Freitag, Februar 12, 2010

Tages Anzeiger Magazin: Die heimliche Macht des Geldes

Die heimliche Macht des Geldes
Firmen und Verbände bezahlen ausgewählte Politiker. Was tun diese Politiker dafür, und um welche Summen geht es? Das soll der Bürger nie erfahren.
06.02.2010 von Mathias Ninck ,

Vielleicht denkst du, die Schweiz ist eine normale Demokratie. Das Volk wählt regelmässig seine Vertreter, die dann vier- bis fünfmal im Jahr nach Bern reisen und dort ein Hotelzimmer beziehen, jeden Morgen hinüberlaufen ins Bundeshaus und Gesetze erlassen oder abändern und Vorstösse einreichen. Abgesehen davon, sind sie Bauern und Lehrer und Anwälte und bringen ihr berufliches Fachwissen in die politische Arbeit ein. Der Sitz im Parlament ist für sie eine Nebentätigkeit, mehr als eine Vergütung bekommen sie dafür nicht. Sie gehören einer Partei an, weshalb jeder Bürger weiss, welche programmatischen Interessen sie vertreten. Sieht das nicht ganz nach dem perfekten System aus? Vielleicht denkst du sogar, wir haben die beste aller Demokratien.

Und dann hörst du die folgende Geschichte.
Es ist die Geschichte von Felix Gutzwiller. Er ist Ständerat der FDP, Vertreter des Kantons Zürich, seit gut zehn Jahren im Parlament, ein aus den Medien bekannter Politiker und Universitätsprofessor, dem der Ruf anhaftet, äusserst kompetent zu sein, und der beim Zuschauer Vertrauen erweckt, wenn er ihm in «10vor10» etwas erklärt. Dieser einnehmende Herr, so erfährst du, sass......



Die heimliche Macht des Geldes
Firmen und Verbände bezahlen ausgewählte Politiker. Was tun diese Politiker dafür, und um welche Summen geht es? Das soll der Bürger nie erfahren.
06.02.2010 von Mathias Ninck,

Vielleicht denkst du, die Schweiz ist eine normale Demokratie. Das Volk wählt regelmässig seine Vertreter, die dann vier- bis fünfmal im Jahr nach Bern reisen und dort ein Hotelzimmer beziehen, jeden Morgen hinüberlaufen ins Bundeshaus und Gesetze erlassen oder abändern und Vorstösse einreichen. Abgesehen davon, sind sie Bauern und Lehrer und Anwälte und bringen ihr berufliches Fachwissen in die politische Arbeit ein. Der Sitz im Parlament ist für sie eine Nebentätigkeit, mehr als eine Vergütung bekommen sie dafür nicht. Sie gehören einer Partei an, weshalb jeder Bürger weiss, welche programmatischen Interessen sie vertreten. Sieht das nicht ganz nach dem perfekten System aus? Vielleicht denkst du sogar, wir haben die beste aller Demokratien.

Und dann hörst du die folgende Geschichte.
Es ist die Geschichte von Felix Gutzwiller. Er ist Ständerat der FDP, Vertreter des Kantons Zürich, seit gut zehn Jahren im Parlament, ein aus den Medien bekannter Politiker und Universitätsprofessor, dem der Ruf anhaftet, äusserst kompetent zu sein, und der beim Zuschauer Vertrauen erweckt, wenn er ihm in «10vor10» etwas erklärt. Dieser einnehmende Herr, so erfährst du, sass bis Herbst 2007 im Beirat der Credit Suisse. Dieser Beirat, inzwischen aufgelöst, wurde zweimal im Jahr einberufen. An den Sitzungen wurden «Einschätzungen zu Themen und Entwicklungen gemacht», wie der Pressesprecher der Bank sagt. Die Entschädigung dafür: 100 000 Franken. Viel Geld für zwei Sitzungen. Aber was aussieht wie ein wundersames Geschenk, ist ein gut kalkuliertes Geschäft: Wenn im Parlament zum Beispiel ein neues Aktienrecht geschaffen wird, darf die Credit Suisse damit rechnen, dass ihre Geschäftsinteressen angemessen berücksichtigt werden. Wenn sich viele Leute aufregen über den Bankgeheimnis-Deal mit der amerikanischen Steuerbehörde vom letzten August, geht Felix Gutzwiller in die «Arena» und verteidigt gleichmütig die Interessen der Grossbanken. Und während du dich fragst, ob du diese Verstrickung schon Korruption nennen sollst, hörst du, wie Felix Gutzwiller, der von dieser Recherche erfahren hat und von sich aus anruft, am Telefon sagt: «Es war mir nicht wohl dabei.»

Das Unwohlsein vermehrt sich. Gerade erst, vor zwei Wochen, hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass der zur Beilegung des Steuerstreits abgeschlossene Staatsvertrag mit den USA illegal war. Die Schweiz verpflichtete sich im letzten August, 4450 UBS-Kundendaten den US-Steuerbehörden auszuhändigen — sie tat dies in der Absicht, die Bank damit vor einer Strafklage und also vor dem Untergang zu bewahren. Nun kommt das Abkommen womöglich vors Parlament: Es soll dort nachträglich gutgeheissen werden.

Bisher konnte sich die UBS auf das Parlament verlassen. So hat etwa die FDP mit den «Freunden der FDP» einen potenten Gönnerverein — es ist ein Klub der Finanzwelt mit Peter Wuffli, dem früheren UBS-Chef als Präsidenten; mit dabei war auch Walter Kielholz, ehemaliger Präsident der Credit Suisse, oder Kaspar Villiger, heutiger Präsident der UBS. Bei der CVP heisst der entsprechende Finanzierungsklub «Verein zur Unterstützung des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wirkens». Doch jetzt rebellieren die ersten bürgerlichen Politiker gegen die Umklammerung der Grossbanken. Der freisinnige Nationalrat Philipp Müller verlangt von seiner Partei, sie müsse den Bruch mit dem spendablen Verein wagen: «Der bisherige Weg war falsch.»

Parteikollege Otto Ineichen fügt an: «In meiner Zeit als Parlamentarier habe ich noch nie so starke und konzertierte Lobby-Anstrengungen erlebt wie die derzeitige Kampagne der Grossbanken. Sie wollen dafür sorgen, dass bei der Bankenregulierung alles so läuft, wie sie es sich vorstellen.»

