Tages Anzeiger 19.08.09
Wo Afghanistan eine Traumdestination ist
Von David Nauer, Bamiyan.
Bärtige Krieger, unterdrückte Frauen: Sie prägen unser Bild von Afghanistan. Die Provinz Bamiyan aber ist anders. Hier herrscht Frieden – und der Gouverneur ist eine Frau.
Dem smaragdgrünen Talboden sind sie entlanggekommen, die Horden des Dschingis Khan. Furchterregend, laut, es dürstete sie nach Blut. Ihr Ziel: Die Festung von Bamiyan. Das Bollwerk hielt nicht lange stand. Die Mongolen knackten die Mauern – und metzelten alles nieder, was sich bewegte. Das Blutbad, schätzen Historiker, ereignete sich im Jahr 1221.
Heute steht Ali Taheri, 23, auf der Felskuppe inmitten....
Tages Anzeiger 19.08.09
Wo Afghanistan eine Traumdestination ist
Von David Nauer, Bamiyan.
Bärtige Krieger, unterdrückte Frauen: Sie prägen unser Bild von Afghanistan. Die Provinz Bamiyan aber ist anders. Hier herrscht Frieden – und der Gouverneur ist eine Frau.
Dem smaragdgrünen Talboden sind sie entlanggekommen, die Horden des Dschingis Khan. Furchterregend, laut, es dürstete sie nach Blut. Ihr Ziel: Die Festung von Bamiyan. Das Bollwerk hielt nicht lange stand. Die Mongolen knackten die Mauern – und metzelten alles nieder, was sich bewegte. Das Blutbad, schätzen Historiker, ereignete sich im Jahr 1221.
Heute steht Ali Taheri, 23, auf der Felskuppe inmitten der Ruinen. Soeben hat er die grausame Vergangenheit seiner Heimat anschaulich geschildert. Nun zeigt er mit der Hand nach Osten. Zwischen den Feldern zeichnet sich ein braunes Band ab. «Das ist die Strasse nach Kabul.»
Tourismusindustrie mitten in Afghanistan
Ali Taheri ist frisch ausgebildeter Fremdenführer für Bamiyan. Ja, man glaubt es kaum. Diese kleine Provinz im Herzen Afghanistans baut gerade eine Tourismus-Industrie auf. Einen Nationalpark gibt es schon; auch ein Informationsbüro und einige kleine Gasthäuser.
Während der Rest von Afghanistan im Krieg versinkt, herrscht in Bamiyan Frieden. Keine Anschläge, keine Überfälle – sogar Ausländer können ohne Sorge über den Basar spazieren. Das Geheimnis von Bamiyan sind seine Menschen. Hier leben fast ausschliesslich Hasara, die drittgrösste Bevölkerungsgruppe Afghanistans. Mit ihren asiatischen Gesichtern unterscheiden sie sich rein äusserlich von ihren Mitbürgern; als Schiiten heben sie sich auch religiös ab. Zudem sind sie als friedfertig und tolerant bekannt.
Verfolgt seit Urzeiten
Diese Sonderrolle hat den Hasara viel Leid gebracht. Solange sie sich erinnern können, wurden sie verfolgt. Von den Königen aus Kabul, von Kommunisten und Warlords. Zuletzt von den Taliban. Die fundamentalistischen Gotteskrieger brachten nicht nur Tausende Hasara um. Sie zerstörten auch den grössten Kulturschatz von Bamiyan: die Felsbuddhas. 1500 Jahre hatten die beiden Steinstatuen überdauert. Selbst als die Menschen in Bamiyan längst zum Islam übergetreten waren, blieben die Kunstwerke unberührt. Doch 2001 erklärte Taliban-Chef Mullah Omar die Kunstwerke für «unislamisch». Die frommen Kämpfer rückten mit Panzern und Sprengladungen an.
«Das war ein ganz trauriger Tag gewesen», erinnert sich Fremdenführer Ali. Wir stehen nun vor den Felsnischen. Das ist alles, was von den Buddhas übrig blieb. Ein müder Wächter hat uns das Tor aufgeschlossen. Wir sind die ersten Besucher des Tages, und wahrscheinlich auch die letzten. Denn der Tourismusindustrie von Bamiyan fehlt bisher vor allem eins: Die Touristen.
Die Provinz selber ist zwar sicher, aber sämtliche Zufahrtsstrassen werden von den Taliban kontrolliert. Eine Fahrt nach Kabul ist lebensgefährlich. Linienflüge gibt es keine, einzig die Uno schickt gelegentlich ein Flugzeug auf die Schotterpiste von Bamiyan. Das Gebiet, umgeben von den Gipfeln des Hindukusch, ist eine Insel, abgeschnitten, fast unerreichbar.
Und ausgerechnet in dieser Abgeschiedenheit, fern von der Welt, hat sich eine kleine afghanischen Revolution ereignet. Eine Geschlechterrevolution. Der Gouverneur von Bamiyan ist eine Gouverneurin. Habiba Sorabi, die einzige Frau im ganzen Land an der Spitze einer Provinz.
