29. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Alt werden in einem gesunden Körper
Hungerkuren oder Wirkstoffe sollen ein gesundes, langes Leben ermöglichen
Eine drastische Kalorienrestriktion verlängert das Leben von Tieren. Es gibt Hinweise, dass die Methode auch das Einsetzen altersbedingter Krankheiten beim Menschen verzögert. Forscher suchen mit einigem Erfolg nach Substanzen, die diesen Effekt simulieren.
Lena Stallmach
Die Unsterblichkeit ist etwas, das die Menschheit schon seit Urzeiten fasziniert. Und mittlerweile präsentiert die moderne Wissenschaft Techniken, die zumindest eine Verlängerung des Lebens möglich erscheinen lassen. So predigen einige Visionäre wie etwa der Altersforscher Aubrey de Grey, dass ein....
29. Juli 2009, Neue Zürcher Zeitung
Alt werden in einem gesunden Körper
Hungerkuren oder Wirkstoffe sollen ein gesundes, langes Leben ermöglichen
Eine drastische Kalorienrestriktion verlängert das Leben von Tieren. Es gibt Hinweise, dass die Methode auch das Einsetzen altersbedingter Krankheiten beim Menschen verzögert. Forscher suchen mit einigem Erfolg nach Substanzen, die diesen Effekt simulieren.
Lena Stallmach
Die Unsterblichkeit ist etwas, das die Menschheit schon seit Urzeiten fasziniert. Und mittlerweile präsentiert die moderne Wissenschaft Techniken, die zumindest eine Verlängerung des Lebens möglich erscheinen lassen. So predigen einige Visionäre wie etwa der Altersforscher Aubrey de Grey, dass ein 1000-jähriges Leben schon bald möglich sein wird. Von solchen umstrittenen Prophezeiungen einmal abgesehen, ist das Ziel der Mehrheit der Anti-Aging-Forscher nicht unbedingt ein längeres, sondern vielmehr ein möglichst langes gesundes Leben. Die bisher vielversprechendste Methode, die durchschnittliche und maximale Lebenszeit bei guter Gesundheit zu verlängern, ist die Kalorienreduktion. Seit mehr als 70 Jahren erforschen Wissenschafter dieses Phänomen bei verschiedenen Tierarten. Die Relevanz der Ergebnisse für den Menschen bleibt umstritten. Eine neue Studie an Rhesusaffen und Selbstversuche von Menschen scheinen den Effekt aber zu bestätigen.
1934 wurde erstmals berichtet, dass eine stark reduzierte Kalorienaufnahme bei genügender Zufuhr aller lebenswichtigen Nährstoffe die durchschnittliche und maximale Lebensdauer von Mäusen verlängert und das Auftreten von altersbedingten Krankheiten verzögert. Seitdem haben Hunderte von Studien eine Verlangsamung der Alterung bei Hefezellen, Fruchtfliegen, Würmern, Fischen und Ratten aufgezeigt. 1989 begann im Nationalen Primatenforschungszentrum in Wisconsin eine Langzeitstudie an Affen. Dabei wurde die Kalorienaufnahme von 30 erwachsenen, männlichen Rhesusaffen langsam reduziert, und zwar um 30 Prozent der vorher individuell bestimmten Basisversorgung der Tiere. 1994 wurden 30 Weibchen und nochmals 16 Männchen zusätzlich in das Programm aufgenommen. Nun haben Ricki Colman und Richard Weindruch von der Wisconsin-Universität im Wissenschaftsmagazin «Science» über die bisherigen Ergebnisse dieses Versuchs berichtet.
Die Affen auf Diät wirkten laut den Forschern äusserlich deutlich jünger als die Kontrolltiere, die eine normale Futtermenge erhielten. Sie verloren an Fettmasse, und der altersbedingte Abbau von Muskelmasse wurde verlangsamt. Ihr Blutzuckerspiegel war deutlich besser, und es trat kein einziger Fall von Diabetes auf, während bei den Kontrolltieren 5 daran erkrankten und 11 als prädiabetisch diagnostiziert wurden. Die Anzahl der Krebserkrankungen war von 8 in der Kontroll- auf 4 in der Diätgruppe reduziert und der altersbedingte Abbau der grauen Hirnmasse in einigen Arealen verlangsamt. Insgesamt traten zwei Drittel weniger altersbedingte Krankheiten in der Diätgruppe auf. Die Forscher untersuchten auch die Todesursache der verstorbenen Affen. Während von den ursprünglich 76 Tieren 14 aus der Kontrollgruppe an altersbedingten Erkrankungen verstarben, waren es in der kalorienreduzierten Gruppe nur 5.