Du beginnst jetzt Fragen zu stellen. Es sind alte Fragen, die Fragen, die sich wie Mehltau über unser System gelegt haben. Immer wieder einmal werden die Fragen laut erhoben, immer wieder verklingen sie unbeantwortet.

Wer alles erhält solche Zahlungen?

Wer leistet sie?

Wie viel Geld muss für wie viel Einfluss auf den Tisch gelegt werden?

Niemand will etwas dazu sagen. Es wird abgewiegelt. Neinein, in der Schweiz ist alles in bester Ordnung.

Immerhin gibt es einen Politikerschlag, der redet, Konkretes liefert. Es sind jene, die nichts zu verlieren haben: die Alten. Sie sind längst von der Bühne abgetreten, gehören nicht mehr der Öffentlichkeit, brauchen sich nicht um ihr Image zu sorgen. Sie sagen, was sie denken. Abhängigkeiten? «Natürlich gibt es die.»
Und sie erzählen Geschichten.

Zum Beispiel: die Geschichte von Flavio Cotti. Die Geschichte handelt von einem Mann, der als Gemeindepolitiker anfängt und es ganz hinauf in den Bundesrat schafft. Sie handelt von Kampf, Planung, Glück, Intrigen, von Verbündeten, die im richtigen Moment nachhelfen. Sie handelt von Geld. Und davon, wie man es einsetzt. Cotti macht 1959 im Benediktiner-Gymnasium in Sarnen die Matur, studiert in den Sechzigerjahren in Freiburg die Rechte, ist Mitglied in einer katholischen Studentenverbindung. Dort lernt er Franz Lusser kennen, Sohn des langjährigen Zuger CVP-Ständerats Augustin Lusser. Später wird Franz Lusser Generalsekretär bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (die heute UBS heisst).

Flavio Cotti ist 25 Jahre alt, als er in den Gemeinderat von Locarno einzieht, drei Jahre später schafft er es in den Tessiner Grossen Rat, 1975 in die Kantonsregierung. Acht Jahre später tritt Cotti ab mit einer Rente von 100 000 Franken. Er ist 44 Jahre alt und hat Grösseres im Sinn. Freunden sagt er, er wolle in den Bundesrat.

Im Herbst 1983 erkämpft Flavio Cotti einen Sitz im Nationalrat. Kaum ist er im Parlament, wird er Präsident der CVP Schweiz und löst den Walliser Hans Wyer ab. Auf einmal ist der Neuling die Nummer eins in der Partei, der kaum bekannte Tessiner taucht ständig in den Medien auf. Jetzt hat er Chancen auf das höchste Amt. Wie ging das so schnell? In der Kasse der Partei gähnte ein Loch. Gleichzeitig mit der Wahl Cottis zum CVP-Präsidenten spendierte die Schweizerische Bankgesellschaft, auf Antrag ihres Generalsekretärs Franz Lusser, eine Sonderzahlung an die Partei von 350 000 Franken. Sowohl Lusser wie auch Philippe de Weck, Verwaltungsrat der Bank, waren Mitglieder der CVP. Dies alles sagt ein Zeuge, der nah an dem Vorgang dran war — und anonym bleiben will.

Der Zeuge sagt, die SBG-Zahlung sei an die Bedingung geknüpft gewesen, Cotti zum Parteipräsidenten zu machen. «Für die Banken war Hans Wyer nicht der richtige Mann. Zu sozial. Zu stark mit Familienthemen befasst. Zu weit weg von der Wirtschaft.» Die Banken wollten den machthungrigen Tessiner.

Eine Information ist das, mehr nicht. Aus einer glaubwürdigen, aber anonymen Quelle. Ist sie auch wahr? Eine Schweizer Grossbank soll einer Partei 350 000 Franken bezahlt haben, damit sie ihren Präsidenten auswechselt? Beweise gibt es nicht. Aber es gibt Beteiligte und das, was sie nach der langen Zeit noch erzählen.
Hans Wyer, der ehemalige Parteipräsident, sagt: «Ich bin jetzt fast 84 Jahre alt, da hat man nicht mehr alles präsent. Ich kann das nicht mehr rekonstruieren. Kennen Sie eine Partei, die sich gewissen Einflüssen nicht unterziehen muss?»
Arnold Koller, damals Präsident der CVP-Fraktion und später Bundesrat: «Ich muss leider sagen, dass ich nicht viel in Erinnerung habe. Was meine Rolle genau war bei der Ablösung von Wyer durch Cotti — nicht einmal daran kann ich mich mehr sicher erinnern. Es ist schon lange her. Eine Einflussnahme durch die SBG ist mir nicht bekannt. Aber natürlich, in der Politik ist vieles möglich.» Er lacht plötzlich schallend. Dann, wieder ernst, fügt er an: «Ich kann nur sagen, ich habe es nicht gewusst.»

Flavio Cotti, der in der Nähe von Locarno wohnt, hoch über dem Lago Maggiore, ist telefonisch nicht erreichbar.
Und derjenige, der alles weiss über die Spenden und Zahlungen der SBG jener Zeit, der langjährige Generalsekretär Franz Lusser, sagt im Gespräch, ja, die Bank habe schon damals Mittel geleistet an die CVP, aber nein, nie sei das an Bedingungen geknüpft gewesen. Nie? Würde er die Hand ins Feuer legen dafür, dass das Geld, das damals von der SBG zur CVP geflossen ist, nicht mit der Forderung verbunden war, die Partei solle Cotti als Präsidenten installieren?

Lusser sagt weder Ja noch Nein.

Er antwortet im Konjunktiv: «Ich könnte mir das nicht vorstellen. Ich sähe auch nicht, warum. Wyer hat ausgewogen politisiert, hatte Verständnis für die Wirtschaftsfragen. Wyer wollte, Irrtum vorbehalten, von sich aus zurücktreten. Dass Cotti spezifische Beziehungen hatte in die SBG, das ist mir neu.»

2 — Die Miliz am Ende

Die vom Volk gewählten Politiker nennen wir Volksvertreter. Dass sie das sind, das ist zumindest die Wunschvorstellung. Das heisst, der Parlamentarier bemüht sich in seinem politischen Denken immer auch darum, das Volk zu sehen oder das, was du dir unter diesem schönen, windigen Wort vorstellst. Das, was uns zusammenhält. Natürlich weisst du, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Viele Politiker in Bern sind nicht nur Volksvertreter, sondern auch Interessenvertreter. Sie spielen eine Doppelrolle, die von unserem System gefördert wird.

