Mittwoch, Oktober 21, 2009

NZZ: Zoroastrier - Die Hüter des Feuers

19. Oktober 2009, Neue Zürcher Zeitung
Die Hüter des Feuers
Eine der ältesten monotheistischen Religionen droht auszusterben – wie leben die Zoroastrier von heute?

Nicht allein durch Nietzsches «Also sprach Zarathustra», sondern auch durch ihre teilweise bizarr anmutenden Rituale hat die Religion der Zoroastrier eine magische Aura bewahrt. Ihre Anhänger freilich sind heute teilweise in der Ausübung ihres Glaubens eingeschränkt und die Gemeinden im Schwinden begriffen.

Maryam SchumacherMaryam Schumacher lebt als freie Journalistin in Berlin.

Tschak tschak, wie das leise Tropfen auf dem Marmorboden im Tempel, das unentwegt durch den Raum hallt. Tschak tschak, wie die Flammen, die endlos flackern, umgeben von den dunklen, kalten Wänden. Tschak Tschak: der Name des kleinen, legendären Ortes in der kargen, gebirgigen Provinz Yazd im Herzen Irans, wo der bedeutendste Wallfahrtsort und das Glaubenszentrum der Zoroastrier liegt.

Mittags öffnen sich die massiven bronzenen Torflügel. Der kleine Mann, der die....


19. Oktober 2009, Neue Zürcher Zeitung
Die Hüter des Feuers
Eine der ältesten monotheistischen Religionen droht auszusterben – wie leben die Zoroastrier von heute?

Nicht allein durch Nietzsches «Also sprach Zarathustra», sondern auch durch ihre teilweise bizarr anmutenden Rituale hat die Religion der Zoroastrier eine magische Aura bewahrt. Ihre Anhänger freilich sind heute teilweise in der Ausübung ihres Glaubens eingeschränkt und die Gemeinden im Schwinden begriffen.

Maryam SchumacherMaryam Schumacher lebt als freie Journalistin in Berlin.

Tschak tschak, wie das leise Tropfen auf dem Marmorboden im Tempel, das unentwegt durch den Raum hallt. Tschak tschak, wie die Flammen, die endlos flackern, umgeben von den dunklen, kalten Wänden. Tschak Tschak: der Name des kleinen, legendären Ortes in der kargen, gebirgigen Provinz Yazd im Herzen Irans, wo der bedeutendste Wallfahrtsort und das Glaubenszentrum der Zoroastrier liegt.

Mittags öffnen sich die massiven bronzenen Torflügel. Der kleine Mann, der die Besuchergruppen in den Feuertempel einlässt, trägt eine weisse Kappe und sieht aus wie gemalt, mit feinen Gesichtszügen, grauweissen Haaren und leuchtend blauen Augen. Im Tempel beginnt er zu erklären: Der zoroastrische Glaube beruhe auf der Reinheit der Elemente Erde, Luft, Wasser und des heiligsten, des Feuers. Alle seien lebensnotwendig, aber nur durch die göttliche Kraft des Feuers könne man Weisheit erlangen.

Monotheistische Urreligion?


Kaum eine Religion ist bis heute so unbekannt und unterschätzt, gleichzeitig aber so geheimnisvoll wie der Zoroastrismus. Das zeigt sich auch in den vielen Namen, die seinen Anhängern gegeben wurden: «Feueranbeter» oder im Persischen «die Magier». Die Anhängerschaft der Zoroastrier ist mittlerweile klein, weltweit gibt es noch rund 130 000 von ihnen. Dabei gehört die zoroastrische Religion zu den ältesten monotheistischen Religionen: Ihre Ursprünge reichen bis ins altpersische Reich 1800 Jahre vor Christus zurück. Das Judentum, das Christentum und der Islam sollen viele ihrer Prinzipien aus den Lehren des Propheten Zarathustra hergeleitet haben.