Da ein Grossteil der Tiere noch lebt, kann kein Schluss über die Auswirkung der Diät auf die maximale Lebensdauer gezogen werden. Jedoch zeigen die Ergebnisse, dass eine Kalorienreduktion im Erwachsenenalter die Gesundheit und Überlebensrate von Affen verbessert. Zwei andere in den USA durchgeführte Primatenstudien kamen vor einigen Jahren zu ähnlichen, wenn auch weniger deutlichen Ergebnissen.
100-Jährige auf Okinawa
Auch wenn Affen dem Menschen in vielen physiologischen Abläufen sehr ähnlich sind, so heisst das nicht, dass eine Kalorienreduktion beim Menschen auch eine solch positive Auswirkung auf die Gesundheit hat. Dies könnte nur durch sehr aufwendige Langzeitstudien bestätigt werden. Dennoch gibt es Hinweise, dass eine solche Diät beim Menschen ähnliche Effekte zeigt. Ein Beispiel sind die vielen 100-Jährigen auf der japanischen Insel Okinawa, wo die Menschen laut einer Studie im Beobachtungszeitraum von 1949 bis Ende der 1960er Jahre 11 Prozent weniger Kalorien einnahmen als normalerweise empfohlen. Dies lag nicht nur an der okinawesischen Maxime «Iss, bis der Magen zu 80 Prozent gefüllt ist», sondern vor allem an der schwierigen Wirtschaftslage auf der Insel. Zucker- und fetthaltige Nahrungsmittel konnten sich nur wenige leisten; die Ernährung bestand hauptsächlich aus Süsskartoffeln und grünem oder wurzelartigem Gemüse.
Auf Okinawa leben nicht nur viele 100-Jährige, diese erfreuen sich auch einer sehr guten Gesundheit. Ihr Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes zu leiden, ist deutlich geringer als bei den Durchschnitts-Japanern. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass die Menschen dies anderen Einflüssen wie der Genetik, speziellen Nährstoffen oder der traditionellen Lebensweise zu verdanken haben. Um andere Faktoren möglichst auszuschliessen, läuft in den USA zurzeit ein Projekt, in dem Forscher die Auswirkung einer zweijährigen Kalorienreduktion bei gesunden, normal bis leicht übergewichtigen Probanden untersuchen. Die Ergebnisse werden 2011 erwartet.
Die an dem Projekt beteiligten Forscher Leanne Redman und Eric Ravussin hatten bereits früher die Auswirkung einer 25-prozentigen Kalorienreduktion während sechs Monaten bei übergewichtigen Personen untersucht. Die Probanden verloren durchschnittlich 10 Prozent ihres Körpergewichts. Auch zeigte sich ein positiver Effekt auf Diabetes- oder kardiovaskuläre Risikofaktoren und auf zwei Biomarker für Langlebigkeit. Die Diät wirkte sich nicht negativ auf die Stimmung oder körperliche Leistungsfähigkeit der Probanden aus, und sie hatten nicht mehr Hunger als die Kontrollgruppe, die sich ohne Kalorienreduktion gesund ernährte. Dafür waren Energieverbrauch und Stoffwechselrate während des Schlafs verringert, und zwar um 6 Prozent mehr, als man wegen der Kalorienreduktion erwarten würde. Die Forscher schliessen daraus, dass der Körper auf einen Sparmodus schaltet. Dies ist im Einklang mit einer Hypothese, die den positiven Effekt der Kalorienrestriktion auf ein «Herunterfahren» des Stoffwechsels zurückführt. Dadurch entstünden im Körper weniger schädigende Sauerstoffradikale, die massgeblich zur Zellalterung beitragen.
Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse bei Tieren wurde in den 1990er Jahren in den USA die Gesellschaft für Kalorienrestriktion gegründet. Die Mitglieder befolgen freiwillig eine Diät mit 20 bis 40 Prozent weniger Kalorien bei ausreichender Nährstoffversorgung. Sie werden auch als CRONies bezeichnet (Calorie Restriction with Optimal Nutrition). Die Forscher John Holloszy und Luigi Fontana untersuchten vor wenigen Jahren 18 Personen, die seit mehreren Jahren eine solche Diät befolgen, und verglichen sie mit 18 gesunden Personen, die sich nach amerikanischem Standard ernähren. Dabei zeigte sich, dass die Risikofaktoren für Arteriosklerose und Diabetes bei den CRONies deutlich verringert waren. Allerdings weist die Studie methodische Mängel auf, denn die Kontrollgruppe hatte einen durchschnittlichen Body-Mass-Index von 25,9, was an der Grenze zum Übergewicht liegt, hingegen waren die CRONies normalgewichtig. Möglicherweise führte allein der Gewichtsunterschied zu den verbesserten Werten.
