Problem darstellten. Jetzt wird uns aber vorgeworfen, dass es einen Missbrauch in der Zukunft geben könnte. Also müssen wir dieser Sorge begegnen. Eine Vorgehensweise war, uns vor den Uno-Sicherheitsrat zu zerren, um uns zur Aufgabe des Atomprogramms zu zwingen. Das ist eine falsche Einstellung, denn wir werden diesem Druck nicht nachgeben. Die Anklagen gegen uns entsprechen nicht den internationalen Regeln; niemand kann eine Bestrafung verlangen, bevor ein Verbrechen begangen wurde. Ich habe darüber mit dem EU-Beauftragten Solana gesprochen: Wenn es um die Sorge vor möglichem Missbrauch in der Zukunft geht, sind wir bereit, unsere Aktivitäten innerhalb eines Konsortiums unter Beteiligung der massgeblichen Staaten durchzuführen. Solana sagte, dies sei eine gute Idee, aber es gab keine Fortschritte.

Die Russen, Iran, die Internationale Atomenergieagentur sprechen von der Schaffung internationaler Konsortien zur Uran-Anreicherung. Bisher ist aber nichts dabei herausgekommen. Warum?

Der Grund ist klar: Es gibt nur Lippenbekenntnisse zu einem solchen Konsortium. Um die Sorgen der Europäer zu beruhigen, haben wir vorgeschlagen, ein solches Konsortium in Iran mit europäischer Beteiligung zu gründen. Doch die Amerikaner möchten über eine World Nuclear Fuel Bank dieses Material alleine kontrollieren. Den Konsortiums-Vorschlag der Russen schätzen wir auch, aber wir brauchen Zeit, um diesen genauer zu studieren. Wir brauchen Garantien für die Versorgung mit angereichertem Uran. Die in der Schah-Zeit geschlossenen Vereinbarungen mit amerikanischen und europäischen Firmen wurden nach dem Sieg der Islamischen Revolution für null und nichtig erklärt. Solange die amerikanische Logik so aussieht, dass ein Verbündeter alles bekommt, jene, die keine Verbündeten sind, aber nichts, gibt es für uns keine Sicherheit. Sollte es eines Tages eine Garantie geben, dass wir angereichertes Uran erhalten, können wir unsere Einstellung ändern. Wir sind für Abrüstung, wir betrachten nukleare und andere Massenvernichtungswaffen als eine Bedrohung des internationalen Friedens.

«Iran ist keine Bedrohung»

Aber es haben nicht nur Europäer und Amerikaner Angst vor Ihrem Atomprogramm, sondern auch die arabischen Nachbarn Irans, die vor allem ein Erstarken des Schiitentums fürchten.

Die Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten werden dramatisiert. Sie haben keine natürlichen Differenzen, sie haben friedlich miteinander gelebt. Und die Islamische Republik möchte Einheit zwischen all diesen Gruppen schaffen. Wichtig im Islam ist der Monotheismus, alles andere ist Beiwerk, das haben wir Schiiten gemeinsam mit den Sunniten, den Christen und den Juden. In den arabischen Staaten wollen einige Politiker einen schiitischen Halbmond in der Region erkennen, Iran arbeitet aber nicht an der Dominanz der Schiiten. Dem Nahen Osten wird ein Wille aufgezwungen. Die Amerikaner brauchen Gegner und Konfrontationen.

Wir haben eine defensive Strategie. In München haben einige Leute gesagt, Iran habe Raketen, die bis nach Europa reichten. Das ist ein Witz, Europa ist unser Haupthandelspartner, warum sollten wir es angreifen? So schafft man sich einen eingebildeten Feind. In allen Gesprächen mit den Nachbarn heisst es, wir seien Freunde. Wir sagen den Nachbarn: Welchen Sinn hätte es für Iran, eine Atombombe zu haben? Die Amerikaner sind stark genug, mit uns jederzeit einen Konflikt zu beginnen, warum sollten wir dann eine Atombombe haben, um die Nachbarn zu bedrohen? Wir waren nie eine Bedrohung für irgendjemanden, obwohl wir selber oft und massiv bedroht wurden.

Sind die Araber, speziell die Saudis, bereit, mit Ihnen gemeinsam Lösungen für die Probleme im Irak oder in Libanon zu suchen?

Natürlich können wir Lösungen finden. In Libanon gibt es kein Problem zwischen Sunniten und Schiiten. Sie können Sunniten, Christen und Schiiten in allen Lagern des politischen Spektrums finden. Interessierte Kreise versuchen aus all dem einen ethnischen Konflikt zu machen. Wir arbeiten eng mit Saudiarabien zusammen.
Meinungsverschiedenheiten?

Vor Wochen gab es Proteste gegen den Präsidenten Ahmadinejad an der Teheraner Universität, er hat die Lokalwahlen verloren, und es gibt Anzeichen, dass Revolutionsführer Khamenei mit der gegenwärtigen wirtschaftlichen und internationalen Entwicklung unglücklich ist. Ist er das?

Das ist doch normal in einer Demokratie. Wir sind ja keine Monarchie mehr. Unter der Präsidentschaft von Hashemi Rafsanjani und Khatami gab es solche Proteste auch. Nicht nur die Studenten, auch unsere Politiker sind verschiedener Auffassungen. Dieser Pluralismus unterscheidet uns von einigen unserer Nachbarn. Wenn es aber um Fragen unserer nationalen Sicherheit geht wie das Atomprogramm, scheinen alle Iraner einer Meinung zu sein. Sogar einige sehr kritische Oppositionsgruppen stehen in dieser Frage hinter uns.

Noch einmal zu Ayatollah Khamenei: Können Sie bestätigen, dass er unzufrieden ist mit dem Stand der Dinge im Land?

Ich habe keinen Hinweis darauf. Der Revolutionsführer hatte auch gegenüber allen früheren Regierungen schon seine sehr eigenen Ansichten.

Sie haben bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert und verloren, heute gibt es Stimmen, die sagen, es wäre vielleicht besser, wenn Larijani gewonnen hätte. Wären Sie der bessere Präsident?

Wichtig ist doch, dass wir die Probleme in der Region lösen und uns weiterentwickeln. Unsere Energieversorgung, die Bekämpfung des Terrorismus, die Entwicklung im Irak sind wichtige Themen. Und jeder muss auf seiner Position zur Lösung dieser Probleme beitragen. Wo immer man sich am effektivsten einsetzen kann, dort soll man seinen Platz einnehmen. Aber bisher habe ich über diese Frage nach der Präsidentschaft noch nicht nachgedacht. Ich habe den Eindruck, dass Ahmadinejad im Westen anders dargestellt wird, als er ist. Ich arbeite eng mit ihm zusammen und finde ihn sehr rege bei dem Versuch, die Probleme zu lösen.

Keine Kommentare: