Freitag, Februar 13, 2009

Gott spüren Ein Gefühl, schöner als Glück

Weltwoche 14.12.2005, Ausgabe 50/05
Gott spüren
Ein Gefühl, schöner als Glück

Hirnforscher haben Techniken entwickelt, die Menschen Gott spüren lassen – und selbst Atheisten kommen ins Schwärmen. Schwachsinn? Es ist ein Helm, der schmerzlos zu dieser übermenschlichen Erfahrung führt. Und zu der Frage: Kommt nach dem iPod der iGod?

Von Felix Hasler

Weltwoche 14.12.2005, Ausgabe 50/05
Gott spüren
Ein Gefühl, schöner als Glück

Hirnforscher haben Techniken entwickelt, die Menschen Gott spüren lassen – und selbst Atheisten kommen ins Schwärmen. Schwachsinn? Es ist ein Helm, der schmerzlos zu dieser übermenschlichen Erfahrung führt. Und zu der Frage: Kommt nach dem iPod der iGod?
Von Felix Hasler

Machen wir es kurz: Gott sitzt in den Schläfenlappen. Und wenn diese im elektrischen Gewitter eines epileptischen Anfalls wild herumzuckeln, haben Menschen ihre religiösen Visionen und mystischen Erfahrungen. Derart Erleuchtete gründen dann im schlimmsten Fall eine Religion, die sie mit heiligem Eifer verteidigen. Etwa so sieht es zumindest der kanadische Neuropsychologe Michael Persinger von der Laurentian University in Ontario. Und seine Annahme, dass es sich bei religiös-mystischem Erleben um nichts anderes als «selbstinduzierte, kontrollierte Formen epileptischer Mikroanfälle in den Schläfenlappen» handelt, will er durch eigene experimentelle Daten belegt sehen.

Höhere Wirklichkeit für alle

Schon seit langem untersucht der Hirnforscher die Auswirkungen schwacher, aber komplex variierter Magnetfelder auf das Gehirn und damit auf die innere Erfahrungswelt des Menschen. Zwecks gezielter Manipulation des Denkorgans werden den Versuchspersonen Magnetspulen direkt auf dem Schädel positioniert. Alex Thomas, ein Mitarbeiter Persingers, war es, der auf dem Computer das entscheidende Muster elektromagnetischer Pulse für den grossen mystischen Durchbruch programmiert hatte. Werden die Versuchspersonen im schallisolierten Raum mit verbundenen Augen lange genug dem «Thomas-Puls» ausgesetzt, geschieht bei über achtzig Prozent der Probanden Erstaunliches. Sie erleben ein intensives Präsenzgefühl: Irgendjemand oder irgendetwas Machtvolles befindet sich mit ihnen im gleichen Raum. Je nach religiöser Überzeugung und kulturellem Hintergrund berichten die Versuchspersonen von einer «höheren Wirklichkeit» oder gar der expliziten Gegenwart von Jesus, Mohammed oder Buddha. Diese Erfahrungen werden mit tiefen, ja heiligen Gefühlen gemacht. Auch Skeptiker und Atheisten haben nach der Persinger-Behandlung solch ungewöhnliche Entgrenzungserlebnisse, vergleichen diese aber eher, so sich Entsprechendes in der persönlichen Biografie findet, mit psychedelischen Drogentrips.

Und wie eine halluzinogene Drogenreise kann auch das elektromagnetische Zappen der Schläfenlappen übel ausgehen. Anstelle harmonisierend wirkender Engelsvisionen gibt sich dann der Leibhaftige die Ehre und zeigt seine dämonische Fratze. Vielleicht bekommt man es aber auch plötzlich mit seelenlosen Mutanten zu tun. Ein fünfundzwanzigjähriger Mann schildert seinen Bad Trip in Persingers Kellerlabor: «Ich sah einen schwarzen Fleck, der zu einer Art Trichter wurde. Ich fühlte, wie ich mich bewegte, als ob ich vorwärts durchgezogen würde. Ich begann die Anwesenheit von Personen zu spüren, aber ich konnte sie nicht sehen; sie befanden sich zu meinen Seiten. Es waren farblose, grau aussehende Wesen. Ich wusste, dass ich in der Kammer war, aber es war sehr real. Plötzlich empfand ich starke Angst und fühlte mich eiskalt.»

Nietzsche, Göttliches, Mausklick

Persingers Experimentierraum im Untergeschoss der Universität ist der Alptraum jedes Innenarchitekten. Die paar herumstehenden Möbel wirken wie frisch vom Sperrmüll, und die veralteten Computer würde auch bei Ebay keiner wollen. Allzu deutlich ist dem abgewetzten Stuhl im fensterlosen «Himmel und Hölle»-Raum C002B des Institutskellers anzusehen, dass darauf in den letzten zwanzig Jahren über tausend Versuchspersonen mit Magnetspulen auf höhere spirituelle Ebenen katapultiert wurden. Auf den ersten Blick ganz unscheinbar auch das alles entscheidende Equipment: Der ominöse «Koren-Helm» – ein umgebauter Siebziger-Jahre-Motorradhelm – sieht aus wie die noch nicht ganz beendete Bastelarbeit aus dem Freizeitkeller eines Hobbyelektronikers. Umso eindrücklicher, dass sich in diesem so ganz und gar unesoterischen Umfeld das «Göttliche» offensichtlich per Mausklick erleben lässt.

Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass sich der Neuropsychologe Persinger zu Beginn seiner biotheologischen Untersuchungen regelmässig mit Aufmärschen fundamental christlicher Gruppen konfrontiert sah, die gegen die «dämonischen Experimente» protestierten. Tatsächlich hält der bekennende Atheist Gott für ein Artefakt des Gehirns beziehungsweise gar für ein «kognitives Virus». Persinger liefert gewissermassen eine modernisierte, neurobiologische Sichtweise der Deutung Sigmund Freuds, dass Religiosität eine «universelle Zwangsneurose» darstelle – gemäss dem Übervater der Psychoanalyse nicht mehr als ein Verharren in einer unreifen kindlichen Erwartungshaltung gegenüber einem übermächtigen Wesen. Religion als Bewältigungsstrategie, um mit dem Ausgeliefertsein in einer sinnlos erlebten Welt und der Unabwendbarkeit der eigenen Sterblichkeit zugange zu kommen. Biotheologe Persinger ist überzeugt, dass Gott reine Nervensache ist und nur aufgrund spezifischer neuronaler Abläufe im Gehirn entsteht. Er versucht mit Physik zu erreichen, wozu Nietzsche noch die Philosophie bemühte: Gott zu töten.

Dass er damit genauso wenig Erfolg haben wird, ist so gut wie sicher. Der gegenwärtige Boom immer neuer charismatischer und pfingstkirchlicher Gruppierungen vor allem in Afrika und Lateinamerika ist seit Jahren ungebrochen. Hat nicht erst diesen Sommer ein einigermassen überraschtes Fernsehpublikum anlässlich des Confederations-Cup-Finals mitverfolgen können, dass die halbe brasilianische Fussball-Nationalmannschaft unter dem grün-gelben Trikot auch noch ein «Jesus liebt dich»-T-Shirt trug? Selbst an der Biennale in Venedig kam es zu einer eindrücklichen Machtdemonstration christlicher Kreise. Der massive Protest empörter Katholiken hat zum vorzeitigen Absetzen des Videofreskos «Homo sapiens sapiens» der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist geführt. Ihre freizügige (und adamlose) Version des himmlischen Paradieses, grossflächig projiziert auf das Deckengewölbe der Barockkirche San Staë, hatte die religiösen Gefühle zu vieler verletzt. Auch in den USA – evangelikal bis ganz zuoberst im Weissen Haus – entstehen unaufhaltsam neue Freikirchen und einflussreiche «faith based movements». Letztere haben in einigen US-Bundesstaaten bereits durchgesetzt, dass an den Schulen der Kreationismus – also die Schöpfungslehre der Welt gemäss dem alttestamentarischen Buch Genesis – gleichberechtigt neben der Evolution zu lehren sei.

