Tages Anzeiger Online 05.06.2010
Wo sind die Vorbilder?
Von Simone Meier
Lady Gaga, Emma Watson und Angela Merkel gelten als die wichtigsten Frauen der Welt, Nicole Kidman war einst die strahlendste. So bewundernswert wie George Clooney sind sie alle nicht.
Vielleicht wäre alles gut, wenn George Clooney eine Frau wäre. Sie wäre dann eine reife, aber immer noch strahlende Schönheit, würde entspannt altern und nicht wie Madonna oder Nicole Kidman, sie wäre noch nie in ihrem Leben auf so beängstigende Art kindersüchtig gewesen wie Angelina Jolie, sie wäre populär, hätte aber politisch das Herz auf dem richtigen Fleck und würde auch richtig viel Gutes tun und hätte sich doch zu allem eine gesunde, geistreiche Distanz bewahrt. Man könnte als Frau zu ihr aufschauen und sagen: Jawoll Mutter, so wie du wäre ich auch gern.
So, wie vor 20 Jahren zu Madonna. Als die noch eine relevante, radikale Künstlerin war, eine Feministin gegen den Herrgott in Theorie und Praxis, als sie das Wort «massgebend» tatsächlich für ein paar Jahre definierte. Als sie im intellektuellen Diskurs wie in der Disco den Ton angab.
Warum so einflussreich?
Stattdessen blickt man heute um sich, sieht, wie Lady Gaga in einem neuen Fasnachtsfummel überhaupt nichts sagt an einer Medienkonferenz, obwohl sie doch aus einem New Yorker Intellektuellenhaushalt kommen soll. Man sieht, wie sie zwar eine beachtliche Hochleistungsmaschine ist, wie sie....
Tages Anzeiger Online 05.06.2010
Wo sind die Vorbilder?
Von Simone Meier
Lady Gaga, Emma Watson und Angela Merkel gelten als die wichtigsten Frauen der Welt, Nicole Kidman war einst die strahlendste. So bewundernswert wie George Clooney sind sie alle nicht.
Vielleicht wäre alles gut, wenn George Clooney eine Frau wäre. Sie wäre dann eine reife, aber immer noch strahlende Schönheit, würde entspannt altern und nicht wie Madonna oder Nicole Kidman, sie wäre noch nie in ihrem Leben auf so beängstigende Art kindersüchtig gewesen wie Angelina Jolie, sie wäre populär, hätte aber politisch das Herz auf dem richtigen Fleck und würde auch richtig viel Gutes tun und hätte sich doch zu allem eine gesunde, geistreiche Distanz bewahrt. Man könnte als Frau zu ihr aufschauen und sagen: Jawoll Mutter, so wie du wäre ich auch gern.
So, wie vor 20 Jahren zu Madonna. Als die noch eine relevante, radikale Künstlerin war, eine Feministin gegen den Herrgott in Theorie und Praxis, als sie das Wort «massgebend» tatsächlich für ein paar Jahre definierte. Als sie im intellektuellen Diskurs wie in der Disco den Ton angab.
Warum so einflussreich?
Stattdessen blickt man heute um sich, sieht, wie Lady Gaga in einem neuen Fasnachtsfummel überhaupt nichts sagt an einer Medienkonferenz, obwohl sie doch aus einem New Yorker Intellektuellenhaushalt kommen soll. Man sieht, wie sie zwar eine beachtliche Hochleistungsmaschine ist, wie sie Disziplin besitzt, diese oberste aller Tugenden, um zu Ruhm und Geld zu kommen, wie sie sich geschickt mit Erfolgszitaten aus der Popgeschichte verkleidet, aber innen drin doch so gar nichts Besonderes zu wollen scheint. Als wäre sie ein hor-sol-gezüchtetes Madonna-Klönchen. Auffallen mit selbst designten Fummeln? Kann jeder Transvestit besser.
Doch Lady Gaga, 24, wurde kürzlich vom «Time Magazine» zum «einflussreichsten Künstler» – die Kategorie umfasst Frauen und Männer – des Planeten Erde gewählt. Wieso?! Gut, es gibt immer das Argument der flächendeckenden Medienpräsenz, natürlich. Aber ist eine, deren Konzerte, jedenfalls die in Deutschland, bereits nicht mehr ausverkauft sind, tatsächlich so einflussreich?
Watson ist keine mit Strahlkraft
Und was ist heute eigentlich Einfluss? Etwa Geld? So definiert nämlich das Magazin «Vanity Fair» Einfluss in Hollywood, und so gemessen ist die knapp 20-jährige Emma Watson momentan die einflussreichste, weil finanzkräftigste Frau in Hollywood. Allein 2009 verdiente die Hermine aus den «Harry Potter»-Filmen 30 Millionen Dollar, sie steht damit auf Platz 14 aller Topverdiener in Hollywood, also aller Schauspieler, Regisseure und Produzenten zusammen. Sie liegt 7 Plätze vor Johnny Depp und 15 vor George Clooney. Emma Watson ist hübsch, gibt nichtssagende Interviews und macht Werbung für Burberry. Mehr ist da noch nicht. Vielleicht in zehn Jahren. Emma Watson ist keine mit Strahlkraft, ihr haftet nichts Magisches an neben der Magie des Potter-Imperiums.
