Samstag, Februar 10, 2007

Verdient China Vertrauen? Fragt die NZZ

Schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres war Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao diese Woche auf Einkaufstour in Afrika. Der immense Rohstoffhunger seiner boomenden Heimat hat wohl eine Erhöhung der Kadenz solcher Visiten ratsam erscheinen lassen. Doch dieses Mal hat der emsige chinesische Einkäufer offenbar mehr afrikanisches Misstrauen angetroffen als auch schon. Jedenfalls bemühte er sich in Pretoria, Ängste vor einem neokolonialistischen Übergriff Chinas auf den afrikanischen Kontinent zu zerstreuen. «China hat niemals anderen Ländern seinen Willen oder eine Ungleichbehandlung aufgezwungen und wird das auch künftig nicht tun», verkündete Hu den Afrikanern.

10. Februar 2007, Neue Zürcher Zeitung
Verdient China Vertrauen?

Schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres war Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao diese Woche auf Einkaufstour in Afrika. Der immense Rohstoffhunger seiner boomenden Heimat hat wohl eine Erhöhung der Kadenz solcher Visiten ratsam erscheinen lassen. Doch dieses Mal hat der emsige chinesische Einkäufer offenbar mehr afrikanisches Misstrauen angetroffen als auch schon. Jedenfalls bemühte er sich in Pretoria, Ängste vor einem neokolonialistischen Übergriff Chinas auf den afrikanischen Kontinent zu zerstreuen. «China hat niemals anderen Ländern seinen Willen oder eine Ungleichbehandlung aufgezwungen und wird das auch künftig nicht tun», verkündete Hu den Afrikanern.

Da fragt sich allerdings, was denn Chinas Wille ist. In erster Linie, viel Geld zu verdienen, liesse sich holzschnittartig antworten. Und in dieser Absicht setzen die reichen Chinesen die viel ärmeren Afrikaner indirekt manchem Druck aus. Es sei hier bloss die Textilindustrie erwähnt, die in Afrika von der chinesischen Konkurrenz vom Tisch gefegt zu werden droht. Im Kontext des Rohstoffhungers gibt es zudem politischen Druck, der von den Chinesen infolge ihres Hofierens auch zwielichtiger Regime gefördert wird - zwar nicht mit Absicht, aber eben doch wissentlich. Stichworte dazu sind Darfur und Sudan.

RAUBTIER-KAPITALISMUS
Dass Chinas Aussenpolitik zum Ziel hat, andere Länder zu dominieren und nach der Weltherrschaft zu streben, kann derzeit wirklich nicht behauptet werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Peking kürzlich einen eigenen Satelliten ins All abgeschossen hat, um sich gegenüber den Amerikanern im Weltraum aufzuspielen. Aber das Vertrauen, das Hu Jintao in seiner Rede in Pretoria den skeptischen Afrikanern abzuringen versucht hat, mag man China trotzdem nicht gewähren.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der Peking seine wirtschaftlichen Ziele verfolgt, weckt Misstrauen. Alles scheint im Reich der Mitte dem ökonomischen Aufschwung untergeordnet oder gar geopfert zu werden. Die Politik, das gesellschaftliche Zusammenleben, die Kultur, die Umwelt. Der Aufschwung heiligt praktisch alle Mittel, denn er ist letztlich die einzige Legitimation des Regimes - und überdies eine vergängliche.

Es herrscht ein Raubtier-Kapitalismus im heutigen China. Allerdings steht dieser nicht - wie einst die Zustände im sich industrialisierenden England oder im Wilden Westen Amerikas - unter den Vorzeichen politischer Freiheit, sondern unter denjenigen einer ideologisch ausgehöhlten Diktatur. Was letztlich das Ziel und der Wille des Regimes ist, kann schwer vorausgesagt werden. Unsicher ist auch, ob und wie lange die Parteiherrschaft überlebt. Was geschehen wird, wenn ein ökonomischer Abschwung eintritt, wenn die Legitimation schwindet, ist ebenfalls nicht vorhersehbar. Ob China den Übergang zu einer harmonischen, selbstregulierenden und stabilen Gesellschaft findet, ist angesichts der gewaltigen und wachsenden sozialen, ökonomischen, politischen und geographischen Disparitäten eher fraglich. Ob eine ruhige Anpassung der Politik an die veränderte Gesellschaft und eine friedliche Ablösung der Alleinherrschaft der Partei nach dem Vorbild Taiwans möglich sein werden, steht in den Sternen.

Das Vertrauen, das der chinesische Staats- und Parteichef sich wünscht, ist ihm somit nur schwer entgegenzubringen. Auch die westliche Wirtschaftswelt, die China bewundert und beneidet, scheint der Sache nicht ganz zu trauen, weshalb sie ihre eigenen Politiker dauernd bittet, brav den Kotau vor dem Kaiser zu machen und so für gutes Klima zu sorgen. Mit seinem riesigen Markt, seinem Heer billiger Arbeitskräfte und seinen gewaltigen Devisenreserven ist China in der global vernetzten Welt ein Wirtschaftsfaktor von grossem Gewicht und bedeutender Ausstrahlung. Umso schwerwiegender ist es, dass seinem Regime nicht wirklich vertraut werden kann.