Mehr Existenz erfahren

Persingers neuropsychologische Experimente bauen auf den Beobachtungen aus der Neurologie auf, dass Epilepsiepatienten, bei denen die Anfälle begrenzt in umschriebenen Arealen der Schläfenlappen ablaufen, von mystischen Erlebnissen während des neuronalen Ausnahmezustands berichten: Nicht ohne Grund wird diese Epilepsieform auch als «ekstatische Epilepsie» bezeichnet. Alle Dinge scheinen belebt und mit Bedeutung erfüllt. Ein Zustand völliger Klarheit und vollkommener Erleuchtung. Selbst mit lebhaftesten Visionen à la Jeanne d’Arc («in Flammen stehen»), mit dem Erscheinen von Engeln und dem Vernehmen von Stimmen sieht sich diese Patientengruppe konfrontiert. Als «heilige Krankheit» göttlichen Ursprungs wurde die Epilepsie bereits von den Menschen der Antike gesehen. Wer ausser Gott sollte einen erwachsenen Mann wie vom Blitz getroffen aus dem Stand werfen können und ihn völlig ausser Kontrolle um sich schlagen lassen? ›››

Auch einige religiöse Prominenz der Kirchengeschichte steht unter dem dringenden Verdacht, ihre göttlichen Visionen im Neuronengewitter epileptischer Anfälle halluziniert zu haben: Johanna von Orléans, Apostel Paulus oder die heilige Teresa von Avila. Dazu gibt es wichtige Hinweise aus den Biografien, gesicherte postume Diagnosen sind aufgrund der lückenhaften Datenlage selbstverständlich nicht zu stellen. Gut möglich, dass Apostel Paulus die Epilepsie meinte, wenn er von seinem «Pfahl im Fleisch» redete, an dem er leide. Seine Beschreibung der Begegnung mit dem auferstandenen Christus vor Damaskus mit Lichterscheinungen und dem Vernehmen der Stimme Jesu gäbe ein geradezu klassisches Beispiel für einen Schläfenlappen-Anfall, sind doch sensorische Störungen wie Lichteindrücke und akustische Halluzinationen typisch für diese Epilepsieform.

Zweifellos gehört die Gotteserfahrung in einem epileptischen Anfall zu den existenziellsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski, selbst nachgewiesenermassen Schläfenlappen-Epileptiker, lässt uns durch eine seiner Romanfiguren an einem solchen Anfall teilhaben: «Die Luft ist erfüllt mit grossem Lärm und ich dachte, ich würde verschlungen. Ich habe wahrhaftig Gott berührt. Er kam in mich, mich selbst hinein; ja, Gott existiert, schrie ich und ich erinnere mich an gar nichts anderes. All ihr gesunden Leute könnt euch das Glück nicht vorstellen, das wir Epileptiker in der Sekunde vor dem Anfall erleben. Ich weiss nicht ob diese Glückseligkeit Sekunden, Stunden oder Monate dauert, aber glaube mir, nicht für alle Freuden, die das Leben bringt, würde ich diese eintauschen.»

Auf rekordverdächtige mehrere hundert Visionen in über fünfundzwanzig Jahren brachte es Ellen Gould White, die Stifterin der Adventisten vom Siebenten Tag. Nach Meinung eines renommierten Neurologen zeigte auch sie typische Anzeichen von Schläfenlappen-Epilepsie. Fernab von himmlischer Eingebung könnten die direkten Auswirkungen eines dieser Epilepsiesymptome, das manische Schreiben (Hypergrafie), den Adventisten-Katechismus mit den fast fünfzig Bände umfassenden Originalschriften Whites verursacht haben.