«Das Schwerste in Bern ist, sich selber treu zu bleiben.»


Diesen Satz hat ein Basler Politiker gesagt, nach zwanzig Jahren im Nationalrat. Der freisinnige Felix Auer, früherer Vizedirektor bei Ciba-Geigy, ist kein Träumer, sondern ein pragmatisch veranlagter Mann; er weiss, was es heisst, den Spagat zu machen zwischen den gesellschaftlichen Interessen und den Eigeninteressen. Der Grossbrand bei Sandoz in Schweizerhalle am frühen Morgen des 1. November 1986 schreckte die ganze Schweiz auf, rückte der Bevölkerung die Verletzlichkeit der Natur vor Augen. Für Auer ein Dilemma. Sollte er nun im Parlament für die Bevölkerung reden oder für die chemische Industrie? «Es war ein heikler Moment», erinnert sich Felix Auer, der heute 84 Jahre alt ist. Er, der Ciba-Geigy-Mann, hat im Nationalrat dann kompromisslos Sandoz verteidigt. Es war, wie er sagt, eine einmalige Situation. Die Versuchungen hingegen waren vielfältig. «Als ich in den Nationalrat gewählt wurde, habe ich mehrere Berufungen in Verwaltungsräte bekommen. Ich habe alle abgelehnt. Ich wollte mich frei fühlen. Es ist eine Charakterfrage, wie stark einen solche Interessenbindungen beeinflussen beim Aushandeln von politischen Entscheiden — aber natürlich, sie tun es immer.»

So reden die Alten. Die, die nichts zu verlieren haben.

Und dann sprichst du mit den Jungen, die noch eine Karriere vor sich haben. Die sagen dann zum Beispiel: «Nicht jede Abhängigkeit schränkt die Entscheidungsfreiheit ein.» Das ist ein richtig schöner Politikersatz.
Ein Satz, der zu Beat Walti passen würde; der Politiker hält die Abhängigkeit von Spendern für eine Konstruktion. Walti ist Präsident der FDP des Kantons Zürich und hat 2007 um einen Sitz im Nationalrat gekämpft. Er soll sich, wie ein FDP-Gefährte sagt, seinen Wahlkampf von einer Zürcher Grossbank bezahlt haben lassen. Dazu sagt er nur: «Ich habe den Wahlkampf mit eigenen Mitteln, aber auch durch eine grosse Anzahl von Spenden bestritten. Ich mache keine Angaben zu einzelnen Beiträgen.»
Wieder und wieder heisst es: Gerade weil sie keine Berufspolitiker sind, sind unsere Volksvertreter gegen ungehörige Einflussnahme geschützt. Sie üben das politische Mandat ja nur als Nebenamt aus. Es herrscht das Milizprinzip.
Aber wie weit ist es heute eigentlich noch her mit der Nebenamtlichkeit?
Eine unverdächtige Auskunftsperson in dieser Sache ist Gerhard Pfister, ein Bürgerlicher, der in der Wirtschaft gut verankert ist, die CVP seit 2003 im Nationalrat vertritt und als langjähriges Mitglied der staatspolitischen Kommission schon ein paar Debatten mitverfolgt hat über Geld und Politik. «Man spricht vom Milizcharakter unseres Systems und meint damit, dass eine Trennung von Politik und Wirtschaft nicht möglich ist.» Das Argument sei nun aber tatsächlich etwas fragwürdig geworden, meint Pfister. «Es gibt fast keine Miliz-Parlamentarier mehr. Da ist kaum noch einer, der einem bürgerlichen Beruf nachgeht und dann ein paar Wochen pro Jahr im Parlament sitzt. Die meisten sind Vollzeit-Politiker, was man ihrem Einkommen ansieht. Es besteht, nebst dem Parlamentarier-Salär von rund 100 000 Franken, zu einem grossen Teil aus Vergütungen für den Einsatz, den sie für Interessengruppierungen leisten. Und für Verwaltungsratsmandate. Man sieht ja auch, wie die Politiker zu diesen Mandaten kommen. Sie werden nicht interessant, weil sie gut sind, sondern weil sie Parlamentarier sind. Firmen, Verbände, NGOs und Gewerkschaften haben durch sie den direkten Zugang zur gesetzgebenden Gewalt.»
Otto Ineichen ist vom Schweizer Fernsehen vor Kurzem zum Politiker des Jahres gewählt worden. Der FDP-Nationalrat hat sich über die Parteigrenzen hinweg für ein günstigeres Gesundheitswesen eingesetzt und für mehr Lehrstellen für Jugendliche. Er sagt: «Der Einfluss der Vertreter von Partikularinteressen hat im Parlament stark zugenommen in den letzten Jahren. Wir verlieren die Gesamtinteressen der Gesellschaft zunehmend aus den Augen.»

Auch Marianne Kleiner gehört zu den Parlamentariern, die sich nicht freuen können an politischem Ränkespiel. «Die Tricks hintenherum, das Lügen und Taktieren — das will ich nicht lernen, nie», sagte sie einmal. Die Freisinnige, die in einer angesehenen bürgerlichen Familie im Appenzeller Hinterland aufgewachsen ist, mag die verdeckten Manöver nicht. Sie erzählt, wie es im Parlament zum Kontakt mit Lobbyisten kommt. «Als ich in die Gesundheitskommission kam, wurde ich angegangen», sagt sie. «Das geht so vor sich: In der Wandelhalle wird man angesprochen, jemand fragt, ob er einen zum Mittagessen einladen dürfe. Man fragt, worum es gehe, und dann erfährt man es meistens schon. Wenn man zusagt, wird das so gemacht, dass man Mitglied wird in einem Beirat oder Verwaltungsrat, wo man vielleicht 50 000 oder 80 000 Franken bekommt im Jahr, also eine Menge Geld.»

Ob sie Namen nennen könne von solchen Anwerbern?

«Das mache ich nicht. So loyal bin ich dann schon», sagt Kleiner. Sie respektiert das Schweigegebot. Die Angebote aber hat sie alle abgelehnt. «Ich will unabhängig politisieren.»

