Freitag, Februar 19, 2010

«Der Wille, die IT-Welt zu beherrschen, hat etwas Religiöses»

Tages-Anzeiger Online
«Der Wille, die IT-Welt zu beherrschen, hat etwas Religiöses»
Interview: Reto Knobel

Google verwöhnt, verführt und umgarnt seine Mitarbeiter wie kein anderes Unternehmen. Experte Hugo Stamm weiss, für wen der Konzern ein Religionsersatz ist.

Wer bei Google arbeiten darf, hat es geschafft: Diesen Eindruck bekommt, wer die Bilder des Innenlebens der Niederlassung in Zürich betrachtet. Googler können gratis essen und trinken, Sport treiben, gamen, flippern und sogar schlafen – alles während der Arbeitszeit (siehe Bildstrecke oben).

Vielen Kommentatoren kommt diese Wohlfühlkultur allerdings komisch vor. Von «Hundezwinger» ist die Rede, oder sogar von «sektiererischen Verhältnissen». Der erste Kritiker, der den Milliardenkonzern mit einer IT-Sekte verglich, war der streitbare Google-Kritiker und Buchautor Gerard Reischl («Die Google-Falle»). Google, ein sektenmässig organisiertes Unternehmen mitten in Zürich? «Tages-Anzeiger»-Redaktor und Sektenexperte Hugo Stamm (60) will den Ball flach halten: «So lang es lediglich darum geht, ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen, ist nichts dagegen einzuwenden. Bedenklich wird es erst, wenn die Geschäftsleitung dabei einen Hintergedanken verfolgt, der nicht transparent ist.»

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie die Bilder der Google-Büros in Zürich sehen?
Toll, wenn ich auch in einem solchen Ambiente arbeiten könnte! Es erinnert mich an eine Kreuzfahrt auf einem Luxusschiff. (Ich würde zwar nie solche Ferien machen.) Die Bilder machen uns aber skeptisch. Was will der Arbeitgeber von mir, wenn er mich mit solchen Wellnessangeboten ködert? Will er mich verführen? Mit Haut und Haaren ans Unternehmen binden? Die Grenze zwischen Privatleben und Arbeitswelt aufheben? Klare Antworten gibt es nicht.

Eine Kommentatorin fühlt sich an das «Umfeld einer Sekte» erinnert. Dieser Vergleich fällt im Internet immer wieder.
Die Arbeitswelt wirkt paradiesisch, riecht förmlich nach Verführung. Da denken wir an Sekten. Ich sehe allerdings keine Vereinnahmung der Mitarbeiter: Es ist nicht bekannt, dass bei Google religiöse Doktrinen herrschen, Zwänge bestehen, Mobbing betrieben wird oder Repression ausgeübt. Deshalb....



Tages-Anzeiger Online
«Der Wille, die IT-Welt zu beherrschen, hat etwas Religiöses»
Interview: Reto Knobel

Google verwöhnt, verführt und umgarnt seine Mitarbeiter wie kein anderes Unternehmen. Experte Hugo Stamm weiss, für wen der Konzern ein Religionsersatz ist.

Wer bei Google arbeiten darf, hat es geschafft: Diesen Eindruck bekommt, wer die Bilder des Innenlebens der Niederlassung in Zürich betrachtet. Googler können gratis essen und trinken, Sport treiben, gamen, flippern und sogar schlafen – alles während der Arbeitszeit (siehe Bildstrecke oben).

Vielen Kommentatoren kommt diese Wohlfühlkultur allerdings komisch vor. Von «Hundezwinger» ist die Rede, oder sogar von «sektiererischen Verhältnissen». Der erste Kritiker, der den Milliardenkonzern mit einer IT-Sekte verglich, war der streitbare Google-Kritiker und Buchautor Gerard Reischl («Die Google-Falle»). Google, ein sektenmässig organisiertes Unternehmen mitten in Zürich? «Tages-Anzeiger»-Redaktor und Sektenexperte Hugo Stamm (60) will den Ball flach halten: «So lang es lediglich darum geht, ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen, ist nichts dagegen einzuwenden. Bedenklich wird es erst, wenn die Geschäftsleitung dabei einen Hintergedanken verfolgt, der nicht transparent ist.»

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie die Bilder der Google-Büros in Zürich sehen?
Toll, wenn ich auch in einem solchen Ambiente arbeiten könnte! Es erinnert mich an eine Kreuzfahrt auf einem Luxusschiff. (Ich würde zwar nie solche Ferien machen.) Die Bilder machen uns aber skeptisch. Was will der Arbeitgeber von mir, wenn er mich mit solchen Wellnessangeboten ködert? Will er mich verführen? Mit Haut und Haaren ans Unternehmen binden? Die Grenze zwischen Privatleben und Arbeitswelt aufheben? Klare Antworten gibt es nicht.