Der Schöpfergott der Zoroastrier ist Ahura Mazda, der in sieben Tagen die geistige und die materielle Welt, bestehend aus Sonne, Himmel, Erde, Gewässern, Tieren, Pflanzen und Menschen, geschaffen hat. So sagt es die Avesta, die heilige Schrift der Zoroastrier. Ihr Weltbild ist von einer Dichotomie zwischen Gut und Böse geprägt: Die gesamte Menschheit lebt in einem Kampf, den Ahura Mazda und sein Widersacher Ahriman austragen. Das Böse kann nur dauerhaft besiegt werden, wenn alle Menschen immer gut sind; in dieser Dichotomie ist damit auch das ethische Wertesystem enthalten, welches Pflichten und Verbote für die Zoroastrier definiert. Der Primat von Werten wie Loyalität, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft ist dabei nicht zuletzt auch eine Garantie für das Fortbestehen der eigenen Gemeinde, die in erster Linie von den Wohlfahrtseinrichtungen und den Beziehungsnetzen ihrer Mitglieder profitieren soll.

«Natürlich habe ich im Laufe meines Lebens auch viele Zweifel gehabt», erzählt Shernaaz Engineer. Die brünette, junge Frau mit den langen Haaren und den zierlichen Händen wirkt nachdenklich. «Es ist eine sehr alte Religion, die sich parallel zu den ältesten Zivilisationen entwickelt hat.» Diesen Aspekt findet Shernaaz nicht nur schön, sondern er gibt ihr auch Sicherheit.

Mit dem Fortschreiten der Islamisierung in Iran wurden die Zoroastrier, wie andere religiöse Minderheiten auch, zusehends vertrieben. In mehreren Wellen emigrierten sie im 9. Jahrhundert aus dem Nordwesten Irans nach Indien und liessen sich dort an der westlichen Küste in Gujarat und Mumbai nieder. Parsis heisst diese Gruppe der Zoroastrier, während sich diejenigen, die im 19. und im frühen 20. Jahrhundert auf der Flucht vor dem repressiven Qadjaren-Regime in einer zweiten Migrationswelle nach Indien gelangten, Iranis nennen.

Kleine Gemeinde mit hohem Ansehen

Im südlichen Zipfel von Mumbai befinden sich rund 25 Feuertempel. Anders als in Iran haben Nicht-Parsis hier keinen Zutritt. Für Aussenseiter wirkt die Gemeinde auf den ersten Blick in sich gekehrt und verschlossen, die Religion mit ihren absonderlichen Riten manchmal fast schockierend. Mehrere Parsi-Enklaven wurden in Mumbai als gated communities, als mit Mauern und Wächtern geschützte Wohnsiedlungen, gebaut. In einer von ihnen lebt die 32-jährige Shernaaz. «Für mich ist diese Form des Zusammenlebens optimal», erklärt die junge Publizistin und schränkt gleichzeitig ein: «Der Austausch in der Gemeinde hat sich allerdings sehr verändert, weil das Leben so mechanisch geworden ist und die Menschen permanent beschäftigt sind.» Der Zusammenhalt in der Gemeinde jedoch sei weiterhin sehr stark.

Die Parsis geniessen in Indien hohes Ansehen, nicht zuletzt weil sie viel zur städtischen und industriellen Entwicklung der Stadt Mumbai beigetragen haben. Eine ganze Anzahl von Sozialeinrichtungen, Krankenhäusern, Schulen und Kunstgalerien gehen auf Parsis zurück; auch die Eigentümerfamilie des global tätigen Mischkonzerns Tata ist parsischer Abkunft. Nicht zuletzt funktioniert die kleine Gemeinde auch als soziales Netzwerk, das etwa ärmeren Familien Zugang zu günstigem Wohnraum verschafft.

Oben an der Eingangspforte der Feuertempel ist Faravahar abgebildet, ein menschenähnliches Wesen mit Flügeln, das für die Zoroastrier den Geist symbolisiert. Heute wird vermutet, dass möglicherweise die Engelsymbolik auf den zoroastrischen Glauben zurückgeht. Gleichzeitig steht Faravahar für den ethischen Leitspruch eines jeden Zoroastriers: Pendar-e Nik, Goftar-e Nik, Kerdar-e Nik – gute Gedanken, gute Worte, gute Taten. «Zoroastrier sein bedeutet aufrichtig sein, ehrlich sein und Zivilcourage zeigen», vervollständigt Shernaaz die ethischen Grundsätze. Sie ist sich des jahrtausendealten Vermächtnisses ihres Glaubens mit seinen Ritualen und Traditionen äusserst bewusst. Sie ist eine überzeugte Gläubige, und trotzdem stellt sie berechtigte Fragen: «Dass dieser Glaube so lange existiert, ist unglaublich, aber gleichzeitig auch schwierig. Wie sollen seine Inhalte und Grundsätze an die zukünftigen Generationen weitergegeben werden?»

Angst um die eigene Identität

Aufrechterhalten der Traditionen und Anpassung an die Moderne sind für die zoroastrische Religionsgemeinschaft eine immense Herausforderung, denn die Gemeinde schrumpft immer mehr. Der Theologe Khojeste Mistry, der auch zu den Vorsitzenden des Parsi Panchayat (Parsi-Gemeinderat) zählt, steht diesen Problemen vorläufig weitgehend ratlos gegenüber. «Jede Gemeinde begründet ihre Identität auf Ritualen. Wenn diese nicht an künftige Generationen weitergegeben werden können, dann wird es bald keine Parsi-Identität mehr geben.» Mistry setzt sich seit Jahren intensiv mit den religiösen Belangen der Gemeinde auseinander. In seinem kleinen Büro stapeln sich überall Bücher, Berge von Papieren und Akten. Er gibt zu, ohne dass es nach Resignation klingt: «Für dieses Problem haben wir noch keine schnelle Lösung gefunden.»

Denn der Zoroastrismus ist patriarchal, sprich: Nur die männlichen Mitglieder gewährleisten das Fortbestehen der Gemeinde. Ähnlich wie im Judentum ist die Heirat innerhalb der Gemeinde ein Muss, sonst droht der Ausschluss. Dieser Patriarchalismus jedoch ist problematisch für die Gemeinde und diskriminierend, denn während die Kinder aus einer Ehe zwischen einem zoroastrischen Vater und einer nichtzoroastrischen Mutter als Teil der Gemeinde gesehen werden, «sind die anderen Kinder für die Gemeinde verloren», sagt Mistry etwas zugespitzt, aber treffend.

«Wenn unsere Zeit vorbei ist, ist sie vorbei», meint dagegen der Journalist Sarosh Bana. Ihm seien die Traditionen der Gemeinde sehr wichtig, aber daran um jeden Preis festzuhalten, ginge zu weit. Auch für den Vater von Shernaaz, Adi Engineer, ist die Zukunft der Gemeinde ein Thema; und er betrachtet sogar die Aufnahme von Kindern mit nichtzoroastrischer Mutter nicht ohne Skepsis. Irgendwann habe ein Parsi-Gericht entschieden, dass die Kinder von Parsi-Männern aus einer gemischten Ehe weiterhin der Gemeinde angehören dürften. «Das hat zu einer Anomalie geführt», beteuert Adi Engineer. Natürlich ist er sich der Problematik und des sozialen Drucks in der Gemeinde durchaus bewusst. Er fügt dann aber hinzu, als versuche er seinen Purismus zu entschuldigen: «Viele wollen eben, wie ich, dass unsere Kinder die parsische Identität bewahren.»

Skeptische Frauen


Eigentlich würde die zoroastrische Religion schon die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau predigen, meint Mehernaaz Sam Wadia und nippt nachdenklich an ihrem Drink. Dann sagt sie: «Frauen werden aber doch ausgeschlossen.» Wie im Islam verbietet der zoroastrische Glaube, dass Frauen etwa während ihrer Menstruation Heiligtümer betreten, um an bestimmten spirituellen Festlichkeiten teilzunehmen. Mehernaaz ist durchaus kritisch. «Diese Form einer patriarchalischen Gesellschaft finde ich nicht gut.» Die junge Frau arbeitet als Richterin in Mumbai und schreibt regelmässig im Blog «Parsi Khabar» (Parsi-Nachrichten) über aktuelle Ereignisse und Debatten innerhalb der Gemeinde. Gläubig ist Mehernaaz dennoch sehr. «Ich kann mir gar nicht vorstellen, einen anderen Glauben anzunehmen, auch nicht um der Liebe willen», erklärt sie und spricht damit ein heikles Thema an.

Mehernaaz will selbstverständlich ihren Beruf ausüben. Für dieses Phänomen der Emanzipation und Selbstverwirklichung hat Khojeste Mistry eine Erklärung. Der hohe Bildungsgrad innerhalb der Gemeinde sei ein Indiz dafür, dass spät geheiratet werde. «Heute wollen die jungen Menschen zuerst studieren, einen hohen Lebensstandard erreichen, um sich ihre Träume zu erfüllen. Mit der globalen Vernetzung steigt aber gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass die jüngere Generation der Parsis nicht mehr in der Gemeinde bleibt.» Shernaaz und Mehernaaz wollen zwar beide in der Gemeinde bleiben, wissen aber um die Schwierigkeiten und die möglicherweise nötigen Kompromisse und Opfer, die diese Entscheidung mit sich bringt. In Indien werden noch immer Hochzeiten arrangiert, und auch unter Parsis ist dieser Brauch üblich, besonders weil man sicherstellen will, dass nicht ausserhalb der Gemeinde geheiratet wird. Mehernaaz betont aber, dass es ihr freier Wille war, einen Partner zu suchen, der Parsi ist. Sie hat Glück gehabt – in wenigen Monaten findet die Hochzeit statt.

Türme des Schweigens

In Iran wird mit dem Glauben der Zoroastrier noch immer das alte, glorreiche Perserreich assoziiert; zudem respektiert man ihn als eine Religion, die spätere Glaubensrichtungen geprägt hat. Anderseits aber werden mit dem Zoroastrismus auch Riten in Verbindung gebracht, die absonderlich und abschreckend erscheinen, wie etwa die Bestattungszeremonien. Man unterzog die Toten zunächst einer langen Prozedur, bei der die Körper mit dem Urin von Stieren und danach mit kaltem Wasser gewaschen wurden; dann folgte die Einbalsamierung mit ätherischen Ölen und Parfum, und schliesslich trug man die Leichname auf sogenannte Türme des Schweigens (auf Persisch Dakhmah genannt), wo man sie der Sonne und der Natur aussetzte. Speziell abgerichtete Raubvögel verzehrten die Leichen, wobei aus dieser Prozedur auch Auspizien für das Seelenheil des Verstorbenen gelesen wurden.

Seit dem Bestehen der Islamischen Republik sind in Iran diese Bestattungszeremonien jedoch untersagt. Nur in Indien sind sie noch erlaubt, fünf Türme des Schweigens stehen in Mumbai, und obwohl sie einzig von Priestern besucht werden dürfen, wirken sie wie ein Mahnmal für diese aussterbende Religion. In Iran können nahe der Stadt Yazd zwei besonders eindrucksvolle Türme des Schweigens mit den dazugehörigen kultischen Bauten für die Herrichtung der Toten besichtigt werden, in einem Museum werden Archivbilder der verdorrten, geschwärzten Leichname gezeigt. Die Türme von Yazd und vor allem der Feuertempel von Tschak Tschak sind noch heute Pilgerorte für Zoroastrier aus der ganzen Welt, die sich jeweils zum persischen Neujahrsfest Nouruz hier einfinden. Der Weg zum Tempel führt durch die steinige, dürre Wüstensteppe und über massive, kahle Berge. Am Eingang des Feuertempels ragt ein sagenumwobener Baum direkt aus der Bergwand: An dieser Stelle soll einst die Prinzessin Nikbanou gestanden und um Schutz gefleht haben, als sie vor dem Einmarsch der Araber floh. Sie flehte zu Ahura Mazda, der Berg öffnete sich einen Spalt breit, und die Prinzessin schlüpfte hinein. So zumindest will es die Legende.

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