Und immer wieder Schläfenlappen

Auch Starneurologe Vilayanur Ramachandran, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der University of California, San Diego, hat die neuronale Grundlage für religiöse Erfahrungen aufgrund eigener Untersuchungen in den Schläfenlappen geortet. Seine Forschungsergebnisse legen ebenfalls nahe, dass religiöse Erfahrungen von der Aktivität der Schläfenlappen abhängen. Die Tatsache, dass dieses Hirngebiet auch für die Sprachwahrnehmung von Bedeutung ist, könnte zudem mit erklären, weshalb ein häufiges Element religiöser Visionen auftritt: das Hören der Stimme Gottes. Gerade im Zustand reduzierter äusserer Reizeinflüsse – was man in Meditationsübungen oder im Gebet üblicherweise anstrebt – wird eine folgenschwere Fehlinterpretation des Gehirns wahrscheinlich: Der innere gedankliche Dialog, den wir fortwährend mit uns selbst führen, kann plötzlich als von aussen kommende Stimme erlebt werden. Das Hirn täuscht sich bei der Lokalisation der Sprachquelle. Dies allerdings rückt das visionäre Vernehmen göttlicher Botschaften in gefährliche Nähe zu den Psychosen, sind doch gerade akustische Halluzinationen ein zentrales Charakteristikum von Schizophrenien. Ob ein mit göttlichen Botschaften Erleuchteter nun als auserwählter Prophet verehrt oder psychiatrisch mit Neuroleptika behandelt wird, dürfte weitgehend von den soziokulturellen Begleitumständen abhängen. Tatsächlich ist das Auftreten religiöser Wahnvorstellungen einer der häufigsten Gründe für die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

«Neurobiologen schieben betende Nonnen in den Kernspintomographen», resümierte Die Zeit in einem kürzlich erschienenen Artikel über die neurowissenschaftliche Untersuchung von Glaubensphänomenen. Und spielte damit auf die Bildgebungsstudie des amerikanischen Radiologen und Dozenten für Religionswissenschaft Andrew Newberg an, eines weiteren Hauptvertreters der noch jungen Forschungsdisziplin Neurotheologie. Newberg hat an der University of Pennsylvania mit einer radioaktiven Markierungssubstanz und einem speziellen Computertomografen die neurophysiologischen Auswirkungen zweier traditionsreicher spiritueller Praktiken auf die Hirnaktivität sichtbar gemacht. Und ist dabei auf interessante Befunde gestossen. Sowohl bei meditierenden tibetanischen Buddhisten im Zustand des «Einsseins mit dem Kosmos» wie auch bei tief im Gebet versunkenen Franziskanernonnen ging die Durchblutung des Scheitellappens drastisch zurück. Ein Hirnareal, das sonst unentwegt rattert, verstummt in der Stille der Versenkung. Dies ist insofern bedeutsam, als sich in diesem Hirngebiet auch das Orientierungsareal befindet, also jene Nervenzellverbände, die normalerweise Informationen über Zeitabläufe und räumliche Orientierung verarbeiten.

Gibt es ein «Gott-Modul»?

Aus Untersuchungen mit Hirnverletzten ist seit langem bekannt, dass eine Verletzung des oberen Teils des Scheitellappens die Fähigkeit stört, sich im Raum zu orientieren oder Distanzen richtig abzuschätzen. Aufgrund der Reizblockade im oberen Teil des Scheitellappens wäre es somit durchaus erklärbar, dass sich das subjektive Erleben bei der spirituellen Versenkung gänzlich in der Raum- und Zeitlosigkeit verliert. Derartige Transzendenzzustände sind denn auch in fast allen Religionen bekannt und werden als Zen, Nirwana, Brahman-Atman oder in der christlichen Tradition des ekstatisch-visionären Schauens als Unio mystica bezeichnet. Immer meint dabei der spirituell Entgrenzte, die Unendlichkeit in Erhabenheit zu berühren. Franziskanerschwester Celeste, eine der Versuchsteilnehmerinnen in Newbergs Studie, erklärte dem Nachrichtenmagazin Newsweek, was sie während ihres dreiviertelstündigen Gebets vor der Tomografiemessung empfand: «Ich fühlte Einkehr, Frieden, Offenheit zur Erfahrung. Da war eine Bewusstheit und eine Empfindsamkeit für die Anwesenheit Gottes um mich herum. Und ein Gefühl der Zentriertheit, der Ruhe, des Nichts; aber auch Momente der Fülle der Anwesenheit Gottes. Gott hat mein Sein durchdrungen.» Da buddhistische Meditationsmeister und Franziskanernonnen gemäss der Newberg-Studie in hirnphysiologisch vergleichbaren Endzuständen landen, scheint es für das Hirn also keinen Unterschied zu machen, woran wir glauben.

Gibt es also ein «Gott-Modul», eine Art religiösen Schaltkreis im Hirn? Ist Gott womöglich nur ein ganz spezifischer, klar umschreibbarer neuronaler Zustand? Ein Hirngespinst? «Müssen» wir quasi glauben, allein aufgrund der Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert? Und wenn ja, könnte man die zugrunde liegenden Neuronenschaltungen gezielt beeinflussen, zum Beispiel mit Medikamenten? Wird ein eingeschüchterter Staat vielleicht einmal in zwanzig Jahren aus Gründen nationaler Sicherheit bei gewaltbereiten Fundamentalisten eine präventive «Gottektomie» anordnen?

Unbestreitbar und gerade in Zeiten des globalen fundamental-islamistischen Terrors leidvoll zu erfahren ist der Zusammenhang zwischen Glauben und Gewalt. In einem seiner provokanten Aufsätze, veröffentlicht im Stan-dardwerk «Neurotheologie: Gehirn, Wissenschaft, Spiritualität und religiöse Erfahrung» von Rhawn Joseph, erläutert Michael Persinger eindrücklich die möglichen Folgen religiöser Überzeugung: «Etwa sieben Prozent der für die Psychologieklasse eingeschriebenen erstsemestrigen Universitätsstudenten bejahten in einer Umfrage die Aussage ‹Wenn Gott es mir befähle, würde ich in seinem Namen töten›.» Gemäss Persinger stieg der Anteil der zur äussersten Gewaltanwendung bereiten Männer auf fünfundzwanzig Prozent unter denen, die regelmässig eine Kirche, Synagoge, Moschee oder eine andere religiöse Institution besuchen. Und eigene religiöse Grenzerfahrungen scheinen die Gläubigen weiter zu radikalisieren: «Etwa fünfzig Prozent der Männer, die oft eine Kirche besuchten, die von religiösen Erfahrungen berichteten und die Anzeichen einer erhöhten Schläfenlappen-Aktivität zeigten, gaben an, sie würden im Namen Gottes töten.»

Es liegt in unserer biologischen Natur, dass alle unsere Fähigkeiten, vom banalen Besorgen einer Busfahrkarte bis hin zu leidenschaftlichster Liebe, an bestimmte Hirnzustände, die «neuronalen Korrelate des Bewusstseins», gebunden sind. Oder um es mit dem Bewusstseinsphilosophen und Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz, Marvin Minsky, zu sagen: «Mind is what the brain does.» Diese griffige Formel bringt die aktuell konkurrenzlos vorherrschende biologistische Reduktion des erstmals von Descartes formulierten Leib-Seele-Problems auf den Punkt: Die Seele ist weg, was bleibt, ist der Leib. Es ist also wenig erstaunlich, dass auch Glaube, Religiosität und mystisches Erleben in dieser Weltsicht auf neuronale Bewusstseinsentsprechungen zurückgeführt werden. Allein die Tatsache, dass spirituelle Erfahrungen durch alle Zeiten und Kulturen sehr ähnlich sind, spricht für eine prinzipielle Beteiligung funktioneller Strukturen des Gehirns.

Was war zuerst: das Gehirn oder ER?

Auch Neurotheologe Newberg ist sich völlig im Klaren darüber, dass sich mit Hirnexperimenten Gott weder beweisen noch falsifizieren lässt. Sein einleuchtender kulinarischer Vergleich: Der Verzehr eines Apfelstrudels erzeuge gewisse geistige Phänomene – beispielsweise beim Genuss der eingestreuten Rosinen – die mit spezifischen Hirnvorgängen einhergehen, die für Neurologen beobachtbar seien («This is your brain on apple-pie»). Aber dass es bestimmte Hirnvorgänge gebe, bedeute natürlich nicht, dass der Apfelstrudel ein Hirngespinst sei. (Um noch ein wenig spitzfindig zu werden: Wir können auch die reale Existenz des Apfelstrudels nicht mit letzter Sicherheit beweisen.)