Die mächtigste Frau der Welt ist noch immer Angela Merkel, das ergab eine Erhebung des «Forbes»-Magazins im letzten Sommer, und daran wird sich wohl auch in diesem Sommer nichts ändern. Auch wenn sie dann höchstwahrscheinlich mit ihrer Politik für mehr Schaden als Wohl gesorgt haben wird. Und auch bei ihr stellt man sich die Frage: Angela Merkel als Vorbild? Nie im Leben.
George Clooney und Lady Di
Politische und industrielle Macht, Geld und mediale Streuweite, damit lässt sich Einfluss selbstverständlich am einfachsten messen. Was nicht berücksichtigt wird, sind dabei die «weichen» Kriterien, die «soft skills», die eigentlich viel nachhaltiger sind und die schon lange nichts mehr mit geschlechtsspezifischen Zuordnungen zu tun haben. Am Beispiel eines George Clooney lassen sie sich nämlich exemplarisch beobachten: soziale Verantwortung und gesellschaftspolitisches Engagement, gepaart mit Esprit, Stilsicherheit und einer gewissen unnahbaren Erhabenheit. Letzteres war früher für weibliche Superstars unabdingbar, es bildete ihre Hülle und ihre Aura, egal ob sie Marlene Dietrich, Grace Kelly, Jackie Kennedy oder Madonna hiessen. Auch ihre Skandale waren nicht schäbig, sondern irgendwie im Hollywoodformat. Selbst Diana, die einfach zu naiv war, um ein richtiger Star zu sein, heiratete, liebte und starb ganz gross.
Doch wahrscheinlich ist die Sache mit der Aura heute nur noch für die älteren Semester überhaupt machbar. Für eine Meryl Streep etwa. Für eine also, die ihren Job von Mal zu Mal mit glänzender Perfektion erledigt, die nach aussen stets intelligent – wenn auch selten stilsicher – auftritt und ihr Privatleben konsequent von der Öffentlichkeit abschirmt. Die Öffentlichkeit war zwar auch schon früher ein gefrässiges Tier – als Romy Schneider im Spital lag, verkleideten sich Paparazzi als Krankenpfleger, das war nicht weniger schäbig als heute – aber der Druck der Stars, sich selbst zu entäussern, zu twittern, zu bloggen, zu Facebook-Buchhaltern ihrer selbst zu werden, der existierte nicht. Heute regiert die virtuelle Multiplikation seiner selbst, die Verschlimmbesserung fremdinszenierter und oft herbeifantasierter Skandälchen und Minidramen durch die Zugabe eigener und oft allzu emotionaler Kommentare und Rechtfertigungen.
Archaische Muster der Frauenfeindlichkeit
Das besonders Perfide bei alledem ist: Der heutige Promijäger-Boulevard funktioniert nach archaischen Mustern der Frauenfeindlichkeit. Wo bei Männern schon einmal ein Bauch (Bruce Willis), ein Bart (Brad Pitt) oder ein neues Tattoo (David Beckham) erörtert, aber nie medial vernichtet wird, halten die Paparazzi bei Frauen gnadenlos auf den vergrösserten Busen, die fehlende Unterwäsche, die Krähenfüsse, die Cellulite, den angeblichen Babybauch, die neue Haarfarbe, die aufgespritzte Lippe, die Falten. Sie sezieren und zerfleischen die Damen, die sie nähren, bei lebendigem Leib und feiern den Partialfetischismus der Blossgelegten. Kein Wunder, werden viele der Verfolgten süchtig – nach Drogen und nach Schönheitsoperationen.
So wurde etwa aus der einst so strahlenden, so sonderbaren und besonderen Nicole Kidman, die sich nach der Trennung von Tom Cruise für kurze Zeit in eine einsame Leinwandikone und eine souveräne, aber verschwiegene Lebefrau der Oberliga verwandelt, plötzlich eine einbalsamierte, wandelnde Mumie. Man kann sich vorstellen, wie das war, als sich plötzlich alle auf die Alkoholprobleme ihres neuen Mannes, auf ihre Adoptivkinder und ihr zunehmendes Alter stürzten, als ihre Gage ins Unermessliche stieg, aber ihre Filmprojekte fast ins Bodenlose abstürzten. Als sie versuchte, das Einzige zu retten, was wirklich ihr gehörte – ihre Schönheit. Es hat ihr nicht geholfen. Greta Garbo und Marlene Dietrich hätten sich an dieser Stelle wahrscheinlich einfach aus dem Geschäft zurückgezogen und ihre Millionen genossen.
Nur ein Geschäft
Aber Rückzug ist heute ab einer gewissen Grösse nicht mehr möglich. Und weil die multimediale Multiplikation, wenn sie denn erst einmal angeworfen ist, zum Selbstläufer wird, ist es auch nicht verwunderlich, dass Lady Gaga plötzlich die einflussreichste Künstlerin der Welt sein soll. Eine laute Barbiepuppe lässt sich eben perfekt abbilden. Immer und immer wieder. Lady Gaga weiss das, und sie bietet ihre täglich wechselnden Verkleidungen und ihre schönen Beine feil wie keine andere. Eine Frau im Zeitalter der technischen und sexualisierten Reproduktion. Dass ihr Gesicht dabei ohne Charme und Ausstrahlung bleibt und ihre Musik eine kalte, künstliche ist, das ist egal. Auch Einfluss ist nur ein Geschäft. (Tages-Anzeiger)
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