Freitag, Juli 23, 2010

Drohen uns «Klimakriege»?

22. Juli 2010
Neue Zürcher Zeitung
Drohen uns «Klimakriege»?
Verminderte natürliche Ressourcen als mögliche wichtige Quelle von bewaffneten Konflikten

Laut Experten könnten der Klimawandel und seine Folgen eine Rolle bei der Verschärfung internationaler Konflikte spielen. Die Ressourcenknappheit in der Region südlich des Mittelmeers wird sich noch akzentuieren.

Vicken Cheterian

Im Jahr 2003 haben die Autoren eines vom amerikanischen Verteidigungsministerium in Auftrag gegebenen Berichts den Begriff des «Klimakriegs» geprägt. Sie zeigten darin mögliche Szenarien eines abrupten Klimawandels mitsamt den Auswirkungen auf die nationale Sicherheit der USA auf und sorgten damit für Aufregung. Unter dem Leitgedanken, sich das Undenkbare – einen relativ abrupten Wandel anstelle der zumeist prognostizierten graduellen Klimaveränderung – vorzustellen, zeichneten sie das düstere Bild einer Zukunft, beherrscht von Chaos, Millionen von «Umweltflüchtlingen» und durch die globale Erwärmung verursachten bewaffneten Konflikten. Als ersten «Klimakrieg», dem weitere folgen würden, nannten die Autoren den Konflikt um Darfur. Auch der Uno-Generalsekretär Ban nannte 2007 die Auswirkungen des Klimawandels als eine Ursache der Krise in Darfur.

Gewachsenes Interesse

In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl von Gremien und Berichten mit der Frage nach dem Klimawandel als einer wichtigen Ursache von Konflikten im 21. Jahrhundert befasst. Im vergangenen September verabschiedete die Uno-Generalversammlung eine Resolution.....



22. Juli 2010
Neue Zürcher Zeitung
Drohen uns «Klimakriege»?
Verminderte natürliche Ressourcen als mögliche wichtige Quelle von bewaffneten Konflikten

Laut Experten könnten der Klimawandel und seine Folgen eine Rolle bei der Verschärfung internationaler Konflikte spielen. Die Ressourcenknappheit in der Region südlich des Mittelmeers wird sich noch akzentuieren.

Vicken Cheterian

Im Jahr 2003 haben die Autoren eines vom amerikanischen Verteidigungsministerium in Auftrag gegebenen Berichts den Begriff des «Klimakriegs» geprägt. Sie zeigten darin mögliche Szenarien eines abrupten Klimawandels mitsamt den Auswirkungen auf die nationale Sicherheit der USA auf und sorgten damit für Aufregung. Unter dem Leitgedanken, sich das Undenkbare – einen relativ abrupten Wandel anstelle der zumeist prognostizierten graduellen Klimaveränderung – vorzustellen, zeichneten sie das düstere Bild einer Zukunft, beherrscht von Chaos, Millionen von «Umweltflüchtlingen» und durch die globale Erwärmung verursachten bewaffneten Konflikten. Als ersten «Klimakrieg», dem weitere folgen würden, nannten die Autoren den Konflikt um Darfur. Auch der Uno-Generalsekretär Ban nannte 2007 die Auswirkungen des Klimawandels als eine Ursache der Krise in Darfur.

Gewachsenes Interesse

In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl von Gremien und Berichten mit der Frage nach dem Klimawandel als einer wichtigen Ursache von Konflikten im 21. Jahrhundert befasst. Im vergangenen September verabschiedete die Uno-Generalversammlung eine Resolution zum Klimawandel und zu seinen möglichen Folgen für die Sicherheit. Anfang dieses Jahres gab die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine ähnliche Studie zu den Folgen des Klimawandels in Auftrag. Regierungen und internationale Organisationen nehmen die Auswirkungen des Klimawandels also ernst und sehen darin sogar eine Hauptursache möglicher Kriege.

Die einheitliche These lautet, dass der Klimawandel bestehende Niederschlagsmuster verändern, die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigen und die Nahrungsmittelsicherheit destabilisieren werde. Entwicklungstrends in Schwellenländern würden umgekehrt, und es werde zu massiven Migrationswellen kommen. Durch diese Veränderungen würden bestehende soziale und wirtschaftliche Probleme verstärkt, wodurch schwachen Staaten und Volkswirtschaften deren Bewältigung erschwert werde.