Eine Kommentatorin fühlt sich an das «Umfeld einer Sekte» erinnert. Dieser Vergleich fällt im Internet immer wieder.
Die Arbeitswelt wirkt paradiesisch, riecht förmlich nach Verführung. Da denken wir an Sekten. Ich sehe allerdings keine Vereinnahmung der Mitarbeiter: Es ist nicht bekannt, dass bei Google religiöse Doktrinen herrschen, Zwänge bestehen, Mobbing betrieben wird oder Repression ausgeübt. Deshalb gehe ich davon aus, dass das Unternehmen die Mitarbeiter mit dem tollen Ambiente zu Höchstleistungen verführen will. Nach dem Motto: Wer glücklich und relaxed ist, wird kreativer.

Wann trägt ein Unternehmen sektiererische Züge?
Wenn es Einfluss auf die ideologischen, spirituellen oder religiösen Neigungen seiner Mitarbeiter nimmt. Wenn zum Beispiel an der Arbeit gebetet werden muss oder sich die Mitarbeiter genötigt fühlen, an Ritualen oder religiösen Veranstaltungen teilzunehmen. Sektenhaft wird es auch, wenn die Vorgesetzten das Verhalten der Mitarbeiter im Privatleben beeinflussen. Indoktrination in Betrieben ist vor allem dort zu beobachten, wo der Inhaber selbst Anhänger einer Sekte ist. Scientologische Chefs neigen dazu. Beispiele sind aber auch aus dem Bereich der Freikirchen bekannt.

Google macht alles für die Mitarbeiter: Kann man sich auch zu stark um das Wohl der Angestellten kümmern?
So lang es lediglich darum geht, ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen, ist nichts dagegen einzuwenden. Bedenklich wird es erst, wenn die Geschäftsleitung dabei einen Hintergedanken verfolgt, der nicht transparent ist.

Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten rund um die Uhr, Gratisverpflegung, Erholungsräume: Besteht nicht die Gefahr, dass Mitarbeiter (vielleicht unbewusst) von der Firma total vereinnahmt werden und ihr soziales Umfeld vernachlässigen?
Man kann die Politik vielleicht als Verführung zur Arbeit bezeichnen. Auf der anderen Seite: Weshalb soll ich 1000 Franken für ein Fitnessabo zahlen, wenn ich die Geräte gratis im Betrieb habe und nach der Arbeit gleich dort trainiere? Weshalb soll ich in eine Sauna gehen, wenn ich den Schwitzraum neben dem Büro habe? Wer nicht auch noch mit den Arbeitskollegen schwitzen will, kann immer noch auswärts gehen.

Google sieht sich als Unternehmen mit einer Mission - ist das nicht schon sektiererisch?
Ich habe den Eindruck, dass der Machtanspruch des Kaders einen leicht sektiererischen Anstrich hat. Der Wille, die IT-Welt zu beherrschen und die Mission auf der ganzen Welt voranzutreiben, hat schon fast etwas Religiöses. Google als Religionsersatz: Das betrifft aber die Manager und nicht die Mitarbeiter.

Mein Eindruck: Google-Manager können es nicht nachvollziehen, wenn man ihre Firma nicht gut findet. Indirekt wird einem vorgeworfen: «Was hast du eigentlich gegen uns, wir tun doch nur Gutes.»
Wenn Google bei der Verwöhnung der Mitarbeiter keine schlechten Absichten hat, verstehe ich die Reaktion der Google-Leute. Sie bieten hervorragende Arbeitsbedingungen und werden dafür kritisiert. Das wäre tatsächlich unfair und sieht nach Neid der Kritiker aus. Denn in den meisten Betrieben werden die Arbeitsbedingungen immer härter: Arbeitsplätze werden zusammengepfercht, der Arbeitsdruck erhöht, die Sozialleistungen abgebaut. Ein herber Kontrast zur Google-Welt.

Das Firmenmotto lautet «Don't be evil». Kritiker finden: Nur Unternehmen, die etwas zu verbergen haben, brauchen so ein Mantra.
Für mich ein seltsames Motto. Doch man sollte ein Unternehmen an seinen Taten messen. In vielen Firmen werden die Mitarbeiter zu Nummern und Kostenfaktoren degradiert. Bei Google erfahren sie Wertschätzung. Bei allem Machtstreben sollte man die positiven Aspekte nicht vergessen. (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

Erstellt: 17.02.2010, 10:33 Uhr

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