Tages Anzeiger Online 28.08.09
So schlugen Hannibal und Aline Qadhafi zu
Von Thomas Knellwolf.
Bisher unbekannte Akten zeigen, wie das Paar Bedienstete quälte. Trotzdem wurde das Verfahren eingestellt, und Bundespräsident Merz hat sich entschuldigt.
In Genf angezeigt: Hannibal und Aline Qadhafi.
Leila* wird es bis an ihr Lebensende bereuen, dass sie auf die Annonce in einer tunesischen Lokalzeitung reagiert hat, mit der eine «Gesellschaftsdame» für eine «Frau in schwangerem Zustand» gesucht wurde. Die 36-jährige Tunesierin bewirbt sich und sitzt kurz darauf in einem Wagen, der sie zu einem Palast im Nachbarland Libyen bringt. Dort – so erzählt Leila bei ihrer ersten Einvernahme durch die Genfer Polizei – lernt sie Aline Qadhafi kennen. Und damit beginnt der Albtraum, aus dem Leila bis heute nicht erwacht ist.
Bereits nach wenigen Tagen im Dienste der Schwiegertochter...
Tages Anzeiger Online 28.08.09
So schlugen Hannibal und Aline Qadhafi zu
Von Thomas Knellwolf.
Bisher unbekannte Akten zeigen, wie das Paar Bedienstete quälte. Trotzdem wurde das Verfahren eingestellt, und Bundespräsident Merz hat sich entschuldigt.
In Genf angezeigt: Hannibal und Aline Qadhafi.
Leila* wird es bis an ihr Lebensende bereuen, dass sie auf die Annonce in einer tunesischen Lokalzeitung reagiert hat, mit der eine «Gesellschaftsdame» für eine «Frau in schwangerem Zustand» gesucht wurde. Die 36-jährige Tunesierin bewirbt sich und sitzt kurz darauf in einem Wagen, der sie zu einem Palast im Nachbarland Libyen bringt. Dort – so erzählt Leila bei ihrer ersten Einvernahme durch die Genfer Polizei – lernt sie Aline Qadhafi kennen. Und damit beginnt der Albtraum, aus dem Leila bis heute nicht erwacht ist.
Bereits nach wenigen Tagen im Dienste der Schwiegertochter des libyschen Diktators fliegt sie im Luxusjet mit nach Genf. Dort will ihre neue Gebieterin ihr zweites Kind gebären. Zwei Wochen darauf wird Hannibal Qadhafi, der Ehemann Alines, in der Genfer Nobelherberge «President Wilson» verhaftet. Untersuchungsakten, in die der TA Einblick hatte, zeigen im Detail, welches Drama sich in jenen Sommertagen in den zehn Suiten und Zimmern abspielte, die Qadhafi junior für drei Wochen reserviert hatte. Die Dokumente belegen, was das offizielle Libyen bestreitet: Das Ehepaar Qadhafi hat seine beiden Bediensteten, Leila und den Marokkaner Omar*, systematisch drangsaliert.
Alarm an der Lake Parade
Am zehnten Tag ihres Aufenthalts findet rund ums Genfer Seebecken die Lake Parade statt, das Westschweizer Pendant zur Street Parade. Ob Hannibal Qadhafi mittanzt, ist nicht verbürgt. Zu seinem Lebenswandel, wie ihn Leila schildert, würde es passen: «Er trinkt viel Alkohol, geht abends immer aus und schläft den ganzen Tag.» Auf jeden Fall verlässt Hannibal am 12. Juli seine Hotelgemächer, und Aline fährt in die Klinik. Ihre Gesellschaftsdame kann sie nicht mitnehmen, denn deren blaues Auge würde bei den Ärzten Aufsehen erregen.
Die beiden Bediensteten nutzen die Abwesenheit und schlagen Alarm bei der Genfer Polizei. Auf dem Posten Pâquis belasten sie die Qadhafis schwer. Leila erzählt, die hochschwangere Aline habe sie in den vergangenen Tagen zweimal mit hölzernen Kleiderbügeln angegriffen. Bei beiden Attacken sei der Bügel kaputtgegangen. Hannibal habe sie «ein bisschen besser behandelt». Das heisst: Im Hotelkorridor habe ihr der Herrschersohn ein einziges Mal unvermittelt die Faust ins linke Auge geschlagen. «Er kam von einem Streit mit seiner Frau», erklärt Leila der Polizei, «und er war wütend.»
Tyson soll zuschlagen
«Diese Frau hält mich für ihre Sklavin», sagt die Hausangestellte über ihre Peinigerin, «und schlägt mich regelmässig und ohne einen Grund.» Aline, «die an schweren psychischen Problemen leidet», habe gedroht, sie aus dem Hotelfenster zu stossen oder zu töten, wenn sie fliehe. Einem schwarzen Leibgardisten mit dem Übernamen Tyson habe sie befohlen, die Telefone aus Leilas Hotelzimmer 345 zu entfernen und sie zu schlagen. Die Apparate wurden abmontiert, die Schläge habe Tyson nur simuliert, «um Madame Qadhafi zufriedenzustellen».