Doppelte Gefahr

Mit anderen Worten stellen die Berichte einen direkten Kausalzusammenhang zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten her. Dabei ist bemerkenswert, dass reiche Länder, obschon zur Hauptsache verantwortlich für die weltweiten Kohlendioxidemissionen, weniger stark vom Klimawandel betroffen sind als arme Länder mit geringen Emissionen. Dadurch werden Afrika, der Nahe Osten, das südliche Asien und die karibischen Inseln zu «hot spots», wo die Kombination Klimawandel und schwacher Staat die bestehende Ordnung doppelt gefährdet. Die Debatte über Klimawandel und Konflikte ist nicht neu; sie ist Teil eines wachsenden Interesses daran, wie der Rückgang natürlicher Ressourcen, beispielsweise die abnehmende Verfügbarkeit von Wasser, die Verschlechterung von Boden- und Waldqualität oder zurückgehende Fischbestände, zu bewaffneten Konflikten führt.

Faktor Bevölkerungszunahme

Die Debatte hat ihren Ursprung in den siebziger Jahren und rückte nach dem Ende des Kalten Krieges in den Vordergrund, als neue Risikowahrnehmungen und Konzepte «menschlicher Sicherheit» in Mode kamen. Thomas Homer-Dixon, ein am Massachusetts Institute of Technology lehrender Experte für internationale Beziehungen, legte in zwei Artikeln empirisch dar, wie ökologische Knappheit in verschiedenen Teilen der Dritten Welt zum Ausbruch von Gewalt und Konflikten führt. Er argumentierte, dass ein weltweites Bevölkerungswachstum auf neun Milliarden bis zum Jahr 2050 zusammen mit einer weiteren ökologischen Verschlechterung den bestehenden Ressourcendruck erhöhen wird.

Diese Debatte ist nicht das Monopol von Sicherheitsexperten, sondern auch Akteure wie die Vereinten Nationen und die OSZE nehmen daran teil. Im Jahr 2002 lancierten die OSZE sowie das Umweltprogramm und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen eine gemeinsame Initiative für Umwelt und Sicherheit, um die grenzübergreifende Bewältigung von Umweltproblemen als vertrauensbildende Massnahme zu fördern.

Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit knappen Ressourcen ist das Mittelmeerbecken. Laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2007 wird die Regenmenge in diesem Gebiet bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 20 Prozent zurückgehen. Während in Spanien und Portugal ein hohes Risiko der Wüstenbildung besteht, wird für die restlichen Länder Europas eine Erhöhung sowohl der Regenmenge als auch der Temperaturen prognostiziert, wodurch – wie in Russland und im Nordosten der Ukraine – die Landwirtschaft begünstigt wird.

Hingegen wird die südliche Mittelmeerregion, also der Nahe Osten und Nordafrika, eine negative Beeinflussung durch den Klimawandel erfahren. Die Region, eine der trockensten der Welt, ist von zwei der grössten Wüsten umgeben: der Sahara und der Rub al-Khali («Leeres Viertel»). Die meisten Länder der Region haben bereits mit Wasserstress zu kämpfen, verbrauchen also mehr Wasser, als ihnen durch Regen oder Flüsse zugeführt wird, und kompensieren den Unterschied durch das Abpumpen nicht erneuerbaren Grundwassers. Sowohl Bevölkerung als auch Wasserverbrauch nehmen zu, so dass ein verminderter Zugang zu Wasser enorme Schwierigkeiten verursachen und Landwirtschaft und Industrie vor grosse Herausforderungen stellen könnte.

Nachbarstreit um Wasser

Ein weiterer Anlass zur Sorge besteht in der Tatsache, dass in den arabischen Ländern bis zu zwei Drittel des fliessenden Wassers an der Oberfläche ihren Ursprung ausserhalb der Region haben. Drei Flussbecken – Nil, Jordan und Euphrat/Tigris – stehen hierbei besonders im Fokus. Verschiedene Studien projizieren angesichts der dortigen Niederschlagsabnahme und zunehmenden Verdunstung (verursacht durch steigende Temperaturen) einen Rückgang der Wassermenge in den Flüssen, und zwar um 30 Prozent für den Euphrat und bis zu 80 Prozent für den Jordan. Die Oberfläche des Toten Meers ist bereits um 20 Meter gesunken, das Meer zieht sich jährlich um beinahe einen Meter zurück.