Hilmar Gernet, der frühere Generalsekretär der CVP Schweiz, sagt: «Jeder, der in einen Verwaltungsrat oder einen Beirat kommt, weiss, was von ihm verlangt wird — nämlich Interessenvertretung im Parlament.» Gernet wird im Frühling ein Buch über Politikfinanzierung veröffentlichen. Heute arbeitet er als Direktor Politik & Gesellschaft bei der Raiffeisenbank, das heisst, er ist ihr Cheflobbyist.
Das Schulbeispiel eines Interessenvertreters ist Eugen David. Der CVP-Politiker sitzt seit zweiundzwanzig Jahren im Parlament. Nachdem er gewählt worden war, zog er in Verwaltungsräte ein, in Beiräte, Stiftungsräte; derzeit sind es sechzehn solche Mandate. Für das Verwaltungsratspräsidium der Krankenkasse Helsana allein bezog er letztes Jahr 126 000 Franken (laut Geschäftsbericht). Eugen David, auf seine multiplen und hoch dotierten Bindungen angesprochen, sagt etwas, das er dann später nicht gedruckt sehen will. Gedruckt sehen will er etwas, das er nicht gesagt hat. «Andernfalls ersuche ich Sie, auf die Zitate zu verzichten», schreibt er in einem Mail. Vorher hat er verlangt, alle Zitate kontrollieren zu dürfen (was ein übliches Vorgehen ist). Wir verzichten.

Christoph Blocher, der einst im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankgesellschaft sass, sagte einmal (1993 in der Zeitung «Cash»): «Heute sind Parlamentarier, die in Verwaltungsräten grosser Konzerne sitzen, viel stärker unter Druck als früher. Die müssen heute Instruktionen entgegennehmen, als ob sie Marionetten wären. Früher war der Respekt gegenüber der Unabhängigkeit von National- und Ständeräten viel grösser.»

Gilt dies auch für Caspar Baader, den Präsidenten der SVP-Bundeshausfraktion? Baader ist Mitglied der Verwaltung von Fenaco und des Vorstandes von Swissoil. Erstere ist ein milliardenschwerer Landwirtschaftskonzern, der vom politisch festgelegten Schutz der Bauern finanziell profitiert; er hat also starke Interessen gegen die derzeit angestrebte Marktöffnung. Swissoil, der Dachverband der Heizölhändler, ist selbstredend ein Akteur im hart umkämpften Feld der Energiepolitik. Baader, der mit diesen beiden Mandaten einen Teil seiner Einkünfte erzielt, sagt: «Die Entschädigungen bei Fenaco und Swissoil sind im Vergleich zu andern Unternehmen und Verbänden relativ bescheiden. Eine Zahl nenne ich nicht. Die meisten Parlamentarier sind Interessenvertreter, sei es von der Wirtschaft, sei es von NGOs und anderen Organisationen. Diese Interessen sind im Parlamentsregister deklariert, jeder sieht, wer welche Beziehungen hat. Bei korrekter Interessendeklaration sind solche Einkünfte kein Problem für unsere Demokratie. Eine Bekanntgabe der Entschädigungen dient nur dem Voyeurismus.»

3 — Omertà

Es ist eine besondere Erfahrung, wenn du in der Schweiz zum Thema Politikfinanzierung recherchierst: Überall wird geschwiegen. Es ist, als wäre es anstössig, in unserem Land von den finanziellen Eigeninteressen in der Politik zu reden.

Wortreich wird nur die Diskretion gelobt.

Stefan Brupbacher, Generalsekretär der FDP Schweiz, sagt: «Wir geben keine Auskunft über unsere Spender, denn Vertraulichkeit ist ein zentrales Element unseres politischen Systems. Da nur der Parteipräsident und ich die Finanzen kennen, ist damit auch das zweite wichtige Element sichergestellt, die Unabhängigkeit der Fraktion. Wer welche Politiker — beispielsweise — im Wahlkampf unterstützt, wissen wir nicht. Wer hier Transparenz verlangt, versucht, Politiker in die Nähe dubioser Machenschaften zu rücken. Niemand will sie diesem Generalverdacht aussetzen. Als Folge werden sich noch weniger Unternehmer im Milizsystem engagieren. So züchten wir aber Hors-sol-Politiker.»

Tim Frey, Generalsekretär der CVP Schweiz, sagt: «Im Milizsystem wird ein Kandidat ja gerade auch wegen seiner Tätigkeiten und Interessenbindungen gewählt. Nachträglich kaufen kann man einen Politiker nicht oder nur selten. Ich kenne jedenfalls niemanden, der sein Entscheidungsverhalten im Parlament anpasst, nur weil er in Lohn und Brot einer politischen Organisation steht. Das ist völlig abstrus. Er hat seine politische Meinung vor der Wahl gemacht.»

Abstrus? Ist es nicht im Gegenteil plausibel? Hätten diese Bezahlungen keine Wirkung, würden die Firmen und Verbände sie wohl nicht leisten. Und wäre die Höhe der Vergütung unproblematisch, könnte man sie transparent machen.

Transparent machen? Nein, sagt Tim Frey. «Wir haben praktisch keine Berufspolitiker in der Schweiz, und unsere Parlamentarier sind in erster Linie Bürger mit einem zivilen Beruf. Bürger mit dem Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre — dazu gehören auch ihre Einkommensverhältnisse.»

Informiert wählen zu können: Das ist die Grundlage jeder Demokratie. Das hast du in der Schule gelernt. Und das sagst du jetzt auch.

«Der informierte Wähler war ein Konzept der Politikwissenschaft der Siebzigerjahre», antwortet Tim Frey. «Viele empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Wählentscheide aufgrund von symbolischer Kommunikation und von Gefühlen gefällt werden und nicht aufgrund rationaler Überlegungen.»
Die CVP findet also nicht, dass die Wähler wissen sollten, in welchen Abhängigkeiten sich Politiker befinden?

«Die Abhängigkeiten sind sichtbar. Alle Beiräte, Verwaltungsräte, Stiftungsräte sind im Parlamentsregister aufgeführt. Das genügt. Wie viel die Politiker mit den Mandaten verdienen, das interessiert doch niemanden. Wenn der Wähler das Gefühl hat, einer ist gekauft, dann schiesst er ihn ab. Er wählt ihn nicht mehr. Punkt.»
Das ist doch genau das Problem. Die Gefühle. Denken nicht viele Bürger, es laufe in Bern oben etwas schief, es gebe diesen wie auch immer gearteten Filz? Dieses schattenhafte Gefühl beschädigt das Vertrauen in die Politik.

«Wir haben das Vertrauen unserer Wähler», antwortet Tim Frey von der CVP. «Sonst würden sie uns nicht wählen. Ich kenne unsere Wähler. Wie die Politiker finanziert werden, ist einfach kein Thema, es wird von zwei, drei Journalisten aufgebauscht.»
Und dann sagt Tim Frey, ein Parteiengesetz wäre für ihn schon denkbar und also ein professionelles Parlament und das damit verbundene Verbot für die Politiker, Geld anzunehmen. Gleichzeitig sagt er: «Aber das brächte keinen Gewinn an Demokratie. Diese Erfahrung habe ich zum Beispiel als Wahlbeobachter in Mali gemacht: Solche Regelungen werden oft umgangen. In der Schweiz wäre das mit dem liberalen Vereinsrecht auch sehr einfach. Unser System erscheint vielleicht diffus, es hat etwas Gebasteltes, Amateurhaftes an sich. Aber mir ist das sympathischer, weil man nicht eine Transparenz suggeriert, die es nicht gibt.»

Die Schweiz ist also anders als Mali. Aber wie läuft es denn nun in der Schweiz?
Es gibt einen Bericht des Bundesrates mit dem Titel «Moneypulation…?» Der Bericht war die Reaktion auf ein Postulat des Sozialdemokraten Andreas Gross, der 1995 verlangt hatte, dass endlich einmal geklärt werde, wie der Einsatz von Geldmitteln die Politik beeinflusse, sprich: ob «die Demokratie käuflich» sei. «Es ist für unser Staatswesen existenziell wichtig zu wissen, ob diese These zutrifft», schrieb Gross. Es war nicht der erste linke Vorstoss in dieser Sache, und es wird, wie die SP schreibt, nicht der letzte sein. Der Bundesrat beauftragte also die Bundeskanzlei, eine Studie auszuarbeiten; drei Jahre später lag der «Bericht zur Rolle des Geldes in der direkten Demokratie» vor. Er war 126 Seiten stark und enthielt — nichts.

Die Bundeskanzlei hatte eine eigene Umfrage organisiert, und zwar bei sechzehn Parteien und acht Verbänden und einundzwanzig weiteren politischen Organisationen. Mit dem Fragebogen sollten die politischen Ereignisse der Jahre 1994 und 1995 wie auch die Nationalratswahlen im Herbst 1995 auf den Einsatz von Geld hin untersucht werden. Den Adressaten wurde eine streng vertrauliche Behandlung zugesichert und versprochen, die Ergebnisse würden anonymisiert. Das Resultat: Von den fünfundvierzig angeschriebenen Organisationen antworteten nur zwölf (zu der schweigenden Mehrheit gehörte auch die SP Schweiz). Der Bericht schliesst mit der Bemerkung: «Angesichts der Vielzahl zitierter Geldbeträge, Budgets und Werbemittel schiene es vermessen zu behaupten, Geld spiele in der direkten Demokratie keine Rolle. Allerdings bleibt unklar, welcher Stellenwert den finanziellen Anstrengungen (…) zukommt.»

Als im Jahr 2001 der damalige SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard mit einer Interpellation nachfasste und die «gefährlichen Verstrickungen von Geld und Demokratie» geklärt haben wollte, antwortete der Bundesrat, indem er Bezug nahm auf den ernüchternden Bericht der Bundeskanzlei: «Der Bundesrat bezweifelt, dass eine weitere Untersuchung etwas bringt, wenn offensichtlich allenthalben die Bereitschaft zur Transparenz fehlt.»

Das ist also die Lage der Nation: Die höchste Autorität, die Landesregierung, möchte wissen, wer bei uns die Politik bezahlt. Aber sie ist chancenlos. Die Omertà ist nicht zu durchbrechen.

Die politische Debatte um die Offenlegung der Geldflüsse folgt heute dem Muster Linke gegen Bürgerliche. Die Linke ist für Transparenz, die Bürgerlichen sind dagegen. Das war nicht immer so. In der Vor-Blocher-Ära kämpfte die SVP in dieser Frage an der Seite der Sozialdemokraten und argumentierte absolut deckungsgleich: Wenn man ständig Geld auftreiben müsse, sagte die Partei, binde man sich an die Geldgeber und werde unfrei. Deshalb müsse der Staat die Politik finanzieren. Heute hält gerade die SVP ihre Geldquellen streng geheim. Die Haltung einer Partei bezüglich Transparenz scheint also immer nur von einem abzuhängen: wie sehr sie selber im Verborgenen von Spenden profitiert.

4 — Zahlen und Schätzungen

Die Frage, woher das Geld kommt, ist unbeantwortet. Du versuchst also, die Sache von der anderen Seite anzupacken: Wo geht es hin?

Ein Teil geht direkt auf die Konten von Politikern.

Ein Teil geht in die Parteizentralen (Parteifinanzierung).

Ein Teil geht in Abstimmungskämpfe.

Ein Teil geht in den Wahlkampf.

Dazu gibt es Schätzungen.

Fangen wir mit den Wahlen an, nehmen wir den Nationalratswahlkampf 2007, den bisher teuersten. Hilmar Gernet beschreibt ihn in seinem Buch. Die Parteien haben für Plakate, Inserate und Broschüren rund 50 Millionen Franken ausgegeben. Die Wahlkampfbudgets der Bundesratsparteien (plus Grüne) betrugen zusammen 16,6 Millionen Franken. Das heisst, es gibt einen Fehlbetrag von etwa 34 Millionen Franken. Diese Millionen haben die Kandidaten offensichtlich selber beschafft.

Bei wem? Wir wissen es nicht.

Die Parteienfinanzierung lässt sich ebenfalls abschätzen. Gemäss den Angaben der Generalsekretariate ergibt sich folgendes Bild: Umsatz der SVP Schweiz im Jahr 2009:
rund 2,5 Millionen Franken (Christoph Blocher zahlt nichts in die Parteikasse, sein Geld geht direkt in Abstimmungs- und Wahlkampagnen). Die SP Schweiz hat im letzten Jahr 4,83 Millionen Franken verbraucht, darin eingerechnet sind 1,2 Millionen Franken für Abstimmungskampagnen. Umsatz der FDP Schweiz im Jahr 2009: etwa 3 Millionen Franken. Die CVP Schweiz hat ein Jahresbudget von 2,5 Millionen Franken, das in den Wahljahren jeweils um eine Million erhöht wird.