Die Beschuldigte räumt gegenüber dem Genfer Generalstaatsanwalt ein, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft «oft genervt» gewesen: «Ich gebe zu, dass ich Leila verbal übers Maul gefahren bin.» Aber jemanden bedroht oder gar regelmässig geschlagen? «Ganz sicher nicht!» Aline stellt sich nicht nur als Menschen-freundin dar: «Wenn in Libyen Tiere bei mir in der Nähe geboren werden, säuge ich sie persönlich mit der Flasche.» Die Qadhafis drehen den Spiess um und wollen der Genfer Polizei glaubhaft machen, dass ihre Bediensteten eine mit Diamanten besetzte Chopard-Uhr aus Weissgold, 2000 Euro und «diverse Markenartikel» gestohlen hätten.
Hautschürfungen und blaue Flecken
Gegen ihre Version – und für jene der Diener – sprechen Aussagen unabhängiger Zeugen und medizinische Befunde. Ein Arzt stellt bei Leila noch auf dem Polizeiposten Pâquis Hautabschürfungen und blaue Flecken an beiden Armen, an einer Schulter, auf dem Busen und eine 2 mal 3 Zentimeter grosse Wunde unter einem Auge fest. Auch der 39-jährige Marokkaner Omar, seit fünf Jahren Hannibals «Mann für alles», ist übersät von Spuren von Misshandlungen.
Der frühere Leiter eines 5-Sterne-Hotels zeigt in einem Genfer Spital eine Narbe, die vom Messer eines Leibwächters stammen soll. Der Polizei erzählt er, ihm sei zweimal der Arm gebrochen und Zähne eingeschlagen worden. Weil er seinen Dienst quittieren wollte, habe ihn der Sohn des Herrschers im Wüstenstaat sechs Monate eingekerkert.
Personenschützer belasten Qadhafis
Eskaliert sei die Situation in Genf, als Omar Alkohol für seinen Herrscher beschaffen musste. Aline, die nicht wollte, dass ihr Hannibal trank, habe die Flasche Château Margaux 1988 in den Gemächern entdeckt und habe den Diener geschlagen. Wenig später sei der Hüne Hannibal – 1,93 Meter gross – auf ihn losgegangen und habe ihm mehrere Fusstritte in den Unterleib versetzt. «Monsieur Qadhafi hat mich bedroht und gesagt, ich solle niemandem etwas davon erzählen», sagt der Diener der Polizei. «Sonst würden mein Bruder und meine Mutter getötet.» Hannibal habe angedeutet, «er sei Gott und habe das Recht, über mein Leben und das anderer Menschen aus meiner Familie, die sich in Libyen befinden, zu entscheiden». Nach dieser Aussage Omars wird seine Mutter auf dem Flughafen von Tripolis verhaftet, sein Adoptivbruder verschwindet.
Am 15. Juli führt ein 21 Mann starkes Polizeikommando Hannibal in Handschellen aus seiner Hotelsuite ab. Von Qadhafi angeheuerte Genfer Personenschützer belasten ihren Soldgeber und dessen Gattin schwer. Sie und mehrere Hotelangestellte haben gesehen, wie die tunesische Dienerin mehrmals weinend und einmal blutend aus den Gemächern kam, in dem sich nur das Ehepaar Qadhafi und deren dreijähriger Sohn befand. Zeugen haben gehört, wie Leila sagte: «Sie hat mich geschlagen.»
«Leila hat sich selber verletzt»
«Das muss arrangiert gewesen sein», verteidigt sich Hannibal, «Leila hat sich selber verletzt.» In der Konfrontationseinvernahme am 17. Juli unterstellt der 33-Jährige seinen abtrünnigen Dienern, sie hätten ihre Klagen nur deponiert, «damit sie in der Schweiz bleiben können». Gleichentags bezahlen die Qadhafis eine Kaution von einer halben Million Franken und kommen frei.
Eineinhalb Monate später ziehen die Hausangestellten ihre Anzeigen zurück – aus Angst um ihre Angehörigen und weil sie von unbekannter Seite «angemessen» entschädigt wurden. Die Schweiz nimmt beide aus humanitären Gründen auf. Die Genfer Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen die Qadhafis ein. Ein Jahr darauf entschuldigt sich Bundespräsident Merz in Tripolis. Vom Bruder des Marokkaners, einem 25-jährigen Studenten, fehlt bis heute jedes Lebenszeichen.
* Namen geändert. (Tages-Anzeiger)
Erstellt: 28.08.2009, 22:03 Uhr
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen