Tages Anzeiger Online
Berühmtheit als Berufswunsch
Von Regina Partyngl. Aktualisiert am 10.10.2009
Falls Berühmtheit bis anhin der Traum einiger Getriebener war, so scheint sie nun zum Berufswunsch der Massen zu mutieren: Hauptsache berühmt – egal wofür. Was hinter dem grotesken Unterfangen steckt.
Ein Jugendlicher namens Tim gibt sich auf der Strasse eine Blösse: Ungefragt und unaufgefordert kräht er inmitten konsternierter Passanten voller Inbrunst vor sich hin. Tim, so stellt sich heraus, ist ein Kandidat bei «Popstars», also ein Kandidat bei einer jener Castingshows, die Gewinner hervorbringen, deren Fans zwischen 6- und 14-jährig sind. Wer bei «Popstars» siegt, dem sind nicht einmal jene 15 Minuten Ruhm vergönnt, die Andy Warhol jedem prophezeite. Tim legt sich – talentfrei – voll ins Zeug und missversteht die ihn stets begleitende Kamera als ihm wohlgesinnt.
Auf die Frage, warum er Popstar werden will, antwortet er...
Tages Anzeiger Online
Berühmtheit als Berufswunsch
Von Regina Partyngl. Aktualisiert am 10.10.2009
Falls Berühmtheit bis anhin der Traum einiger Getriebener war, so scheint sie nun zum Berufswunsch der Massen zu mutieren: Hauptsache berühmt – egal wofür. Was hinter dem grotesken Unterfangen steckt.
Ein Jugendlicher namens Tim gibt sich auf der Strasse eine Blösse: Ungefragt und unaufgefordert kräht er inmitten konsternierter Passanten voller Inbrunst vor sich hin. Tim, so stellt sich heraus, ist ein Kandidat bei «Popstars», also ein Kandidat bei einer jener Castingshows, die Gewinner hervorbringen, deren Fans zwischen 6- und 14-jährig sind. Wer bei «Popstars» siegt, dem sind nicht einmal jene 15 Minuten Ruhm vergönnt, die Andy Warhol jedem prophezeite. Tim legt sich – talentfrei – voll ins Zeug und missversteht die ihn stets begleitende Kamera als ihm wohlgesinnt.
Auf die Frage, warum er Popstar werden will, antwortet er mit entlarvender Frische: «Ich weiss auch nicht. Ich finds halt einfach geil, wenn mich die Leute kennen.» Das muss man ihm lassen: Wenigstens antwortet er nicht wie viele andere Möchtegern-Stars: «Die Musik ist mein Leben.» Die Frage, ob sie denn ein Instrument spielen oder sonstwie Musik machen, wird regelmässig verneint.
Berühmt und basta
Was möchtest du einmal werden? «Berühmt», so lapidar beantwortete kürzlich ein sechsjähriger Knirps die Frage. Es scheint, dass Massen von Teenies seinen Wunsch teilen. Lauscht man dem wundervoll abenteuerlichen Gedankenaustausch von Teenagern, fällt auf, dass sie es nicht für nötig halten, klarzustellen, wofür sie denn gern berühmt sein möchten. Die wenigsten sagen, sie gingen gerne als Sängerin, Schauspieler, Model, Moderatorin oder Sportler in die Annalen der Geschichte ein. Der Jargon geht mehr in Richtung: «Hey weisch wiä geil, berüämt si, Mann!» Streben sie nach dem Schein statt nach dem Sein?
Der Gesellschaft hat es wohl zu keiner Zeit an Oberflächlichkeit gemangelt – was das Zusammenleben auch erleichtert –, doch bisher waren Menschen berühmt, weil sie etwas getan hatten. Heute lösen Exemplare ein Blitzlichtgewitter aus, die berühmt sind fürs Berühmtsein, wie Katie Price in England oder Verena Pooth in Deutschland.
Eine, die diese Kunst perfektioniert hat, ist Paris Hilton. «Berühmtsein ist mein Job», sagte sie einmal in einem Interview mit dem Magazin «GQ». Ein kurzer Rückblick: Die Hotelerbin, ausgestattet mit dem berühmten Namen, tanzte Ende der 90er-Jahre auf Bartischen und liess verlauten, weil Slips Abdrücke auf der Haut hinterliessen, trage sie keine. Dass sie nicht gelogen hatte, bewies ein Foto, das die Luxus-Gestalt beim Aussteigen aus einer Limousine zeigte.
Andy Warhol Lügen gestraft
Die luftige Basis der neu gewonnenen Prominenz verleitete zur Annahme, dass da nun die warholschen 15 Minuten Berühmtheit einer reichen, verwöhnten, nach Aufmerksamkeit heischenden Blondine angebrochen waren. Doch dem war nicht so. Es folgten das Video «One Night in Paris» – wobei der Name Programm war und nicht die Stadt gemeint war – und auf sie zugeschnittene Reality-TV-Shows. Paris Hilton entwickelte sich zu einem Phänomen, bewies Geschäftssinn und kassierte riesige Summen für ein Winken oder den Besuch eines Clubs.
Paris weist gerne darauf hin, dass sie ein Modelabel hat, ihre eigene Schmuck- und Make-up-Kollektion und ein Parfüm auf den Markt gebracht hat. Stimmt. Das ist eine Folge ihrer Berühmtheit, nicht deren Ursache. Berühmt ist sie dafür, eine Hilton zu sein, die Skandälchen produziert hat und vor allem gerne selbstverliebt in die Kamera blickt – nicht gerade grosse Taten.
Ist das Publikum einfältig?
Dass sich die Hilton auf diese Weise ins Rampenlicht gemausert hat und es geschafft hat, dort zwölf Jahre lang zu verweilen, ist nicht in erster Linie ihr anzukreiden, sondern jenen, die das ermöglicht haben: ihrem Publikum. Und Publikum hat sie: Googelt man Paris Hilton, kommt man auf 46 Millionen Treffer. Googelt man Angelina Jolie, sind es 29 Millionen, bei Nelson Mandela 4.7 Millionen. «Die Berühmtheit mancher Zeitgenossen hängt mit der Blödheit der Bewunderer zusammen», sagte der deutsche Politiker Heiner Geissler einmal. Doch das Publikum besteht nicht nur aus Bewunderern. Paris Hilton verdankt ihre Medienpräsenz einer bedeutenden Anzahl Menschen, die sie schnöde, protzig oder hochnäsig finden. Es ist gar möglich, dass die negativen Attribute die positiven überwiegen. Egal. Was zählt, ist, dass Meldungen über die beweihräucherte oder geschmähte Person konsumiert werden. Und genau hier setzen all die Castingshows an: Ihr Credo lautet Voyeurismus. Welche Menschen geben sich diesem im Fernsehen preis? Genau. Solche, die berühmt werden wollen. Das Publikum ergötzt sich an Peinlichkeiten oder geniesst es, sich fremdzuschämen.
«So berühmt wie Gott»
Dass jene, die nach Ruhm dürsten, fast keine Demütigung scheuen, um ihr Ziel zu erreichen, hängt laut dem deutschen Psychiater Borwin Bandelow mit ihrem Narzissmus, ihrem Geltungsdrang und ihrem Ehrgeiz zusammen. Der Psychiater geht noch weiter. In seinem Buch «Celebrities – vom schwierigen Glück, berühmt zu sein», schreibt er, dass Menschen, die am Borderline-Syndrom leiden, einfacher berühmt würden als andere, weil bei ihnen Narzissmus, Geltungsdrang und Ehrgeiz besonders ausgeprägt seien. Die treibende Kraft, um berühmt zu werden, sei bei dieser Spezies die Angst, nicht berühmt zu werden. Madonna scheint seine These zu bestätigen. Die Popqueen hat einmal gesagt: «Ich werde nicht glücklich sein, bis ich so berühmt bin wie Gott.»
Nicht nur Exzentriker
Natürlich lechzen nicht alle Teenager, die in die Castingshows drängen, im selben Mass nach Aufmerksamkeit wie Madonna, Michael Jackson selig, Robbie Williams oder andere Exzentriker. Und natürlich haben nicht alle, die auf dem Walk of Fame am liebsten über ihren eigenen Stern wandeln würden, einen psychischen Knacks.