RECHTSUNSICHERHEIT
Die zentrale Schwäche ist und bleibt der fast totale Mangel an Rechtssicherheit und das Ausmass an staatlicher Willkür. Trotz allen verbalen Verrenkungen ideologischer Art und den mehr oder weniger weisen Theorien und Leitsätzen der Führungsfiguren wird in China kein neues Gesellschaftsmodell etwa einer autoritären Marktwirtschaft geschaffen. Es wird auch nicht vorexerziert, dass der Kommunismus funktionieren kann. Die Dinge entwickeln sich viel unkontrollierter, spontaner und chaotischer, als das Herrschaftssystem glauben machen könnte. Die Willkür des Regimes, das sich nicht durch Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung beschränken lassen will, dominiert und findet auf den unteren Ebenen in Form von Eigenmächtigkeit und entsprechender Rechtsunsicherheit, beispielsweise in den lokalen Verwaltungen oder in Geschäftskreisen, ihre Fortsetzung.

Unter solchen Voraussetzungen fällt es schwer, eine kohärente Politik zu betreiben. Ob China beispielsweise innert vernünftiger Frist in der Lage sein wird, sich seinen grossen Umweltproblemen zu stellen, ist völlig offen. Dabei geht es nicht in erster Linie um einen Mangel an theoretisch formulierter Umweltpolitik, sondern um grosse Vollzugsdefizite. China verfügt eigentlich über ein umfangreiches Arsenal an entsprechenden rechtlichen und ökonomischen Instrumenten, es gibt vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfungen und Zertifizierungen. Doch deren Anwendung ist willkürlich. So werden Umweltstandards in der besser entwickelten Region der Ostküste stärker angewandt als im zentralen Hinterland und im Westen. Dorthin werden dann die industriellen Dreckschleudern verfrachtet. Um in Peking die verordnete Umweltqualität zu Ehren der Olympischen Spiele 2008 zu erreichen, wird etwa ein ganzes Stahlwerk in die Provinz Hebei ausgelagert.

Solche rechtliche Willkür entspricht natürlich auch der Goldgräberstimmung im «Wilden Osten» und fördert diese zusätzlich, doch gerade für die Umwelt ist der von Rücksichtslosigkeit und Egoismus geprägte chinesische Aufbruch eine schwere Bedrohung. Laut Chinas Umweltbehörde sind 67 Prozent der sieben grossen Flusssysteme so verschmutzt und vergiftet, dass sie für menschliche Nutzung nicht mehr geeignet sind. Durch die Verbrennung von Kohle mit sehr hohem Schwefel- und Aschegehalt und durch Autoabgase - China bewegt sich auf den Spitzenplatz der CO2- Emittenten zu - wird die Luft derart belastet, dass laut der Weltbank von den 20 Städten mit der weltweit schlechtesten Luft deren 16 in China liegen. Durch Entwaldung werden Erosion, Überschwemmungen und die Entstehung sowie die Ausbreitung von Wüsten gefördert. Umweltschäden entstehen auch durch wachsende Abfallberge und durch intensive Landwirtschaft.

BEDROHLICHE UMWELTKOSTEN
Ausgelöst durch hemmungsloses und vom Regime kaum gezähmtes Wachstum, bedroht die Umweltzerstörung letztlich den Aufschwung selbst. Das Umweltministerium berechnet die jährlichen Kosten der Verschmutzung auf rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts, die Weltbank spricht gar von acht bis zwölf Prozent. Damit wäre das Wachstum gleich wieder aufgefressen.

Unter den Voraussetzungen der heutigen Rechtsunsicherheit wird es China kaum gelingen, die Umweltproblematik in den Griff zu bekommen. Auch echtes Vertrauen des Auslandes wird ohne Rechtsstaatlichkeit nur schwer zu gewinnen sein. Indien, die zweite grosse aufstrebende Wirtschaftsmacht in Asien, ist dem Reich der Mitte in dieser Hinsicht um einiges voraus. Weil in China kein Verlass auf das Recht ist, kann auch der Politik nicht vertraut werden, und entsprechend schwach sind die Grundlagen für nachhaltig sichere Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland und für ein freundnachbarschaftliches Verhältnis mit den Staaten Ostasiens. Japans Misstrauen gegenüber dem boomenden China entspringt nicht nur der Rivalität zwischen den beiden Wirtschaftsriesen, sondern auch echter Besorgnis. Obwohl das Reich der Mitte derzeit aussenpolitisch kaum ausgreift, sondern auf sein wirtschaftliches Wachstum fokussiert ist, gibt es gute Gründe, Skepsis gegenüber dem Regime in Peking zu bewahren.

B. W.

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