Die grösste aller grossen Fragen, nämlich, ob es Gott gibt oder nicht, werden auch biotheologische Studien nicht beantworten können. Ob Gott unser Gehirn – und damit auch die Fähigkeit, ihn zu erkennen – erschaffen hat oder ob unser Gehirn erst Gott schafft, ist und bleibt Glaubenssache. Man landet bei der ontologischen Gretchenfrage nach der wahren oder illusionären Natur Gottes einmal mehr in der Sackgasse – immerhin zeitgemäss mit Hightech-Methoden der Hirnforschung. Und auch der sich aufgeklärt gebende Atheist glaubt ja schliesslich nur, dass es keinen Gott gibt.

Eine häufig geäusserte Grundsatzkritik an den biotheologischen Studien ist auch, dass sie ausser Acht lassen, dass Religiosität in erster Linie ein komplexes soziokulturelles Phänomen sei. Schliesslich hätten nur die allerwenigsten Gläubigen in ihrem Leben jemals eine echte spirituelle Grenzerfahrung. Erleben und Verhalten der unerleuchteten Mehrzahl der Gläubigen zu untersuchen, sei somit wohl eher Sache von Soziologen und Psychologen denn erkenntnisversprechender Gegenstand der Neurobiologie.

Es ist eine ökonomische Erfahrungstatsache, dass alles, was technisch realisierbar ist und mit Hinblick auf einen potenziellen Markt als wirtschaftlich sinnvoll erscheint, irgendwann auch vermarktet wird. In einer hochtechnisierten Welt, in der jedermann auf seiner ganz privaten Sinnsuche oder auch nur individualhedonistischen Spassmission ist, liefert Persingers Magnetspulenhelm zur Erzeugung spiritueller Erfahrungen die technischen Voraussetzungen für einen völlig neuen Markt. Instant-Mystik, wie sie bis anhin allenfalls illegal mit nebenwirkungsreichen psychedelischen Pilzomeletten oder LSD zu erzielen war, könnte schon bald in konsumentenfreundlicher Ausführung und durchgestyltem Design daherkommen.

Man mag sich iGod vorstellen, ein mattgraues Chromstahl-Gimmick mit weissen Bügeln und einem diskreten digitalen Drehrad. Durch sanfte Manipulation an diesem «blessing wheel» könnte dereinst die Intensität der religiösen Erfahrung nach Wunsch reguliert werden. Vorerst müsste noch beträchtliche Entwicklungsarbeit in die Miniaturisierung der Persingerschen Versuchsanordnung investiert werden. Und auch in der Ästhetikevolution vom schmuddeligen Motorradhelm mit Spulen hin zum trendigen Designerstück müssten noch ein paar Verbesserungen vollzogen werden. Doch spricht nichts Prinzipielles gegen die Vorstellung, dereinst in der Unterhaltungselektronik-Abteilung von Media-Markt eine Godbox vorfinden zu können. Möglicher Werbeslogan: «In die Kirche? Ich bin doch nicht blöd!»

Zukunftsmusik: iGod

Prototypen dieser Technologie mit Zukunftspotenzial sind schon heute auf dem Internet zu kaufen. Sie machen noch einen reichlich selbstgebastelten Eindruck. Das Topmodell von Shakti Spiritual Technology kostet 220 Dollar, läuft unter Windows und benutzt die Soundkarte des Computers zur Erzeugung der Magnetfelder für die spirituelle Schläfenlappen-Massage. Soll gemäss Website «Ausserkörpererfahrungen, Klarträume, Telepathie und Glückszustände» bewirken und auch die Meditation vereinfachen.

Wäre es nicht denkbar, dass die neue Technologie dereinst den Kern einer modernen Religion des 21. Jahrhunderts bilden könnte? Das ultimative Wir-Gefühl in der global vernetzten Kirchengemeinde durch kollektives Zappen der Schläfenlappen? Das Anstreben einer gemeinsamen Transzendenzerfahrung als religiöses Ritual hat schliesslich eine uralte Tradition. Bis in die heutige Zeit verwenden indigene Kulturen in Lateinamerika psychoaktive Pflanzen von Meskalin bis Ayahuasca als psychedelischen Treibstoff für die Reise in die nächste Dimension. Gut vorstellbar, dass sich in einer Art Hightech-Sekte iGod zur IT-Version bewusstseinsverändernder Sakralpraktiken entwickeln könnte.