Wonach sich Schwärmer sehnen
Was versprechen sich also die Schwärmer, die sich nach Glanz und Gloria sehnen? Wahrscheinlich Ansehen und Anerkennung. Das brauchen alle Menschen. Doch ist es nicht absurd, sich diese Achtung von Leuten zu wünschen, die man nicht einmal kennt, von der anonymen Masse? Welches Lob oder Kompliment erfreut mehr: das eines Fremden oder jenes einer geschätzten, nahestehenden Person?
Welche anderen Gründe könnten eine Rolle spielen? Der schnöde Mammon, der meist mit der Bekanntheit einhergeht? Vielleicht, doch im Schatten des brennenden Wunsches nach Bekanntheit verblasst der Reichtum.
Die Angst vor dem Normalsein
Denkbar ist auch, dass das Streben nach Berühmtheit von der immer stärkeren Individualisierung der Gesellschaft herrührt. Heute ist es einerseits nötig – etwa auf dem Arbeitsmarkt – sich von anderen abzuheben. Andererseits gilt es aber auch als schick, etwas Besonderes, nicht wie Otto Normalverbraucher zu sein. Auch wenn keiner so genau weiss, wie Otto Normalverbraucher denn eigentlich ist.
Ein einigermassen breiter Konsens dürfte darüber bestehen, dass Otto ein eher unaufgeregtes, überschaubares und geregeltes Leben führt. Bezeichnend ist, dass es selten Otto ist, der unzufrieden ist mit seinem Leben. Vielleicht weil er ein eher behäbiger Zeitgenosse ist. Unzufrieden sind hingegen all jene, die wie Otto leben, dies aber als unspannend empfinden, weil sie in ihrem Leben nach Aufregung und Spannung suchen. Vielleicht weil sie eher rastlose Zeitgenossen sind. Diese Menschen, die nicht Otto sein wollen, sind die Trendsetter, sie bestimmen, was als schick gilt und was nicht.
Wenn es trendig ist, Spannung zu suchen, ist es kein Wunder, dass die Jugend Hochspannung sucht, da die Jugend mit dem Trend verbrüdert ist. Und berühmt zu sein, ist wahrscheinlich hoch spannend oder verspricht es zumindest zu sein.
Berühmt ist nicht gleich beliebt
Möglich ist aber auch, dass die Jugend Berühmtheit mit Beliebtheit verwechselt. Doch die Popularität der Sternchen am Showhimmel ist ein zweischneidiges Schwert: Frisch gebackene Celebrities bekunden Mühe, zwischen Freunden und Nutzniessern zu unterscheiden. Und schon sind wir bei den Nachteilen des Berühmtseins: «Ich kann mich nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegen, da jeder meinen Namen und mein Gesicht kennt», bekennt etwa der hartgesottene Rapper Eminem.
Ein kolossaler Nachteil
Berühmtheit hat einen gigantischen, ja kolossalen Nachteil im Schlepptau: Sie bringt den Verlust der Freiheit mit sich. Der Freiheit, sich idiotisch zu gebärden, ohne dass sich die Regenbogen-Presse tags darauf das Maul darüber zerreisst. Der Freiheit, drauflos zu plappern, ohne dass jemand den Worten später öffentlich einen tieferen Sinn beimisst. Der Freiheit, sich zu verlieben, ohne dass die Welt zuschaut. Ist es nicht erstaunlich, dass manche Menschen die Anerkennung durch Fremde der Freiheit vorziehen, unbeobachtet sich selbst sein zu dürfen?
In Endo Anacondas Worten
Eine Schweizer Berühmtheit ist der Sänger Endo Anaconda. Er hat die Bekanntheit nicht explizit gesucht. Auf die Frage, was der grösste Nachteil seiner Bekanntheit sei, sagt er, dass er nicht überall hingehen könne, weil viele Menschen meinten, sie hätten ein Anrecht auf ihn. Was ist denn der grösste Vorteil? «Dass man im Restaurant einen Tisch bekommt.» Und was überwiegt? Vorteile oder Nachteile? «Ich kann es mir nicht mehr aussuchen», konstatiert er.
Wünsche sind nicht beeinflussbar, also auch nicht vorwerfbar. Wer sich aber wünscht, berühmt zu sein, sollte ein berühmtes Bonmot nicht vergessen: Pass auf, was du dir wünschst, dein Wunsch könnte in Erfüllung gehen.
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