Ein Jungbrunnen für Mäuse
Trotz einigen positiven Effekten auf die Gesundheit scheint es wenig erstrebenswert, ein Leben lang eine strenge Diät einzuhalten, auf Süssigkeiten, Rahmsaucen oder Alkohol zu verzichten, nur um am Schluss ein paar Jahre länger gesund zu bleiben – zumal die strenge Diät laut einigen Berichten zu einer verminderten Libido und häufigem Frieren führen kann. Deshalb ist das Ziel von einigen Altersforschern, den Wirkmechanismus der Kalorienrestriktion zu entschlüsseln und Substanzen zu finden, die an diesen ansetzen. Kürzlich berichteten Randy Strong, David Harrison und Richard Miller im Wissenschaftsmagazin «Nature», dass ein bekanntes Medikament namens Rapamycin die maximale Lebensspanne von männlichen Mäusen um 9 Prozent und die von weiblichen um 14 Prozent verlängert. Das Bemerkenswerte daran ist, dass den Mäusen der Wirkstoff erst in einem Alter von 600 Tagen verabreicht wurde, was einem Menschenalter von 60 Jahren entspricht. Hingegen wirkte die Kalorienrestriktion bei Mäusen nur dann, wenn sie früh im Leben begonnen wurde.
Die Obduktion der verstorbenen Tiere zeigte, dass sie an den gleichen Krankheiten starben, ob sie mit dem Medikament behandelt wurden oder nicht. Die Forscher nehmen deshalb an, dass die Substanz die Entstehung von Krankheiten nicht verhindert, sie aber nach hinten verschiebt. Rapamycin wird viel in der Transplantationsmedizin zur Unterdrückung der Immunfunktion eingesetzt und verhindert, dass die Spenderorgane abgestossen werden. Die Forscher warnen deshalb vor einer Einnahme des Wirkstoffs, denn die Nebenwirkungen sind nicht unerheblich.
Die Substanz wirkt über ein TOR genanntes Protein, welches viele verschiedene molekulare Signalwege reguliert. Wie einige Studien an Tieren gezeigt haben, wird die Aktivität des Proteins auch durch eine Kalorienrestriktion reduziert. Und genetische Untersuchungen haben ergeben, dass allein die Hemmung von TOR den Alterungsprozess in verschiedenen Tierarten verlangsamt. Deshalb wird vermutet, dass das Protein eine Schlüsselrolle bei der Auswirkung der Kalorienrestriktion auf das Altern spielt.
Verjüngende Medikamente im Test
Eine weitere solche Schlüsselfunktion scheinen die Sirtuine zu haben. David Sinclair von der Harvard Medical School in Boston konnte zeigen, dass das SIRT1-Gen in Säugetieren durch Kalorienrestriktion aktiviert wird. Andere Gruppen berichteten, dass sich diese Diät nur dann positiv auf die Lebensdauer auswirkt, wenn das Gen vorhanden ist. Sinclairs Forschungsgruppe zeigte ausserdem, dass Moleküle – unter anderem das in Rotwein vorhandene Resveratrol – Sirtuin-Gene aktivieren und das Leben von Hefe, Fruchtfliegen, Würmern und übergewichtigen Mäusen verlängern. Allerdings waren dafür Dosen nötig, die sich ein Mensch durch das Trinken von Rotwein oder die Einnahme von Resveratroltabletten niemals zuführen könnte. Auch blieb eine Wirkung bei normalgewichtigen Mäusen aus. Und einige Ergebnisse sind umstritten, weil sie nicht von anderen Forschern reproduziert werden konnten.
Sinclair hat 2004 aber eine Firma gegründet, welche Resveratrol-ähnliche Substanzen zur Behandlung von Diabetes entwickelt, die weitaus effizienter sein sollen als der Naturstoff. Erste kommerziell erhältliche Produkte werden in drei bis fünf Jahren erwartet. Gleichzeitig werden diese Substanzen zurzeit in normalgewichtigen Mäusen getestet, um zu untersuchen, ob die maximale Lebensdauer dadurch verlängert werden kann. Ein längeres Leben sei aber nicht das Ziel, sondern Medikamente zu entwickeln, die ein gesünderes Leben ermöglichten, sagt Sinclair. Er will, wie es viele Altersforscher formulieren, 80-Jährigen die Gesundheit und das Lebensgefühl von 50-Jährigen ermöglichen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen