7. August 2010, Neue Zürcher Zeitung
Denkt das Gehirn?
Eine «neurophilosophische» Debatte
Uwe Justus Wenzel
Länger schon hat die Wissenschaft festgestellt, dass das menschliche Zentralorgan kein Zentrum enthält: Das Gehirn mag so etwas wie eine Schaltzentrale sein, es hat aber keinen Hauptschalter und Hauptverwalter, keinen Maestro, der das Orchester der Hirnzellen und Synapsen dirigierte. Gleichwohl reden Neurowissenschafter und auch ihnen zur Seite stehende «Neurophilosophen» nicht selten vom Gehirn so, als ob es ein Akteur wäre. Dann tut sich nicht nur etwas in ihm, es tut vielmehr «selbst» etwas; es – oder auch einer seiner Teile – denkt, nimmt wahr, interpretiert, fühlt, wünscht, will, entscheidet. Ist es aber statthaft, so zu reden? Kann man dem Gehirn im Ernst zuschreiben, was für gewöhnlich von Menschen – von Personen – gesagt wird?
Eine illustre Runde
Ganz neu ist die Frage nicht. Aristoteles hat etwa dreieinhalb Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung in seiner Abhandlung über die Seele zu bedenken gegeben: Wer formuliere, «die Seele gerate in Zorn», behaupte der nicht das Gleiche wie einer, der meine, die Seele webe oder baue? Es sei, empfiehlt der Philosoph, «wohl besser, nicht zu sagen, die Seele habe Mitleid oder lerne oder denke nach, sondern der Mensch mittels der Seele». Aus der Seele ist inzwischen das Gehirn geworden, das dem Menschen das Privileg des Denkens und Fühlens streitig macht. Oder könnte es sein, dass die Hirnforscher eben doch....
7. August 2010, Neue Zürcher Zeitung
Denkt das Gehirn?
Eine «neurophilosophische» Debatte
Uwe Justus Wenzel
Länger schon hat die Wissenschaft festgestellt, dass das menschliche Zentralorgan kein Zentrum enthält: Das Gehirn mag so etwas wie eine Schaltzentrale sein, es hat aber keinen Hauptschalter und Hauptverwalter, keinen Maestro, der das Orchester der Hirnzellen und Synapsen dirigierte. Gleichwohl reden Neurowissenschafter und auch ihnen zur Seite stehende «Neurophilosophen» nicht selten vom Gehirn so, als ob es ein Akteur wäre. Dann tut sich nicht nur etwas in ihm, es tut vielmehr «selbst» etwas; es – oder auch einer seiner Teile – denkt, nimmt wahr, interpretiert, fühlt, wünscht, will, entscheidet. Ist es aber statthaft, so zu reden? Kann man dem Gehirn im Ernst zuschreiben, was für gewöhnlich von Menschen – von Personen – gesagt wird?
Eine illustre Runde
Ganz neu ist die Frage nicht. Aristoteles hat etwa dreieinhalb Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung in seiner Abhandlung über die Seele zu bedenken gegeben: Wer formuliere, «die Seele gerate in Zorn», behaupte der nicht das Gleiche wie einer, der meine, die Seele webe oder baue? Es sei, empfiehlt der Philosoph, «wohl besser, nicht zu sagen, die Seele habe Mitleid oder lerne oder denke nach, sondern der Mensch mittels der Seele». Aus der Seele ist inzwischen das Gehirn geworden, das dem Menschen das Privileg des Denkens und Fühlens streitig macht. Oder könnte es sein, dass die Hirnforscher eben doch nicht «im Ernst» so reden, dass sie vielmehr aus einer gewissen sprachlichen Verlegenheit heraus Metaphern benutzen und auch wissen, dass sie das tun?
Auf solche, auf ähnliche und noch andere Fragen lenkt ein Buch die Aufmerksamkeit, dessen deutsche Übersetzung unlängst, drei Jahre nach der englischsprachigen Originalausgabe, erschienen ist. Es versammelt zum Streitgespräch eine Runde von drei namhaften Philosophen und einem nicht minder bedeutenden Neurophysiologen. Letzterer, Maxwell R. Bennett, hat 2003 gemeinsam mit dem Philosophen Peter M. S. Hacker eine kritische Studie publiziert, die den Neurowissenschaften analytisch auf den Zahn ihrer Methoden und Begriffe fühlt. Längere Auszüge aus diesem Werk, «Philosophical Foundations of Neuroscience», sowie ein Aufsatz von Bennett bilden den ersten Teil. Anschliessend verteidigen sich zwei der kritisierten «Neurophilosophen», bei denen es sich um keine Geringeren als Daniel C. Dennett und John R. Searle handelt. Auf diese Verteidigungen, die ihrerseits temperamentvollen Angriffen gleichkommen, replizieren, nun auch rhetorisch stimuliert, Hacker und Bennett ausführlich.