Auch die Marschgebiete des Fruchtbaren Halbmonds sind im Begriff zu verschwinden. Dies geht aus Studien hervor, welche die voraussichtliche Entwicklung von Niederschlag und Fliessverhalten in dem Gebiet untersuchen, der Wiege antiker Zivilisationen und Heimat des heutigen Irak, der Türkei, Syriens, Libanons, Palästinas und Israels. In Syrien reduzierte eine vier Jahre währende extreme Dürre den Tierbestand von 21 auf 15 Millionen und führte zu einer Binnenmigration von bis zu einer Million arbeitssuchender Menschen aus dem Nordosten des Landes in die grossen Städte.

Wird die zunehmende Wasserknappheit bestehende zwischenstaatliche Spannungen verschärfen? Die jüngsten Differenzen zwischen Ägypten und dem Sudan auf der einen und Äthiopien und Uganda auf der anderen Seite scheinen darauf hinzudeuten. Zwei in der Zeit der britischen Herrschaft (1929 und 1954) formulierte internationale Abkommen gewährten Ägypten exklusive Rechte an den Wassern des Nils, abgesehen von einem geringen Anteil für den Sudan. Äthiopien, wo rund 80 Prozent des Nilwassers ihren Ursprung haben, macht Ansprüche auf einen eigenen Anteil geltend, hauptsächlich, um die Entwicklung von Wasserkraft zu ermöglichen.

Bisher ist es Ägypten gelungen, an seinem Anteil von 55,5 Millionen Kubikmetern Nilwasser festzuhalten. Die Landesfläche Ägyptens besteht zu 94 Prozent aus Wüstengebiet; gegenwärtig werden – bei einer Bevölkerung von 74 Millionen – 96 Prozent des Frischwassers aus dem Nil bezogen. Demografen projizieren eine Zunahme der ägyptischen Bevölkerung auf 120 Millionen bis 2050. Vor diesem Hintergrund werden die gegenwärtigen diplomatischen Spannungen um das Stromgebiet des Nils verständlich.

Steigende Lebensmittelpreise

Neben der Wasserknappheit stellt auch die Lebensmittelversorgung eine Herausforderung dar. Derzeit wird die Hälfte des Nahrungsmittelbedarfs in den arabischen Ländern durch Importe gedeckt; der Anteil an Importen wird voraussichtlich zunehmen. Die internationalen Preise für Lebensmittel haben nach fünfzig Jahren des Sinkens in letzter Zeit einen Aufwärtstrend gezeigt. Im Jahr 2008 kam es zu einer Reihe von Krawallen wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise. Durch die grössere Abhängigkeit von Lebensmittelimporten sind die Ärmsten internationalen Preisschwankungen verstärkt ausgeliefert, und schwache Staaten werden anfällig für soziale Unruhen.

Viele Akademiker fechten die Grundlagen dieser Debatte an. Obwohl sie betonen, dass der Klimawandel schwere Probleme verursachen und die menschliche Sicherheit (etwa die öffentliche Gesundheit oder die Verfügbarkeit von Nahrung) gefährden wird, lehnen sie die These der durch den Klimawandel verstärkten Verschlechterung der Umwelt als direkte Ursache von Kriegen ab. Die Faktoren, die zu gewalttätigen Konflikten führen, seien komplex und vielfältig, und Ressourcenknappheit sei nur eine von vielen Ursachen.

Andere weisen darauf hin, dass dank der Einbindung der Debatte in einen Sicherheitskontext den Problemen der Umwelt eine höhere Priorität zukommt, denn in den internationalen Beziehungen gilt Kriegen immer noch die grösste Aufmerksamkeit. Den Klimawandel als Sicherheitsrisiko zu betrachten, birgt jedoch die Gefahr, dass Staaten sich der Suche nach militärischen Lösungen zuwenden (beispielsweise im Hinblick auf potenzielle Flüchtlingswellen), obwohl das Problem ökologischer, sozialer und ökonomischer Natur ist.

Ungewisse Auswirkungen

Die bis anhin verfügbaren Klimamodelle sind sehr allgemein und vermögen die Ungewissheit bezüglich des Ausmasses der globalen Erwärmung und der Veränderung der Niederschlagsmengen nicht aus dem Weg zu räumen. Daher ist es zu früh, um deren wirtschafts-, sozial- oder sicherheitspolitische Auswirkungen abschliessend zu beurteilen. Wir wissen also mit anderen Worten, dass der Klimawandel unsere Sicherheit beeinflussen wird, aber noch nicht, auf welche Weise.

Vicken Cheterian ist Programmleiter von Cimera, einer Genfer Organisation für Konfliktforschung.((info-box))

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