Kommunikation unter Kriminellen
Auftragskiller inserieren nicht
Von Jürgen Kaube
06. Februar 2010 Manche sind Verbrecher von Beruf. Sie bewerben sich, durchlaufen eine Art Ausbildung, machen Karrieren, besitzen Klienten, deren Problem sie lösen, etwa durch Beschaffung von Rauschgift, oder sie machen ihnen ein Dienstleistungsangebot, das seine eigene Nachfrage schafft, weil es nicht abgelehnt werden kann. Sie haben allgemeine Geschäftsbedingungen, eigene Betriebswirte und eine Rechtsabteilung, sie pflegen ein Berufsethos, Beziehungen zu anderen Firmen derselben Branche und eine Unternehmenskultur. Dennoch fehlt seit Edwin Sutherlands Reportage mit dem schönen Titel „The Professional Thief. By a Professional Thief“ von 1937 eine gute Berufssoziologie der Kriminellen.
Das Buch des Oxforder Soziologen Diego Gambetta über Kommunikation unter Gangstern ist ein brillanter Beitrag zu einer solchen Soziologie. Gambetta hat Dutzende von Autobiographien, ethnologischen Studien und Berichten der Ermittlungsorgane über das organisierte Verbrechen, vor allem in Nordamerika, Italien und Japan, studiert. Das Standardwerk über die sizilianische Mafia stammt von ihm, und.....
FAZ Online 06.02.2010
Kommunikation unter Kriminellen
Auftragskiller inserieren nicht
Von Jürgen Kaube
06. Februar 2010 Manche sind Verbrecher von Beruf. Sie bewerben sich, durchlaufen eine Art Ausbildung, machen Karrieren, besitzen Klienten, deren Problem sie lösen, etwa durch Beschaffung von Rauschgift, oder sie machen ihnen ein Dienstleistungsangebot, das seine eigene Nachfrage schafft, weil es nicht abgelehnt werden kann. Sie haben allgemeine Geschäftsbedingungen, eigene Betriebswirte und eine Rechtsabteilung, sie pflegen ein Berufsethos, Beziehungen zu anderen Firmen derselben Branche und eine Unternehmenskultur. Dennoch fehlt seit Edwin Sutherlands Reportage mit dem schönen Titel „The Professional Thief. By a Professional Thief“ von 1937 eine gute Berufssoziologie der Kriminellen.
Das Buch des Oxforder Soziologen Diego Gambetta über Kommunikation unter Gangstern ist ein brillanter Beitrag zu einer solchen Soziologie. Gambetta hat Dutzende von Autobiographien, ethnologischen Studien und Berichten der Ermittlungsorgane über das organisierte Verbrechen, vor allem in Nordamerika, Italien und Japan, studiert. Das Standardwerk über die sizilianische Mafia stammt von ihm, und auf seiner Website findet man eine umfassende Datenbank mit den Aussagen ehemaliger Mafiosi. Aus all diesen Materialien geht für ihn das Grundproblem des kriminellen Geschäftslebens hervor: dass es auf riskanter Kommunikation beruht, auf Mitteilung, die mit Geheimhaltung, also dem Gegenteil von Kommunikation, kombiniert werden muss. Kriminelle sind Geschäftsleute, die ein besonderes Marketingproblem haben, ein Kundenfindungsproblem, ein Personalrekrutierungsproblem.
Theorie krimineller Signale
Wie findet man etwa Kunden, die sich für gestohlenes Uran interessieren? Als 1991 eine Kanadierin aus den „Gelben Seiten“ die Adresse der Firma „Guns for Hire“ gefunden hatte und anrief, ob man nicht ihren Mann beseitigen könne, musste sie erfahren, dass der Laden auf Western Shows spezialisiert war, und wurde verhaftet. Auftragsmörder inserieren nicht. Aber was machen sie stattdessen? Gambetta entwickelt eine Theorie krimineller Signale, die zwei Kriterien erfüllen müssen: Sie sollten nur von denen verstanden werden, für die sie gemeint sind, und sie sollten nur von echten Kriminellen gesendet werden können.
Das fängt bei den Geschäftsräumen an. Schon sie wirken selektiv und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, unter sich zu sein. Verbrecher pflegen sich an Orten aufzuhalten, die andere Leute eher meiden: heruntergekommene Gegenden, ethnisch homogene Milieus, bestimmte Bars, Boxstudios, Klubs, die voll sind, während die normale Bevölkerung arbeitet oder schläft. Die Gang in den „Sopranos“, der Fernsehserie, die wie eine Verfilmung von Gambettas Buch wirkt, sitzt etwa ständig vor einer Metzgerei und in einem Strip-Lokal herum und macht nicht den Eindruck, als könne man sich dazusetzen.
Aufbau einer kriminellen Organisation
Doch wie erkennen Mafiosi, dass unter denen, die sich trotzdem dazusetzen, keine verdeckten Polizisten sind? Dabei hilft ihnen, so Gambetta, der Staat. Denn die Gefängnisse sorgen nicht nur dafür, dass sie einander kennenlernen. Eine Gefängnisbiographie zu haben, ist auch eines der verlässlichsten Signale dafür, es mit dem Verbrechen als Beruf ernst zu nehmen. Die Kosten eines längeren Aufenthaltes im Knast dürften für die meisten verdeckten Ermittler zu hoch sein. Nur für jemanden, der länger einsaß, so ein schwedischer Berufsdieb, sei es problemlos, einen Hehler zu finden. Und ob jemand länger einsaß, ist im Verbrechernetzwerk schnell überprüft. Das Verurteiltwerden stellt insofern für Gangster auch einen Karrieresprung dar.
Allerdings ist die Identifikation anderer Verbrecher nur die halbe Miete beim Aufbau einer kriminellen Organisation. Das zweite große Kommunikationsproblem der Gangster ist, wie sie einander trauen sollen. Und sie können, wenn einer ihrer Mitverbrecher sie hintergeht, ja auch schlecht die Polizei rufen. Gewaltandrohung allein, so Gambetta, ist zu wenig, weil sie das Vertrauensproblem nur einseitig löst: Wer glaubhaft drohen kann, dass er Betrug sanktionieren wird, von dem steht zu befürchten, dass er Gewalt auch einsetzt, um andere betrügen zu können. Stabile Kooperation kommt auf diese Weise nicht zustande.
Dummheit hilft
Was also kann ein Verbrecher tun, um anderen Verbrechern glaubwürdig zu erscheinen? Er kann signalisieren, dass sein Vertrauensbruch ganz unwahrscheinlich ist. Aus südafrikanischen Gefängnissen ist die Praxis der Gesichtstätowierung bekannt: Verbrecher zeichnen sich selbst und zeigen anderen dadurch, dass sie auf die Welt des Verbrechens angewiesen sind, weil sie als Gezeichnete eine andere Karriere gar nicht machen können. Die abgeschnittenen Finger der japanischen Yakuza sind eine analoge Praxis der Selbstbindung. Sie allerdings hat den Nachteil, dass nun die ganze Welt sehen kann, um wen es sich handelt. Besser ist da schon die Selbstbindung durch den Austausch kompromittierender Informationen. Korruption funktioniert, weil beide voneinander wissen, dass sie es sind. Als Antonino Cassarà, die rechte Hand von Richter Giovanni Falcone, 1985 ermordet wurde, waren daran neun Abgesandte fast aller Mafiafamilien beteiligt.
Ein genauso gutes Signal, meint Gambetta, ist Dummheit. Wer glaubhaft unfähig ist, andere als die verbrecherischen Tätigkeiten auszuüben, zeigt seine Verlässlichkeit. Gambetta ist auf diesen Gedanken beim Studium des italienischen Universitätssystems gekommen, aber er gelte auch für das Aufstellen von politischen Wahllisten: Inkompetenz signalisiert Loyalität, nach dem Motto: „Ich werde nicht weglaufen, denn, schau, ich habe gar keine Beine.“ So sei es für Mitglieder der Mafia typisch, dass sie sich ganz auf das Erpressen spezialisiert haben, aber die Geschäfte, von denen sie leben, selbst nie betreiben. Joseph Pistone, der unter dem Decknamen „Donnie Brasco“ Ermittlungsgeschichte geschrieben hat, gab zu Protokoll, dass manche der Mafiosi nicht einmal in der Lage waren, sich selbst einen Flug zu buchen. Von 114 sizilianischen Bossen konnte in den großen Mafiaprozessen der achtziger Jahre nur für vierzig ein offizieller Beruf ermittelt werden. Hinzu kommt, dass Mafiosi sich selbst nicht als Geschäftsleute darstellen. Respekt, nicht Geld, sagen sie, sei das, worum es ihnen gehe. Sie pflegen keinen aufwendigen Lebensstil, Ahnungslose, so Gambetta, würden sie für Bauern halten: wortkarg, schlicht, emotionsarm. Zu viel Interesse an irgendetwas würde nur als Schwäche und eventuelles Motiv für illoyales Verhalten ausgelegt.
Reputation und Vertrauenssicherung
Was hingegen Stärke signalisiert, geht aus Gambettas Kapiteln über Gefängnisse hervor. Hier beobachtet er einen ständigen, scheinbar anlasslosen Einsatz von Gewalt, die aber dazu dient, in einer Art Turnier Hierarchien zu etablieren. Am schlimmsten geht es darum in Gefängnissen zu, in denen die Insassen sich noch nicht kennen, etwa unter jungen Gefangenen und unter Frauen, die typischerweise eine kürzere kriminelle Vorgeschichte haben als Männer. Doch auch Selbstverstümmelung ist eine Praxis, Härte und auch jene Unberechenbarkeit zu signalisieren, die zum Geschäftsmodell von Gewaltberufen gehört. In Robert Altmans Film „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ schlägt ein Gangster seine Freundin mit einer Sodaflasche, um den Detektiv anzuschnauzen: „Wenn ich das jemandem antue, den ich liebe, was mache ich dann wohl mit dir?“
Man kann die Beispiele dafür, wie Gambetta die ökonomische Theorie der Signale, des Aufbaus von Reputation und der Vertrauenssicherung nutzt, um kriminelles Verhalten zu deuten, beliebig mehren. Weshalb so viele, aber nicht alle Gangster Spitznamen haben, woher der Name „Mafia“ selber kommt (aus einem Theaterstück) und warum er in „Der Pate“ nicht ein einziges Mal fällt, erklärt das Buch ebenso wie die Markenzeichen auf Herointütchen in New York. Das letzte Kapitel schließlich handelt vom Beitrag des Kinos zur Selbstfindung der Mafia, davon also, wie das Unterweltleben die Kunst nachahmt. Gambettas These ist hier, dass Mafiafilme die Mafia mit einem ganzen Vokabular leicht verstehbarer Symbole versorgt haben. Als er selbst 1987 in Palermo forschte, war eines Tages ein Pikbube unter seiner Hoteltür hindurchgeschoben worden. Gambetta verstand nicht, was das bedeutete, und hielt für einen Kinderstreich, was sich als Drohung der Mafia erwies. Mafiafilme, so sein Schluss, hätten ein unmissverständliches Zeichensystem verbreitet. Als Carmelo di Caro, ein Hafenarbeiter in Palermo, im Mai 2001 einen Pferdekopf in seinem Auto fand, hatte er kein Deutungsproblem.
Diego Gambetta: „Codes of the Underworld. How Criminals Communicate“. Princeton University Press 2009, 336 Seiten, 35 Dollar
Text: F.A.Z.
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