Eine solche Zukunftsvision wäre auch mit den futuristischen Szenarien der berühmtesten Neurowissenschaftlerin Grossbritanniens, Baroness Susan Greenfield, zu vereinbaren. Die Leiterin des interdisziplinären Centre for Science of the Mind untersucht auch den Einfluss des Glaubens auf das Gehirn. In ihrem jüngsten Buch «Tomorrow’s People» spekuliert die geadelte Pharmakologie-Professorin darüber, wie fundamental die Technologien des 21. Jahrhunderts Denken, Fühlen und Handeln des Menschen verändern könnten. Sie entwickelt darin das Szenario einer Gesellschaft, die sich in einem Zustand permanenter selbstgewählter Realitätsmanipulation und Reizüberflutung befindet. Sie prophezeit eine bunte Welt voll von virtuellen Helfern, digitalen Knechten, Lifestyledrogen und Designermolekülen für Glück und Sex. «Augmented reality» und «virtual reality» könnten für uns schon bald attraktiver als die profane Alltagsrealität werden, weil sich die künstlichen IT-Welten besser nach unseren eigenen Bedürfnissen erschaffen und gestalten lassen. Greenfield ist sich sicher: «Das menschliche Gehirn ist keine unantastbare Grösse mehr. Wir halten den Schlüssel zur Veränderung des Bewusstseins, zur Erosion des Individuums in der Hand.»

Ganz unabhängig von der zukünftigen Entwicklung und Kommerzialisierung von Erleuchtungsmaschinen für den Hausgebrauch lässt sich aus den neurotheologischen Untersuchungen bereits heute Bedeutsames ableiten. Was Religionswissenschaftler schon seit Jahrhunderten in der Philosophia perennis diskutieren, nämlich dass ein gemeinsamer und im Wesen gleicher Kern absoluter Wahrheit in allen Religionen stecke, erfährt gerade eine moderne neurobiologische Umdeutung. Vielleicht ähneln sich die spirituellen Erfahrungen der Menschen durch alle Kulturen gar nicht deshalb, weil sie auf denselben Gott oder eine universell gültige Wahrheit hindeuten, sondern ganz einfach, weil die Gehirne der Menschen gleich funktionieren. Ob Schläfenlappenzappen, Drogentrip, Meditation oder epileptischer Anfall – auf den nicht vorgesehenen Ausnahmezustand kann das Gehirn nur mit ganz beschränkten Erfahrungsmöglichkeiten reagieren. Und seit Jahrtausenden eine der beliebtesten scheint die Halluzination einer höheren spirituellen Wahrheit zu sein.


Felix Hasler ist Neuropharmakologe und Forschungsassistent an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.


Brain, Science, Spirituality, Religious Experience: R. Joseph, Andrew Newberg, Matthew Alper, William James, Friedrich Nietzsche, Eugene G. D’Aquili, Michael Persinger, Carol Albright. University Press, 2003

Why God won’t go away: Brain science and the biology of belief by Andrew Newberg, Eugene G. D’Aquili, Vince Rause. Ballantine Books, 2002.

Tomorrow’s People: How 21st-century technology is changing the way we think and feel: Susan Greenfield. Gardners Books, 2004.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bei den heutigen Entwicklungen in Sachen Konsum und Kommerz würde es mich nicht wundern, wenn tatsächlich irgendwann so ein Teil im Media Markt erhältlich wäre. Ob das ganze dann allerdings ein Schnäppchen wäre, weiß ich nicht. Ich finde es jedenfalls beängstigend, wie immer mehr versucht wird, menschliche und zwischenmenschliche Abläufe zu steuern und zu beeinflussen anstatt den Dingen einen gewisse Natürlichkeit und damit auch Langsamkeit zu lassen.

Urs Luescher hat gesagt…

Einige Leute versuchen halt das menschliche Gehirn zu verstehen, andere bemühen sich die Märkte zu durchschauen (und werden mit wachsendem Verständnis wohl zu den Grabträgern der freien Marktwirtschaft)

Wenn diese im Artikel genannte Forschung zu einer Therapieform für Epileptiker führt, hat es ja einen positiven Nutzen.

Und das Gerät kann man dann ja in den Shops rund um dem Vatikan verkaufen.... ;-)