Montag, Februar 01, 2010

«Die Wut im Volk ist alarmierend»

Tages Anzeiger Online
«Die Wut im Volk ist alarmierend»
Von Stefan Schnyder. Aktualisiert am 31.01.2010

Robert J. Shiller hat als einer der wenigen Ökonomen vor der Blase auf dem Immobilienmarkt gewarnt. Der US-Starökonom äussert jetzt neue Warnungen. Und er sagt, wie weitere Krisen verhindert werden können.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy forderte an seiner Eröffnungsrede des WEF mehr Regeln für den Kapitalismus. Teilen Sie seine Meinung?
Robert J.Shiller: Es braucht nicht unbedingt mehr, aber bessere Regeln. Die Krise hat gezeigt, dass eine bessere Regulierung nötig ist. Wegen Bankkrisen im 19.Jahrhundert gab es ja vor der Krise eine Regulierung. Aber die Wirtschaft ist seither viel komplexer geworden. Auf der anderen Seite gilt es, in einer Marktwirtschaft die Komplexität möglichst tief zu halten, sodass die Unternehmen durch die Regeln nicht zu stark eingeschränkt werden. Insgesamt habe ich aber grosse Sympathie für Sarkozys Vorschlag, den....



Tages Anzeiger Online
«Die Wut im Volk ist alarmierend»
Von Stefan Schnyder. Aktualisiert am 31.01.2010

Robert J. Shiller hat als einer der wenigen Ökonomen vor der Blase auf dem Immobilienmarkt gewarnt. Der US-Starökonom äussert jetzt neue Warnungen. Und er sagt, wie weitere Krisen verhindert werden können.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy forderte an seiner Eröffnungsrede des WEF mehr Regeln für den Kapitalismus. Teilen Sie seine Meinung?
Robert J.Shiller: Es braucht nicht unbedingt mehr, aber bessere Regeln. Die Krise hat gezeigt, dass eine bessere Regulierung nötig ist. Wegen Bankkrisen im 19.Jahrhundert gab es ja vor der Krise eine Regulierung. Aber die Wirtschaft ist seither viel komplexer geworden. Auf der anderen Seite gilt es, in einer Marktwirtschaft die Komplexität möglichst tief zu halten, sodass die Unternehmen durch die Regeln nicht zu stark eingeschränkt werden. Insgesamt habe ich aber grosse Sympathie für Sarkozys Vorschlag, den Kapitalismus menschlicher zu gestalten.

Ein Regulierungsvorschlag, um künftige Krisen zu vermeiden, lautet, dass die Banken mehr Eigenkapital haben müssen als bisher. Was halten Sie davon?
Die Banken haben vor der Krise mit sehr viel Fremdkapital gearbeitet. Das war ein Problem. Allerdings können strenge Eigenkapitalvorschriften eine Krise zusätzlich verschärfen. Sie können nämlich dazu führen, dass die Banken Kredite kündigen, um die Vorschriften einzuhalten. Dies kann die Krise noch verschlimmern. Eigenkapitalvorschriften müssen also so ausgestaltet werden, dass sie die Negativspirale bremsen.

Wie lässt sich dies erreichen?
Mit einer Gruppe amerikanischer Professoren habe ich einen Vorschlag ausgearbeitet. Dieser sieht vor, dass Banken Fremdkapital aufnehmen müssen, das zu Eigenkapital wird, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Das Eigenkapital muss erstens eine gewisse Schwelle unterschreiten. Und zweitens müssen die Aufsichtsbehörden der Ansicht sein, dass sich die Finanzindustrie in einer Systemkrise befindet.

Ist dieser Vorschlag sozusagen ein Wundermittel, das alle Probleme löst?

Nein. Es gilt weitere Ursachen der Finanzkrise anzugehen. Die Ursache der Krise waren Blasen im Immobilienmarkt, an der Börse oder auf dem Ölmarkt. Zudem haben die Banken in den USA vielen Kunden Hypothekarkredite gewährt, die sie nie hätten bewilligen dürfen.

Doch warum hat niemand vor den Folgen dieser Blasen gewarnt?
Ich habe gewarnt.

Aber niemand hat auf Sie gehört?
Ich gebe ihnen ein Beispiel: Vor der Krise habe ich an einer Konferenz den Finanzchef von Freddie Mac, dem grossen staatlichen US-Hypothekeninstitut, gefragt, welche Krisenszenarien sie durchgerechnet hätten. Seine Antwort war: Unsere pessimistischste Annahme ist ein Rückgang der Immobilienpreise um 13 Prozent. Angesichts der Immobilienpreise, die in diesen Jahren stark angestiegen waren, fragte ich ihn, was denn geschehe, wenn der Preisrückgang stärker sei. Er war überrascht über die Frage. Es schien, als ob ihm niemand diese Frage vorher gestellt hätte. Und dann sagte er: Immobilienpreise sind seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren nie so stark gefallen. Doch im Verlauf der Krise sind die Preise um mehr als das Doppelte dieser 13 Prozent gefallen.

Was zeigt dieses Beispiel?
Die Krise ist entstanden, weil viele Akteure gedacht haben, gewisse Entwicklungen seien undenkbar. Aber sie waren nicht undenkbar. Die Forschung der Verhaltenstheorie hat gezeigt, dass der Mensch die Tendenz hat, gewisse Problemfelder völlig auszublenden. Es ist ein Versagen des menschlichen Denkens. Es stellt sich deshalb die Frage, wie Experten, die vor einer Krise warnen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erlangen können, wenn der allgemeine Konsens besagt, dass es kein Problem gibt.