Rund 12 Millionen Franken also kostet die immer aufwendiger werdende Arbeit in den Zentralen der Bundesratsparteien, wenn du sie zusammenrechnest. Während die SP mehrheitlich von Mitgliederbeiträgen lebt, finanzieren sich die bürgerlichen Parteien vor allem über Spenden. Die sechs wichtigsten Spender sind laut Hilmar Gernet: Credit Suisse, Novartis, Roche, Nestlé, ein grosser Baukonzern und bis vor einem Jahr auch die UBS.

Diese 12 Millionen sind wenig Geld — verglichen mit den Summen, die im Wettbewerb um politische Macht sonst ausgegeben werden. Die Firma Media Focus wertet jedes Jahr aus, wie viel Werbung die Politik in den Medien schaltet und was die kostet. Im Jahr 2007 hat die Politik demnach für 58 Millionen Franken Inserate geschaltet, im Jahr 2008 für 53 Millionen, letztes Jahr etwa gleich viel. Dieser hohe Betrag von 50 bis 60 Millionen Franken jährlich beinhaltet allerdings auch die kantonalen und städtischen Abstimmungskämpfe und Wahlen. Betrachtest du allein die nationalen Vorlagen, sind jährlich etwa 25 Millionen Franken im Spiel.

Wer bezahlt diese ganzen Abstimmungs- und Wahlkampfmillionen?
«Die interessierten Kreise», heisst es.

Du denkst vielleicht an Christoph Blocher und Walter Frey von der SVP, was nicht falsch ist, ausser, dass Walter Frey «seit acht Jahren ein bisschen weniger macht», wie er sagt. Früher hätten er und Christoph Blocher denselben Anteil an den Ausgaben getragen, heute sei Blocher stärker beteiligt. Blocher selber sagt, er wolle nichts zum Thema sagen.

Dann fällt dir Economiesuisse ein, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Economiesuisse ist die professionellste politische Kampagnen-Agentur der Schweiz.
Und weiter in der Rangliste der mächtigsten Interessengruppen folgen hinter Economiesuisse — ein gutes Stück abgeschlagen — die Gewerkschaften und die vielen anderen Verbände: Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Bauernverband, Umweltverbände. Sie haben weniger Geld, verfügen aber dank ihren vielen Mitgliedern auch über Schlagkraft.

5 — Der Verband


Eines Tages sitzt du einem Mann gegenüber, der ein rundes, freundliches Gesicht hat und eine modische Krawatte trägt und in gelassenem Konversationston deine Fragen beantwortet. Urs Rellstab heisst er. Er ist stellvertretender Direktor von Economiesuisse. Bei einem Budget von 15 Millionen Franken beschäftigt der Verband mehr als fünfzig Mitarbeiter. Damit weist Economiesuisse ein grösseres Budget auf als alle politischen Parteien zusammen — das allein zeigt, wie die Machtverhältnisse liegen.

Aber das eigentliche Instrument für den politischen Kampf ist der Kampagnen-Fonds von Economiesuisse. Über seine Grösse schweigt sich Rellstab aus, der Fonds ist aber gross genug, damit Economiesuisse bei allen wichtigen Fragen in die Schlacht ziehen kann. Bei kleinen Kampagnen setzt Economiesuisse 1 bis 2 Millionen Franken ein, bei mittleren 2 bis 5 Millionen Franken und bei den ganz grossen wie jener um die Personenfreizügigkeit bis 10 Millionen Franken. Economiesuisse stehen jedes Jahr schätzungsweise 15 Millionen Franken zur Verfügung für politische Kampagnen. Seit dem Votum über das Steuerpaket vor knapp sechs Jahren hat der Wirtschaftsverband keine Abstimmung mehr verloren, in der er mitgekämpft hat. Daraus lässt sich ableiten: Geld ist wichtig. Sehr wichtig. Urs Rellstab bestreitet das nicht: «Wenn es in einem Abstimmungskampf knapp wird, kann das Geld in den letzten Wochen zum relevanten Faktor werden. In dieser Phase ist es wichtig, die Botschaft mit Anzeigen in den Zeitungen zu wiederholen.>>

Du bittest den Mann, dir eine Liste auszuhändigen aller Volksabstimmungen und der jeweiligen Summe, mit der Economiesuisse in den Kampf eingegriffen hat. Urs Rellstab lächelt verbindlich und sagt: «Wie viel Geld wir bei einem bestimmten Abstimmungskampf einsetzen, geben wir nicht bekannt. Als Dachverband der Wirtschaft können wir nicht lügen. Oft spielen unsere Gegner das David-Goliath-Spiel und setzen zu Beginn einer Kampagne Zahlen in die Luft, die im Nachhinein nichts mit der Realität zu tun haben.»

Der Politologe Hans-Peter Kriesi von der Universität Zürich hat vor mehr als zwanzig Jahren die Rolle der Wirtschaftsverbände in der Schweiz untersucht. In dem Buch, das heute noch über weite Strecken Gültigkeit hat, bestätigt Kriesi die starke Stellung der Wirtschaftsverbände: Die Schweiz könnte gut eine Zeit lang ohne Parteien funktionieren, nicht aber ohne die Interessengruppen. «Die faktische Einbindung der Verbände in die Politik geht in der Schweiz weit über ihre rechtliche Anerkennung hinaus.» Gemäss Bundesverfassung sollten die Verbände bei der Gesetzgebung nämlich nur «anzuhören» sein, beim Vollzug allenfalls «herangezogen» werden. Sie operieren aber wie Parteien, als seien sie Organe der Willensbildung und hätten Anspruch auf Mitwirkung. «Es zeigt sich, dass die Verbände in der Schweiz nicht nur in der Lage sind, Interessen zu artikulieren, sondern dass sie diese auch in bindende Entscheide umsetzen können.» Natürlich musst du die grossen internationalen Firmen hier mitdenken. Denn die brauchen heute die Verbände nicht mehr und gelangen mit ihren Forderungen direkt an die Regierung, wie der Fall UBS gezeigt hat.

6 — In der Kommission

Viel Geld wird also in Abstimmungskämpfe gesteckt. Sie sind aber bloss das letzte Glied in einer langen Kette von politischen Entscheidungen. Eine Kampagne im Abstimmungskampf, ist für Interessengruppen die allerletzte Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Wirkungsvoller ist es, die Operation früher anzusetzen. Am Anfang der Gesetzgebung, in den Kommissionen.

Die Kommissionen sind die Werkstätten des Parlaments, die Scharniere zwischen Gesellschaft und Staat. Hier geschieht das Wesentliche. Hier werden die Gesetzesvorlagen formu-liert und also vorentschieden. Das Parlament wird zwar über die Vorschläge der Kommissionen abstimmen, aber die Weichen sind gestellt. Gleichzeitig entzieht sich der Meinungsbildungsprozess der Kontrolle, denn die Verhandlungen sind geheim und die Protokolle vertraulich. Mit anderen Worten: Die Kommissionen sind das perfekte Terrain für die Interessenvertreter.

Nicht nur bürgerliche Kommissionsmitglieder stehen im Dienst von Firmen und Verbänden, auch linke Parlamentarier haben bezahlte Mandate, zum Beispiel die sozialdemokratische Ständerätin Simonetta Sommaruga. Sommaruga präsidierte bis im Juni 2008 den Stiftungsrat des Hilfswerks Swissaid, und im Parlament war sie gleichzeitig Mitglied der Aussenpolitischen Kommission. In dieser Kommission hat sie mitentschieden darüber, dass die Gelder des Bundes für die Entwicklungshilfe von 0,4 auf 0,5 Prozent angehoben wurden — wovon das Hilfswerk unmittelbar profitierte. Und vom Hilfswerk wiederum bezog sie einen Teil ihrer Einkünfte.
Sommaruga sagt: «In einem Milizparlament ist es legitim, weitere Einkünfte aus dem politischen Umfeld zu haben. Dank einem solchen Mandat kann man auch Fachkenntnisse einbringen. Allerdings sollte man die Höhe all dieser Einnahmen offenlegen. Ob Sie ein Hilfswerk präsidieren oder in einem Verwaltungsrat sitzen und dort das Zehn- oder gar Fünfzigfache bekommen, ist ein Unterschied.» Von Swissaid hat Sommaruga 4800 Franken im Jahr erhalten.

Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Linken und Bürgerlichen: Linke Politiker legen offen, wie viel Geld bei ihnen im Spiel ist. Auf Anfrage nennt der Generalsekretär der SP Schweiz «alle SP-Parlamentarier, die bei einem Verband angestellt sind» und liefert später auch deren Einkommen nach. Es sind fünf Parlamentarier, ihre Einnahmen aus der Verbandsarbeit reichen von 5000 Franken jährlich (Evi Allemann) bis zu 50 000 Franken (Paul Rechsteiner).

Spielt die Höhe der Vergütungen überhaupt eine Rolle? Wahrscheinlich denkst du: Ja, schon. Denn je mehr Geld ein Politiker aus seinen Interessenbindungen einnimmt, je grösser der Anteil seines Einkommens ist, der aus solchen Mandaten gedeckt wird, desto stärker dürfte seine Abhängigkeit vom politisch interessierten Geldgeber sein. Oder nicht?

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums triffst du auf Roland Borer, den Nationalrat der SVP, der seit Jahren in der Sicherheitspolitischen Kommission politisiert. In dieser Kommission kämpfte er gegen ein nationales Waffenregister, er kämpfte für die Privatisierung des bundeseigenen Rüstungsbetriebes Ruag — gleichzeitig sass er im Verwaltungsrat einer Konkurrenzfirma, der Micro Technology Hérémence SA, in der Borer auch eigenes Geld hatte (bis sie im Jahr 2008 nach Norwegen verkauft wurde).

Roland Borer sagt: «Ich habe es immer offengelegt, als ich im Verwaltungsrat der MTH SA sass. Und in den entscheidenden Momenten habe ich mich in der Kommission der Stimme enthalten. Es war für mich aus diesem Grund auch klar, dass ich nicht Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission wurde.»

Es gibt für dich keine Möglichkeit, selber zu besichtigen, wie die Einflussnahme in den Kommissionen vonstatten geht, denn wie gesagt: Alles ist streng geheim. Einmal aber hat ein Journalist, der welsche Reporter Titus Plattner, eine schöne Episode ans Tageslicht befördert. Sie zeigt, was Interessenvertretung konkret bedeutet.
Am 10. Februar 2004 tagte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats, um die Totalrevision des Zollgesetzes vorzubereiten. Gregor Kündig, damals Mitglied der Geschäftsleitung des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, hatte ausgewählten Parlamentariern ein Bündel Papier mitgegeben, dreissig Punkte der Gesetzesvorlage, teilweise neu formuliert nach den Wünschen von Economiesuisse und für jeden erkennbar nach Wichtigkeit klassiert. Mit einem Stern versehen, bedeutete «wichtig» für die Wirtschaft, zwei Sterne standen für «sehr wichtig» und drei Sterne hiessen «absolut vital».

In der Beratung der Vorlage nun macht Eugen David, der Kommissionspräsident, bei jedem von Economiesuisse markierten Artikel eine lange Pause. Jede Änderung des Gesetzesentwurfs muss nämlich von einem Kommissionsmitglied beantragt werden. Jedes Mal meldet sich einer. Aber auf einmal gerät die Maschine ins Stocken.

«Hat jemand etwas anzufügen?», fragt Eugen David.

Stille.

«Niemand?»

Anhaltende Stille.

«Also hört mal, das ist ein Drei-Sterne-Vorschlag. Jemand sollte den Economiesuisse-Antrag stellen.»

Schliesslich folgt ein Ständerat der Aufforderung des Kommissionspräsidenten.
Es ist eine bezeichnende Episode, deren Darstellung von Economiesusisse als «absolut korrekt» bezeichnet wird. Urs Rellstab erklärt: «Wenn man den Parlamentariern, die einem nahestehen, vorher nicht gesagt hätte, was zentral ist, hätte man etwas Grundlegendes falsch gemacht. Interessen müssen sich im politischen Prozess artikulieren. Dafür sorgen wir.»

Rudolf Strahm, Sozialdemokrat, der dreizehn Jahre lang Nationalrat und dort auch zeitweilig Präsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben war, hat fest-
gestellt, dass die bürgerlichen Kommissionsmitglieder häufig mit vorgefertigten Positionspapieren erscheinen, wie er sagt. Er hat ein amüsantes Katz-und-Maus-Spiel beobachtet zwischen der Bundesverwaltung und den Interessengruppen. Bevor neue Gesetze in der Kommission vorberaten werden können, müssen ja eine Botschaft und ein Entwurf vorliegen. Das machen die Fachleute der Verwaltung.