Keine Attentate wie anderswo
Vor ihrem Amtssitz geht es fast beschaulich zu. Ein einziger Polizist schiebt Wache. Vis-à-vis haben sich 150 neuseeländische Soldaten eingegraben. Sie sind die örtliche Vertretung der internationalen Streitmacht in Afghanistan; und wohl eine glückliche Truppe. Statt Selbstmordattentaten plagt sie höchstens der staubige Wind, vielleicht gelegentlich ein Durchfall.
«Gott sei Dank ist Sicherheit kein grosses Problem», sagt auch Habiba Sorabi. Nicht mal für die Wahlen von morgen Donnerstag erwartet sie grosse Schwierigkeiten. Die Gouverneurin sitzt auf einem grossen Lederstuhl, das Haar mit einem weissen Tuch bedeckt. Ihre Rolle als fast einzige Frau in der grossen afghanischen Politik? Für sie ist das kein Thema, oder nur ein kleines. «Ich bin zwar eine Frau; aber ich denke wie eine Gouverneurin», sagt sie. Das Amt sei wichtiger als das Geschlecht. Auch wenn es ihr, wie sie einräumt, die Hasara besonders einfach machen. «Unser Volk ist offener», sagt die Gouverneurin. Als sie ihren Job antrat, habe ihr ein Kollege, ein Paschtune, ungläubig gesagt: «Bei uns dürfen die Frauen nicht einmal aus dem Haus. Bei euch machen sie Politik.»
Frauenquote im Parlament
Das ist nun fünf Jahre her. Hat sich die Stellung der Frau seither verbessert? Habiba Sorabi warnt vor übertriebenen Erwartungen. Schritt für Schritt müsse sich etwas tun. Immerhin habe sie mit Gesinnungsgenossinnen auf gesetzlicher Ebene schon einiges durchgedrückt. Die afghanische Verfassung hält nun fest, dass Mann und Frau die gleichen Rechte haben. Auch eine Frauenquote gibt es im Parlament: 26 Prozent der Abgeordneten müssen Frauen sein.
Sonst aber fehlt Sorabi die Zeit, um nationale Frauenpolitik zu machen. «Ich habe genug zu tun mit meiner Provinz.» Bamiyan ist eines der ärmsten Gebiete von Afghanistan. Die Gouverneurin will das ändern – den Tourismus fördern und die Landwirtschaft, auch Eisenerz soll dereinst aus dem Boden geholt werden. Doch für einen nachhaltigen Aufschwung braucht es vor allem Bildung. Und da muss Bamiyan fast bei null anfangen. Mancherorts kann nicht einmal jeder Zehnte lesen.
Besuch im Bergdorf Sari Sadbarg: Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt von der Stadt Bamiyan hierher. Über eine rumpelige Piste, vorbei an goldgelben Weizenfeldern, Kartoffelacker, sprudelnden Bächen. Auf einem Plateau ducken sich zwei einfache Gebäude in die Landschaft, daneben stehen mehrere Zelte. Es ist dies die Schule von Sari Sadbarg. Rektor Rajab Ali Navit, 43, ein verstrubbelter Mann mit schiefen Zähnen, führt stolz durch sein Reich. 221 Schüler lernen hier Lesen und Schreiben, Mathe und Physik.
Auch Mädchen in die Schule
Es fehlt allerdings an vielem: Bücher und Hefte sind das eine. Doch nicht einmal Schulräume gibt es genug. Der Unterricht findet deswegen meist in den Zelten statt. Auch einen Tisch hätte Rektor Navit gerne in seinem kleinen Büro. Vorerst schreibt er halt am Boden. Und doch sind die Dörfler glücklich.
Der Ältestenrat habe 2004 beschlossen, dass Sari Sadbarg eine Schule braucht, berichten Rektor Navit. Dann kamen die ausländischen Helfer dazu: Die Aga-Khan-Stiftung, eine internationale NGO, lieferte fachlichen Support. Die schweizerische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) spendete eine kleine Summe Geld. Ein Anfang war gemacht. Inzwischen gehen fast alle Kinder von Sari Sadbarg zur Schule, auch die Mädchen. Rektor Navit muss nicht einmal Überzeugungsarbeit leisten. Die Familien verstehen Bildung als Schlüssel zu einer besseren Zukunft, unabhängig vom Geschlecht. Ein Problem gibt es noch mit den Lehrern: Die meisten haben selber kaum mehr als eine Primarschulbildung. Die Aga-Khan-Stiftung führt deswegen Fortbildungskurse durch. Bereits wächst eine neue Generation von Lehrern heran - und Lehrerinnen. Mehrere junge Frauen steigen ins Berufsleben ein.
Ob Frieden, ob Frauen. Bamiyan ist anders. «Es könnte ein Modell sein für das ganze Land», sagt ein Entwicklungshelfer. Er hofft es, vorerst aber nur leise. «Denn rund um Bamiyan ist der Rest von Afghanistan.» Dort, das wissen wir, sind viele Frauen unterdrückt; und die bärtigen Krieger auf dem Vormarsch.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 18.08.2009, 22:32 Uhr
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