Warum hat denn niemand auf Sie gehört? Sie sind ein renommierter Professor.
Ich weiss es auch nicht. Die Antwort war jeweils: Sie sind der Einzige, der das sagt. Meine Aussagen wurden einfach als ein rein akademischer Diskurs wahrgenommen. Und mein Problem war, dass ich in der Boomphase den Beweis nicht antreten konnte, dass wir in einer Blase stecken.

Sind denn Krisen auf Grund des menschlichen Wesens unvermeidbar?
Menschliche Fehler sind unvermeidbar. Aber man kann Systeme bauen, die die Folgen dieser Tatsache beschränken.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Aufsichtsbehörden?
Auch die Aufsichtsbehörden haben versagt. Ich habe die US-Behörden in den Jahren 2005/2006 darauf aufmerksam gemacht, dass gewisse Leute Hypothekarkredite erhalten haben, die nie ein solches Darlehen hätten erhalten dürfen. Die Behördenvertreter haben dann angeführt, dass sie für diesen Bereich nicht zuständig seien. In den USA gab es nämlich keine Aufsichtsstelle, welche die regionalen Hypothekarinstitute beaufsichtigte. Die Bankenaufsicht war nur zuständig für die national tätigen Banken. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Banker mit dem System viel Geld verdienten. Und die Aufsichtsbehörden hätten eingreifen müssen. Doch auch den Behörden fehlte der Beweis, dass sich auf gewissen Märkten tatsächlich eine Blase gebildet hat.

Die Politik fordert nun, dass Boni eingeschränkt werden, um künftige Krisen zu verhindern. Was halten Sie davon?
Wenn ein Unternehmen einem Manager einen Bonus in Aussicht stellt, der auf dem Gewinn oder dem Aktienkurs basiert, dann erhält dieser einen Anreiz zu kurzfristig orientiertem Handeln. Langfristige Probleme werden von den Bonusbezügern ausgeblendet. Das ist ein ernsthaftes Problem. Diese Leute haben einen Anreiz, in Produkte zu investieren, die in neun von zehn Fällen eine hohe Rendite abwerfen, aber im zehnten Fall einen Totalverlust verursachen. Deshalb erachte ich Bonibeschränkungen als richtig.

Vergangene Woche hat US-Präsident Barack Obama Vorschläge gemacht, wie er den Finanzmarkt regulieren will. So plant er, den Eigenhandel der Banken – also den Handel mit Wertpapieren auf eigene Rechnung – zu limitieren. Wie beurteilen Sie diesen und seine weiteren Vorschläge?
Wenn der Staat Banken gewissermassen versichert, indem er sie rettet, dann finde ich es richtig, dass der Staat Auflagen macht zum Eigenhandel oder zur Tatsache, ob eine Bank Hedge-Fonds besitzen darf. Das Prinzip des Vorschlags ist also richtig. Ein weiterer Vorschlag ist eine Gebühr von jährlich 0,15 Prozent auf dem Fremdkapital abzüglich der Spareinlagen, die während zehn Jahren zu bezahlen ist. Diese Gebühr scheint mir richtig zu sein, wenn die Banken quasi staatlich versichert sind.

Wo würden Sie zudem den Hebel ansetzen?
Der Finanzmarkt muss demokratisiert werden. Er muss den Bedürfnissen der Menschen besser dienen. In diesem Bereich hat das System in der Krise versagt. In den USA mussten Millionen von Menschen ihr Haus zwangsversteigern lassen. Viele Arbeiter haben ihre Stelle verloren und haben kein Einkommen mehr. Und was tun wir für sie: Wir werfen sie aus ihrem Haus. Es war ja nicht ihr Fehler, dass es so weit gekommen ist. Deshalb schlage ich vor, dass Hausbesitzer, die in Krisenzeiten in finanzielle Schwierigkeiten geraten, besser geschützt werden. Zudem soll man sie nicht mehr so einfach aus ihrem Haus werfen können. Ein entsprechendes Gesetz berät der US-Kongress derzeit.

Dieser Vorschlag scheint Ihnen wichtig zu sein. Warum?

Wir befinden uns an einer Kreuzung. Die Wut in der Bevölkerung ist alarmierend. Es ist eine Wut auf die ganze Wirtschaft und auf beide grossen politischen Parteien. Die Leute beklagen sich immer, dass die Politiker eine schlechte Arbeit machen. Aber jetzt hat dies eine neue Intensität erreicht. Die Vorschläge von Obama sind auch eine Reaktion auf diese Empörung.

Sind Sie optimistisch, dass die Länder die nötigen Regulierungen auch umsetzen werden?
Die Länder befürchten, dass die Banken mit ihren Geschäften dorthin gehen werden, wo die Regeln am wenigsten streng sein werden. Deshalb zögern sie noch mit der Umsetzung. Doch über alles gesehen war die internationale Koordination bislang inspirierend. So sind die G-20-Länder übereingekommen, gewisse Regeln gemeinsam einzuführen. Aber schliesslich werden sie wohl nicht alle Bestimmungen einführen, die man sich wünschen würde. (Berner Zeitung)

Erstellt: 30.01.2010, 20:53 Uhr

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