Strahm erzählt: «Wenn verschiedene Anträge aus der Kommission vorliegen, die eine Chance haben, kommt die Verwaltung gelegentlich im letzten Moment mit Änderungsvorschlägen. Die parlamentarischen Interessenvertreter in der Kommission werden von solchen Last-minute-Vorstössen manchmal kalt erwischt und sind dann nicht in der Lage zu entscheiden, ob die Änderung auch im Sinne der Wirtschaftsinteressen ist, die sie vertreten. Wir haben erlebt, dass nach einem Überraschungsvorstoss der Verwaltung eine dringliche Pause der Kommissionssitzung beantragt wurde. WAK-Mitglieder flitzten dann auf den Gang, griffen zum Handy und holten zu den vorgebrachten Änderungen bei einem Lobbyisten des betreffenden Wirtschaftsverbandes oder Konzerns die Beurteilung ein.»

Das Parlament ist in gewisser Hinsicht schwach. Und wer schwach ist, lässt sich gern an der Hand nehmen von Starken. Das sagt sinngemäss Xavier Comtesse, der welsche Direktor von Avenir Suisse, der Denkfabrik der Schweizer Grossunternehmen. «Das Hauptproblem der Parlamentarier ist nicht, dass sie käuflich wären oder dem einen oder anderen Wirtschaftsverband auf Gedeih und Verderb ausgeliefert», meint Comtesse. «Das Hauptproblem ist: Sie sind häufig sachlich überfordert. Es ist fast unmöglich, über die ganze Bandbreite der meist komplexen Geschäfte einigermassen den Überblick zu haben. Auch die fleissigsten und klügsten Politiker stossen irgendwann an eine Grenze. Das eröffnet eine Chance für Lobbyisten — einfach, weil der Parlamentarier froh ist, dass jemand Hilfestellung bietet.» Seiner Meinung nach profitiert aber am stärksten die Verwaltung von dieser Schwäche: «Sie hat die personellen Ressourcen, um die Sachgeschäfte zu beherrschen. Sie kann relativ ungestört die Strippen ziehen.»

7 — Allein in Europa

Vielleicht denkst du, die Schweizer Demokratie ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber du weisst ja, dass perfekte Demokratien nicht existieren. Politikfinanzierung ist kein spezifisch schweizerisches Problem. Auch in anderen Ländern nimmt Geld im öffentlichen Leben einen wichtigen Platz ein. Und häufig einen ungebührlichen. Haben sich nicht in vielen Ländern gewaltige Skandale ereignet? Die Schwarzgeld-Affäre in Deutschland, die ein politisches Erdbeben auslöste und Helmut Kohl den Ehrenvorsitz der CDU kostete?

Gab es nicht die Elf-Aquitaine-Affäre in Frankreich, wo einer unerschrockenen Untersuchungsrichterin der Beweis gelang, dass ein Ölkonzern 300 Millionen Euro für politische Begünstigungen investiert hatte, unter anderem, um dem damaligen Aussenminister Roland Dumas eine kostspielige Geliebte zu finanzieren?
Ist nicht die erste Amtszeit von Tony Blair beinahe daran gescheitert, dass die Labour-Partei von Motorsport-Veranstaltern eine Million Pfund an Spenden erhielt — und dann dafür sorgte, dass bei Formel-1-Rennen Zigarettenwerbung erlaubt blieb?
Nur in der Schweiz gab es noch nie einen richtigen Parteispendenskandal. Gelegentlich hörst du das Argument, darin zeige sich die Überlegenheit des helvetischen Systems.

Ist das nicht Zynismus? In der Schweiz gibt es keine Spendenskandale, weil das Kaufen politischer Entscheide nicht verboten ist. Kein Untersuchungsrichter kann Untersuchungen anstellen. Keine Partei muss sich in die Bücher schauen lassen. Was im Ausland zu politischen Verwerfungen führt, wird von unserem Rechtssystem geschützt.

Die Schweiz ist tatsächlich ein Sonderfall. Nur bei uns ist Politikfinanzierung praktisch unreguliert. Zwar müssen Parlamentarier ihre Interessenbindungen deklarieren, aber die Höhe der Bezüge bleibt geheim. Völlig im Dunkeln bleiben zudem alle Anwaltsmandate, Beratungsverträge und sonstigen Formen der indirekten Bezahlung von guten Diensten.

In den meisten Demokratien sind in den letzten Jahrzehnten Massnahmen ergriffen worden, damit finanzstarke Gruppierungen es schwerer haben, politische Entscheide zu beeinflussen. Das zentrale Kriterium ist überall die Transparenz. Zu den letzten europäischen Ländern, welche die Offenlegung zur Pflicht machten, gehören die Niederlande und Grossbritannien. So müssen seit dem Jahr 2000 alle britischen Parteispenden offengelegt werden. Trotzdem kommen die Briten, die auf eine stolze liberale Tradition zurückblicken, mit geringer staatlicher Politikfinanzierung aus. Pro Kopf liegt sie wesentlich tiefer als der Betrag, den jeder Schweizer Steuerzahler für die Fraktionsbeiträge zu berappen hat. Transparenz und eine minimale staatliche Parteienfinanzierung lassen sich also durchaus verbinden.
Die Schweizer Politikfinanzierung wird im Ausland heute als Relikt angesehen. Die OSZE, deren Mitglied die Schweiz bekanntlich ist, hält in ihrem Bericht zu den Parlamentswahlen 2007 fest, dass die hiesigen Offenlegungspflichten ungenügend seien. Der Global Corruption Report der Uno von 2004 vermerkt trocken, dass die Schweiz bezüglich der Transparenzregeln für die Politikfinanzierung auf einer Stufe stehe mit Albanien, den Bahamas und Sri Lanka.

Schweizer Politiker sind weder bessere noch schlechtere Menschen als die Politiker anderer Länder. Das weisst du natürlich, und du bist auch gerne bereit zu glauben, dass sich viele nach bestem Wissen und Gewissen darum bemühen, den Wählerauftrag umzusetzen. Trotzdem nimmt das Ansehen unserer Volksvertreter ab. Trotzdem leiden die Politiker an einem Autoritätsverlust. Der Korruptionsverdacht zersetzt die Glaubwürdigkeit unseres Systems.

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