Mittwoch, Februar 11, 2009

Tages Anzeiger: «Vom Realitätsverlust sind nicht nur Banker bedroht»

Tages Anzeiger
«Vom Realitätsverlust sind nicht nur Banker bedroht»
Von Ulrike Hark. Aktualisiert um 22:16 Uhr

Sind Banker lernfähig?
Man ändere sich am einfachsten, wenn neue Umstände einen dazu zwingen, sagt Psychoanalytiker Peter Schneider. Dies sei in der Finanzbranche gegeben.
Peter Schneider ist Psychoanalytiker und Satiriker. Jeden Mittwoch beantwortet er Leserfragen auf der Seite «Leben».

Peter Schneider ist Psychoanalytiker und Satiriker.

Tages Anzeiger
«Vom Realitätsverlust sind nicht nur Banker bedroht»
Von Ulrike Hark. Aktualisiert um 22:16 Uhr

Sind Banker lernfähig?
Man ändere sich am einfachsten, wenn neue Umstände einen dazu zwingen, sagt Psychoanalytiker Peter Schneider. Dies sei in der Finanzbranche gegeben.
Peter Schneider ist Psychoanalytiker und Satiriker. Jeden Mittwoch beantwortet er Leserfragen auf der Seite «Leben».

Peter Schneider ist Psychoanalytiker und Satiriker.

Herr Schneider, von vielen Seiten wird jetzt ein Kulturwandel im Finanzsektor verlangt. Aber sind Banker überhaupt lernfähig? Können sie sich ändern?
Man ändert sich am einfachsten, wenn einen die Umstände dazu zwingen. Mir scheint, dass in einem Wirtschaftsbereich, dessen Fortbestand in grossen Teilen inzwischen vom Staat gesichert wird, solche neuen Umstände eingetreten sind. Aber der Staat, der jetzt helfend einspringt, muss auch bereit sein, diese veränderten Umstände geltend zu machen.

Gibt es so etwas wie den Typus eines Bankers? Wie ist ein Investmentbanker gestrickt?
Ich nehme an, dass viele Investmentbanker mehr davon verstehen, wie sie ein «Produkt» – ein doch recht euphemistisches Wort für Finanz-Konstrukt – möglichst provisionsträchtig an die Kunden bringen, als von Ökonomie.

Wie ausgeprägt ist in dieser Gruppe das Lemmingverhalten?
So wie in allen anderen Gruppen, in denen ein grosser Konformitätsdruck herrscht und kritische Distanz als Illoyalität gilt.

Stichwort Realitätsverlust: Sind Banker da besonders gefährdet?
Es gibt natürlich keine homogene Gattung der «Banker». Somit gilt auch das, was wir eben über «die Banker» gesprochen haben, nicht durchweg von der Kassiererin, dem Hypothekenfachmann, dem Privatkundenberater und dem Börsenbroker. Wenn Realitätsverlust eine Rolle spielt, dann dort, wo die Bilder, die man von sich selbst hat und macht, ein allzu bizarres Eigenleben führen – und zwar nicht bloss in Tagträumen, sondern in einer Art Realität zweiter Ordnung. Man glaubt ganz einfach, was man sich wünscht, und wird in diesem Wahnwitz auch noch bestätigt. Von dieser Art des (oftmals ja gewinnträchtigen) Realitätsverlustes sind keineswegs nur Banker «bedroht». In dem derzeitigen «Exzellenz»- und «Elite»-Geschwurbel unserer öffentlichen Bildungsanstalten und dem damit zusammenhängenden «Effizienz-, Talent- und Qualitäts-Management» lassen sich ähnliche Tendenzen erkennen: Werbegeschwätz, das sich längst von der Wirklichkeit verabschiedet hat, während es sich als Avantgarde eines neuen, ungeschönten Realismus fühlt.

Viele Banker ärgern sich, dass über ihre Entlöhnung öffentlich diskutiert wird – es ist von einer «riesigen Medienkampagne» die Rede. Ein Zeichen für mangelnde Selbstreflexion?
Ein Zeichen vor allem dafür, dass das ganze Geschwätz von Selbstverantwortung und die Risikobereitschaft, welche man unbedingt mitbringen müsse, um in der rauen Welt des Marktes zu bestehen, nie etwas anderes war als Schönwettergerede für die Galerie.

Wäre es eine Lösung, wenn alle Banken weltweit gleichzeitig mit dem Lohnwettbewerb aufhörten?
Vielleicht wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, mit dem Lohnwettbewerb erst mal richtig zu beginnen. Für gewöhnlich wird der Lohnbewettbewerb ja immer als Argument angeführt, wenn es darum geht, den Arbeitern und Angestellten klar zu machen, warum sie höchstens mit ein wenig mehr oder sogar mit weniger Lohn rechnen müssen. In den oberen Chargen der Wirtschaft wirkt dasselbe Argument aus durchaus rätselhaften Gründen offenkundig genau in die andere Richtung. Es handelt sich dabei um ein wahrhaftiges Mysterium des globalen Marktes: Je weltumspannender der Arbeitskräftemarkt geworden ist, desto mehr hat sich gezeigt, dass in Indien und Pakistan nur billige Näherinnen bereitstehen, aber partout kein günstiger CEO zu finden war, der die UBS auch für ein Zehntel hiesiger Gehälter hätte ruinieren können.

Ist in der öffentlichen Meinung zu den Boni auch Neid im Spiel?
Im Moment wohl eher Schadenfreude. Aber Schadenfreude ist ein Affekt, der einen nicht klug macht. Denn bloss, weil es denen, die man einst beneidet hat, nun schlechter geht, geht es einem selbst wohl kaum dauerhaft besser. Schadenfreude ist sowenig Ersatz für Politik wie Moralisieren. Sowenig wie Betriebswirtschaftslehre ein Ersatz für politisch-ökonomisches Denken sein darf.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 10.02.2009, 21:36 Uhr

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