Das philosophisch-neurowissenschaftliche Duo bringt zahlreiche Belege bei, um zu zeigen, wie in der Sprache der Hirnforschung das Objekt zum Subjekt, das Hirn zum Handelnden erhoben wird. Wer dem Gehirn dergestalt «psychologische Eigenschaften» zuschreibe, sage von «Bestandteilen» eines Lebewesens aus, was – dem Sinn der verwendeten Begriffe nach – nur auf das Lebewesen im Ganzen zutreffen könne. Bennett und Hacker nennen dies, obgleich nicht eigentlich eine Schlussfolgerung vorliegt, einen «mereologischen Fehlschluss». (Das griechische «meros» bedeutet «Teil».) Dennett vermag in dem angeprangerten Gebrauch «intentionaler Ausdrücke» keinen Fehler zu erkennen. Er hält es forschungspraktisch für nötig, «die ganze wunderbare Person in so etwas wie Teilpersonen» zu zerlegen – bis hinunter zu Hirnarealen –, denen dann allerdings keine «ausgewachsenen» Absichten zuerkannt würden, sondern, wie Dennett witzelt, eine «Hemi-Semi-Demi-Proto-Quasi-Pseudo-Intentionalität». Searle wendet gegen Hacker und Bennett ein, nicht die Person stehe zum Gehirn in der Beziehung des Ganzen zu einem seiner Teile, sondern der Körper. Den Menschen wiederum will Searle als «verkörpertes Gehirn» begreifen können.
Bananenschalen
Bisweilen, wenn eine Behauptung die trockene Gegenbehauptung provoziert, erhält der Leser den Eindruck, es möchte nützlicher sein, sich erst einmal überhaupt über Sinn und Unsinn, Funktionsweise und Reichweite von Metaphern in wissenschaftlichen Kontexten zu verständigen – Metaphern, auf denen, nach einer hübschen Wendung von Hacker und Bennett, die Neurowissenschafter wie auf «Bananenschalen» auszurutschen Gefahr laufen. – Wer weniger auf unterhaltsamen Schlagabtausch erpicht ist und etwas Konziseres zur Sprache der Hirnforschung lesen möchte, der greife zu dem im letzten Jahr im selben Verlag veröffentlichten Büchlein des Marburger Emeritus Peter Janich.
Maxwell Bennett, Daniel Dennett, Peter Hacker, John Searle: Neurowissenschaft und Philosophie. Gehirn, Geist und Sprache. Einleitung und Schlussbetrachtung von Daniel Robinson. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp, Berlin 2010. 277 S., Fr. 43.50. Peter Janich: Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009. 192 S., Fr. 15.90.
3 Kommentare:
Das im Text genannte "kritische Studie" von Bennett und Hacker, nämlich ihre lehrbuchartige Analyse der entscheidenden Grundbegriffe der Neurowissenschaft, ist dieses Jahr bei der WBG, der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt ebenfalls auf Deutsch erschienen; Verlagsinfos hier.
Zwei Rezensionen dazu hier sowie hier (mit Hinweisen von mir hier) und ein größerer Überblick des Rezensenten hier.
Vielen Dank für Ihren Kommentar und die Links.
Janich hat in seinem von Wenzel erwähnten Beitrag zur "edition unseld" des Suhrkamp Verlags Nr. 21 darauf hingewiesen, dass bei der "Hirndebatte" die "naturalistishe Hintergrundsphilosophie" vieler Hirnforscher mit zu berücksichtigen ist. Worum es dabei geht, hat Dirk.Hartmann vor Jahren unter dem Titel "Das Leib-Seele-Problem in der Analytischen Philosophie" im 3. Teil seiner Abhandlung hier skizziert und diskutiert; in dem Suhrkamp-Reader "Philosophie und Neurowissenschaften" (stw 1770) hat er es als Ergebnis einer ontologisierenden "Hypostasierung theoretischer Konstrukte" dargestellt. (Hartmann hat hier auch eine weitestgehend realistische Rekonstruktion des gewöhnlichen Verständnisses von "Willensfreiheit" veröffentlicht, dem sich auch Geert Keil in seinem Beitrag zur Reclam-Reihe "Grundwissen Philosophie" Nr. 20329 m.d.T. "Willensfreiheit und Determinismus" annähert.)
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